Kostenlose Produktion organisieren

Gratiswelt-Utopie (2) Wenn die Roboter uns schon die Arbeit wegnehmen, könnten sie dann nicht kostenlose Produkte für uns herstellen? Hier einige Konzepte für dieses utopische Vorhaben.

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Führt kostenlose Produktion zum Verlassen der Marktwirtschaft?
Führt kostenlose Produktion zum Verlassen der Marktwirtschaft?

Foto: John Macdougall/AFP/Getty Images

In diesem zweiten Teil der dreiteiligen Artikelserie zur Gratiswelt-Utopie soll es um Konzepte gehen, die eine kostenlose Produktion von Gütern ermöglichen könnten. Im ersten Teil wurde beschrieben, dass ein neues Produktionsmodell wettbewerbsfähig zum Kapitalismus werden könnte, wenn es als Grundprinzip auf den Anreiz einer stetig sinkenden Arbeitsbelastung setzt, der Menschen zur Teilnahme motiviert. Wenn die Arbeitsproduktivität auf diese Weise immer höher steigt, wäre eine nahezu kostenlose Produktion irgendwann die logische Folge. Neue Technologien könnten dies schon heute oder in wenigen Jahrzehnten möglich machen.

In den letzten Jahren hat die Digitalisierung viele Autoren von einem Gratis-Utopia träumen lassen. Als einer der profiliertesten gilt Jeremy Rifkin, immerhin Berater mehrerer bekannter Regierungschefs. Er sagte schon 1995 das „Ende der Arbeit“ voraus und verfeinerte sein Konzept 2014 mit der „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“, die bald dank Fortschritten wie dem Internet der Dinge möglich würde. Ähnlich optimistisch geben sich die Vertreter des Akzelerationismus wie Nick Srnicek. Beide Richtungen gehen davon aus, dass der Kapitalismus selbst die nötigen Innovationen bereitstellen wird, um die Gratiswelt zu realisieren. Im Gegensatz dazu setzen Konzepte wie der Postkapitalismus Paul Masons und der besonders klangvolle „Fully Automated Luxury Communism“ von Autoren wie Aaron Bastani weitgehend auf den Staat.

Die meisten dieser Modelle bleiben leider ziemlich vage über die Frage, wie ein Übergang hin zu dieser neuen Schlaraffenland-Gesellschaft genau aussehen könnte. Genau hier soll dieser Text ansetzen. Denn es gibt in der Tat mögliche Ideen und Konzepte. Wie im ersten Teil beschrieben, lehnen sich viele an das aus der Open-Source- und Wikipedia-Bewegung bekannte Commons-Modell an. Es wird also kooperiert statt konkurriert, Technologien geöffnet statt „geschützt“ .

Die Ausgangsfrage ist: Wie fangen wir genau an? Was müssen wir tun, wenn wir ein Projekt starten möchten, das als Fernziel seine Erzeugnisse kostenlos anbieten könnte? Wie wir im ersten Teil gesehen haben, ist es eine gute Idee, einen Plan aufzustellen, der genau angibt, welche Technologien wir einsetzen möchten, um unser Ziel zu erreichen. Beispielsweise ob Maschinen wie Industrieroboter angeschafft werden müssen.

Zuerst müssen wir überlegen, ab wann tatsächlich unsere Kosten so niedrig liegen, dass wir die Produkte gratis abgeben können. Hier soll der Ansatz der Grenzkosten verwendet werden, den auch Rifkin einsetzt. Kurz gesagt kann ein Produkt dann kostenlos abgegeben werden, wenn eine neu produzierte Einheit keine Kosten mehr verursacht. Dabei ist es unerheblich, ob davor Kosten entstanden sind, etwa wenn Investitionen für Maschinen getätigt wurden. Es gibt also einen konkreten Punkt, an dem die „Gratiswelt“ beginnen kann: wenn die Grenzkosten null sind.

