Die stärkste Kraft des Widerstands

Ja-Sagen Fluxus-Künstler Bazon Brock beschäftigt sich seit den 60er Jahren mit der 150-prozentigen Affirmation – und wie man mit ihr das System lahmlegen kann
Ausgabe 12/2015
Bazon Brock in der von ihm gegründeten Denkerei am Oranienplatz in Berlin
Bazon Brock in der von ihm gegründeten Denkerei am Oranienplatz in Berlin

Foto: Sabet Stickforth/Imago

„Missstände bekämpft man mit der Strategie der affirmativen Praxis von Bazon Brock, der Revolution des Ja“, hieß in den 60er Jahren die Anleitung zur erfolgreichen Intervention ins politische und soziale Gefüge. Die Maxime selbst erfüllte ihre Behauptungen. Denn entgegen der jungstürmerischen Ansicht, man solle den Kapitalismus offensiv bekämpfen, hatte Marx behauptet, man müsse „den Verhältnissen ihre eigene Melodie vorspielen, um sie zum Tanzen zu bringen“. Marx übersetzte damit das Diktum von Francis Bacon: „Die Natur besiegt man nur, indem man ihre eigene Gesetze nutzt.“

„Unkraut vergeht nicht, aber es kann sich zu Tode wachsen“, so bewarb die Chemiefirma BASF Spezialprodukte für die Landwirtschaft. „Die chemischen Produkte erzielen eine eigenartige Wirkung. Wo sie verwendet werden, schonen sie die Kultur. Aber Unkraut regen sie zu einem schnellen, unkontrollierten Wachstum an.“ Also, die Strategie der Affirmation erzielt eine „eigenartige Wirkung“. Oder anders formuliert: Schlimmer Kapitalismus vergeht nicht, aber Kapitalisten tragen dazu bei, dass er sich zu Tode wächst.

Bazon Brock, Jahrgang 1936, ist Künstler, Kunstheoretiker und emeritierter Professor für Ästhetik an der Bergischen Universität Wuppertal. Er gilt als Vertreter der Fluxus-Bewegung, einer Form der Aktionskunst, die sich in den 60er Jahren gegen einen elitären Kunstbegriff richtete. Mehr unter: bazonbrock.de

Das war die „Revolution des Ja“. Die Strategie der affirmativen Praxis zielt auf die Aufhebung dessen, wozu man 150-prozentig Ja sagt. Wie so etwas im Alltag funktioniert, hatte Jaroslav Hašek mit der großartigen Figur des braven Soldaten Schwejk geschildert. Schwejks vermeintlich willfährige Befolgung von Befehlen war so raffiniert erdacht, dass sie am Ende zur Sabotage des Befohlenen führte.

Aufklärer im Tierkäfig

Die Affirmation ist also negativ gewichtet, weswegen wir uns als Künstler den schmückenden Beinamen „Neg-Affen“ gaben: Vermeintlich harmlos, aber oho! Deshalb beantragte ich 1963 beim damaligen Frankfurter Zoo-Direktor Bernhard Grzimek, mich in seine fabelhafte Sammlung von Primaten aufzunehmen. Leider überstieg das dessen Aufklärerverständnis. Erst nach der Zeitenwende 2000 erfüllte der Londoner Zoo unsere Forderung, Zoodirektoren und Zoobesucher müssten ihren Ordnungskriterien auch selber genügen und sich demnach als aufzuklärende Aufklärer neben den Menschenaffen als Schmuckstücke der Evolution im Tierkäfig präsentieren.

Das Prinzip der negativen Affirmation überformte langsam die herkömmlichen Vorstellungen von erfolgreichem Widerstand. Selbst Gewerkschaften und Medien verstanden die Strategie anzuwenden. Höhepunkt der Affirmationsstrategie war der „Dienst nach Vorschrift“ durch die Luftsicherheitsbeamten, die ja laut Gesetz nicht streiken durften. Sie konnten aber in allen Instanzen glaubhaft machen, dass gerade in Arbeitsfeldern wie der Luftsicherheit allerhöchste Akkuratesse zu gelten habe, weshalb für die Aufsicht eben strengste Vorschriften erlassen worden seien.

Es leuchtet aber jedermann ein, dass die buchbuchstäbliche und wortwörtliche Befolgung von Vorschriften einen Zeitaufwand verlangte, der die Ausführung des Dienstes durch die Interpretation der Dienstvorschriften ersetzen würde. Also bedeutete 150-prozentige Zustimmung zu den Vorschriften zur Sicherung des Luftverkehrs die Sabotage des Dienstes. 150-prozentige Befolgung deshalb, weil es nicht reicht, sich über die Bedeutung der einzelnen Aspekte der Vorschrift zu verständigen, sondern auch die Erörterung der Bedingung der Möglichkeit einzubeziehen. Dann gibt es eben kein Halten mehr, wie jedes philosophische Seminar bei Textlektüre oder jede unterschiedliche Auslegung von vermeintlich eindeutigen Gesetzen durch Richter verschiedener Instanzen beweist.

Analog dazu sabotierten 1971 10.000 Frauen die ordnungsgemäße formaljuristische Verurteilung von einzelnen Fällen der Abtreibung nach dem damaligen § 218 StGB, indem sie sich, organisiert durch den Stern, selbst der inkriminierten Tat ganz offen bezichtigten. Das war negative Affirmation vom Intelligentesten – mit denkbar größter Wirkung.

Negation der Negation

Es ist ein schöner Treppenwitz zur Philosophie der Tat, dass ausgerechnet der von den Linken beanspruchte Großaufklärer Herbert Marcuse Affirmation als platte „Zustimmung“ definierte. Mein Gott, Herbert! Affirmation bezeichnet jenes Resultat von Widerstand, das zum neuen Ausgangspunkt von Widerstand genommen wird. Erstsemester beten seit Hegels Zeiten: Position – Negation – Negation der Negation – das ist gleich Affirmation, also der neue Ausgangspunkt für weitere Negation.

Damals im Kalten Krieg das beste Beispiel: Die vorhandenen Raketen negierte der Feind durch Bau von Antiraketen, die man selbst dann wieder durch Antiantiraketen unschädlich zu machen versuchte. Weil man nicht endlos mit Antiantianti fortfahren kann, affirmiert man die Negation der Negation aber als neue Position. So einfach und jeder kann sich’s merkeln. Dafür reicht’s doch immer noch, oder?

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