Deutschland braucht Facharbeiter und Akademiker. Das sagen die Zahlen, das sagen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften. Allein bis 2020 werden nach Angaben der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft 1,2 Millionen Fachkräfte fehlen, mehr als 500.000 davon mit Hochschulabschluss. Im April hat Innenminister Thomas de Maizière noch verkündet: „Wir brauchen ein Zuwanderungsmarketing. Wir müssen da gezielt Werbung machen für unser Land, wo wir wollen, dass die Menschen zu uns kommen.“
Es ist eine Argumentation, die auch die Flüchtlingsdebatte begleitet. Laut aktueller Prognosen kommen in diesem Jahr etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland. Das sind bei weitem nicht alles Akademiker. Nach Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) haben etwa zehn Prozent einen Hochschulabschluss. Viele haben aber auch eine Ausbildung, der in Deutschland vielleicht kein direktes Äquivalent gegenübersteht, die es aber ermöglicht, in bestimmten Berufen nach relativ kurzer Zeit die Tätigkeiten einer Fachkraft zu übernehmen.
Hinzu kommen Tausende Zuwanderer aus dem krisengeschüttelten Süden und Osten Europas, wo die Jobaussichten für junge Menschen düster sind. 37 Prozent von ihnen sind Akademiker. Genug Potenzial also, um die Lücke auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu stopfen. Ein Puzzleteil könnte sich zum anderen fügen. Könnte ...
Die Realität sieht anders aus. Die Erfahrungen der meisten Neuankömmlinge zeigen: Die schnelle Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ist eine Illusion. Die Anerkennungsverfahren haben mit der Realität des Arbeitsmarkts oft wenig zu tun. Arbeitserfahrung und Qualifikationen werden den Leuten abgesprochen. Die Regelungen sind nicht transparent, nicht einheitlich und auch nicht wirtschaftlich. Nur eines sind sie mit Sicherheit: bürokratisch.
Zen Hamode
31, aus Syrien, früher Rechtsanwalt, jetzt Falafel-Verkäufer
„Ich haben meine Würde gegen das Leben getauscht. Ich bin hierhergekommen, weil ich dachte, ich habe hier eine Perspektive. Stattdessen liege ich nachts im Bett und weine manchmal wie ein Baby. Tagsüber verkaufe ich Falafel für 50 Cent. Es gibt Tage, da stelle ich mir vor, wie es wäre, jetzt wieder nach Damaskus zurückzukehren.“
Oft bleibt höhergebildeten Migranten wegen der widersinnigen Regularien daher nur der Weg in Berufe weit unter ihrer Qualifikation, wenn nicht gar die Flucht in die Schwarzarbeit. In diesem Text erzählen vier Migranten ihre Geschichten vom deutschen Arbeitsmarkt. Sie zeigen, wie Deutschland motivierte Menschen ausbremst und volkswirtschaftliches Potenzial verschleudert. Und sie erzählen von individuellen Tragödien, von Mühsal, Scham, Enttäuschungen. Deshalb wurden die Namen aller vier Betroffenen geändert.
Zwei Jahre zu wenig
Mathelehrerin hatte Inna Graf eigentlich nie werden wollen. Sie hatte 1992 in Moskau ihr Ingenieurdiplom gemacht, kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion. Sie heiratete einen Mann aus Kasachstan und zog mit ihm in dessen Heimat. „Damals dort als Ingenieurin Arbeit zu finden? Das war unmöglich. Alle Aufträge waren weg, die Betriebe wurden geschlossen, die Arbeiter entlassen.“ Also schulte sie um auf Mathelehrerin. Ein Aufbaustudium, Mathematik und Informatik auf Lehramt, drei Jahre lang, das war genug. Aber zwei Jahre zu wenig, um später als Lehrerin in Deutschland arbeiten zu können. Nur ahnen konnte sie das damals nicht.
„Lehrerin war meine Berufung: Ich habe mich nie mehr so gut gefühlt wie in der Begabtenschule mit meinen Schülern in Kasachstan“, sagt sie. Dann geht aber ihre Ehe zu Bruch. Sie wandert nach Griechenland aus, wo ein Teil ihrer Familie lebt. Doch als Russland-Griechen werden sie dort diskriminiert. Inna Graf fühlt sich nicht wohl. Sie verliebt sich in Frank, einen Deutschen. Sie folgt ihm nach Deutschland und heiratet ihn.
Dem privaten Glück sollte das berufliche folgen. Schließlich werden in Deutschland Lehrer in einigen Fächern händeringend gesucht, der Philologenverband spricht von 30.000 Lehrkräften, die fehlen. Vor allem in Physik, Chemie und Mathematik. Nach einem Jahr hat sie das B2-Level in Deutsch. Ihr Ingenieurdiplom wird voll anerkannt, ihr Lehramtsstudium aber nicht. Aufbaustudien gibt es beim Lehramt in Deutschland nicht, darum erhält sie nicht mal eine Teilanerkennung. Sie versucht es als Ingenieurin. „Ich habe mich beworben, beworben, beworben. Ich hatte ja einen Master. Und ich hatte so viel Hoffnungen in Deutschland.“ Aber es folgt Absage auf Absage. „Kein Wunder. Ich hatte ja nie als Ingenieurin gearbeitet, ich kann das gar nicht. Was ich kann, ist unterrichten.“ Aber das darf sie nicht. Es ist paradox. Und die Geschichte über eine misslungene Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ist hier noch nicht zu Ende: „Ich wollte arbeiten, egal was, ich kann doch nicht den ganzen Tag daheim rumsitzen, und irgendwie muss ich mir meine Rente verdienen.“

Illustrationen: Sophia Martineck für der Freitag
Inna Graf
46, aus Kasachstan, früher Mathelehrerin, jetzt Kinderbetreuerin
„Lehrerin bin ich, das darf ich aber nicht arbeiten. Als Ingenieurin darf ich arbeiten, weil mein Diplom anerkannt wurde. Das kann ich aber nicht. Meine ganze Erfahrung als Lehrerin interessiert hier keinen, 14 Jahre einfach ausgelöscht. Ehrlich, wir hatten auch Bürokratie, aber so etwas habe ich noch nie gesehen.“
Wäre da nur nicht der Akademikertitel, der jetzt zur Bürde wird: „Ich habe mich als Bäckerin, Verkäuferin und Museumsaufsicht beworben. Es kamen wieder Absagen.“ Diesmal mit anderer Begründung: „Wir würden Sie gern einstellen, aber Sie sind überqualifiziert.“ Nach einem Jahr Papierstapel-Ausfüllen, einem Gutachten und viel Warten bekam sie 2013 die Erlaubnis vom Amt: Sie dürfe sich in München zur Bürokauffrau umschulen lassen. „Aber von den Lehrenden sprachen alle Bayrisch – bis auf einen. Ich habe nichts verstanden, obwohl ich doch Deutsch spreche. Als ich dem Direktor gesagt habe, dass ich nichts verstehe, war die Antwort: Schauen sie auf die Karte, wo wir sind, und lernen Sie die Sprache.“ Nein, nicht Deutsch, Bayrisch! Inna Graf wird krank – und schmeißt hin.
