Die Zeit der Katastrophenfilme jedenfalls scheint erst mal vorbei. Das war die erste Phase der Krise, als Steven Soderberghs Contagion oder Outbreak mit Dustin Hoffman noch als Referenz dienten, um sich im direkten Sinne ein Bild zu machen von dem, was das heißt: Pandemie. Und wie schlimm es werden könnte. Manche griffen auch gleich zum härteren Stoff, zu den filmischen Imaginationen von Alien-Invasion oder Zombie-Apokalypse – vielleicht, um im Anschluss den Beruhigungs-Thrill beim Blick auf die eigene Straße zu erleben, wenn man entdeckt, dass es eben doch noch nicht so ist wie in Danny Boyles 28 Days Later: Man kann in den Supermarkt gehen, ohne von Zombies angefallen zu werden; die Wälder sind noch frei von marodierenden Milizen, und so viel besser haben es die „Prepper“ mit ihrer Vorratshaltung dann doch nicht.
Jetzt, in der Phase nach dem Anfang, zeigt sich immer mehr, dass die fiktiven Szenarien des Kinos die Sache mit dem Desaster im Grunde zu einfach verhandeln; die Schwierigkeiten im wahren Leben liegen woanders. So hellsichtig es wirkt, wenn in Contagion davor gewarnt wird, sich ins Gesicht zu fassen, oder mit der Anfälligkeit fürs Virus auch die für Falschmeldungen steigt, im echten Durchleben fühlt sich vieles ganz anders an. Die Welthaltigkeit, die die Filme oft mit ihren über die Erde verteilten Schauplätzen suggerieren wollen, erweist sich als Sinnestäuschung – tatsächlich sind Dystopien oft unterkomplex, weil sie sich im Kern nur auf die eine große, heroische Frage beschränken: auf das existenzielle Überleben. Wenn in der aktuellen, unserer Corona-Gegenwart von Überleben die Rede ist, dann geht es meist um Profaneres, das aber nicht minder essenziell empfunden wird: um den eigenen Job, die nächste Mietzahlung, den wirtschaftlichen Fortbestand des eigenen Berufs und Lebenswerks. Oder besser noch um so kleinteilige Fragen wie die, wie man als Kinobetreiber verhindern soll, dass ein Besucher in einer Sitzreihe über einen anderen hinwegsteigen muss.
Walking Dead wäre jetzt gut
Denn wenn jetzt nach und nach „gelockert“ wird und damit die Kulturinstitutionen wieder ihre Türen öffnen, beginnt die Krise vielleicht erst richtig: Wird in naher Zukunft überhaupt noch jemand zwei, drei Stunden mit anderen in einem Raum, sei es das Konzerthaus oder das Theater, sitzen wollen? Wird in Clubs künftig beim Tanzen der Abstand kontrolliert? Was bedeutet es für den Bestand der Museen und Kinos, wenn sie nur noch zu 30 oder 35 Prozent auslasten dürfen? Wie viele Töpfe mit Subventionen, Nothilfen und Sofortkrediten müssen auf kommunaler und föderaler Ebene eingerichtet werden, damit das, was man im Deutschen so blumig „Kulturlandschaft“ nennt, nicht verödet? Ein Wort, das auch klarmacht, warum der Katastrophenfilm lieber den Sturm auf die Supermärkte zeigt als die Debatten eines schwäbischen Gemeinderats darüber, wie man mit dem örtlichen Zimmertheater und seinen Angestellten verfährt.

Illustration: der Freitag
Das Tückische an der Gegenwart ist also, dass wir gerade nicht in der verhältnismäßig übersichtlichen Welt der Walking Dead gelandet sind; unsere Probleme sind ausgesprochen zivilgesellschaftlicher Natur. Das grassierende Katastrophengefühl aber nährt sich daraus, dass das Kulturleben brachliegt. Für das Gefühl von „Normalität“ spielt kulturelle Teilhabe, und sei es nur als Möglichkeit, eine ganz entscheidende Rolle. Auch wenn der Bundesbürger durchschnittlich nicht mehr als zwei Mal im Jahr ins Kino geht und nicht wenige die Opernhäuser ihrer Stadt noch nie von innen gesehen haben: die Tatsache, dass da etwas stattfindet, dass dort gestritten, für blöd befunden, gejubelt wird, sowohl hinter den Kulissen als auch im Publikum – das allein vermittelt ein Gefühl von Öffentlichkeit, von Gegenwärtigkeit, das übers Private, über Befindlichkeiten hinausgeht. Genau das, was man in diesen Tagen, zumal wenn Aluhüte und ihre wirren Theorien die Nachrichten füllen, schmerzlich vermisst. Und genau das kann auch das einfallsreichste Streamen nicht ersetzen, auch wenn all das, was Museen, Festivals und viele andere Einrichtungen zurzeit auf die virtuellen Bühnen bringen, vielleicht nicht oft genug gelobt wird – und generell zu wenig Aufmerksamkeit findet, weil die noch so stark an die Krise und ihre Epiphänomene gebunden ist.
