Am 26. April steigt in Berlin eine Volksabstimmung. Hintergrund ist das im Jahr 2006 eingeführte Pflichtfach Ethik, welches zusätzlich zum freiwilligen Religionsunterricht eingeführt wurde. Die Kirche fühlt sich nun benachteiligt und möchte ihre christlichen Ansichten gleichberechtigt an die Schülerinnen und Schüler vermitteln. Sie sollen wählen, ob sie Ethik oder Religion besuchen möchten. Dafür wurde das Volksbegehren Pro Reli initiert.
Am Wochenende sollen wir also (abstrus genug) Ethik und Religion gegeneinander aufwiegen. In den Kampagnen der Befürworter und Gegner geht es ganz nebenbei um großer Wörter wie “Freiheit”, “Werte” und “Moral” - und zwar von allen Seiten.
Schöne Diskussion jedenfalls. Für mich und meine Kinder (in beiden Fällen zumindest zur Zeit hypothetisch) habe ich ein Problem mit dem Fach Religion an sich. Das hat vor allem mit meiner, vorsichtig gesagt, atheitischen Sichtweise zu tun. Darüber hinaus halte ich eine klare Trennung von Staat (in diesem Fall Schule) und Kirche (in diesem Fall Christentum) in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft für zwingend erforderlich. Gerade wenn es um Freiheit, Werte und Moral geht.
Kinder und Jugendliche, die sich christlich weiterbilden möchten - egal ob aus Überzeugung oder durch Erziehung - sollen meinetwegen wie bisher wählen dürfen, sofern es an ihrer Schule angeboten wird. Noch besser wäre es, sich diese Bildung außerschulisch bzw. innerkirchlich zu holen. Wir bieten ja auch nicht, zumindest noch nicht, Islam, Buddhismus oder Judentum als Schulfach an. (Wobei hier auch wieder das Argument der staatlich-kirchlichen Trennung greift.)
Zumindest kann ich mir bei Ethik einen übergreifenden Sinn noch gerade so vorstellen, obwohl ich weder selbst noch im Bekanntenkreis hierzu Erfahrungen sammeln konnte. Dieser leicht oberflächliche Zuspruch liegt aber vielleicht auch an dem Ansatz, dass ethische Grundwerte doch von allen Lehrern in allen Fächern vermittelt werden sollten. Nur scheint das nicht zu funktionieren …
Womit wir bei der Ausbildung und Qualität der Lehrer sind und noch nicht mal über die Personal- und Verwaltungskosten gesprochen haben, die eine Umstrukturierung “Pro-Reli” mit sich bringt bzw. der Stadt und damit ihren Bürgern weg nimmt. Bürger übrigens, die sich nicht zwingend zur christlichen Lehre bekennen und diesen Volksentscheid trotzdem mitfinanzieren müssen. Zum Beispiel meine Wenigkeit. Weshalb ich erstens wählen gehe und zweitens, wie Eingangs erwähnt, mit “nein” stimmen werde.
Wem diese Argumente zu sachlich sind: hier noch der offzielle Pro Reli Song (aus dem Netz gefischt von @mathiasrichel).
Kommentare 3
Zu diesem Thema habe ich mich schon vor einigen Wochen geäußert, zu dieser Zeit war auch Frau Nick noch ein glühender Verfechter.
Das Hauptproblem in diesem Komplex sehe ich in der Entmündigung der Kinder und Jugendlichen, denn wer entscheidet denn am Sonntag? Niemand der zwischen Den Fächer wählen müßte. Eltern, Großeltern, Nichteltern, Kinderfeinde, Kinderfreunde, Kinderschänder, alle diese sind stimmberechtigt. Nur die Betroffenen nicht. Egal ob dafür oder dagegen.
Die Pro-Reli-Propaganda ist wie schon mehrfach nachgewiesen wurde demagogisch und verlogen. Jedes Mittel scheint recht zu seien, anderen den eigenen Willen aufzuzwingen.
Wie bei allen anderen Verbotskampangen( Alkohol, Sex, Drogen, Waffen usw.) der letzten Jahre werden in unserem Namen von Populisten nach Lust und Laune von Medien geforderte Verbote in Kraft gesetzt. In meinen Augen sind dort Leute am Werk, die ihre eigenen Kinder nicht erziehen können, und um sich durchzusetzen gerne staatlichen Zwang sehen.
Da sich ihr Glaube nicht rein logisch, in ihre Kinder hineinversetzt, brauchen sie halt staatlichen Zwang um ihren Glauben in ihre Kinder zu drängen. Alles im Namen der Freiheit. Im Namen der Freiheit nehmen sie ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln die Glaubensfreiheit.
Die einzigen, die ich im Rahmen dieser Kampange lobend hervorheben möchte sind die Werbefachleute von Pro Reli. Sie verstehen es geschickt, die wahren Sachverhalte zu verschleiern, und der Allgemeinheit ein gefährliches Produkt als den heiligen Gral zu verkaufen.
Wie erfolgreich sie dabei sind wird sich am Sonntag zeigen.
