Diskursive Türöffner

Rechter Nachwuchs Mit einem rassistischen Kommentar zieht CDU-Shootingstar Philipp Amthor einen Shitstorm auf sich. Sein Auswurf ist die Folge einer Debattenverschiebung nach rechts

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Wessen Abziehbild will Philipp Amthor sein?
Wessen Abziehbild will Philipp Amthor sein?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Der Beitrag des funk-Formats »Y-Kollektiv« muss in Zeiten des digitalen Schnellkonsums von Nachrichten eigentlich schon als Fossil gelten – wurde er doch schon im Oktober 2018 gesendet. Dennoch erhielt das Video – speziell der kritische Auschnitt – erst diese Woche erhebliche Aufmerksamkeit, nachdem der Spiegel-Online Redakteur Torsten Beeck es über Twitter geteilt hatte. Es handelt sich bei dem Video um ein Porträt von zwei jungen Bundestagsabgeordneten – neben Amthor steht der AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier im Mittelpunkt –, das die neue jung-konservative Seite der Bundesrepublik darstellen möchte. Was war passiert? Die Reportage zeigt Amthor als Wahlkampfhelfer in der Uckermark. Er ist das bekannte neue Gesicht der Partei, das die Bürgermeisterkandidatin promoten soll. Seine gewohnt coole Art – wie wir sie kennen – kommt beim Ü60-Publikum mehr als gut an. Amthor ist frisch. Amthor ist die Zukunft im Sinne der Vergangenheit. Und als der Shootingstar auch noch ein paar älteren Damen an der Bierzeltgarnitur einen Witz über das Wetter erzählt, wissen die Damen: Dieser Mann – Philipp Amthor – repräsentiert eine ganze Generation!

Gleich danach geht es zu den Herren, um zum Abschluss noch einmal pflichtgemäß und stolz, die Nationalhymne zu singen. Dann schießt es aus Amthor heraus: »Hier ist keiner Moslem, der das nicht singen kann«. Er spielt auf Mezut Özil an. Alle lachen. Ein älterer Mann antwortet ihm: »Hier ist keiner Ölauge«. Amthor reagiert mit seinem aufgesetzt klingenden, aber zutiefst ehrlichen Altmännerlachen. Schon kurz nach der Ausstrahlung hatte Amthor sich von seinen Äußerungen gegenüber dem Nordkurier distanziert. Wohlgemerkt: Eine Entschuldigung gegenüber den muslimischen Mitbürgern verweigert er bis heute. Der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour dazu: »Entweder er entschuldigt sich bei uns deutschen Muslimen oder jemand muss mir den Unterschied zwischen ihm und der AfD erklären«.

Dass in diesem Beitrag nicht der AfD-Politker, sondern das neue konservative Gesicht der CDU für einen Eklat sorgt, kann zu denken geben – muss es aber nicht! Denn eine Person wie Philipp Amthor ist nicht zufällig, in der Position, in der er nunmal ist. Er hat durch genau die Tür den Raum betreten, an deren Öffnung die Sarrazins, Broders und Stöckls jahrelang gearbeitet haben. Die Tür ist offen. Der Diskurs hat sich verschoben.

Amthor repräsentiert – wie auch die Nachfolgerin Angela Merkels an der CDU-Spitze – einen Aufbruch in der Union, der für mehr Autorität steht. Der nach außen hin gelebte und nach innen hin (wahrscheinlich) glorifizierte autoritäre Konservatismus eines Philipp Amthor wird dadurch möglich, dass unsere Gesellschaft in den letzten Jahren eine Gegenbewegung zu den Jahren nach 1968 vollzogen hat. In dieser Gegenbewegung kommen Stimmen zu Wort, die die roten Linien unserer Diskurse ausreizen und verschieben. Thilo Sarrazins aktuelles Buch ist das beste Beispiel für diese Verschiebung, die sich letztlich in der Sprache vollzieht. Selbstverständlich behandelt dieses Buch wieder einmal die Themen »Islam« und »Zuwanderung«. Der Titel ist jedoch Ausdruck der Radikalisierung: »Feindliche Übernahme«. Demokratische Systeme leben davon, dass die Politiker verschiedene Gruppen repräsentieren, die sich als Gegner gegenüberstehen. Demokratien bestehen aus Gegnern – nicht aus Kollegen und auch nicht aus Feinden. Mit Kollegen arbeiten wir zusammen und Gegner bekämpfen wir, aber Feinde werden vernichtet. Die allgemeine politische Meinung wird durch die sprachlichen Diskurse geformt, die insbesondere durch die Medien verbreitet wird. Den Anderen in diesen Diskursen als Feind zu bezeichnen, ist eine Grenzverschiebung. Amthor gehört zu jenen Politikern, deren Aufstieg begann, als diese Grenzverschiebung schon lange in Gang war. Entsprechend ist seine Sprache.

Vielleicht wähnt Amthor sich selbst als Vorreiter eines neuen konservativen Deutschlands. In Wahrheit ist er nur ein Mitläufer des Neusprechs, das seit der AfD in der Bundesrepublik Einzug gehalten hat.

Coda

Was zum Schluss des funk-Beitrags geschieht, wird öffentlich kaum diskutiert. Amthor wird dazu gebracht, das kulinarische Habitat des jungen und erzkonservativen CDU-(Auf-)Strebers zu verlassen und findet sich in den Niederungen des Klassenfeinds wieder – in einer Berliner Currywurst-Bude. Verfügte man nicht über den Kontext der Reportage, müsste man denken, der »bekennende Nicht-Veganer« Amthor habe sich auf dem Weg zum Adlon-Restaurant verlaufen. Jacket tragend diskutiert er bei Brötchen und Wurst mit AfD-Jungstar Frohnmaier über Wertkonservativismus und parteipolitische Belanglosigkeiten. Die beiden scheinen sich zu verstehen. Zuletzt stellt der Y-Kollektiv-Redakteur David Donschen zurecht fest, dass inhaltlich zwischen Amthor und Frohmaier nicht viel Unterschied besteht. Ihr Gespräch – man kann es nicht einmal Diskussion nennen – beschränkt sich auf Oberflächlichkeiten. Der große Unterschied zwischen CDU und AfD wird nicht deutlich. Denn: In der neuen CDU-Generation scheint es diesen Unterschied nicht mehr zu geben.

Zum Schluss haben weder Amthor noch Frohmaier ihre Currywurst aufgegessen.

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