Über ihre Schwester findet sie 2013 doch noch einen Job: als Nachmittagsbetreuung in der Ganztagsschule. Die Kinder beim Essen beaufsichtigen, mit ihnen Hausaufgaben machen, spielen. Es gefällt ihr, auch wenn sie keine Lehrerin mehr ist. Nach zwei Jahren ist aber wieder Schluss. Ihr Vertrag wird nicht verlängert, sie wird mit Top-Zeugnis entlassen. Nach der Zweijahresfrist muss der Arbeitgeber einen unbefristeten Vertrag schließen. Der will das aber nicht. Einmal mehr hat Inna Graf, die doch sehr gern arbeiten möchte, Pech gehabt.
Die Geschichten von akademischen Zuwanderern ähneln sich unabhängig von ihrer Herkunft an einem entscheidenden Punkt. Es geht immer wieder um die Anerkennung von Abschlüssen, die Vergleichbarkeit der erworbenen Qualifikationen. Bei der Arbeitsvermittlung und vielen Arbeitgebern gibt es eine Fixierung auf Zertifikate. Arbeitserfahrungen, die Migranten mitbringen, Kompetenzen, die sie sich angeeignet haben, aber nicht mit Dokumenten belegen können, die sich ins deutsche Bildungsraster übersetzen lassen, zählen praktisch nichts. Auch wenn es Bestrebungen gibt, die Anerkennungsverfahren flexibler und realitätsnäher zu gestalten, hat sich hier bisher noch nicht viel bewegt.
Als Ärztin in die Bäckerei
Das zeigt auch Sabrina Nagys Fall. Dabei sah die junge Frau aus Ungarn ihr neues Leben genau vor sich, als sie vor drei Jahren nach Deutschland kam: eine frisch promovierte Ärztin mit einem Abschluss aus der Ukraine – und frisch verliebt in einen Deutschen. Doch die Realität zerfetzte ihre Hoffnungen, ehe sie wirklich angekommen war: Für den verheirateten Liebhaber, stellte sie in Deutschland schnell fest, war sie nicht mehr als eine Ostblock-Mätresse.
Blieb die Arbeit. Aber ihr Doktortitel war auch nichts wert. Fast nichts. „Am Anfang wollte mir das Berliner Schulamt nicht mal eine Hochschulzugangsberechtigung ausstellen. Weil ich mein Abi in Ungarn gemacht habe. Was ist das für eine Welt, in der ein ukrainischer Doktortitel weniger zählt als ein deutsches Abitur?“ Für Sabrina Nagy ist das trotzdem kein Grund, aufzugeben. Zwei Jahre lang lässt sie Zeugnisse anerkennen, schickt unzählige Bewerbungen an Universitäten überall in Deutschland. Mehrere tausend Euro kostest sie das. „Ich dachte, irgendwann wird es schon klappen, dann hat es sich gelohnt“, sagt sie heute. „Was ich alles vorweisen und beglaubigen musste: alle Zeugnisse, erstes bis zwölftes Semester, das Diplom, Cambridge-Zertifikate für Deutsch und Englisch. Auch wenn du die Sprachen schon fließend kannst, brauchst du einen Sprachkurs, weil ohne diesen wirst du nicht zur Prüfung zugelassen.“
Die Belohnung des Aufwands: eine Teilanerkennung. Acht Semester werden ihr angerechnet. Es ist ein Trostpreis. Denn quer einsteigen in ein Medizinstudium ist fast unmöglich. „Wer bricht nach acht Semestern ein Studium ab, in das er nur dank eines 1,0-Notenschnitts gekommen ist?“ Sabrina Nagy klingt verbittert.