Gratisfabriken – ein modulares Produktionsmodell

Nun gibt es zunächst ein Problem: Selbst wenn alle Arbeiten automatisiert würden, benötigen fast alle lebenswichtigen materiellen Güter Ressourcen, die nicht kostenlos zu haben sind. Die beiden wichtigsten Beispiele sind Energie und Rohstoffe. Solange ein Produkt solche Güter nutzt, können die Grenzkosten nicht auf Null gesenkt werden.

Hier setzt das erste Konzept an: die Gratisfabrik oder Null-Grenzkosten-Produktionseinheit. Sie ist so konzipiert, dass sie, wenn sie einmal eingerichtet wurde, einen Arbeitsschritt – oder mehrere, wenn dies möglich ist – zuverlässig vollautomatisch und zum Nulltarif ausführt. Man könnte sagen: Die Produktion wird zur Dienstleistung, die kostenlos erbracht wird. „Free Production as a Service“ sozusagen.

Natürlich wird dadurch noch nicht das Endprodukt kostenlos. Um Rohstoffe und möglicherweise Zwischenprodukte kümmert sich das Modell nicht. Wohl jedoch um Energie: diese wird kostenlos aus erneuerbaren Quellen bereitgestellt. Und um die Arbeit: auf diese kann entweder durch Vollautomatisierung ganz verzichtet, oder sie so stark reduziert werden, dass die Teilnehmer des Projekts sie freiwillig leisten (dazu gleich mehr).

Ein Beispiel für eine einfache Gratisfabrik, die schon mit heutiger Technik möglich wäre, ist ein 3D-Drucker, der mit Energie aus einer Solar- oder Windenergieanlage angetrieben wird und für jeden Interessierten zur Verfügung stände. Die Nutzer müssten sich selbst um die Materialien kümmern, könnten sich CAD-Dateien aus dem Internet herunterladen und diese per Smartphone-App in den Apparat einspeisen.

Natürlich gibt es selbst bei diesem Modell Herausforderungen. So müsste der Apparat robust genug sein, dass keine nennenswerte Wartungsarbeit anfiele – ein Vorbild könnten dabei etwa heutige Verkaufsautomaten sein. Doch grundsätzlich dürften viele solche „Produktionsmodule“ mit heutiger Technik machbar sein. Durchaus auch die Herstellung lebenswichtiger Produkte, etwa der Anbau von Gemüse per vollautomatisierter Hydroponik.

Kreisläufe und Netzwerke

Nun könnten Commons-Projekte mehrere solcher Gratisfabrik-Module zu Lieferketten zusammenschalten. Gratisfabrik A könnte beispielsweise ein Vorprodukt für Gratisfabrik B und C produzieren. Ideal wäre natürlich, dass auch die für die Produktion eingesetzten Maschinen aus Gratisfabriken kämen. So könnten Apparate, die am Ende der Lebensdauer angelangt wären, einfach ersetzt werden. Ein Vorläufer dieser Vorgehensweise ist das RepRap-Projekt, ein 3D-Drucker, der viele seiner eigenen Teile schon heute selbst produzieren kann. Auf ähnliche Konzepte setzt das Projekt Open Source Ecology.

Wenn immer mehr Module für Produktionsstätten konzipiert würden, entstünde nach und nach ein Netzwerk aus Gratisfabriken. Immer weniger Zwischenprodukte müssten auf dem Markt besorgt werden. Die Kosten wären noch nicht bei Null angelangt, aber sie sänken stetig. Dies würde es den Projekten zunehmend erlauben, das Versprechen der sinkenden Arbeitsbelastung zu erfüllen.

Nun fehlt noch das Thema der Rohstoffe. Die Förderung vieler Materialien könnte natürlich ebenfalls nach den Gratisfabrik-Modell gestaltet werden. Roboter etwa werden schon heute zunehmend im Bergbau eingesetzt, und bei nachwachsenden Rohstoffen können Agrarroboter und die nahezu wartungslose Hydroponik eingesetzt werden. Aber es bliebe das Problem des Ressourcenverbrauchs an sich.

