Europas postkolonialistische Arroganz

Zwischen Hegemonie&Agonie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - Werte, derer sich das Konstrukt der Europäischen Union bedient. Doch Europas Glanz wirft auch Schatten über seine Geflüchteten.

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Die Flüchtlingsdebatte ist besonders in Europa deutlich angestachelt, schlagen verschiedene Vorfälle wie die vergangenen Raub-und Sexualdelikte am Kölner Hauptbahnhof oder die Ungebremsheit terroristischer Gefahren in europäischen Großstädten Richtungen ein, die in erster Linie die Geflüchteten als eine stigmatisierte Unität diskreditieren. Dabei wirft die unebene Oberfläche des Flüchtlingsdiskurses Blasen auf, die vergessene oder verkommen geglaubte Eigenschaften des europäischen Wesens erkennen lassen. Es sind Eigenschaften wie Arroganz und Hochmut, die durch ansteigendem Unbehagen oder gar Angst vor der Befremdlichkeit gegenüber den nun hier keimenden Orientkulturen zum Vorschein kommen. Überhebliche Blicke, die auf außereuropäische Riegen geworfen werden, sind genauso komplex in ihrem Ursprung, wie sie angesichts der normativen Position Europas als legitim und etabliert dünken.

So kann die einfache Kenntnis über den nationalen Hintergrund von Tätern die soziale Gewichtung der Straftat kurzum in einen Kollektivrahmen umschlagen lassen. Herkunft bedingt dann Art und Weise der persönlichen Urteilsfällung, hebt den Fokus von der Verwerflichkeit jener individuellen Handlung auf, um ihn auf eine spezifische Gruppe zu legen. Nach der Kölner Silvesternacht erlebte Deutschlands Gesellschafts- und Debattenlandschaft eben genau dieses Phänomen; dass die Täter von der Polizei kurze Zeit später als Asylbewerber mehrheitlich marokkanisch, tunesisch und irakischer Wurzeln identifiziert und medial bekannt gemacht wurden, erlegte dem gesamten Ereignis ein Odium auf, das die antipathische Distanz zur Minderheit nur weiter bestärkte. Die Tat wurde nicht mehr lediglich auf Grund der Handlung, sondern auch mit Blick auf in dem Fall eigentlich völlig irrelevanten Merkmalen wie den Herkunftsländern der Täter missbilligt. Was hierbei besonders auffällt, ist die extrem leichte Zugänglichkeit der Generalisierung, derer sich in letzter Zeit nicht wenige unterlegten.

Es besteht zwar ein Konnex bezüglich bestimmten Religionen und Nationalitäten, doch werden beide Komponente auch separat voneinander, durch verschiedene Hergänge und auf anderen Grundlagen, aber letzten Endes identisch stigmatisiert. Der Islam wird aus negativer Warte heraus oft mit einem beklemmenden Angstgefühl betrachtet, das europäische Empfinden gegenüber Kulturen aus Nordafrika oder dem Mittleren und Nahen Osten sind dagegen teilweise, und dann auch häufig vollkommen unbewusst, hochmütig konnotiert. Vor dem Islam fürchet man, von den fremden Kulturen grenzt man sich merklich ab. Auf beiden Fragmenten liegt von schablonisierenden Betrachtungsweisen aus die Tünche des Terrorismus, der Unterdrückung und dem damit verbundenen patriarchalischen System. Nur, dass die eine Seite mit Angst, die andere mit Hohn übersät wird.

Tatsächlich mag es augenscheinlich weitgegriffen wirken, aber noch immer ist unsere hiesige Gesellschaft bei gewissen Erscheinungsbildern von einheitlichen Vorstellungen gemengt mit bestimmten Implizitäten geprägt. Nordafrikanische junge Männer lösen im Durchschnitt sehr wahrscheinlich andere Empfindungen aus, als es deutsche täten. Mit schwingt dann wahrscheinlich nicht selten eine inhärente Assoziation von Bedrohlichkeit und gleichsamer Verkennung von Kultiviertheit, wie es beispielsweise das automatisch einsetzende, deplorable Unterschätzen beim Anblick von bedeckten oder verschleierten Muslimas tut. Menschen sind recht empfänglich für permanente Klischeeberieselungen, genauso wie sie im Denken und Fühlen beeinflussbar von suggestiven, mental geschaffenen Stereotypen sind.

