Das Weib hat in der Gemeinde zu schweigen. So steht es in der Bibel.“ Das ist ein Satz aus dem Film Die göttliche Ordnung von Petra Volpe, der jetzt in Deutschland in die Kinos kommt. Erzählt wird die Geschichte einer jungen Frau, Nora, die mit ihrer Familie in einem Appenzeller Dorf lebt – kurz nachdem Jimi Hendrix Hey Joe in Woodstock gespielt und Sigrid Rüger in Frankfurt Tomaten auf die Obergenossen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) geworfen hat. Der Sound von Woodstock ist in Appenzell 1971 zwar angekommen, doch die Frauenbewegung hat sich im dortigen Alltag noch nicht durchgesetzt: „Free Love“ und Emanzipation sind bei den meisten verpönt.
Nora, Hausfrau und Mutter von zwei Söhnen, sagt ihrem Mann Hans, dass sie arbeiten gehen möchte. Hans ist ihre große Liebe, aber mit den Berufsplänen seiner Frau ist er nicht einverstanden: „Ohne meine Zustimmung geht gar nichts. So ist das Gesetz.“ In der Tat ist das Schweizer Eherecht bis 1988 stark patriarchal geprägt: Der Mann verfügt als Oberhaupt der Familie allein über das Geld und entscheidet, ob seine Gattin erwerbstätig sein darf oder nicht. Die Gattin soll im Übrigen den Haushalt führen.
Dass dahinter mehr steckt als die bloße Aufteilung von Hausarbeit und Erwerbstätigkeit, liegt auf der Hand: So befürchtet Hans, dass Nora einen anderen Mann treffen könnte, wenn sie arbeiten ginge. Und da sind wir wieder bei der Musik von Jimi Hendrix, wieder bei Hey Joe: Dieser Joe hat seine Frau erschossen, weil er sie mit einem anderen gesehen hat: I heard you shot you old lady down, you shot her down to the ground.
Wahlrecht auch ohne Säbel
Nora und ihre Mitstreiterinnen widersetzen sich der „göttlichen Ordnung“ in Petra Volpes Film – nach dem historischen Vorbild. Das Frauenstimmrecht wurde tatsächlich erst am 7. Februar 1971 in der Schweiz eingeführt, auf Bundesebene. Regional dauert es sogar noch länger, am längsten dann im Kanton Appenzell. Hier wird das Frauenstimmrecht erst 1990 durch einen Entscheid des Bundesgerichts wirksam.
Die Literaturwissenschaftlerin Isabel Rohner beschreibt die damaligen Ereignisse im Kanton Appenzell in ihrem Buch 100 Jahre Frauenwahlrecht. Ziel erreicht! ... und weiter? als Kampf zwischen den Geschlechtern: „Nur faule Weiber, die den ganzen Tag im Café herumsitzen und fünf vor zwölf eine Raviolibüchse öffnen, wollen das Stimmrecht“, zürnten die Appenzeller Männer. Und überhaupt, mit was sollen die Frauen denn abstimmen, sie hätten ja keine Säbel. Die häufig ererbte Waffe, ob Säbel oder Degen, galt als traditionelle Stimmberechtigung. Am Ende setzen sich die vermeintlich faulen Weiber mit ihrer Klage durch – ganz ohne Säbelgerassel.
Heute, knapp 30 Jahre später, dürfen Frauen fast überall auf der Welt wählen. Ausnahmen sind das Sultanat Brunei, das Königreich Bhutan und der Staat der Vatikanstadt, wo ausschließlich männliche Kardinäle den Papst wählen. In Saudi-Arabien schließlich dürfen Frauen seit 2015 immerhin bei Kommunalwahlen mitentscheiden.
Seit es das Wahlrecht für Frauen in den verschiedenen Ländern gibt, wird auch immer wieder diskutiert, wen Frauen wählen. Also die Frage, ob die Perspektive des jeweiligen Geschlechts zu bestimmten politischen Überzeugungen beiträgt. Die US-Präsidentschaftswahlen haben hier im vergangenen Jahr mit Überraschungen aufgewartet: Immerhin 41 Prozent der Frauen haben nicht für Hillary Clinton, sondern für Donald Trump gestimmt, der zuvor durch sexistische Sprüche und Frauenverachtung aufgefallen war, also eigentlich unwählbar sein müsste.
Wählen Amerikanerinnen also gegen ihre Interessen? An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass es die Amerikanerinnen gar nicht gibt: Weiße Frauen in den USA haben eher Trump gewählt, vor allem jene mit höheren Einkommen. Schwarze Frauen haben dort Clinton gewählt, ähnlich wie Latinas und Asiatinnen. US-Christinnen aber haben wiederum häufig Trump ihre Stimmen gegeben. Frauen sind also keine homogene Gruppe, weder bei Wahlen noch bei der Frage nach ihrer politischen Ausrichtung. Das gilt für die USA ebenso wie für den Rest der Welt.
