Chaotisch, veraltet, verschwenderisch

Fortschritt Büro-Papa und Kochschürzen-Mama – so wollen viele nicht mehr leben. Es ist Zeit, das Ehegattensplitting endlich abzuschaffen

Es klingt eigentlich nach einer guten Idee: Zwei Menschen tun sich zusammen, nicht nur, weil sie sich lieben, sondern auch aus ökonomischen Gründen. Der eine verdient Geld; der andere erledigt die Hausarbeit und kümmert sich um die Kinder – wenn es welche gibt. Nicht nur das heimische Glück, auch das verdiente Geld teilen die beiden durch zwei – und sparen damit Steuern. Das Ehegattensplitting hat etwas von einer Wedding App auf dem Smartphone: „Sparen Sie Bares durch den schönsten Tag Ihres Lebens! Es gilt auch rückwirkend für das gesamte Kalenderjahr!“

Gesamtgesellschaftlich ist das Splitting aber mehr als eine digitale Spielerei. Das vermeintlich familienpolitische Instrument beeinflusst unsere Gesellschaftsstrukturen sehr stark, da es die Antwort auf die Frage „Wie wollen wir leben?“ vorwegnimmt: „Natürlich steuerbegünstigt!“

In politisch lauten, weil wahlkampfnahen Zeiten wird über das Ehegattensplitting deshalb besonders heftig gestritten. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, SPD, sagte kürzlich in der Super-Illu: „Die vielen Milliarden, die wir für das Ehegattensplitting aufwenden, müssen endlich allen unseren Kindern und Enkeln zugutekommen“. Der Politiker sprach zur gesamten Bevölkerung, nicht nur zu denen, die den Spiegel lesen und nun wissen, dass das Ehegattensplitting ungerecht und nicht mehr zeitgemäß zugleich ist.

Eine Forschungsgruppe hat im Auftrag der Regierung nämlich die Familienpolitik der Bundesrepublik betrachtet und vernichtend geurteilt: Chaotisch, veraltet, verschwenderisch. Allein durch das Ehegattensplitting verliere der Staat jährlich rund 20 Milliarden Euro – von den vielen weiblichen Fachkräften, die dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt dadurch entgingen, ganz zu schweigen.

Trotz dieser Ergebnisse spaltet das Ehegattensplitting die Gesellschaft. Da gibt es Sparfüchse und Schnäppchenjägerinnen, die am Splitting hängen wegen der Progression, also der Besteuerung nach Höhe des Einkommens. Im Gegensatz dazu sind sich Gender-Forschende und Frauenbewegte einig: Das Splitting gehört abgeschafft. Es verleitet Frauen dazu, dem Arbeitsmarkt fernzubleiben. Von „negativen Anreizwirkungen für die Erwerbstätigkeit von Frauen“ spricht zum Beispiel die Juristin Ulrike Spangenberg und fordert Geschlechtergerechtigkeit im Steuerrecht.

Konservativ Denkende, die Frauen gerne in der Nähe von Kind und Küche sehen, halten etwa im Forum der Bild-Zeitung dagegen, das Splitting schütze den „Normalfall“. Und vernachlässige gleichgeschlechtliche und unverheiratete Partnerschaften zu Recht. Andere packen gleich die ganz große Keule aus. So schreibt der Jurist und FDP-Politiker Volker Wissing in der juristischen Zeitung der Berliner Humboldt-Uni: „Ehe und Familien sind Bedingungen der Freiheit. Ein ehe- und familiengerechtes Einkommenssteuerrecht bildet die rechtliche Grundlage und Stütze dieses freiheitlichen Systems.“

Es begann im 19. Jahrhundert

An dieser Stelle müssen wir anknüpfen. Denn das, was zur Zeit der Erfindung des Ehegattensplittings unter „Ehe“ und „Familie“ verstanden wurde, gilt heute nicht mehr. Die gemeinschaftliche steuerliche Veranlagung von Eheleuten begann im 19. Jahrhundert. Die preußische Haushaltsbesteuerung richtete sich nach dem Hausherrn, der auch über das Vermögen seiner Ehefrau verfügen konnte. Das Vermögen von Kindern und anderen Angehörigen wurde Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Haushalts-Steuertopf herausgenommen – die Geburtsstunde der Ehegattenbesteuerung.

Im Jahr 1934 machten die Nationalsozialisten diese Idee dann zu einem geschlechterungerechten Modell: Die Progression wurde eingeführt, die Frauen vom Arbeitsmarkt fernhalten sollte – eine working mom passte ja auch schlecht ins ideologisch geprägte Bild der deutschen Mutter, die in der Hauptsache viele blonde Babys für den Führer gebären sollte.

