Niedergeschmettert

Auf der Diskursgeraden Freiheit für Christoph Marthaler

Wer jetzt in Zürich denken kann, ist niedergeschmettert". So hat es vor zwei Wochen in dieser Spalte gestanden. Ein niederschmetternder Satz für all jene, die durch die Absetzung von Christoph Marthaler als Schauspielhausdirektor in Zürich zwar aufgebracht, aber nicht niedergeschmettert worden sind. Ein symptomatischer Satz zugleich, weil er eine Aufgeregtheit signalisiert, wie politische Postulate sie heute kaum mehr zu erzeugen vermögen.

Wie einst im Mai schart sich das Kulturestablishment von Zürich seit zwei Wochen zum krawattierten Protest, wohlwollend assistiert von Beileidsbekundungen aus aller Theaterwelt. Alle sind sich einig, dass Marthalers Rauswurf durch den Verwaltungsrat des Zürcher Schauspielhauses ein Skandal sei. Dabei geht es nicht ohne Peinlichkeiten ab, etwa wenn Adolf Muschg äußert, dass er in Zürich seit 1969 (dem Rauswurf Peter Steins) nichts Vergleichbares erlebt habe.

Tatsächlich war es eine ganz andere Kulturszene, die sich im Herbst 1980 zum Sit-in vor dem Opernhaus traf und sich anschließend mit der Polizei prügelte. Umso überraschender mutet es an, dass selbst alternative Kreise heute in den mit Pathos aufgeladenen Protest einstimmen. Überraschend deshalb, trifft es sie doch zuerst, wenn die Subventionen für die großen Kunstetablissements aufgestockt werden.

Nichts Neues also. Wo immer ein skandalisierbares Kulturereignis sich abspielt, werden rituell die Gedanken zu zwei Diskursgeraden ausgerichtet, auf denen hier die Neinsager, da die Jasager sich sammeln und sich im Takt verlautbaren. Für überraschende Argumentationen oder dadaistische Querschläge bleibt dabei nur selten Raum. Darin gleichen sich die Marthaler-Proteste und die Debatte um Walser und Reich-Ranicki.

Hinter dem Vordergrund des Zürcher Kulturkampfs verblassen allerdings nicht allein globale Krisen, sondern auch originelle Fragestellungen. Die eine Seite macht finanzielle Sorge geltend, die andere unterschiebt ihr politische und ästhetische Zensur. Sogar Verschwörungstheorien schießen ins Kraut. Letztlich aber spielen sich beide Parteien nur Bälle zu, die längst im Offside rollen.

Der Clou an Marthalers Absetzung ist ein anderer. Ein Freund, Adi Blum, der in der freien Szene wirkt, hat es auf die unumstößliche Formulierung gebracht: Wir brauchen nicht ein 30-Millionen-Theater, sondern dreißig 1-Millionen-Theater!

Gerade die Person Marthalers gäbe vortrefflich Anstoß für grundlegenden Diskussionen über Sinn und Zweck der etablierten Bühnen. Wo diese unbeweglich wie Kolosse passiv auf ein Publikum warten - nicht selten vergeblich, wie die Eintrittszahlen nicht nur in Zürich belegen - könnten kleinere Einheiten aktiv ihr Publikum aufsuchen, auf dieses zugehen. Angesichts der permanenten Diversifikation im Bereich der individuellen Lustbarkeit wartet das Publikum heute lieber auf das Theater. Dieses reagiert auf die neuen Umstände, indem es an ungewöhnlichen Spielplätzen und mit überraschenden Spielformen agiert. So bliebe Theater noch immer ein gemeinschaftliches Ereignis, ein Anreiz zum Vergnügen wie zur Auseinandersetzung.

Die budgettechnisch motivierte Kritik an Marthaler, mehr steckt wohl nicht dahinter, weist darauf hin, dass die krampfhaften Versuche der großen Bühnen, ein "freies" Theater zu machen, also Alternative zu sich selbst zu sein, an Grenzen stößt. Das "freie" Theater nimmt sich vor allem die Freiheit, alternative Räume zu bespielen, wogegen das etablierte Theater von Plüsch und Cüplibar nicht loskommt. Ein Widerspruch, der heute auch das Publikum spaltet.

Dass alternative Wege zu großer Kunst führen können, hat nicht zuletzt Marthaler selbst bewiesen. Er kommt aus der freien Szene und hat sich auch als Intendant eines großen Hauses ein paar von deren Tugenden bewahrt: Teamgeist, Solidarität und bürokratische Widerspenstigkeit. Dafür gebührt ihm ein Kränzchen gewunden. Ob diese Tugenden allerdings für eine Intendanz ausreichen, darf durchaus kritisch hinterfragt werden.

Vielleicht hat der Verwaltungsrat des Zürcher Schauspielhauses ja intuitiv gespürt, dass die besagten Tugenden außerhalb des trägen Bühnen-Betriebs besser zur Geltung kommen könnten. Marthalers Absetzung wäre demnach der etwas unbeholfene Versuch, dem unbestritten großartigen Theatermenschen die Freiheit zurück zu geben. Befreit Christoph Marthaler und seine Crew also von der lästigen Pflicht, vom etablierten Theaterbetrieb! Stattet ihn mit einem Budget aus und lasst ihn machen, was und wo er will! Hoffentlich auch in Zürich.

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Geschrieben von

Beat Mazenauer

Autor, Literaturkritiker und Netzwerker.

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