Hier bietet sich ein Modell an, bei dem die Natur als Vorbild dient: der Kreislauf. Die Produktionsnetzwerke werden also idealerweise so designt, dass die Rest- und Abfallprodukte und das, was wir heute als Müll bezeichnen, zum Rohstoff für weitere Produkte werden. Stichworte sind Cradle-to-Cradle, Upcycling und Urban Mining.

Commons-Finanzprodukte – woher das Geld nehmen?

Natürlich müssen die Produktionsstätten und Maschinen erst einmal finanziert werden, solange sie noch nicht selbst aus Gratis-Produktion stammen – was eine Zeitlang dauern wird. Wie schon erwähnt, ist es für das Gratisfabrik-Modell egal, ob am Anfang eine monetäre Investition steht. Entscheidend ist, dass irgendwann keine laufenden Kosten – also Grenzkosten – fällig werden. Leider sind weder Kredite noch ein Aktiengesellschafts-Modell geeignet, um solche Projekte zu finanzieren – in beiden Fällen beißt sich die Erwartung des Investors, einen in Geld messbaren Profit einzufahren, mit dem Ziel, kostenlose Produkte anzubieten.

Das Geld könnte jedoch über eine neue Art von Finanzprodukten eingetrieben werden, die sich nah ans Crowdfunding anlehnen. Das Prinzip ist einfach: Wer in das Projekt investiert, der erhält die Garantie, zu einem Zeitpunkt in der Zukunft Zugang zu bestimmten Leistungen des Projekts zu erhalten. Dieser Lieferzeitpunkt wird so gewählt, dass das Projekt einen niedrigeren Preis anbieten kann, als die gleiche Zahl Produkte zum Kaufzeitpunkt auf dem Markt kosten würde. Der Investor kann also eine Art Bonus oder Profit erwarten, wenn auch dieser in Sachwerten und nicht Geld ausgezahlt wird.

Das Konzept hängt natürlich davon ab, dass das Projekt bereits einen Plan hat, wie es – etwa mit Hilfe von Gratisfabriken – die Produktionskosten stetig weiter drücken kann. Hier kommen wieder die Prinzipien der sinkenden Arbeitsbelastung und der Vorhersehbarkeit ins Spiel. Im Übrigen ist dies nicht anders als bei kapitalistischen Unternehmen, denn auch diese müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität stetig erhöhen. Nur kommt der „Gewinn“ daraus beim Gratiswelt-Modell den Konsumenten zugute, der gleichzeitig Investor sein kann.

Ein Beispiel: Eine Person investiert in ein Obstanbau-Projekt. Sie erwirbt für den Preis, den sie zum Kaufzeitpunkt für 50 kg Äpfel zahlen müsste, 10 kg Äpfel pro Jahr, gestreckt über einen Zeitraum von zehn Jahren. Das Projekt hat also fünf Jahre Zeit, um die Produktionskosten so zu drosseln, dass es an alle Investoren, die dieses Finanzprodukt erworben haben, problemlos seine Erzeugnisse auszahlen kann.

Es sind verschiedene Varianten dieses Konzepts denkbar. Eine feste Garantie eines „Bonus“ – also eines materiellen Vorteils im Vergleich zum Kauf auf dem Markt, wie im Apfel-Beispiel – könnte für Projekte, die Pionierarbeit mit neuen und wenig erprobten Technologien leisten, zu riskant sein. Ein alternatives Modell könnte beispielsweise darin bestehen, nur einen bestimmten Anteil an den Erzeugnissen zu garantieren und in guten Jahren eine Art „Dividende“ auszuzahlen – natürlich ebenfalls in Sachwerten. Es gibt also Raum, um zu experimentieren, ohne natürlich ins Unrealistische abzugleiten.

Gewichtete Arbeit – Aufgaben gerecht verteilen

Selbst wenn die Roboter immer besser und die Künstlichen Intelligenzen immer mächtiger werden: Gerade am Anfang wird eine Menge menschlicher Arbeit notwendig sein, um ein Commons-Projekt zu starten, das die hier vorgestellten Prinzipien anwendet. Der Weg hin zur Gratiswelt wird also hart und erinnert sicher über weite Strecken nicht gerade an ein Schlaraffenland.