So klar liegen die trüben Aussichten fürs Kulturleben auf der Hand, dass man sich im Einzelnen fast nicht traut herumzufragen. Schließlich muss man keine Betriebswirtschaft studiert haben, um auszurechnen, dass große finanzielle Sorgen die unmittelbare Zukunft der Institutionen, egal ob klein oder groß, beherrschen werden. Düstere Vorhersagen darüber, wie viel Prozent nicht überleben werden, machen die Runde, erst recht, wenn mit einer zweiten Ansteckungswelle ein weiterer Lockdown käme. Dann wird vielleicht doch noch das Schreckensbild der Geisterstädte aus den Zombiefilmen wahr, samt Rolldisteln, die über löchrigen Asphalt trudeln ...
Das Überraschende ist, dass bei konkreter Nachfrage sich aber doch wieder ein anderes Bild ergibt. Inge Mauerer-Klesel, Kinobetreiberin in Heidelberg mit langer Tradition, benennt zwar sorgenvoll all die Unsicherheiten, die sich aus dem Hin und Her der Gegenwart ergeben, aber als Nächstes erzählt sie von den Hunderten von Briefen und E-Mails, die sie seit der erzwungenen Schließung bekommt. „Ohne Kino ist die Welt ärmer und unvorstellbar“, „Bitte halten Sie durch!“, „Ich freue mich schon auf meinen ersten Film wieder in Ihrem Kino“..., heißt es da, während gleichzeitig massenhaft Gutscheine für das Danach gelöst werden, oft mit einer zusätzlichen Spende verbunden.
Da ist sie, die kulturelle Öffentlichkeit, die dann doch an ein Danach glaubt. Aus der Pfalz erzählt Ursula Simgen-Buch, die in Kaiserslautern und Enkenbach zwei kleinere Kinos betreibt, ganz Ähnliches – und meint, dass Autokinos nicht die Antwort sein können. Mit dem Katastrophenfilm im Kopf kommt man also nicht weiter, weil zuerst eben ganz praktische Fragen entschieden werden müssen – und es würde den Betreibern nicht nur der Kinos schon helfen, wenn sie damit nicht völlig alleine gelassen werden. Wie können und sollen sie ihre Besucher schützen? Was tun, wenn ein altes Kino eben nur kleine Toilettenräume bietet, es kein Foyer gibt, in dem sich die Leute besser verteilen können? Das sind die unmittelbaren Probleme, auf die Antworten gut wären – und zwar besser bundeseinheitlich als in jedem Land für sich.
Auf der nächsten Ebene kommen weitere Sorgen hinzu: Werden die Verleiher auch genug attraktive Filme ins Kino bringen, die den Aufwand dann wert sind? Der Sommer ist traditionell Flautezeit im deutschen Kino, da lässt sich die Beschränkung der Auslastung noch verkraften, aber die Flaute müsste ausgeglichen werden von einem gut laufenden Herbst und Winter. Wenn die Auslastungsbeschränkung bleibt, sieht es damit finster aus.
Für Außenstehende mag das manchmal gerade zu viel werden: alle klagen, allen geht es schlecht(er), alle sehen mit Furcht und Sorge in die Zukunft. Man muss dem manchmal bewusst entgegenhalten, dass es oft nicht nur um Existenzsicherung der Betreiber selbst geht, sondern in der Tat um die Sicherung von kultureller Infrastruktur. Dass Mieten gestundet und erlassen werden sollen, dass Subventionen erhöht und Garantien beschlossen werden, dass an Auswertungsfenstern festgehalten und Beschäftigungsverhältnisse gesichert werden – das alles klingt ziemlich unsexy, wird aber zur Voraussetzung der sinnlichen Erlebnisse von morgen.

Illustration: der Freitag
Bock auf Risiko
Letzteres sind Maßnahmen für die nächste Zukunft, aber dann gibt es ja noch die andere, fernere Zukunft, die „jenseits der Pandemie“. Alle wollen sich zurückhalten mit Vorhersagen, und trotzdem sind die virtuellen Kanäle voll davon. Es ist eben auch eine Art Gesellschaftsspiel, mit dem sich etwas seelische Erleichterung verschaffen lässt: Indem man sich vorstellt, wie man aus der Zukunft auf das Heute zurückblickt, kann man den alltäglichen Schrecken auf Distanz halten: Wisst ihr noch, wie das war, als man alles nur streamen konnte?
Das Publikum wird zurückkehren – in die Kinos, in die Theater und Konzerte und erst recht in die Clubs, die seit jeher ein eher risikofreudiges Publikum anziehen. Man kann sich gut vorstellen, dass für einige Zeit das Nachholbedürfnis für einen regelrechten Sturm sorgen wird auf alles, was Versammlung und Livekultur ist. Die Zukunft, in der jemand seufzend am Ticketschalter eines Theaters steht und davon schwärmt, wie schön es doch war, als man mit einem Klick das Video in Gang setzen konnte, allein zu Hause am Computer, scheint jedenfalls sehr fern.
Unterdessen melden Film- und Serienproduktionen eine andere, eigene Schwierigkeit an, die aktuell wird, sobald die Produktion wieder losgeht, was nun doch absehbar scheint: Wie soll man mit den Umständen der Gegenwart umgehen, wenn sie nur Kulisse ist? Anders gesagt: Wird nun in all den Sitcoms und Soaps Maske getragen und Abstand gehalten? Oder belässt man die Geschehnisse in einer nebulösen Zeit des „Kurz Davor“? Und wenn man auf die aktuellen Entwicklungen eingeht, etwa in den ersten Folgen einer Serie, hört man dann in Folge fünf einfach wieder damit auf?
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