Illustrationen: Sophia Martineck für der Freitag
Sabrina Nagy
28, aus Ungarn, früher Ärztin, jetzt Verwaltungsangestellte
„Ich bin pleite, dank Deutschland. Ich bin mit 10.000 Euro gekommen und heute habe ich nach einem Anerkennungsmarathon 3.000 Euro Schulden. Trotzdem habe ich keinen neuen Studienplatz bekommen und muss schauen, wie ich meinen Lebensunterhalt zusammenkratze. Und dann sehe ich Leute, die haben keine Ahnung und dürfen studieren.“
Wie viele Bewerbungen sie rausgeschickt hat, weiß sie heute nicht mehr. An ihrem Traum, irgendwann doch noch im Krankenhaus zu arbeiten, hält sie fest. Sie bewirbt sich auf Aushilfsjobs in der Klinik, als ärztliche Assistentin. „Für duale Studien war ich zu alt, für Hilfsjobs im Krankenhaus überqualifiziert. Eine negative Rückmeldung nach der nächsten. Irgendwann habe ich angefangen, absichtlich Fehler in die Aufnahmetests einzubauen, damit ich wenigstens zum Vorstellungsgespräch eingeladen werde.“
Während dieser Zeit hangelt sie sich von einem schlecht bezahlten Minijob zum nächsten. Geld hat sie schon lang keines mehr. Sie kellnert, arbeitet in Hotels. Aus der Not heraus fängt sie 2013 eine Ausbildung als Bäckerin an. Längst haben die nicht enden wollenden Absagen und die vielen kleinen Demütigungen im Alltag ihre Psyche angekratzt. „Für die Kunden bist du immer die dumme Ausländerin, die nichts gelernt hat. Deine Mitarbeiter halten dich aber für allwissend und superschlau, weil du ja Medizin studiert hast.“ Als eine Folge der vielen Absagen entwickelt sie Versagensängste. „Ich hatte das Gefühl, nichts mehr wert zu sein. Alle legen dir nur Steine in den Weg. Vor den Tests in der Berufsschule habe ich mich dann erbrochen.“ Das erzählt eine junge Frau, die immerhin zwei Staatsexamen erfolgreich gemeistert hat. „Ich wollte nur noch zurück nach Ungarn. Aber wie? Ich hatte ja kein Geld mehr.“
Eigentlich hat Sabrina Nagy den Traum von einem Leben in Deutschland längst aufgegeben, als im Sommer die Zusage von HELIOS kommt – für einen Job als Verwaltungsangestellte im Krankenhaus. Prüfen, ob die Ärzte richtig codieren, sich mit Versicherungen rumschlagen. Ein bisschen kann sie seitdem wieder träumen. Ein kleines bisschen. „Wenn die Ukraine irgendwann noch in die EU kommt“, sagt sie und lächelt, „bekomm ich meinen Abschluss vielleicht doch noch anerkannt.“
Da klingt es geradezu zynisch, wenn die Bundesagentur für Arbeit schreibt: „Besonders benötigt werden Akademiker im Bereich der Humanmedizin und in den sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik).“ Gleichzeitig werden Akademiker mit ebendiesen Abschlüssen von der Gesetzgebung regelrecht demontiert.
Jenseits des Erlaubten
Wie soll angesichts der vielen Flüchtlinge dann Arbeitsmarktintegration im großen Stil funktionieren? Das Arbeitsverbot für Asylbewerber wurde zwar inzwischen gelockert. Schon nach drei Monaten dürfen sie nun arbeiten. Dürften. Theoretisch. Denn der Arbeitsmarktzugang deckt sich nicht mit den asylpolitischen Bedingungen, an die er geknüpft ist. Jürgen Wursthorn, Pressesprecher der Agentur für Arbeit, fordert daher: „Wir brauchen eine Beschleunigung der Asylverfahren, um schneller die rechtlichen Voraussetzungen für die Vermittlung in Arbeit zu haben.“ Damit Warten und Unsicherheit schneller ein Ende haben.
Manche Flüchtlinge halten das monatelange Warten irgendwann nicht mehr aus und suchen sich auf eigene Faust eine Arbeit, abseits der rechtlichen Bestimmungen. So wie Zen Hamode. „Falafel“, ruft er und streckt einem Jungen mit Skateboard unterm Arm eine Plastiktüte hin. „50 Cent, shukran.“ Es ist das wahrscheinlich billigste Falafel Berlins, das der Syrer in der kleinen stickigen Bude in Kreuzberg verkauft. Das Falafel schmeckt ganz gut. Kein Wunder, denn statt an Zutaten spart Hamodes Chef lieber beim Personal. Acht Stunden pro Tag, 30 Tage im Monat, dafür gibt es 500 Euro. Mit Mindestlohn hat das nichts zu tun, legal ist es schon gar nicht. Zen Hamode ist das aber egal. Viele Alternativen hat er ja nicht. „Jede Sekunde, die ich arbeite, muss ich nicht nachdenken. Würde ich wie meine Freunde den ganzen Tag im Heim sitzen, würde ich depressiv werden.“
Seine Freunde warten zurzeit in einem Heim in Niedersachsen darauf, dass ihre Asylanträge bearbeitet werden. „Wir wohnten da im Nirgendwo. Der nächste Supermarkt ist zehn Kilometer weg, an Deutschkurse nicht zu denken.“ Hamode ist nach Berlin gekommen, sagt er, um nicht verrückt zu werden.
Er ist 31 Jahre alt, sieht aber älter aus. Wenn er redet, klingt er unsicher. Sein Selbstwertgefühl hat er irgendwo in einem italienischen Flüchtlingslager verloren. Daran, dass er bis vor wenigen Monaten ein erfolgreicher Anwalt in Damaskus war, erinnern nur noch seine genau gescheitelten Haare. „Ich habe nie einen Fall verloren. Noch heute rufen Menschen bei meinem Vater an, die wollen, dass ich sie verteidige.“ Die Kanzlei hatte er von seinem Vater übernommen. Der war sehr stolz auf den Erfolg des Sohns gewesen, der laufend Aufträge an Land zog. Heute schämt sich der Sohn, zu Hause anzurufen, weil er nichts erreicht hat. Nur gedemütigt wurde. „Ich will nicht, dass mich mein Vater jemals so sieht.“

Illustrationen: Sophia Martineck für der Freitag
Aldareny Camara
24, aus Guinea, früher Versicherungsmakler, jetzt Drogenverkäufer
„Dafür habe ich doch nicht meinen Bachelor an einer französischen Uni gemacht und eine Firma in Guinea gegründet. Damit ich jetzt im Park rumlaufe und für Leute Drogen verticke, die nicht mal lesen können. Mein Leben ist gerade echt scheiße.“
Ob er je wieder als Anwalt arbeiten wird, weiß er nicht. Wie Lehrer und Mediziner gehört Jura zum Bereich der reglementierten Berufe. In Zen Hamodes Fall heißt das: Anerkannt wird gar nichts. „Ich habe sechs Jahre studiert, auch internationales Recht, habe sechs Jahre als Anwalt gearbeitet und jetzt wird mir gesagt, das ist nichts wert?“
Er wünscht sich, dass wenigstens ein Teil seiner Fähigkeiten anerkannt würde. Noch mehr wünscht er sich aber, dass er einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommt. Er hat Angst, dass er wieder zurück nach Italien muss, wo er seinen Fingerabdruck abgegeben hat. Gerade hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière bekanntgegeben, dass das Dublin-Verfahren bereits seit dem 21. Oktober wieder angewandt wird. Nach der Dublin-Verordnung ist dasjenige EU-Land für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig, in dem der Flüchtling das erste Mal den Boden der Europäischen Union betreten hat.