Und dennoch gibt es Wahlen, bei denen Frauen einigermaßen homogen wählen. Als Torsten Albig in Schleswig-Holstein im Mai dieses Jahres eine Niederlage hinnehmen musste, waren ihm vor allem die Stimmen seiner Wählerinnen abhanden gekommen. Viele begründeten das mit einem Interview, das Albig der Bunten kurz vor der Wahl gegeben hatte. Dort sprach er über die Trennung von seiner Ehefrau und seine Heiratspläne mit einer anderen Frau. Als Grund für die Trennung führte Albig unter anderem an, dass er sich mit seiner Ehefrau nicht mehr „auf Augenhöhe“ unterhalten könne. Die Bunte-Story hat Frauenstimmen gekostet: Seit Erscheinen des Artikels sind die Werte von Albig in der Sonntagsfrage nach unten gegangen, Ähnliches bestätigt auch das Umfrageinstitut Infratest Dimap. Bei der Wahl waren es dann vor allem die Stimmen von Frauen ab 35, die von Rot zu Schwarz gewandert sind.
Prinzipiell ist die Wahlbeteiligung von Frauen niedriger als die von Männern. Es gibt einen Gender Gap bei Bundestagswahlen, der aber schwindet: 3,1 Prozentpunkte lagen zwischen Männern und Frauen im Jahr 1953, 0,6 im Jahr 2014. Diese Lücke gibt es auch bei anderen Wahlen: Eine Auswertung der bundesdeutschen Stimmen bei der Europawahl 2014 zeigt, dass der Gender Gap in den Altersgruppen ab 69 am größten ist. In fast allen darunter liegenden Gruppen beteiligten sich mehr Frauen an der Wahl als Männer. Was wieder Raum für Spekulationen gibt: Haben ältere Frauen weniger Interesse an Politik? Liegt das nur an der Europawahl? Was ist los in der Generation der Frauen, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs geboren wurden? Sie sind doch mit dem Satz der Frauenbewegung aufgewachsen: „Das Private ist politisch.“
Dass das Private politisch ist und sein muss, das haben Aktivistinnen der Frauenbewegung in der Vergangenheit immer als Motor ihrer Handlungen gesehen. Dabei ging es auch um die sexuelle Befreiung. Die Parole gilt auch heute noch, doch die Themen an der Frauenbewegungsfront sind andere: Statt für ein Frauenwahlrecht wird um Lohngerechtigkeit gerungen, statt um Orgasmuserlebnisse im Ehebett geht es heute um die faire Aufteilung der Kinderbetreuung. Dass Erkämpftes aber beschützt werden muss – weil es verloren gehen kann –, zeigt etwa das Beispiel Polen: Unter der Präsidentschaft von Jarosław Kaczyński wurde ein großzügiges Kindergeld für Familien mit mehr als einem Kind eingeführt. Gewünschter Nebeneffekt: Viele Mütter gehen nun nicht mehr arbeiten. Zugleich wurde in der Regierung ein Gesetz diskutiert, das Schwangerschaftsabbrüche verbieten sollte. Nachdem massenhaft Polinnen dagegen demonstrierten, machte die regierende PiS-Partei aber erst mal einen Rückzieher.
Aufs Dekolleté reduziert
Die feministische Pionierin Hedwig Dohm schrieb 1876 in Der Frauen Natur und Recht: „Wenn nur eine einzige Frau das Stimmrecht fordert, so ist es Gewaltthat, sie an der Ausübung ihrer bürgerlichen Pflicht zu hindern.“ Ob Frauen ihre Stimmen einsetzen, liegt aber nicht nur an Gesetzen, sondern auch an der Gesellschaft, in der sie leben. Die frühere Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht bemerkte im Bayerischen Rundfunk: „Ich finde es schon merkwürdig, wenn bei Frauen immer der Zusatz gebracht wird, dass sie sachkompetent seien.“
Angriffe auf ihre Kompetenz gehören zum Alltag von Frauen, die sich in der Öffentlichkeit mit einer politischen Meinung zeigen. Noch mehr: Sie werden auf Schweißflecken unter den Armen oder irgendwie unpassende Dekolletés reduziert und lautstark von Kollegen oder Gegnern mundtot gemacht. Spätestens dann, wenn ihnen im Netz Shitstorms blühen oder körperliche Gewalt angedroht wird, wird weibliches Engagement in der Politik zu etwas sehr Unattraktivem.
Doch wir brauchen bunte Punkte auf dem schwarzgrauen Zwirn! Und so liefert das Frauenwahlrecht, das in Deutschland im kommenden Jahr seinen 100. Geburtstag feiert, keinen Grund, das Streben nach Gleichberechtigung als obsolet anzusehen. Es bildet vielmehr eine Sprosse auf der Leiter zum wirklich guten Leben. Nun gilt es, die nächste Sprosse zu erreichen: die tatsächlich gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an unserer Gesellschaft.
Info
Die göttliche Ordnung Petra Volpe Schweiz 2016, 97 Minuten
100 Jahre Frauenwahlrecht. Ziel erreicht! ... und weiter? Isabel Rohner, Rebecca Beerheide (Hg.), Ulrike Helmer Verlag 2017, 200 S., 18 €
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