1957 dann wurde dieses Progressionsmodell, das nach Kriegsende ins Steuerrecht der jungen Bundesrepublik fast unverändert übernommen worden war, vom Bundesverfassungsgericht als Verstoß gegen das Grundgesetz verurteilt: Eheleute dürfen aus ihrer Heirat keine systemischen Nachteile erfahren. Aus diesem Nachteil wurde schließlich ein Vorteil gemacht: das Ehegattensplitting, wie wir es heute kennen.

Seit 1958 im Steueränderungsgesetz festgelegt, können Ehepaare wählen, ob sie gemeinsam oder individuell veranlagt werden möchten. Übrigens: 1958 existierten in Westdeutschland so gut wie keine Kinderkrippen. Unter 3-Jährige wurden zu Hause betreut, und zwar von der Mutter. Anders in der DDR, wo es ausreichend Krippenplätze gab, die staatlich subventioniert wurden. Dort wurden auch alle Arbeiterinnen und Arbeiter individuell besteuert, egal ob verheiratet oder nicht. Was daran lag, dass der Arbeiter- und Bauern-Staat jede Hand brauchte, die zupacken konnte.

Es ist also offensichtlich, dass das Ehegattensplitting über den Umweg Steuern die Gesellschaft lenkt. Menschen heiraten auch, um Geld zu sparen. Um eine Handvoll Euro mehr zur Verfügung zu haben. Oder um dem Staat eins auszuwischen, unterstützt von Büchern wie „1000 legale Steuertricks“ von Franz Konz: Ein ehemaliger Steuerinspektor, der bereits in der 24. Auflage und dabei stetig aktualisert, alle Löcher des Steuersystems aufzeigt und seine Leserinnen und Leser aufruft, keinen Cent zu viel abzugeben.

Neue Modelle gesucht

Wenn nun eine neue Regierung antritt und ein Wahlversprechen wie „Das Ehegattensplitting wird abgeschafft“ tatsächlich umsetzen will, zieht sie sich also nicht nur den Unmut eben dieser Menschen zu, die insgesamt rund 20 Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Sie läuft auch Gefahr, mit dem Grundgesetz zu kollidieren, das den Schutz der Ehe wortwörtlich garantiert. Dennoch gibt es Möglichkeiten, das Splitting über kurz oder lang loszuwerden. Zum Beispiel über ein Stufenmodell: Paare, die nach dem 1.1.2013 geheiratet haben, könnten beispielsweise nur noch individuell besteuert werden. Das alte Ehegattensplitting liefe dann an einem Stichtag in 20, 25 Jahren aus, sodass möglichst wenige Menschen ökonomischen Totalschaden erleiden würden. Wobei man anmerken muss, dass das geänderte Unterhaltsrecht eben diesen ökonomischen Totalschaden längst zulässt: Wer vor 20 Jahren geheiratet hat, vom Ehegattensplitting gelebt hat, aber selbst nicht gearbeitet hat, wird im Falle einer Scheidung längst bemerkt haben, dass sich die Zeiten geändert haben.

Um Familien zu stärken und das Modell der Einverdienerpartnerschaft zu entmachten, braucht es neben finanzieller Unterstützung wie dem Kindergeld vor allem zwei Dinge: Kinderbetreuungsplätze und anerkannte Teilzeit-Karrieren. Wichtig dabei ist außerdem, dass unverheiratete Eltern und gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern nicht mehr als Familien zweiter Klasse gelten.

Ein Blick auf die europäischen Nachbarn zeigt, dass die Individualbesteuerung zukunftsfähig ist. Nur Luxemburg hat noch wie wir das Ehegattensplitting, Frankreich besteuert Familien, die so begünstigt kaum noch Abgaben zahlen müssen. Dieses Modell ist dem unseren aber gar nicht so unähnlich, hat die Wissenschaftlerin Angela Luci in einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung gezeigt: „Sowohl das in Deutschland geltende Ehegattensplitting als auch das französische Familiensplitting fördern Paare mit einem Alleinverdiener und Paare mit großen Einkommensunterschieden und somit durchaus traditionelle Familienstrukturen. Beide Splittingverfahren wirken sich negativ auf das Arbeitsangebot von Müttern aus.“

Steuern steuern, das wird immer so bleiben. Deshalb ist ein Paradigmenwechsel in der Familienpolitik mehr als nötig. Büro-Papa, Kochschürzen-Mama plus Kind 1 – 2: Das ist nicht mehr das Familienleitbild der Deutschen. Wer Menschen ermuntern möchte, Familien zu gründen, ohne Angst vor wirtschaftlichen Talfahrten durch Scheidungen oder Geburten, muss eine neue gesamtgesellschaftliche Vision erschaffen und die ökonomische Mündigkeit geschlechterübergreifend unterstützen.

Barbara Streidl, geboren 1972, lebt in München und bloggt als Frau Lila. Sie wurde 2008 als Co-Autorin des viel diskutierten Buches Wir Alphamädchen bekannt

AUSGABE

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 8/13 vom 21.02.20013

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