„Ich habe Schiss“, sagt Hamode. „Länder wie Italien und Ungarn kassieren Geld von der UN dafür, dass sie uns wie Dreck behandeln. Bevor ich zurück nach Italien gehe, gehe ich lieber heim nach Damaskus.“ Lieber ein Tod in Würde als ein Leben voll Demütigung, findet er.
Auch Aldareny Camara schämt sich dafür, wie er sein Geld verdient. Er lehnt an einer Wand vor einem Restaurant am Görlitzer Bahnhof in Berlin. Dort, wo er jeden Freitag steht. Er und die anderen jungen Schwarzafrikaner, die hier Drogen an Partygänger verticken. Der junge Mann aus Guinea ist nervös, immer wieder schaut er sich um. „Ich habe verdammte Angst. Wenn ich meine 25 Euro zusammenhabe, bin ich weg“, sagt er. 25 Euro, so viel, dass er für die nächste Woche genug zu essen hat. „Glaub mir, ich will das nicht machen. Am liebsten würde ich nach den Gesetzen leben. Aber der Staat macht mir das unmöglich.“
2012 hat er sein Marketingstudium an der Universität von Toulouse mit einem Bachelor abgeschlossen. Er kehrte in die guineische Hauptstadt Conakry zurück, um dort seine eigene kleine Firma zu gründen. Kfz-Versicherungen, das Know-how und die nötigen Kontakte ins Ausland hatte er durch sein Studium in Europa. Er wollte seiner Heimat eine Chance geben, es trotz widriger Bedingungen versuchen.
Und er hatte Erfolg, die Leute vertrauten ihm: „Wir waren zu dritt, nach ein paar Monaten haben wir 900 Euro monatlich gemacht.“ Viel Geld in einem Land, in dem die Bürger im Schnitt gerade mal 1.100 US-Dollar im Jahr verdienen. Zu viel Geld in einem Land, das auf Platz 145 des Korruptionsindexes steht. Obwohl Camara die Steuern zahlt, wird er ins Wirtschaftsministerium einbestellt. „Ich wurde vorgeladen. Sie sagten mir, ich solle zahlen, wenn ich weiter mein Geschäft machen will. Ich hatte keine Chance. Also zahlte ich.“ Doch es kommen weitere Briefe mit weiteren Forderungen. Er ignoriert sie. Ein paar Nächte später wird sein Büro von der Polizei durchsucht und der Laden dichtgemacht. „Das ist der Unterschied: In Deutschland werden junge Unternehmer vom Staat gefördert, in Guinea werden sie gefressen.“
Fluchtpunkt Berlin
Er flieht. Was soll er auch tun? Die Perspektiven in seiner Heimat sind für ihn geplatzt wie Seifenblasen, für Frankreich bekommt er kein Visum mehr. Über Libyen und Lampedusa gelangt er nach Deutschland. Im vergangenen Herbst landet er in Recklinghausen. „Ich hatte einen Plan: Ich wollte so schnell wie möglich Deutsch lernen, dann arbeiten oder noch mal studieren.“ Doch so einfach ist das nicht. Ein Recht auf einen Deutschkurs hat nur der, dessen Aufenthaltstitel entschieden ist. Das kann Monate dauern, manchmal Jahre. „Was soll ich in der Zwischenzeit tun: schlafen, essen, warten?“ Welcher junge Mensch mit Zielen kann das schon auf Dauer? Also macht sich Camara wie Zen Hamode auf den Weg. Er geht in die Hauptstadt. Um Arbeit zu finden und Deutsch zu lernen.
Wohnen kann er heute bei einem Freund. Für sein Essen steht er am Görlitzer Park und vertickt. Jedes Wochenende. Inzwischen manchmal auch unter der Woche abends. Er besucht jetzt auch einen Deutschkurs. Der kostet nur 20 Euro im Monat. „Es sind viel zu viele Leute, aber es ist die einzige Möglichkeit, endlich die Sprache zu lernen“, sagt er auf Deutsch.
Inzwischen hat er über die Online-Vermittlungsplattform workeer.de auch einen Praktikumsplatz gefunden, in einer Logistikfirma. „Ich will verstehen, wie die deutsche Arbeitsweise funktioniert.“ Sein Chef würde ihn gern als Aushilfskraft übernehmen – das hat er zumindest gesagt. Aber wie immer in Aldareny Camaras Leben gibt es da Haken: Erstens hat er keinen sicheren Aufenthaltsstatus, und zweitens sind die bürokratischen Auflagen zu hoch.
„Selbst Menschen, die noch auf den Aufenthaltstitel warten, dürfen nach drei Monaten arbeiten – theoretisch“, sagt Cafer Kocadag. Fälle wie der von Hamode oder Camara landen täglich auf seinem Schreibtisch. Er ist für die Erstberatung von Flüchtlingen beim Berliner Netzwerk für Integration (bridge) zuständig. „Aber die bürokratischen Hürden sind immer noch abschreckend für Arbeitgeber.“
Hürden wie die Vorrangprüfung. Das heißt, dass der Arbeitgeber einen Asylbewerber nur dann einstellen darf, wenn für dieselbe Stelle kein anderer deutscher oder EU-Bürger gefunden werden kann. Erst 15 Monate nach Arbeitsbeginn erlischt die Vorrangprüfung. „Da werden Zahlen herumgewälzt, und es wird immer jemanden geben mit ähnlichen Qualifikationen. Mit dem realen Arbeitsmarkt hat das wenig zu tun“, sagt Kocadag. Hinzu kommt, dass Asylbewerber nicht in den Status eines Arbeitsmigranten wechseln dürfen. Selbst mit gültigem Arbeitsvertrag können sie abgewiesen werden und müssen in der Botschaft ihrer Heimat einen Antrag stellen. Es ist nur eines der vielen Paradoxe des deutschen Arbeitsmarktes.
