Zur Hölle mit den Anderen

Kino Benjamin Heisenbergs „Über-Ich und Du“ und Jan Schomburgs „Vergiss mein Ich“ haben mehr gemeinsam als ein Personalpronomen
Ausgabe 18/2014
Zur Hölle mit den Anderen

Bild: Still aus „Über-Ich und Du“

Als einen „nicht uninteressanten“ Fall bezeichnet der alte Psychoanalytiker (André Wilms) den ihm ins Haus geschneiten Kleinganoven (Georg Friedrich). Und als geübter Interpret von Filmen wie Benjamin Heisenbergs Über-Ich und Du fragt man sich: Warum die doppelte Verneinung? Warum ist dieser Nick, im Film später auch als „halb Kanal-, halb Leseratte“ charakterisiert, nicht einfach ein „interessanter Fall“?

Die geübten Verwender der doppelten Verneinung werden es wissen: Der Umweg, der in der indirekten Formulierung beschritten wird, lässt mehr Nuancen zu. Er schafft alleine durch die längere Wegstrecke eine intensivere Verbindung zwischen Betrachter und Betrachtetem. Es ist der alte Unterschied zwischen dem Erklimmen des Eiffelturms (erste Etage) per Treppe oder per Aufzug – im letzteren Fall ist man zwar schneller da, im ersteren hat man das unvergesslichere Erlebnis gehabt.

In diesem besten Sinne ist jeder Film eine Art Umweg: An die Stelle des direkten Betrachtens der Wirklichkeit tritt das vermittelte einer Fiktion, aus „interessanter“ Realität wird „nicht uninteressante“ Imagination. Weshalb im Übrigen der Vorwurf des „Unrealistischen“ im Kino immer so zahnlos wirkt. Sowohl Heisenbergs Über-Ich und Du als auch Jan Schomburgs Vergiss mein Ich entfalten ihre Handlung aus etwas „Ausgedachtem“ heraus – nah an der Wirklichkeit, aber keinesfalls mit ihr identisch. Und weil beide Filme um die Frage der Identität und Persönlichkeit kreisen, erweist sich der vermittelte Zugang als Glücksgriff. Wie es so schön heißt: Man muss neben sich stehen können, um über sich zu lachen. Bezeichnenderweise haben sowohl Heisenberg, dessen Filme Schläfer (2005) und Der Räuber (2010) sich durch ihren angespannten Ernst auszeichneten, als auch Schomburg, dessen Über uns das All (2011) einen existenziell-tragischen Ton anschlug, für ihre „Ich“-bezogenen Filme nun einen komödiantischen Ansatz gewählt.

In Über-Ich und Du bringt Heisenberg komische Mechanismen der Verwechslung zur Geltung. Georg Friedrich will als Dieb Nick mit unlauteren Absichten in eine Villa eindringen – und sieht sich als willkommen begrüßt. Man habe auf ihn schon gewartet. Es ist die Tochter des alten Psychoanalytikers Curt Ledig (Wilms), die ihn erst nicht zu Wort kommen lässt, weil sie ihn für den bestellten Haushüter hält. Gleichzeitig muss man als Zuschauer schon in diesen ersten Momenten Nicks Geschick bewundern, mit platziertem Schweigen und leeren Antworten sich in denjenigen zu verwandeln, für den ihn sein Gegenüber hält, ohne zu wissen, wer das sein soll.

Der fremde Gatte

Es kommt dann noch mal anders: Statt als bloßer Hüter der Villa sieht Nick sich als Pfleger des alten Curt eingesetzt, der sich in einem Anfall von Sturheit weigert, mit der Tochter ins Gebirge zu fahren. Erstens erkennt er in Nick den besagten „nicht uninteressanten“ Fall und zweitens möchte er ungestört einen Vortrag vorbereiten, in dem er sich zu Vorwürfen äußern will, die seine Karriere begleitet haben, weil sie zu Nazizeiten begonnen hat.

Zwei völlig inkompatible Charaktere – der schlaue Professor und der sich für schlau haltende Dieb – lassen für Situationskomik Raum. Woraus Heisenberg immer wieder schöne Miniaturen baut: über Analyse und Übertragung, über paradoxe Verschreibungen und das vielleicht beste Rezept zur Selbsterforschung: einfach mal in die Schuhe eines Anderen zu schlüpfen.

Den umgekehrten Weg muss Maria Schrader als Lena Ferber in Schaumburgs Vergiss mein Ich beschreiten: Was wenn der „Andere“, in dessen Schuhe man sich gesteckt sieht, vormals das eigene „Ich“ war? Eine Hirnhautentzündung hat bei Lena zur Amnesie geführt. Man entlässt sie aus dem Krankenhaus in ihr altes Zuhause, das ihr unbekannt, und an die Seite ihres Mannes (Johannes Krisch), der für sie ein Fremder ist. Man könnte heulen über den Schrecken dieser Situation, aber in der Unschuld, die Schrader ihrer Lena verleiht, ist da von Anfang an ein leichter Ton. Wo vorher eine intellektuelle Erforscherin von Gender-Verhältnissen stand, beginnt nun ein tastendes inneres Kind mit aufgeklebten Schnurrbärten und pinkfarbenen Blusen in Schmetterlingsform zu experimentieren. Auch die Höhenangst ist weg. Und gewisse moralische Barrieren.

Schomburg arbeitet mit Überraschungskomik, die er in schöner Verhaltenheit präsentiert. Immer wenn Lenas Gatte, der seine Frau schmerzlich vermisst, meint, endlich die „alte“ Lena wieder vor sich zu haben, stellt sich heraus, dass die „neue“ Lena sie nur spielt, wofür sie deren Tagebücher oder willkürliche Fernsehserien zu Hilfe nimmt. Wenn es nicht so komisch wäre, könnte man Mitleid haben.

„Ich will doch einfach nur ich sein“, sagt die neue Lena irgendwann gegen Ende, obwohl sie da den Part der alten Lena wieder so gut drauf hat, dass sie als Buchautorin erneut erfolgreich ist. Der Umweg über das Ich-Vergessen hat sich dennoch gelohnt – für sie wie für den Zuschauer.

Vergiss mein Ich Jan Schomburg D 2014, 94 Minuten. Start: 1. Mai Über-Ich und Du Benjamin Heisenberg D 2014, 93 Minuten. Start: 8. Mai

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