Die Arroganz und Resonanz Europas geht neben den für eine moderne Hochkultur gemeinhin postulierten Werten wie Selbstverwirklichung, Demokratie und jedwede Freiheiten, durchaus auch mit ihrer Geschichte einher, die einen langwierigen Prozess für das Erlangen von Autorität und Souveränität des heutigen Europas und seinem politischen Organ, der Europäischen Union, bildet. Doch es wird beim Huldigen dieser Werte, für die sich Europa als Ergründer und Vertreter annimmt, selten in Betracht gezogen; während der letzten fünf Jahrhunderte schmückte Europa die Welt nicht nur mit Entwicklungsimpulsen, sondern begang weitreichende Humanitätsdelikte. Europa ermordete und erbeutete, okkupierte und annektierte bis vor knapp 75 Jahren noch massiv zu Gunsten von imperialistischen Machttrieben und auf Kosten von vertriebenen und zur Unterwerfung genötigten Menschen. Führte gar in den sogenannten Völkerschaus aus Afrika stammende Menschen nahezu wie Tiere dem dicht hinter den Absperrungen sitzenden, weiß-europäischen Publikum vor.

Dennoch und womöglich auch deswegen, misst sich Europa noch heute ein Erziehen und Beherrschen fremder Zugezogener bei. Denn zivilisiertes und modernes Verständnis wird nicht selten auf direktem Wege mit europäischer Wertekultur in Verbindung gebracht, während außereuropäische und vor allem aus einst kolonisierten Ländern stammende Kulturen als reaktionäres und nach europäischen Standarts zu streben habendes, immerzu aufblickendes Lumpenproletariat rubriziert werden. Und das, wo doch Namen wie Chorasan, Bagdad oder Al-Andalus Inbegriff für Wissenschaft, Literatur und Kunst waren. Über 500 Jahre gedeihte die Blütezeit des Islam auf eine rapide und bis heute nachklingende Weise, brachte sie doch grundlegende Meilensteine wie Einführungen in die Heilkunden-Medizin durch Ibn Sina oder bahnbrechende mathematische Methoden wie den Algorithmus durch al-Chwarizmi hervor.

Man könnte meinen die Vergangenheit hat der Gegenwart in dieser Hinsicht kein Gepräge verliehen, vor allem aber keines in eurozentristischer Aufassung. Dies wirkt sich dieser Tage durch und auf die Flüchtlinge Europas aus, insbesondere jene, die aus Nordafrika oder dem Nahen Osten stammen. Denn das Maß an Machtverfall, Not und politisch-wirtschaftlicher Agonie in besagten Gebieten, steht zweifellos auch in Korrelation mit dem kollektiven Spüren der Hegemonie und der Intensität eurozentrischen Gedankenguts. Je größer das Leid und je bedürftiger die geflüchteten Menschen, desto unbändigere Dimensionen nimmt der strenge Blick und das zurechtweisende Wort unserer Industriestaatengesellschaft gen notdürftiger Flüchtlinge an. Europa steht schließlich für innovatives, zivilisiertes Leben und schafft in vielen Köpfen das Bild eines unumstrittenen Zentrums für eine moderne und erstrebenswerte Vorzeigekultur, das nicht minder aus eben jenem kolonialistisch geprägten Komplex von autonomer Macht über bedeutungslos Geltenden fruchtet. Die alten Rollen von Kolonialmacht und Kolonialisierten ist auch nahezu 80 Jahre später nicht vollständig verwischt, wenn nicht sogar erneut durch die Rollen des großzügig Gebenden und verzweifelt Erbittenden heraufbeschwört worden.

So werden zum Beispiel grundlegende und ohnehin selbstverständliche Prämisse wie die Spracherlernung oder die Gesetzesachtung mit einer doch sehr überflüssigen Strenge von Seiten der europäischen Seite gefordert, die von vornherein gestimmte Zweifel am Gelingen oder der Achtung dieser manifestieren. Für einen friedlichen und doch effektiven Dialog sind auch Eingeständnisse und Veränderungen Europas unumgänglich, genauso wie die volle Integration der Geflüchteten als Unumgänglichkeit akzeptiert wird. Die Rolle des erhabenen Erziehers, der den geflüchteten Menschen Anstand und Benehmen zu lehren sucht, muss abgelegt werden. Es muss vielmehr begonnen werden eben jene, wie mündige Einwohner Europas auf Augenhöhe zu behandeln. Nicht nur um ihrer, sondern um unser aller willen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Büsra Delikaya

Studentin (Germanistik und Geschichte), Schreiberin, freie Journalistin

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