Jüngst ist in der Neuen Zürcher Zeitung ein Text von Quim Monzó erschienen, die katalanische Sprache betreffend. "Man wüsste gern von mir, warum ich es vorziehe, auf Katalanisch zu schreiben, und Hand aufs Herz, ich weiß es selber nicht." Monzó, ohne Zweifel einer der Stars der gegenwärtigen katalanischen Literatur, versuchte dennoch, den Auftrag freundlich zu erfüllen, sein Beitrag indes gibt uns weit mehr Aufschluss über die Person des Autors als über seine Sprachwahl. Die rhetorische Frage am Ende: "Wie soll ich´s euch nur sagen, meine Herzallerliebsten?" verrät den literarischen Charmeur, der Monzó vor allem auch ist. Seine Geschichten, die meist an den gefährlichen Rändern des Alltäglichen spielen, umgarnen die Leser derart mit ihrer lakonischen Komik, dass sich die Frage nach ihrem Realitätsgehalt nicht mehr stellt. Monzós groteske Einfälle schmiegen sich sanft den alltäglichen Erfahrungen an, so dass sie eher das Ineinander von Absurdität und Alltag als deren Trennung signalisieren.
Ein typischer Monzó-Held ist beispielsweise der Literaturkritiker Collell aus der Erzählung Philologie. Von einer unbekannten Studentin am Telefon um ein Gespräch gebeten, willigt er wegen ihrer erotischen Stimme ein. Wie vereinbart wartet er in einem Café auf die Unbekannte, doch sie kommt und kommt nicht. Allmählich steigt Ärger in ihm hoch, der auch dann nicht mehr zu bändigen ist, als endlich vor ihm eine "betörende Schönheit" steht, die fragt, ob er der Gesuchte sei. Collell verleugnet sich und lässt sich aus lauter Groll "seine Träume entgehen". Dabei hätten sie beide "so glücklich sein können". Monzó liebt es, seine Leser mit sanften und doch überraschenden Volten zu verblüffen - wobei solche Volten tückischer- und für Monzó typischerweise oft darin bestehen, dass gerade nichts passiert. Umso höher hängt der Autor dafür die Titel seiner Bücher, die Namen tragen wie Das ganze Ausmaß der Tragödie, Die beste aller Welten, Der Grund der Dinge, Alles ist Lüge oder Die totale Wehrlosigkeit vor den fremden Feindesmächten. Zwischen grandioser Überschrift und zuweilen lächerlich trivialer Handlung tut sich eine befremdlich reizvolle Kluft auf.
Quim Monzó, 1952 in Barcelona geboren, debütierte 1976 mit dem Buch L´udol del griso al caire de les clavegueres, für das er gleich einen Preis erhielt. Zwei Jahre später erschien Uf, va dir ell ("Uff, sagte er") eine Erzählsammlung, die in dem unlängst auf Deutsch erschienenen Band 100 Geschichten mit enthalten ist. Vor allem in diesen frühen Jahren betätigte sich der Schriftsteller Monzó auch in angrenzenden Bereichen: als Karikaturist, Rockmusiktexter, Radiomacher, Journalist und Kriegsreporter (in Fernost, Afrika und Nordirland). Bis heute schreibt er immer wieder Aufsätze und Kolumnen für Zeitungen, für La Vanguardia und sporadisch für die Frankfurter Rundschau, welche teils auch in Buchform erschienen sind.
Insgesamt 22 Titel von Romanen, Erzählungen und Aufsatzbänden zählt das Werk, nicht eingerechnet die "ungebundenen" Miszellen und allem voran die zahlreichen Übersetzungen, die Monzó angefertigt hat, vornehmlich aus dem Englischen ins Katalanische. Die Liste der übersetzten Autoren liest sich - nebst Mary Shelley und Thomas Hardy - wie ein kleines Who is who der modernen amerikanischen Literatur, mit Namen wie Arthur Miller, Truman Capote, Robert Coover, J.D. Salinger, Ernest Hemingway (The sun also rises), Ray Bradbury (The Martian Chronicles), Donald Barthelme, John Barth oder Dorothy Parker. Seine eigenen Bücher sind in viele Sprachen übersetzt, etwa in Baskisch, Hebräisch oder natürlich Spanisch. Die Vertrautheit mit der amerikanischen Literatur mag das ihre dazu beitragen, dass sich Quim Monzó speziell als bestrickender Erzähler von Geschichten auszeichnet. Ihre Hundertzahl liegt nun vollständig in deutscher Übersetzung vor, was sechs integralen Erzählbänden entspricht, die zwischen 1976 und 2001 erschienen sind.
Das Boris Vian-Zitat, das der ersten Abteilung voransteht, kann als Motto für die ganze Sammlung gelten: "Eines Tages wird es etwas anderes geben als einen Tag." Viele Wünsche von Monzós Helden - lassen wir dieses Wort ruhig stehen - beinhalten eine solch absurde Simplizität. "Es war einer jener traurigen Abende, an denen man nicht weiß, was man mit sich anfangen soll, und sich schließlich an den Alltagskram klammert, wie Blumen gießen, Bücher auf dem obersten Regalbrett abstauben, Fingernägel schneiden ...", heißt es in Über die Wankelmütigkeit des menschlichen Geistes. Diese alltägliche Fadheit bewegt einen Mann dazu, ausgeschnittene Buchstaben aufzuessen, dann ganze Worte, bis er merkt, dass ihn diese sättigten. Abwechslung verschafft er sich mal mit Serifenschriften, mal mit kyrillischen Buchstaben. Allmählich aber nimmt dieses bescheidene, doch wankelmütige Glück ein Ende, "gottlob" aber spürt der Mann schon "ein wachsendes Interesse an Miniaturschiffen". Nichts weiter.
