Krieg und Kulturkampf

Im toten Winkel Linke Analysen zum Ukraine-Krieg stellen die Kritik am Imperialismus in den Fokus. So richtig dies ist, verstellt es doch den Blick auf die Ideologie hinter dem Krieg. Dabei hätte die Linke dies aus ihrer eigenen Geschichte lernen müssen

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Bei der Analyse des Ukraine-Kriegs darf die Linke die Rolle der Ideologie nicht unterschätzen
Bei der Analyse des Ukraine-Kriegs darf die Linke die Rolle der Ideologie nicht unterschätzen

Foto: Olga Maltseva/AFP via Getty Images

Die politische Linke stellt sich mit ihrer Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine und mit ihrem Verweis auf die imperialen Ereignisse vor Ausbruch des Krieges dem gegenwärtigen Zeitgeist entgegen, der die kriegerische Ausrüstung der Ukraine sowie die Aufrüstung Deutschlands und Europas als zurzeit notwendig ansieht. Weiten Teilen der Linken gelingt damit etwas, das lange Zeit gefehlt hat: Ihre Ablehnung der Aufrüstung macht den Mehrwert dieser politischen Richtung deutlich, indem sie die Opposition zur breiten parlamentarischen Zustimmung darstellt.

Der Blick der Linken auf den Krieg in der Ukraine bildet das Gegenstück – und das Ziel der Kritik – einer populären Deutung, wie dieser Krieg zu verstehen und was nun zu tun sei. Doch auch wenn die linke Analyse des Krieges im Vergleich zur populären Deutung tiefergehend ist, bleibt sie selbst unvollständig. Der Linken kann es zwar gelingen, auf die materiellen, ökonomischen Interessen hinzuweisen, die hinter jedem Krieg stehen. Im toten Winkel ihrer Analyse übersieht sie damit jedoch die treibende Kraft der Ideologie.

Dschungel

Die populäre Deutung, die in den deutschen Feuilletons verbreitet wird, bedient letztlich die Kriegsrhetorik und fällt weit hinter den Anspruch einer Analyse zurück. Wenn die Kommentatoren in der Zeit ausloten, wieviel Hitler in Putin steckt, oder wenn die NZZ von den „Blumen des Bösen“ im postsowjetischen Russland schreibt und gar einen „Exorzismus“ fordert, dann handelt es sich dabei um eine Psychologisierung und Moralisierung mit den Mitteln eines plumpen Populismus: Der Feind ist das pathologisch Böse. Und mit dem Bösen lässt sich nicht verhandeln – schon gar nicht, wenn seine hervorstechende Eigenschaft die Geisteskrankheit sein soll. Gegen „Es“ hilft nur, bewaffnet zu sein.

Die gefährliche Wirkung einer solchen Erklärung des Krieges, die sich letztlich aus gerechtfertigter Empörung über die Verbrechen speist, besteht darin, dass sie die gesellschaftliche Stimmung nicht nur gegen Putin und seine Clique lenkt, sondern gegen das Russische im Allgemeinen. Dafür müssen dann auch gerne vermeintlich objektive Studien über die russische Unterstützung Putins herhalten. Dass Objektivität und Wahrheit im Dschungel des Krieges nur allzu oft unentdeckt bleiben, fällt dabei allerdings unter den Tisch.

Demgegenüber erinnern linke Analysen dieses Angriffskriegs an eine unumstößliche Tatsache: Kriege werden nicht aus psychologischen Gründen geführt, sondern aus materiellen. Ihr Ausbruch hängt nicht vom Wahnsinn Einzelner ab. Vielmehr beruht Krieg auf dem Defekt der Systeme, deren Drang nach Ausbreitung und Aneignung in die Katastrophe führen muss.

Unterholz

Durch den gerechtfertigten Versuch, einen Schritt zurückzutreten und die Funktionsweise des Imperialismus zu überblicken, werden diese linken Analysen zur Zielscheibe hiesiger Propaganda. Wenn es doch als ausgemacht gilt, dass sich die Handlungen des Bösen nicht erklären lassen, dann muss jeder Blick auf die globale Dynamik von Kapitalismus und Imperialismus wie eine Rechtfertigung dieses Angriffskriegs wirken. Und so wundert es nicht, dass der althergebrachte Vorwurf des „Putinverstehers“ so populär ist wie nie zuvor. Wer sich auf den vermeintlich naiven Standpunkt stellt, Aufrüstung sei keine friedensstiftende Maßnahme, der stellt sich – so der propagandistische Vorwurf – letztlich auf die Seite des Bösen. Denn seine Forderung habe faktisch doch nichts anderes zur Folge als die Unterjochung der ukrainischen Bevölkerung.

Linke Analysen müssen und können diesen Vorwurf aushalten. Denn er ist falsch. Eine Verurteilung des Krieges, die klare Schuldzuweisung an das Regime Putins und die gleichzeitige Forderung, sich keinem Aufrüstungswahn hinzugeben, mag in den Augen Vieler eine naive Position sein – aber sie ist eben keine Entschuldigung der russischen Machtelite.