Der Syrer Zen Hamode hat seine Erfahrungen so zusammengefasst: „Ich dachte, dass mir nach all dem Unrecht und Unglück in Deutschland endlich Gerechtigkeit widerfährt. Ich habe mich getäuscht.“
Kommentare 18
gebrauchen täten wir die fach-kräfte schon mögen, aber zum preis von ehren-amtlichen.odrrr?
Ich verteh die ganze "Flüchtlinge in Arbeit" Problematik nicht so ganz.Wir haben doch massive Probleme unsere eigenen Fachkräfte
unterzubringen.Ein hoher Anteil der Billiglohnarbeiter sind Fachkräfte,z.T.hochqualifiziert und was machen wir eigentlich mit den ganzen Facharbeitern und ebenfalls hochqualifizierten 50+,die
zu hunderttausenden bei uns auf der Straße herumlaufen ???
Ich persönlich glaube nicht an einen Fachkräftemangel.Das Ganze
war doch nur eine großangelegte PR-Kampagne der Wirtschaft,um daß allgemeine Lohngefüge in den Keller zu drücken.Wenn sich statt 10 nur 3 Berwerber auf eine Stelle bewerben, heißt es bei denen gleich Fachkräftemangel.
Deutsche Bürokratie. Die Leute die über so etwas entscheiden sind zumeist kaum selbst gebildet.
Der einzige Fall den ich nicht nachvollziehen kann ist das "herzzereissende" Schicksal des "armen" Drogenhändlers.
Die typische Art Kriminalität durch Armut zu begründen ist an Heuchelei nicht zu übertreffen.
Das Kapital.
Das große Fressen.
Es liegt im Verwertungsinteresse des bundesdeutschen Kapitals, einen ökonomisch nützlichen Teil aufzunehmen!
Wäre es nicht so, dann würde man sich auch ernsthaft um die Beseitigung des Mini-Mindestlohns von nur 8,50 Euro-Std. brutto bemühen!
Dann würde man sich auch um die Überwindung der Armut in der bundesdeutschen Gesellschaft bemühen; derzeit nach der offiziellen Statistik rund 13 Millionen Menschen.
Dann würde man sich auch um eine menschenwürdige und auskömmliche Erwerbstätigkeit und Bezahlung von rund 3,4 Millionen Arbeitslosen und Millionen Lohn-Aufstockern bemühen.
Dann würde es auch keinen Hartz-IV-Strafvollzug mehr geben, sondern die Wiedereinführung des (alt-neuen) ALG II.
Dann hätten wir auch nicht 4 Millionen Rentner in der Armutsrente, unterhalb der geringen (gesetzlichen) Grundsicherung!
Der herrschenden Kapitallogik, Menschenverwertung und Politik, geht es vor allem um maximalen Profit und Quandtsche Dividende! --- Und nicht um christliche 'Nächstenliebe, auch nicht um 'Humanismus!
Der BDA-Präsident Kramer erklärte, u.a.: "Auch Menschen, die nicht verfolgt werden, aber aus wirtschaftlicher Not zu uns kommen, müssen fair behandelt, aber nach Ablehnung des Asylbegehrens schnell in ihre Heimat zurückgeführt werden." -- "Gleichzeitig müssen die Möglichkeiten für eine Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften erleichtert werden. Dieser Weg steht auch Fachkräften aus sicheren Herkunftsländern offen."
Vgl. BDA: Presse - Information Nr. 040/2015, 7. September 2015
39 Prozent haben kein Normalarbeitsverhältnis
Fast vier von zehn abhängig Beschäftigten haben kein Normalarbeitsverhältnis in der Bundesrepublik Deutschland.
In 2014 waren rund 39 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Teilzeit, Leiharbeit oder Minijobs tätig. "insbesondere die Zahl der Teilzeit- und Leiharbeiter hat zugenommen", sagt Toralf Pusch, Arbeitsmarktexperte des WSI.
Atypische Beschäftigung ist nach den WSI-Daten am stärksten verbreitet in den westdeutschen Flächenländern: Schleswig-Holstein mit 42,7 Prozent, gefolgt von Rheinland-Pfalz mit 41,8 und Niedersachsen mit 41,6 Prozent. Auf Stadt- und Kreisebene kommen Delmenhorst und Landshut mit 54,1 und 52,9 Prozent auf die höchsten Quoten. In Ostdeutschland liegen die Werte meist deutlich darunter. In Westdeutschland sind Frauen deutlich häufiger atypisch beschäftigt als in Ostdeutschland.
Vgl. Böckler-impuls 6/2015, 2. April 2015. Beschäftigung: Weiblich, westlich, atypisch. // WSI - Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut. Datenbank. Atypische Beschäftigung.
Arm trotz Arbeit 2015
"Das Geld reicht nicht für Miete und Heizung, ein Urlaub ist utopisch. Rund 3,1 Millionen Erwerbstätige in Deutschland verdienen zum Leben zu wenig." Vgl. Tageszeitung, taz.de am 24.01.2015. Arm trotz Arbeit. Zahlen des Statistischen Bundesamtes.
Deutschlands Reiche werden immer reicher!
"Nirgendwo in der Euro-Zone ist das Vermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland. Und die Unterschiede werden sogar noch größer." Vgl. Focus, 24.10.2014: Deutschland ist das ungerechteste Land der Euro-Zone. Von Focus-Online-Redakteur Clemens Schömann-Finck.
Die Reichen und Superreichen legen nur ungern ihre wahren Vermögensverhältnisse offen. --
Die Boeckler-Forscher bezogen deshalb noch Zahlen des Statistischen Bundesamtes mit ein -- und kamen zu folgenden Ergebnis. Demnach verfügten das reichste eine Prozent der haushalte 2012 über durchschnittliche Nettovermögen von knapp 1,4 Millionen Euro pro Kopf. Das entsprach dem 80-fachen des mittleren Pro-Kopf-Einkommens für ein Jahr.
Vgl. Focus.
Das Privatvermögen der Superreichen lässt sich dem DIW-Institut zufolge aus offiziellen Daten nicht ablesen. Anders als in Ländern, in denen es etwa eine Vermögenssteuer gibt.
