Der Drehbuchautor Gilles liebt Cathy. Doch Cathy, liebt sie auch Gilles? Er ist sich dessen nicht mehr sicher. Seit einiger Zeit scheint sie sich ihm zu entziehen. Ihre Liebe scheint ihm "in den Sackgassen der Konjunktive gelandet". Nur seine Eifersucht tickt und hält ihn wach. Gilles wirkt wie "eine Hülle, vollgepumpt mit Ängsten, Paranoia, Sehnsucht, krankhafter Eifersucht, am Leben gehalten von diesem Herzschlag, der immer schneller wurde, wenn sie sich küssten." Nun liegt Cathy neben ihm - unter ihm, das Gesicht tief im Kissen verborgen.
Zu zweit nehmen sie eine Auszeit an der Côte d´Azur, um ihre Beziehung zu klären. Gleichzeitig versucht sich Gilles an einem heiklen Drehbuchauftrag, der mit seiner eigenen Eifersucht auf gefährliche Weise korrespondiert. Der Film soll von einer wahren Tragödie handeln.
Und die ging so: Im Sommer 2003 erschlug der Rocksänger Bertrand Cantat im Drogen- und Eifersuchtsrausch seine Geliebte, die Schauspielerin Marie Trintignant (Freitag 33/2003). Danach telefonierte er neben ihr die halbe Nacht durch, im Glauben, sie schlafe bloß. Eine große Liebe endete so in einer Katastrophe. Indem Gilles nun dieser Katastrophe nachspürt, befragt er auch sein Vertrauen gegenüber Cathy. Doch die Unbegreiflichkeit jener Tat blockiert ihn in seinem Grübeln.
Nachdem Cantat in U-Haft einen Selbstmordversuch unternahm, wurde er wegen Totschlags verurteilt, 2007 war er wegen guter Führung vorzeitig frei gekommen. "Er hatte Marie geliebt", antwortet sich Gilles in einem eingebildeten Verhör: "Er liebt sie noch. Ich weiß, dass Marie nicht mehr da ist, hat er im Prozess gesagt, und ich weiß, dass ich das nicht ändern kann." In dieser Aussage steckt das Ausmaß des Dramas.
"O Gott, erhöre mich bitte / Du musst mich nüchtern machen" - sang Cantat mit seiner Band Noir Désir im Sober Song: "Ich war der König, doch die Nacht regierte über mich". Der begnadete Musiker Cantat und die umschwärmte Schauspielerin Trintignant waren ein Paar wie aus dem Märchen, auch wenn beide bereits Ehen hinter sich hatten und keine Backfische mehr waren. Ihre Tragödie ist für Gilles eine dankbare Vorlage. Seinem Freund Costello, der auf Gilles Bitte hin auch an die Côte d´Azur reist, wirft er vor, er habe mit Cathy ein Verhältnis gehabt, früher einst. Die eine Eifersucht stachelt die andere an. In Gilles´ Gedankentextur gerät diese Parallelaktion furchtbar durcheinander.
Der 1968 in München geborene Schriftsteller Albert Ostermaier lässt seinen Roman auf mehreren Ebenen spielen, um ihn in der Figur Gilles gleichsam implodieren zu lassen. Gilles ist Herr über das Drehbuch und zugleich sein Opfer. Er recherchiert und sinniert, er versucht sich parallel an zwei Stoffen: dem historischen Drama und der eigenen Beziehungskrise. Dabei entgleitet ihm beides. Die Erzählstimmen verschwimmen. Die Ebenen überkreuzen sich, vermischen sich mit schwarzen Filmsequenzen aus der Erinnerung oder mit dem Mythos von Zephyr, dem Westwind, der den geliebten Jüngling Hyakinthos aus Eifersucht tötete.
In ihrem Zimmer schläft Cathy - oder hat Gilles sie erstickt? Costello ist über eine Klippe ins Meer hinaus gerast - weshalb aber steht das Auto noch vor dem Haus? Was verschweigt uns dieser Text? In Zephyr geht es um die Frage, wieviel Kontrolle und Wahnsinn die Liebe erträgt, und wieviel Nüchternheit das Glück bedarf. In diesem leidenschaftlichen Text, der in unterschiedlichsten Erzählformen vorwärts drängt, gerät Gilles - und mit ihm der Leser - in kreiselnde Turbulenzen, die keine klaren Antworten mehr erlauben. Der Roman als Ganzes kann sich dieser Dynamik nicht entziehen. So schillernd und couragiert der Versuch anmutet, die Liebestragödie um Cantat und Trintignant als Vorlage für eine persönliche Selbstbefragung zu nutzen, so aufgekratzt mutwillig wirkt dieses Unterfangen in vielen Passagen. "Es ist nicht einfach, dir zu folgen", wehrt sich Costello dem Freund gegenüber. Gilles´ Liebesmonolog gerät stellenweise ganz außer sich und gefällt sich in gekünstelt wirkender Emphase, die kein rechtes Verständnis beanspruchen kann - um augenblicklich wieder in intensive, nüchterne Beschreibungen umzuschlagen, in denen sich die Tiefe des Stoffes erahnen lässt, und eine Melancholie, wie sie in den eindringlichsten Songs von Noir Désir innewohnt.
Doch das Hin und Her reißt den Roman auseinander. "Das ist mir zu literarisch", sagt Costello bei anderer Gelegenheit zu Gilles. Damit trifft er unwillkürlich einen wunden Punkt. Zephyr ist literarisch auch im Sinn von konstruiert, uneigentlich, operettenhaft. Ostermaier gelingt es übers Ganze gesehen nicht, das Artifizielle der Romankonstruktion bruchlos aufzuheben. Vor allem die Erzählfiguren bleiben blaß und sich selbst fremd, allen voran der melancholische Polizeiinspektor, der Nachforschungen betreibt und dabei verzweifelt seine Rolle zwischen Clouseau und Columbo sucht. Albert Ostermaier hat mit diesem Buch ohne Zweifel viel gewagt, gewonnen hat er nur stellenweise. "Das Gleichgewicht ist brüchig", heißt es in einem Song von Noir Désir.
Albert Ostermaier Zephyr. Roman. Suhrkamp, Frankfurt 2008, 222 S., 17,80 EUR
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