Hier möchte ich ein Konzept des Autors Christian Siefkes vorstellen, das 2007 in seinem Buch Beitragen statt tauschen vorgestellt wurde. Grundsätzlich hat dort so lange, wie noch Arbeit in einem Projekt notwendig ist, jeder Teilnehmer die Pflicht, einen vergleichbaren Arbeitsaufwand zu leisten, um Zugriff auf die Erzeugnisse zu erhalten.

Siefkes Konzept ist ein Ansatz, um das Problem der Arbeitsteilung zu lösen. Anstatt dass ein „Chef“ festlegt, welche Arbeiten mit welchem Stundensatz vergütet werden, regulieren dies die Teilnehmer basisdemokratisch über ein Auktionssystem selbst.

Die Software stellt zunächst die nötigen Tätigkeiten vor und errechnet die benötigte Zeit pro Teilnehmer. Jeder gibt nun zunächst ein erstes Angebot ab, wie viel Arbeitszeit er mit welcher Tätigkeit zur Verfügung stellt. Es wird höchstwahrscheinlich Arbeiten geben, für die sich mehr Angebot als Nachfrage findet, und umgekehrt.

Nun gewichtet die Software die Aufgaben neu. Tätigkeiten, bei denen das Angebot an Teilnehmern zu niedrig war, werden höher gewichtet, es muss also weniger Zeit aufgewendet werden. Jeder kann nun sein Angebot überdenken und ein neues Angebot abgeben.

Zwar werden einige schlaue Leser erkannt haben, dass nun erst einmal stark nachgefragte Arbeiten nun noch stärker überbelegt sind und umgekehrt von anderen Aufgaben noch weniger erledigt wird. Dennoch ist die Dynamik klar: Wer eine weniger attraktive Arbeit ausführt, soll dadurch mit einer geringeren Arbeitszeit belohnt werden. Es ist davon auszugehen, dass das System nach mehreren Runden eine Lösung findet, mit der alle leben können.

Gibt es Fachkräftemangel in einem Projekt, so müssen natürlich neue Teilnehmer angeworben werden. Doch für diese wird die nötige Arbeitszeit dann sehr attraktiv - ähnlich wie ein attraktives Gehalt in der Marktwirtschaft.

Bausteine für eine neue linke Dynamik

Diese hier noch ziemlich schematische beschriebenen Vorschläge könnten langfristig ein Gratiswelt-Modell mit kostenloser Produktion möglich machen. Sie könnten die Bausteine des Plans werden, den Projekte am Anfang erstellen, um Teilnehmer anzuwerben. Es ist dabei immer wichtig, das Ziel im Blick zu halten: dass alle Teilnehmer individuell vom Modell profitieren und dies auch vorhersehen können. Träumereien und unrealistische Versprechungen sind dabei äußerst kontraproduktiv.

Hat sich das Modell erst einmal in der Praxis bewiesen, so könnte eine Dynamik entstehen, die immer schneller zu weiteren Fortschritten führen dürfte. Es könnte ein Kipppunkt entstehen, an dem viele Menschen die Marktwirtschaft verlassen und stattdessen zum neuen Modell überlaufen. Ist dieser Punkt erreicht, könnte es zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch der realsozialistischen Ostblockstaaten möglich sein, dass sich ein wirklich neues, linkes Gesellschaftsmodell beweisen kann.

Im dritten und letzten Teil, der noch vor Jahresende 2019 erscheinen soll, werde ich auf einige mögliche Auswirkungen eines solchen Gratiswelt-Modells eingehen. Einmal auf den Einfluss auf die wohl wichtigste Herausforderung der kommenden Jahrzehnte: den Klimawandel. Aber auch auf die weltweite soziale Gerechtigkeit und die oft angesprochene Machtfrage.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

_bdo_

Daniel Barón de Oca, deutsch/spanischsprachiger Autor. Befasst sich mit utopischen Themen wie einer auf Commons-Konzepten basierenden "Gratiswelt".

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