Vgl. Spiegel, 11.02.2015: Superreiche in Deutschland sind noch reicher als gedacht.
Große Kapital- und Privatvermögen:
Die Quandts halten 46,7 Prozent am BMW-Konzern: gut 25 Milliarden Euro. Die Summe der Jahresdividende bewegt sich im mittleren dreistelligen Millionenbereich. Hinzu kommen noch der Chemiekonzern Altana, Anteile an SGL Carbon und Nordex, sowie die Beteiligungsgesellschaft Delton und Anteile bei der BHF-Bank. / Das "Südmänner"-Imperium der Familien Albrecht und Heister brachte es nach letzter Schätzung auf 38 Milliarden Euro Umsatz und sie verfügen über ein Vermögen von 18,3 Mrd. Euro (Aldi Süd, Einzelhandel, Immobilien). / Die nördlichen Albrechts brachten es auf rund 26 Mrd. Umsatz und verfügen über ein Vermögen von 16,5 Mrd. Euro (Aldi Nord, Einzelhandel, Immobilien). / Georg und Maria Schaeffler halten am Continental-Konzern 46 Prozent. Nach Abzug der (vergangenen) Schulden bewegt sich das Familienvermögen in Richtung der 20-Milliarden-Euro-Marke. / Die Marktketten Lidl und Kaufland mit ihren fast 10.000 Filialen spielten im letzten Geschäftsjahr rund 74 Milliarden Euro Umsatz ein. Dieter Schwarz verfügt über ein Kapital- und Privatvermögen von 14,5 Milliarden Euro (Lidl, Kaufland, Neckarsulm). / Familie Reimann verfügt über ein Vermögen von 14 Milliarden Euro {...}. / Michael, Wolfgang, Petra und Ingeborg Herz verfügen zusammen über ein vermögen von elf Milliarden Euro {...}. / Zu den Besitztümern der Otto-Gruppe zählen mehr als 120 Unternehmen. Die Familie Otto verfügt über ein Vermögen von 9,5 Milliarden Euro {...}. / Die Familie von Reinhold Würth verfügt über ein Vermögen von 8,2 Mrd. Euro {...}. / usw. usf.
"Neiddiskussion" ? -- Deutschlands Reiche werden immer reicher -- und deren (nationale und internationale) technisch-wissenschaftliche Arbeitssklaven und Arbeitssklavinnen immer billiger und williger!
[Stets die wissenschaftlich-technische Entwicklung der Produktivität im historischen Kontext der Wirtschafts- und Reichtumsmetropolen berücksichtigen.]
Info.-Empfehlung, auch weiterhin im 21. Jahrhundert:
Das Kapital, von Karl Marx
[-- unvollständig.]
|| Laut aktueller Prognosen kommen in diesem Jahr etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland. Das sind bei weitem nicht alles Akademiker. ||
Nee, das sind Asylsuchende.
|| Wie soll angesichts der vielen Flüchtlinge dann Arbeitsmarktintegration im großen Stil funktionieren? ||
Vorerst kaum bis gar nicht. Wer vor Monaten ehrlich nachdachte, dem war das schon aufgegangen.
|| Hochqualifizierte Migranten scheitern am unflexiblen deutschen Arbeitsmarkt. (... ...) ...wie Deutschland motivierte Menschen ausbremst und volkswirtschaftliches Potenzial verschleudert. ||
Das ist der neue Ökonomiesprech der Linken. Aber das Nachplappern von INSM-Slogans macht es nicht besser. Es wird Zeit, dass langsam auch bei den Berufsoptimisten ankommt, dass die hohe Zahl der nach D Flüchtenden Probleme verursacht, die mit Durchhalteparolen a la Alles kein Problem nicht wegzureden ist.
|| Manche Flüchtlinge halten das monatelange Warten irgendwann nicht mehr aus ... ||
Müssen sie aber. Dass sich etliches ändern muss, zeigen zumindest die Fälle der Ärztin und der Lehrerin (Ingenieurin). Der syrische Rechtsanwalt wird nach, tja, geltendem EU-Recht wohl schon allein um seinem Aufenthaltsstatus zu bangen haben. Doch nichts Genaues weiß man nicht, wonnich. Wie sähe wohl dieser Text Ende 2016 aus, falls bis dahin noch einmal so viele Flüchtlinge gekommen wären..?
Es ist einfach noch nicht verstanden worden, dass D unter den gegebenen Gesamtbedingungen nicht die Insel der Glückseligen in Europa und der Welt bleiben wird, für die selbst Linke es hinter vorgehaltener Hand halten. Wann gewöhnen wir uns denn an diesen Gedanken mal..?
Ich selbst bin ohne Wenn und Aber pro geltendes Asylrecht und die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention. Aber, sorry, nichts wird besser (am Arbeitsmarkt) durch millionenfache "Einwanderung" (denn es ist ja per Definition größtenteils gar keine) in ein Land, das auch vorher schon sozio-ökonomisch bis ins Mark gespalten war, wenn man der OECD glaubt, was ich tue.
Deutschland ist völlig unvorbereitet - und die Flüchtlinge sind es auch. Für's Improvisieren sind unsere Apparate aber nicht gemacht. Aber sie funktionieren noch. Könnte besser sein, aber Arzt und Rechtsanwalt können in Kriegszeiten eh nicht alle werden. Und parallel zum Studium aller Nicht-MINT-Fächer empfiehlt es sich ja seit längerem schon einen Taxischein zu machen. Oder ein Jodeldiplom. Dann hat man was Eigenes.
Eine ungeschminkte Teilwahrheit im bundesdeutschen Kapitalismus (-- der asozialen Marktwirtschaft der Bourgeoisie und Aktionäre) zu den Flucht- und Vertreibungsopfern ist auch:
Gerade auch die politische Linke sollte die Fakten offen benennen, entgegen den falschen öffentlichen Behauptungen aus der regierenden Politik und der fast alles beherrschenden Wirtschaft.
