Von Tätern und Opfern

Seenotrettung Wer Menschen hilft, macht sich schuldig – will uns der irre Zeitgeist glauben lassen. Diese verquere Täter-Opfer-Umkehr muss endlich ein Ende haben
Ausgabe 26/2018
Wäre die Lifeline nicht gewesen, wären 230 Menschen gestorben
Wäre die Lifeline nicht gewesen, wären 230 Menschen gestorben

Foto: Imago/epd

Horst Seehofer könnte zum Helden werden. 230 Menschenleben mit einer Unterschrift retten – so eine Chance bekommt man nicht alle Tage. Berlin und Schleswig-Holstein bieten an, die Flüchtende, die seit Tagen auf dem Seenotrettungsschiff Lifeline 24 Meilen vor Maltas Küste ausharren, aufzunehmen. Unter anderem auch Frankreich hat Hilfe angeboten, sollte es eine europäische Lösung geben. Doch bis Mittwochmorgen blieb die Hand des deutschen Innenministers ungerührt, die Lifeline und ihre Passagiere bangen weiter in Ungewissheit.

Moralbeladene Lebensretter-Helden, das war 2015 einmal. Neue Helden, das sind die rechten Rumpelstilzchen von einst: Matteo Salvini, Heinz-Christian Strache, Seehofer selbst – auf Innenministerposten zu nimmersatten Godzillas transformiert, die mit der Achse Rom-Wien-Berlin Europa weiter zur fremdenfeindlichen Festung ausbauen wollen, ohne dass sie irgendwer ernsthaft abhielte. Angela Merkel druckst herum, die SPD ist verschwunden und das Gros der deutschen Medien grämt sich wegen seines vermeintlichen Willkommensjournalismus im Jahr 2015. Zeit und Stern hieven vor lauter schlechtem Gewissen Asyl-Mordopfer auf ihre Titel, der Spiegel Naturkatastrophenmetaphern; Flüchtende brechen dort als graue Punkte auf einer Welle surfend über Deutschland herein.

Es ist eine merkwürdige Täter-Opfer-Umkehr in Blitzzeit, die auf ihrem Höhepunkt ist, jetzt wo die vermeintlichen Opfer an der Macht sind. „Piraten“ hat Salvini die ehrenamtlichen Seenotretter auf dem Mittelmeer genannt, „Menschenfleisch“ die Flüchtenden. 310 von ihnen sind seit dem Amtsantritt des italienischen Innenministers am 1. Juni auf dem Mittelmeer ertrunken. Dreihundert. Zehn. Menschen. Nicht Punkte. Wäre die Lifeline nicht gewesen, wären höchstwahrscheinlich 230 Tote dazugekommen. Aber dafür wollen Italien und Malta den Lifeline-Kapitän Claus-Peter Reisch jetzt auf die Anklagebank bringen. Er hätte die Order nicht befolgt, die Insassen der Flüchtlingsboote an Libyens Küstenwache zu übergeben, so der Vorwurf. Die Libyer wiederum hätten die Menschen in Lager gebracht, die dem Auswärtigen Amt als „KZ-ähnlich“ gelten.

Zu einer anderen Zeit hätte man Kapitän Reisch zum Helden erklärt und ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen.

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Geschrieben von

Bartholomäus von Laffert | bartholomäus von laffert

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