Seit Monaten tobt in Russland ein Kampf um die Macht in den Medien. Der Kreml-Herr auf der einen, die Oligarchen Gusinski (»Media-Most«) und Beresowski (ORT) auf der anderen Seite versuchen die Claims neu abzustecken. Bei dieser Gelegenheit werfen sich beide Parteien als Verteidiger der Meinungsfreiheit in Pose. Russische Verhältnisse verstehe, wer kann. Ob es nun gerade der »Kultautor« Viktor Pelewin ist, der ein tieferes Verständnis davon zu vermitteln vermag, bleibt auch nach der Lektüre seines jüngsten Romans Generation P fraglich. Was dieses umwerfend spritzige, bitterböse Buch aber immerhin demonstriert, ist, dass in Russland zurzeit alles einem Schwindel unterliegt.
Pelewin liebt seit je her das Spiel mit dem Paradoxen. Seine nihilistischen Grotesken erzählen die russische Welt als potemkinsche Farce, in der alle Kategorien und Koordinaten durcheinandergeraten sind. Der Debütroman Omon hinterm Mond (deutsch 1994) beschrieb eine sowjetische Mondexpedition, die tatsächlich nur in einem Moskauer Studio für die Weltöffentlicht inszeniert wird. Das Leben der Insekten (deutsch 1997) entfaltete eine permanent sich wandelnde, rätselhafte Zwischensphäre, halb menschlich, halb tierisch, die unablässig die Vorstellungen von Wirklichkeit irritiert. In Buddhas kleiner Finger (deutsch 1999) schließlich trieb Pelewin sein Verwirrspiel auf die Spitze, indem er die Grenzen zwischen Geschichte und Gegenwart, Wirklichkeit und Mythos vollends aufhob: Pustota träumt sich, wie er träumt, wie er träumt ... ohne Halt.
Das Wichtigste sei, schrieb Jewgenj Samjatin einmal, dass nicht gesinnungstreue Vollzugsbeamte »wahre Literatur« machten, sondern »Tollköpfe, Eremiten, Ketzer, Träumer, Rebellen und Skeptiker«. Einige dieser Attribute treffen auf Pelewin zu. Seine sarkastischen Hiebe werden jedenfalls in Russland verstanden: von den einen geliebt, bei den andern berüchtigt.
Der Roman Generation P schreibt die Absurdität fort und aktualisiert sie, indem er auch die russische Identität zur Debatte stellt. »Wir machen eigentlich gar nichts selber, außer das große Geld.« So lautet einer der Leitsätze, der das Dilemma auf den Punkt bringt. Die einstige Weltmacht ist heruntergekommen, ihr Reichtum errechnet sich scheinbar bloß noch aus den virtuellen Bilanzen der monetaristischen Vernunft. Das »P«, das eine ganze Generation geprägt hat, steht hierbei für Pepsi, das - Ende der siebziger Jahre lizenziert -bei der sowjetischen Jugend als Projektionsfläche für alle Konsumwünsche galt und zugleich als einzige Wahrheit (»wie Breshnew«). Pepsi war hip, solange nicht Coke diese Jugend in Versuchung führte.
Babilen Tatarski ist einer aus dieser Generation, den die Umwälzung zum Getränkepluralismus am Ende der Sowjetepoche aus der Bahn wirft. Statt sich weiter am Literaturinstitut mit »Nachdichtungen aus den Sprachen der Völker der UdSSR« abzumühen, klinkt er aus, verdingt sich erst als Kioskverkäufer und wagt sich danach als Copywriter auf den freien Werbemarkt. Was sich zaghaft anlässt, nimmt unverhofft eine scharfe Wende in Richtung schwindelnder Karriere, als er von Leonid Asadowski zu sich gerufen wird.