Die übergroße Mehrheit der angekommenen Menschen verfügt über keine brauchbare Qualifikation für den bundesdeutschen (kapitalistischen Verwertungs- und) Arbeitsmarkt: ca. 87 % fehlt eine entsprechende berufliche Ausbildung bzw. (benötigte) minimale Qualifikation [BA].
Die bundesdeutsche BDI-BDA-Wirtschaft, Handwerk, Dienstleistungs-Gewerbe und Landwirtschaft etc., benötigt allenfalls die große Mehrheit der Menschen als 'Konkurrenzmasse im Niedriglohnsektor. ---- Vor allem auch dafür, um die bereits vorhandenen geringen Arbeitslöhne noch weiter zu senken [bzw. notwendige soziale Lohnsteigerungen zu bremsen] und den gesetzlichen Mini-Mindestlohn (differenziert) zu unterlaufen.
[Merke: Die Unterschlagung von Fakten und Tatsachen ist keine gesellschaftspolitisch linke Position, sondern eine bürgerlich-reaktionäre politische Position.]
Schwachsinniger Artikel. "Deutschland braucht Facharbeiter und Akademiker" wird als Grundannahme mehr oder weniger ungeprüft übernommen. Wir haben Facharbeiter und Akademiker ohne Ende, nur will die Wirtschaft selbige eben billiger haben und andere Länder daher ihrer ausgebildeten Arbeitdkräfte berauben. Dieser links-naive Drift, der den Neoliberalen in die Hände spielt, ist typisch für viele Artikel im Freitag.
Sorry, aber Fakten unterschlagen Linke ganz maximal, weil sie Idealisten sind, also das Gegenteil von Realisten. Oder war Ihr letzter Satz Ironie?
Der Fakt ist, dass wir selbst bei uns viele Fachkräfte haben, die ohne Arbeit stehen, die jeden Tag auf der Jobsuche sind. Die müssen jeden Tag auf Granit names "Zeitarbeit" beißen und meistens Oft ohne Erfolg. Vielleicht weil sie über 40+ sind. Vielleicht weil sie sich nicht so leicht von Arbeitgebern biegen lassen. Vielleicht weil sie über ihre Rechte Bescheid wissen und nicht bereit wären, für Appel und Ei zu arbeiten. Allein schon aus meinem Freundeskreis kenne ich welche, die seit geraumer Zeit auf der Suche sind aber sie finden keinen Job. Obwohl sie hier studiert und gerabeitet haben. Zum Beispiel als Ingenieur für Elektrotechnik keine Stelle finden, weil sie über 45 sind. Solche Fachkräfte werden nicht gesucht sondern die, die sich schön ducken und bei den könnte der Arbeitsgeber schalten und walten,wie er gerade für richtig hält. Es baut sich in unserer Gesellschaft ein sozialer Sprengstoff langsam aber sicher auf, der verheerende Folgen mit sich bringt.
Was den Arbeitsmarkt angeht? bzw. ihn für Flüchtlinge aufzumachen, die aus "Hightech" Ländern wie Afghanistan syrien und Irak zu uns kommen, die so gut ausgebildet sind, dass unsere Fachkräfte mit den nicht mithalten können, dass sie alle so motiviert sind und die einheimische nicht. Das ist aus meiner Sicht nichts anderes als eine Art Agenda 2010, die etwas anderes gestrickt ist als die SPD sich damals ausgedacht hat.
Die CDU als einzig übriggebliebene Volkspartei weiß genau, dass ein erneutes Programm wie Agenda 2010 viele Stimmen kosten würde. Die Konservativen haben gesehen, was einer Partei passieren kann, wenn die seiner Wähler so was wie Agenda 2010 zumutet. CDU sieht auch, wie tief die SPD gestürzt ist. Also hier und jetzt müssen andere Wege gedacht werden, um den Arbeitgebern noch billiger Arbeitskräfte zur Verfügung zustellen. Arbeitsgeber, die den Hals nicht mehr voll kriegen bzw. danach schreien, noch billiger Arbeitskräfte zu bekommen. Keine Partei in Deutschland wird sich in absehbaren Zeit wagen, so etwas wie Agenda 2010 ins Leben zurufen. Das ist so sicher wie Amen in der Kirche. Da müssen andere Wege gesucht werden und in dem Moment kommen die Flüchtlinge ins Spiel, die in ihrer Situation bereit wären alles zu akzeptieren, um bloß hier zu bleiben bzw. hier zuarbeiten. Es ist kein Wunder, dass der Arbeitgeberverband den Mindestlohn für die Flüchtlinge außer Kraft sehen will. Die Flüchtlinge sollen nun endlose Praktikum machen usw. Das ist auch ein Agendaprogramm, aber diesmal auf dem Rücken von Flüchtlinge gebaut. Was denken die Flüchtlinge?, sie ahnen es nicht, bzw. sie haben zurecht andere Sorgen.
Ein letzter Satz zur Linke insgesamt, die ist zur so weit entfernt von der Realität, wie die gesamte Menschheit von anderen galaxien.
Hochqualifizierte Migranten scheitern an den Eigenheiten des deutschen Arbeitsmarktes?
Da sind sie leider nicht die Einzigen.
Wie andere KommentatorInnen ebenfalls schreiben: Hochqualifizierte Inländer scheitern ebenso. Der Unterschied ist jener: Auf diese Schicksale leuchtet gerade nicht das Spotlight der öffentlichen, politischen Aufmerksamkeit.
Ich rede aus eigener Erfahrung. Die Bewerbungen auf eine Lehrstelle, welche formell den Hauptschulabschluss forderte (ich besitze Abitur und Studienerfahrung), wurde mir haarsträubenden Erklärungen ungezählte Male abgelehnt.
Wie es bei der Bewerbung um einen vollwertigen möchte man sich da gar nicht mehr vorstellen.
Es klingt nach dem Pusten in das verschwörungstheoretische Horn, doch ich denke an dieser Theorie ist etwas dran: Verschiedene Menschengruppen sollen, mit Hinsicht auf den maximalen Profit der Arbeitgeber, gegeneinander ausgespielt werden.