Hi Nuntius,
wie beschrieben, sehe auch ich einige kritikwürdige Punkte in der Kampagne, wobei die Entmündigung der Jugendlichen vordergründig nicht dazu zählt. Immerhin dürften, bei einem Erfolg der Abstimmung, die betroffenen Jugendlichen (oder deren ohnehin einflussreichen Einflüsterer) bestimmen, ob Ethik oder Religion besucht wird. Dass die christlichen Ziele der Aktivisten darüberhinaus gehen könnten, bleibt unbestritten.
In einer Realisierung von Pro Reli bleibt zu befürchten, dass ein Trojanisches Pferd, das, erst einmal zurück auf der bildungspolitischen Agenda ist ... der Vergleich ist dann vielleicht doch zu martialistisch. Übrigens ebenso wie der mit den genannten Verboten von Alkohol, Sex, Drogen, Waffen. Hier lässt sich für mich in dieser undifferenzierten Pauschalität nur schwer ein Zusammenhang erkennen, sorry dafür.
Jedenfalls bin ich für die Religionsfreiheit, was aber auch bedeuten sollte, dass der Staat als gutes Beispiel voran geht und nicht (wie übrigens sowieso schon viel zu weit verbreitet) eine Religion auf Kosten der Staatskasse besser stellt bzw. sich mit dieser einen auch noch ungeniert verbrüdert (vorausgesetzte Kirchensteuer, staatlich bezahlte Bischöfe und eben Religionsunterricht).
Da ich selbst in der Werbe- und Marketingbranche unterwegs bin, sehe ich übrigens noch zwei Schwierigkeiten in diesem "Wahlkampf". Erstens argumentieren beide Seiten auf dieselbe Art und Weise - inkl. Wortwahl - was den unvorbereiteten/uninformierten Bürger noch manipulierbarer macht. Zweitens finde ich es grenzwertig (von den Geldgebern, den Werbern, den Prominenten), wenn die Popularität ausgewiesener Meinungsbildner und Vorbilder wie Günther Jauch und Arne Friedrich einmal nicht für Krombacher oder Nutella sondern für den Lehrplan benutzt (bezahlt?) wird. Die tatsächlich notwendige Debatte über das Für und Wider mit einer wirklich inhaltlichen Auseinandersetzung gerät so zu einer Bagatelle.
Nichts gegen den Regenwald oder die Nationalmannschaft - doch die Kauf- bzw. in diesem Fall die politische Entscheidung am Sonntag, wirkt dann doch etwas nachhaltiger ... So oder so.
Hallo bastiankbx,
Ich sehe in der Entmündigung der Jugendlichen ein großes Problem. Heute treffen Eltern in der Grundschule die Entscheidung ob ihr Kind am freiwilligen Unterricht teilnimmt. Später kann sich der Jugendliche, je nach Grad der Emanzipation von den Eltern(oder deren Toleranz), entscheiden ob er aus religiösem Glauben, Interesse, Gewohnheit oder Langeweile hingeht oder zu Hause bleibt.
Diese "Freiheit" wird den Jugendlichen genommen. Wahlpflicht, nicht Freiheit. Zensuren und Abschlußrelevanz heben die Freiheit auf, und erinnern mich ganz stark an Staatsbürgerkundeunterricht in der DDR. Tausche Überzeugungen gegen Bewertungen. Buhlen dann der Religionslehrer und der Ethiklehrer um die meisten Schüler?
Zu den Verbotsarien, die Mediengesteuert in den letzten Jahren gelaufen sind. Alkoholverbot für Jugendliche, Verbot von Flatrat Partys, Steuererhöhung für Alkopops, Zutrittsregelungen zu Veranstaltungen(Alter). Alle Medienwirksam inzeniert zu Parteizwecken durchgeführt. Nicht durch Arbeit von Familien und Gesellschaft den Jugenlichen einen verantwortungsbewußten Umgang mit ihrem Leben vermittelt, sondern den Familien und Jugendlichen die Verantwortung entzogen. Wirkung nicht mal null sondern negativ, laut Krankenkassen ist die Anzahl der mit Alkoholvergiftungen eingelieferten Jugendlichen um 50% gestiegen.
So unvorstellbar und Grausam diese Amokläufe an Schulen sind, endet doch jeder in der gleichen politischen Diskussion. Verbot von bestimmten Computerspielen rettet Leben. Ich bin kein Fan dieser Spiele, aber sämtliche andere Ursachen werden damit gedeckelt, bzw. nicht nach ihnen gesucht. Die conterstrike Disk hat Erfurt erlöst, die Sexvideos in Winniden die Frage nach den Eltern verschleiert.
Das Gesetz zum Kinderschutz, das zum Glück scheiterte, regelte die Beziehungen Jugendlicher bis in das kleinste Detail. Dort erfüllten schon gemeinsame Kinobesuche Straftatbestände.
Der äußerst profitable illegale Weltdrogenmarkt existiert nur, weil bestimmte Drogen für illegal erklärt werden. Während andere legal sind. Ohne die erklärte Illegalität gäbe es keine kriminellen Vertriebs-und Beschaffungswege, und warscheinlich auch keinen internationalen Terrorismus. Aber wer will das schon.
Sportschützen und illegale Waffen? man könnte viele Beispiele anführen, und in meinen Augen gehört halt auch Pro Reli dazu.