Der Grundgedanke einer solchen Position ist in einem klassischen Sinne links: Jede produzierte Patrone stellt eine Umverteilung von unten nach oben dar. Die Milliardenpakete, die zur Aufrüstung beschlossen wurden, werden nicht von allen Teilen der Bevölkerung gleichermaßen bezahlt. Die Klasse der arbeitenden und erwerbslosen Menschen werden die zusätzlichen Rüstungsausgaben verhältnismäßig härter treffen. In überraschender Ehrlichkeit spricht Finanzminister Christian Lindner genau dies aus, wenn er im Interview klarstellt, dass die arbeitenden Menschen für die Hochrüstung der Bundeswehr künftig die ein oder andere Überstunde leisten werden müssen. Schon aus diesem ökonomischen Grund ist die Beschaffung von Kriegsgerät abzulehnen.

Das dringend nötige Wagnis, die Funktion des Imperialismus anstatt der psychologischen Verfasstheit Putins, in den Mittelpunkt zu stellen, muss – so die Logik der linken Analyse – die materielle Basis im Blick haben. Imperialismus geschieht nicht als Selbstzweck, sondern dient der Erschließung und Sicherung von Ressourcen und Märkten. Er ist eine logische Folge unserer globalen, auf Expansion abzielenden Wirtschaft, der die kriegerische Auseinandersetzung „für das Kapital als ein Mittel ersten Ranges“ erscheint, wie Rosa Luxemburg es auf den Punkt brachte.

Mit der Betonung der kapitalistischen Produktionsweise und dem damit einhergehenden imperialen Charakter der Staaten hat die linke Analyse im Vergleich zur vulgär-psychologischen Deutung der Feuilletons den Vorteil, dass sie sich überhaupt um ein Verständnis der Lage bemüht, das andere Lösungen bieten kann als die Fortführung des Krieges.

Nichtsdestotrotz ist die klassisch-linke Analyse verkürzt. So richtig es ist, Kapitalismus und Krieg miteinander in Verbindung zu bringen, so falsch ist es, den Krieg auf die wirtschaftlichen Bedingungen zu reduzieren. Der ökonomische Determinismus, der im Marxschen Sinne die Verhältnisse lenkt, verstellt den Blick auf den Kulturkampf im ideologischen Überbau, der zu einem nicht unbedeutenden Teil unabhängig von der materiellen Basis tobt. Oder anders ausgedrückt: Auch wenn der Baum zweifellos aus dem Waldboden erwachsen ist, spielt es für die spätere Baumkrone nur selten eine Rolle, welche Tiere sich im Unterholz tummeln.

Lichtung

Der russische Imperialismus ist – wie der westliche auch – sowohl von materiellen als auch ideologischen Interessen getrieben. Solange dies nicht im Blick ist, bleibt die Sicht auf den Krieg unvollständig. Der linken Analyse muss es deshalb darum gehen, die Rolle der Ideologie aus dem toten Winkel herauszuholen.

Es muss immer wieder verwundern, dass gerade die deutsche Linke die Bedeutung des ideologischen Kulturkampfes vergisst. Denn die Erfolge in ihrer eigenen Geschichte speisen sich aus Kämpfen, die vorwiegend auf der Ebene der Ideologie geführt wurden. Der „Marsch durch die Institutionen“, den die 1968er anstrebten, war schließlich kein revolutionärer Umstoß der materiellen Verhältnisse, sondern ein langer revolutionärer Kampf um die Vorherrschaft neuer Ideen, welche auf die ökonomischen Verhältnisse zurückwirken sollten – oder wie Rudi Dutschke es ausdrückte: Die Revolution ist kein Ereignis, bei dem sich plötzlich alles ändert, sondern „ein Prozess, in dem sich der Mensch ändert.“

Die ideologische Erfolgsgeschichte der Linken hat sich tragischerweise sehr viel stärker die Neue Rechten zu Eigen gemacht als die Linke selbst. Während es für die westliche Rechte an allererster Stelle Alain de Benoist ist, der in Kulturrevolution von Rechts die Funktion der Ideologie am Beispiel der 68er-Revolution für die Neue Rechte analysiert, sind dies in der Geschichte der russischen Rechten „organische Intellektuelle“ wie Iwan Iljin, Alexander Dugin oder Nikita Michalkow. Die vorherrschende Ideologie der russischen Machtelite ist von den Ideen dieser Männer geprägt, und das heißt: sie ist rechts – auch wenn es für manchen Alt-Linken eine schwer zu schluckende Pille sein mag, dass Russland kein sozialistischer Bruderstaat ist.

Die gebotene Äquidistanz der Linken – sowohl zum westlichen als auch zum russischen und chinesischen Imperialismus – ist nicht allein deshalb nötig, weil es sich insgesamt um kapitalistische Systeme handelt, für die Linke nicht Partei ergreifen können, sondern ebenso, weil die herrschende Klasse dieser Akteure eine reaktionäre Ideologie vorantreibt. Die Imperialismuskritik bleibt für eine ehrliche Analyse des Krieges nötig. Was die gesellschaftliche und politische Linke aber ebenso braucht, ist ein tieferes Verständnis und eine Kritik der Ideologie.

Diesem einleitenden Text wird ein zweiter Teil folgen.

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