Das diese Theorie nicht vollkommen an den Haaren herbeigezogen ist beweist das laute Nachdenken über eine Senkung des bereits jetzt schon jämmerlichen Mindestlohnes um die Integration der Asylbewerber in den (ersten) Arbeitsmarkt zu fördern.
Über Jahrzehnte hat es die Politik nicht geschafft, mit Instrumenten wie ABM, Arbeitsamt etc. den deutschen Arbeitsmarkt auf Vordermann bzw. Vorderfrau zu bringen und plötzlich soll dieser Arbeitsmarkt bereit sein in kurzer Zeit tausende Menschen aufzunehmen und gerecht zu versorgen?
Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich lachen - sagt man so schön.
Im Juli letzten Jahres schrieb ich zum Thema Fachkräftemangel hier einen Blog. Darin ist auch eingegangen auf den Film mit dem Titel "Das Märchen vom Fachkräftemangel" von Film von Ulrike Bremer, der in der "ARD" ausgestrahlt worden ist.
Daß "derFreitag" solche Faktenqellen nicht beim Thema zur Kenntnis nimmt, wundert mich bei seinem Spiel mit neoliberalistischer Fraternisierung nicht mehr.
Hier nochmals der Film:
"...wundert mich bei seinem Spiel mit neoliberalistischer Fraternisierung nicht mehr."
Wollen Sie damit sagen, dass Freitag auch von dem Virus Neoliberalismus ein wenig befallen ist??. Mag sein, dass Sie Recht haben. Irgendwann sind alle davon betroffen. Nur eine Frage der Zeit ist es.
Die Linken allgemein sind durch unterdurchschnittlichen Durchblick bei überdurchschnittlichem Idealismus längst zu Erfüllungsgehilfen der Neoliberalen geworden. Hier im Freitag auch. So Themen wie Gender oder Krötenzäune kosten die Reichen ja keinen Pfennig Geld, höchstens die Allgemeinheit, und Flüchtlinge bringen Geld, da sie die Umverteilung von der Mitte nach unten nach oben vermehren. Schade, dass selbst Menschen wie der quasi CVD hier, Augstein Junior, das vor lauter Idealismus nicht sehen wollen, dass sie sich da mitschuldig machen.
Erst mit der Einführung eines existenzsichernden Grundeinkommens, welches ohne Gegenleistung an alle ausbezahlt wird, wird sich an der beschriebenen Problematik etwas ändern.
Nicht, dass dann jede syrische Ärztin hier als Ärztin oder jeder Rechtsanwalt als Rechtsanwalt arbeiten könnte.
Aber es ließen mit Phantasie und Muße entspannt neue eigene Wege finden, sich in die Gesellschaft einzubringen - und darum geht es doch, oder etwa nicht ?
Und vor allem: die Würde und das Selbstwertgefühl blieben erhalten und niemand wäre mehr gezwungen, sich fürs nackte Leben zu prostituieren und entwürdigen zu lassen.
Was augenblicklich passiert ist eine gigantische Verschleuderung menschlichen Potentials zugunsten einer quasireligiösen carzinogenen Wachstumsdoktrin, die nichts kennt außer der blutigen Konkurrenz.
Lesenswert hierzu auch der Artikel eines Journalisten und Gärtners aus Berlin von vor ziemlich genau 5 Jahren:
https://www.freitag.de/autoren/jaugstein/meins-oder-deins?searchterm=Jakob+Augstein
Daß "derFreitag" solche Faktenqellen nicht beim Thema zur Kenntnis nimmt, wundert mich bei seinem Spiel mit neoliberalistischer Fraternisierung nicht mehr.
Und Sie haben damals gedacht, der Artikel sei hier gut aufgehoben, höhö.
Ich wünsche Ihnen auf diesem Wege einen guten Rutsch ins neue Jahr und alles Gute für dieses!
Herr Krause, sie wünschen im Kapitalismus, für die bestehende imperialistische Gesellschaftsordnung, für die Bürger und Bürgerinnen der "sozialen Marktwirtschaft" der Bourgeoisie und Quandtschen Aktionäre, ein "bedingungsloses Grundeinkommen" (!?)
Ihr Wunsch nach einem BGE im Kapitalismus dient ausschließlich dem Kapital und der Ablenkung vom notwendigen sozialen Kampf, der politischen Ablenkung vom Kampf für die Überwindung und Beseitigung der kapitalistischen Ausbeutung des Menschen durch den Menschen!
Soziale Gleichheit und gesellschaftspolitische Emanzipation gibt es nur auf der Grundlage des sozial-ökonomisch-ökologischen Gemeineigentums an den Produktions- und Reproduktionsmitteln (einschließlich Grund und Boden, Luft und Wasser, Rohstoffen und Bodenschätzen etc.)!
In einer kapitalistischen Ökonomie kann das Grundeinkommen nur durch besteuertes Wachstum finanziert werden. Der dazu notwendige politische Wille ist bei der (herrschenden) Finanz- und Monopolbourgeoisie nicht vorhanden, ebenso wenig, bei deren Bundesregierung und hündischen Parlamentsmehrheit!
Aufwachen, treubrave deutschnational-religiöse und kapital-bürgerliche BGE-Glaubensgemeinschaft! (?)
Danke, ebenso!
@Reinhold Schramm
Um es kurz zu machen nur noch dies:
Wissen Sie , was Sie mit Frau Quandt gemeinsam haben ?
Richtig, ein Grundeinkommen.
Hätten sie es nicht, würden sie nicht mehr sehr lange Leben.
Der Unterschied zwischen ihnen beiden ist der, dass Frau Quant nichts dafür tun muss.
Sie hingegen vermutlich schon.
Und genau das will ich ändern, nicht mehr und nicht weniger.
Ich will, dass Sie Ihr bloßes Überleben vor nichts und niemandem rechtfertigen müssen. Sie nicht, und Frau Quant nicht.
Das kostet kein zusätzliches Geld, sondern Vertrauen:
"Wo kommen wir denn da hin, wenn alle tun, was sie wollen ?"
Und das ist auch schon alles.
Kommen Sie gut ins neue Jahr, und viel Spaß auf der Arbeit, hoch lebe die Vollbeschäftigung !
Thilo Krause