Zugegeben, meine Leidenschaft begann untypisch. In der Vorschule war ich die Letzte, die das Lesen lernte, ich mühte mich im Deutsch-, Englisch- , und Türkischunterricht, nichts lag mir ferner, als ein Buch in die Hand zu nehmen, aber keine Sprache klang schöner als die deutsche, während ich nebenher mit Kurdisch und Türkisch aufwuchs.
Mein Interesse für die Literatur wurde Ende des ersten Schuljahrs geweckt. Entgegen aller Geringschätzung der Kompetenz von Lehrkräften, die in der aktuellen, von einem Spiegel-Artikel ausgelösten Debatte über die „Krise der Germanistik“ zur Sprache kommt, spielte bei mir der Deutschunterricht eine große Rolle. Die Förderung meiner Deutschlehrerin in der Grund- und später der Oberschule, mein Deutschlehrer in der Abiturzeit, dessen Faszination für Sprache und Ästhetik auf mich abfärbte; ohne sie hätte ich mein Germanistikstudium nicht angefangen.
In Neukölln
Dabei ist das nicht einmal die erste Pflicht eines Deutschlehrers. Kein Schüler muss für die deutsche Sprache begeistert werden, kein Lehrer kann begeistern, wenn er nicht selbst begeistert ist. So ist es nicht verwunderlich, dass viele GermanistikstudentInnen erst einmal eher orientierungslos wirken. Der Spiegel-Journalist und Germanist Martin Doerry leitete aus diesen Defiziten ein Totschlagargument gegen die gesamte Fachrichtung ab.
Ja, es stimmt, auch ich wurde im Lauf meines Studiums mit dem Typus des ahnungslosen Studenten konfrontiert, auch mir begegneten sie, die anstrengend fanatischen Literaturgroupies, die steifen Wagenlenker im affektierten „Sprachpanzer“, ebenjene, deren Sprache der Philosoph Richard David Precht abfällig als „arrogant-schnöselig“ schimpft (es gibt sie übrigens auch unter Geschichtsstudenten). Aber ich wehre mich gegen die Karikatur einer ganzen Fachrichtung.
Keine steile Karriere
Vergessen geht das unterschiedliche Niveau der Sozialisierung. Vielleicht bin ich dafür besonders sensibilisiert. Ich besuchte in Neukölln die Grundschule, mein schulisches und soziales Umfeld bestand fast ausschließlich aus Migranten. Was nicht heißt, sie hätten meine Sprachentwicklung negativ beeinflusst; sie haben aber die Dynamiken, mit denen diese wuchs, geprägt. Und so bereichernd die Diversität meines Umfelds war, so herausfordernd war sie für meine Sprachkompetenz.
Dadurch reifte mein Idealismus. Viel zu oft ist von einer brotlosen Kunst die Rede, auch in der aktuellen Debatte, und viel zu selten vom Idealismus. Und ich verstehe darunter nicht nur die Liebe zur Sprache, zur Sprachkunst. Durch Teildisziplinen wie Diskursanalyse und Textlinguistik wird das kritische Denken trainiert. Nicht selten verfügen Germanisten, wie andere Geisteswissenschaftler auch, über einen besonders sensiblen, auch analytischen Blick auf das, was man „Debatten“ nennt. Wir brauchen diese nüchternen Blickwinkel, und genauso brauchen wir die eloquenten, öffentlichen Stimmen, heute eines Albrecht Koschorke, damals eines Hans Mayer. Sie bereichern ja nicht nur den Kultur- und Literaturbetrieb, sie sind unentbehrlich in der Stammriege der kritischen Intellektuellen.
Nein, die Germanistik ist kein Studienfach, das eine steile Karriere verspricht. Sie verspricht anderes: die Gelegenheit, eine Leidenschaft zur Berufung zu machen, zum Beispiel – allen medialen Spottgedichten zum Trotz.
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