Ein Knopfdruck, und der Aufzug kommt. Ein anderer, und die Mikrowelle fängt an zu surren. Ein dritter: Musik erschallt aus der Lautsprecheranlage. Auch nur ein Knopfdruck: Töten und Getötetwerden. Drohnen machen das möglich. Im Rahmen des US-amerikanischen „Krieges gegen den Terror“ werden Menschen von Feinden getötet, die sie niemals zu Gesicht bekommen haben. „Per Fernauslöser wurden die Hellfire-Raketen gezündet und das Leben von 14 der 15 Insassen, allesamt Zivilisten, ausgelöscht.“ So beschreibt Emran Feroz in seinem Buch Tod per Knopfdruck einen Drohnenangriff auf einen Pick-up in Ost-Afghanistan 2013. Beteiligt daran sind ein paar Koordinatoren, einige wenige „Screener“, allesamt Teil einer Einheit des US-Militärs. Das Töten per Knopfdruck ist anders als das Töten auf dem Schlachtfeld, selbst wenn auch dort Distanzwaffen zum Einsatz kommen. Die Angreifer befinden sich sehr weit weg, auf einem anderen Kontinent vielleicht, „Tausende von Kilometern entfernt“, zum Beispiel in der Wüste Nevadas. Haben sie dieselben Gewissenskonflikte wie Soldaten, die in einer Schlacht töten? Ein Schuldbewusstsein? Solche Fragen liegen nahe, denn der Drohnenkrieg wirkt beinahe wie ein vernetztes Computerspiel. Nur, dass ein Teil der Mitspieler gar nicht weiß, dass er mitspielt. Und mehr als Punkte einbüßt oder einen Avatar verliert.
Oft ist es das eigene Leben, das man verliert, andere kostet ein Knopfdruck Gliedmaßen. Wer überlebt, tut dies, ohne jemals den Grund zu erfahren, warum er aus dem Nichts angegriffen, verletzt, verstümmelt wurde. Für die Angreifer haben die Opfer keine Gesichter, sie sind nur Zielobjekte. Meist sind es unklare Gestalten, auf die lasergelenkte Raketen von Drohnen mit einer Spannweite von 14, manchmal 8 Metern aus abgefeuert werden. Aber im wirklichen Leben sind es wirkliche Personen.
Aisha, ein afghanisches Mädchen, wird mit nur vier Jahren Opfer eines Drohnenangriffs, steht von jetzt auf gleich ohne Familie und mit entstelltem Gesicht da. Dieses „Gesicht hätte den Drohnenkrieg der Amerikaner endgültig enttarnt“, zitiert Feroz Aishas Onkel. Wenn es bekannt geworden wäre.
Entstellte Gesichter
Das entstellte Gesicht eines Mädchens gleichen Namens aus Afghanistan hingegen, dessen Ehemann ihr Nase und Ohren abschnitt, erlangte traurige Berühmtheit. Das Gesicht dieser Aisha diente dabei der US-Propaganda für jenen Drohnenkrieg, der das Gesicht der anderen Aisha für immer gezeichnet hat. Es verkaufte sich gut, das Antlitz fungierte als Symbol für etwas, das die USA selber geschaffen haben. Das Time Magazine zierte sein Cover mit der verstümmelten Afghanin. Neben den dunklen Augen und dem klaffenden Loch im Gesicht der jungen Frau prangte die reißerische Schlagzeile „Das passiert, wenn wir Afghanistan verlassen“.
„Durch das Titelbild sollte […] suggeriert werden, dass die unterdrückten Afghaninnen weiterhin auf die militärische Präsenz der NATO im Land angewiesen seien, um sie vor ihren wilden, bärtigen Männern zu beschützen“, schreibt Feroz. Der Journalist spricht in seinem Buch vieles aus, was man weiß, was von einigen gedacht, von anderen aber einfach abgetan wird. Aber vor allem klagt Feroz an: die Drohnenpolitik als Kriegsverbrechen, die USA als Hauptverantwortliche dieses Verbrechens, das Drohnenprogramm als „Todeskonstruktion“. Viele Opfer sind Unschuldige, Unbeteiligte.
Das, was in Afghanistan nicht erst seit Kurzem, sondern schon seit 2001 geschieht, prangert Feroz als Unrecht an. Was Tod per Knopfdruck so relevant macht, ist seine Besonnenheit. Der deutsch-afghanische Autor, der auch Initiator des „Drone Memorial“ ist, einer Liste aller Opfer militärischer Drohnenangriffe überall auf der Welt, geht mit analytischem Blick der Ursache, dem Ursprung und den Anfängen der Drohnenpolitik auf den Grund. Er fängt da an, nachzuforschen, wo die meisten bereits knöcheltief in der Meinungsplörre sitzen.
Das Buch ist aber keine Meinungslektüre, genauso wenig ist es ein bloßes Sachbuch. Es liest sich wie eine Dystopie und hinterlässt mehr Tatendrang als Wut, lässt beim Leser kein Feindbild eines „bösen Westens“ entstehen, sondern schlicht eine große und tiefe Ablehnung der US-Drohnenpolitik.
Feroz appelliert mit seinem Buch daran, Afghanistan nicht seinem Schicksal zu überlassen. Er fordert, Politiker wie Friedensnobelpreisträger Barack Obama nicht zu verklären, nicht zu bagatellisieren, dass der Ex-Präsident zum Tode vieler Zivilisten beitrug. Feroz schreibt gegen eine Haltung an, die so tut, als seien Menschen einfach „gestorben“, obwohl sie durch Gewalt umgekommen sind. Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren und binnen Sekunden zum Tode verurteilt wurden. Die Henker sitzen in Langley Falls oder im Pentagon, tragen Uniform. Sie genießen gesellschaftliches Ansehen. Sie nehmen unschuldige Menschenleben als Kollateralschaden in Kauf. „Die Vergangenheit hat viel zu oft deutlich gemacht, dass Lügen und das Verdecken von Kriegsverbrechen in Afghanistan zum Alltag gehören.“ Feroz schreibt, um aufzuklären. Sprachlich bleibt er nüchtern, schreibt weder zu prosaisch noch zu pathetisch. Zwischen Absätzen, die Drohnenangriffe schildern, sind Angehörige von Getöteten abgebildet.
Auch in Deutschland setzt dieses Buch ein Zeichen. Es sollte allen Politikern zum Lesen gegeben werden, die Afghanistan von Berlin aus als sicheres Herkunftsland deklarieren. Es sollte allen zum Lesen gegeben werden, die, wie die Rezensentin selbst, zwar wissen, was in Afghanistan passiert, aber erst aufhorchen, wenn sie die Namen der Toten und ihre Geschichten erfahren. Weil wir uns an Unrecht gewöhnt haben, genauso wie es die Menschen in Afghanistan seit langer Zeit tun müssen.
Info
Tod per Knopfdruck: Das wahre Ausmaß des US-Drohnen-Terrors oder Wie Mord zum Alltag werden konnte Emran Feroz Westend 2017 256 S., 18,00 €
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