So und ähnlich funktionieren Monzós Erzählungen. Ein nichtswürdiges Ereignis verändert einen nichtswürdigen Alltag: "Was es drüber hinaus geben soll, weiß ich nicht", steht an anderer Stelle. Auf immer wieder verblüffende Weise erzählt Monzó vom Leben in seinen grotesk trivialen Dimensionen, wenn sich Phantasie und Wirklichkeit in die Quere kommen und einander kurzschließen. Was soll´s, wenn vier Herumhänger anstatt der Bank die Fleischerei daneben überfallen (Underworld). Mit einem Gelächter bitten sie um Entschuldigung und fahren wieder nach Hause. Morgen ist auch noch ein Tag, zuerst gibt es Pommes und Omelette mit Artischocken.
Unausgesprochen steht am Ende solcher Geschichten ein Beckettsches "Es bleibt nichts mehr zu sagen". Monzó bleibt seinem lakonischen Stil unerschütterlich treu und verbeißt sich das Lachen hinter einer ernüchternden Nüchternheit. Er ist ein sehr genauer Beobachter. Was sich ungerührt lustig anhört, ist es im Grunde natürlich nicht. Hinter den Marotten verbergen sich Melodramen von bizarrer Rätselhaftigkeit, die sich in der Sammlung von hundert Geschichten zu einem närrischen, grotesken Trauerzug formieren, der durchsetzt ist mit brillanten, schillernden Kostbarkeiten. Beispielsweise Gegen halb eins. In einem nächtlichen Telefon-Dialog versuchen ein Mann und eine Frau ihre Beziehung zu klären, werden dabei aber immer wieder von ihren Ehepartnern gestört. Spontan weichen sie auf unverfängliche Sätze aus. Von wunderbar trister Komik ist auch die Erzählung Mein Bruder, der an einem Weihnachtstag beim Mittagessen unversehens stirbt. Doch die Familie ist nicht bereit, diesen Tod an diesem Tag einfach so hinzunehmen, weshalb sie darüber hinweg geht und so tut, als ob der Junge noch lebe. "Mir scheint, du hast zu viel getrunken, Toni", mahnt der Vater. Der Ich-Erzähler bringt den Toten zu Bett. Anderntags nimmt er ihn wieder auf, nach den Ferien bringt er ihn zur Schule: Toni war schon immer ein schweigsames Kind. So ergibt sich ein "kompliziertes gemeinsames Leben". Der Erzähler kümmert sich nur noch um seinen Bruder und opfert sich für die Illusion seiner Eltern - eine heroische Aufgabe, die ihm wenigstens erspart, wie er sagt, "mich auf Menschen einzulassen, und wirklich ich selbst sein zu müssen".
Monzó zeichnet - am kompaktesten vielleicht im Zyklus Guadalajara - das Bild einer zersprengten Gesellschaft, in der sich ewige Werte wie Liebe und Familie als Illusionen erweisen, die bloß noch rituell beschworen werden. Zwar eifern ihnen seine Helden und Antihelden beflissen nach, doch mit einer arglosen Illusionslosigkeit, die Monzós Stempel trägt. Hin und wieder beruhigen sie sich selbst im vergeblichen Versuch, "das Unvermeidliche zu vermeiden". Um zu wahrem Glück zu finden, erweisen sie sich meist aber "als Strategen von niedrigem Niveau", wie es in einer frühen Geschichte heißt.
Mit zu diesen Helden gehört unweigerlich auch der Dichter Borrell, der mit seinem schmalen Erstling Die Aktentasche auf Anhieb zu höchsten Ehren gelangt ist. Er wird darob so sehr in die Pflicht genommen, dass er kaum mehr zum Dichten kommt. Es war wie ein Komplott, "um ihn vom Schreiben abzuhalten". Als ihm schließlich mit 70, längst wird er als verblasster Bluffer gehandelt, auf dem Sterbebett nochmals eine Geschichte gelingt, gelangt diese über die Krankenschwester zu ihrem Liebhaber, der sie leicht umformuliert gleich in seinen neuen Erzählband mit aufnimmt.
Borrell und Monzó unterscheiden sich mit Entschiedenheit, trotz ihres gemeinsamen Berufes. Allein die Fülle des Werks markiert die Differenz. So brauchen wir um Quim Monzó glücklicherweise keine Angst zu haben. Als Geschichtenerzähler ist er ein Stratege von allerhöchstem Niveau.
Quim Monzó: 100 Geschichten. Aus dem Katalanischen von Monika Lübcke. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2007. 794 S., 25 EUR
Webseiten:
http://www.monzo.info
http://www.uoc.edu/lletra/noms/qmonzo/index.html (Porträt von Manel Ollé)
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