Die Werbeindustrie boomt, weil all die importierten Güter an den Konsumenten gebracht werden müssen. Tatarski ist ein Meister darin, ausländische Marketingkonzepte mit zynischem Witz an russische Verhältnisse anzupassen. Doch in ihm steckt, getreu seinem Namen, noch eine mächtigere Potenz: augenscheinlich steht er mit babylonischen Quellen in mysteriöser Zwiesprache. Als er in einem Esoterik-Shop eine spiritistische Schreibmaschine ersteht, diktiert ihm der Geist Che Guevaras sogleich einen hinreißend brillanten Essay über den »Homo zappiens«. Ihm zufolge geht der Mensch im Zeitalter der TV-Trophie gleichsam im Gerät seiner Begierde auf und hat als virtuelles Subjekt Anteil am televisorischen Kollektivbewusstsein. Polit-ökonomisch betrachtet ist sein Persönlichkeitsprofil in drei Identitätstypen repräsentiert: dem oralen, dem analen und dem verdrängten »Wow!-Typ« - wobei als identitätskonstitutiv das Verhältnis zum Mammon gilt: nach Geld strebend oder es wollüstig ausstoßend. Dieser mammon-fixierte und zynisch umworbene »Homo zappiens« ist das Kernstück der neuen Weltordnung, die insbesondere in Russland zu höchsten Blüten gelangt. In der »Transformation oraler in anale Identität« besteht der Sinn des Lebens.
Vom Zufall geleitet und und befreit von aller Moral erklimmt Babilen Tatarski die Stufenleiter im »Institut« von Asadowski, das sich bei näherem Besehen als Medienmoloch erweist, in dem Realität nicht vermittelt, sondern fürs Fernsehen überhaupt erst realisiert wird. Jelzin, Sjuganow oder Lebed sind allesamt nur virtuell gerenderte 3D-Geschöpfe. Für die täglichen TV-Nachrichten animiert, bezeugen sie der Welt am Bildschirm das strahlende Funktionieren der russischen Politik, die auch amerikanischen Vorstellungen von Demokratie genügt. Auf diese Weise erweckt die monetaristische Internationale im Homo zappiens ein gültiges Bild der Wirklichkeit. Pelewins virtueller Dreh ist bitterböse, doch der Verdacht, seine 3D-Puppenstube könnte mehr sein als nur Fantasterei, lässt sich angesichts der politischen Realität nicht so leicht abweisen.
Russland nach der Sintflut, keiner erzählt es so schlagend sarkastisch und grotesk zugespitzt wie Viktor Pelewin. Der anfänglich fast essayistisch wirkende Zugang zur Generation P weitet sich immer mehr ins Fabulierende und verschmilzt die Begriffe real und virtuell zusehends miteinander. Alles wirkt demnach in Russland kulissen- und schimärenhaft. Selbst die Legende vom seelenvollen alten Reich ist Teil des Systems, die mediale Macht wird von einer Geheimgesellschaft ausgeübt, die der babylonischen Göttin Ischtar huldigt.
Generation P ist ein virtuoser Roman, prall gefüllt mit hinreißend überspitzten Geschichten und Umschreibungen. So wird der Bodyguard zur »Schaltestelle des liberalen Modells in Ländern mit niedriger Jahresdurchschnittstemperatur«, zum »Limiter«, der den Monetarismus vor Angriffen schützt. Und der Tycoon Asadowski nennt seine postauratische Kunstästhetik »monetarischen Minimalismus«: Die teure Bilder-Kollektion wird bloß mittels Beschrieb, Preis und notarieller Bestätigung ausgestellt. »Man guckt sich so ein Bild einmal an, vielleicht noch ein zweites Mal, und dann? Hängt es einem zum Hals raus.« Am Ende freilich nützt ihm auch dies nichts. Asadowski wird abgelöst durch - Babilen, den allein schon der Name als neuen mystischen »Gatten« der Göttin Ischtar legitimiert.
So dreht sich die Welt stetig im Kreise. Im abschließenden Kapitel skizziert Pelewin gleich nochmals einen Strauß skurriler Geschichten, die zu erzählen er jedoch unterlässt. »Sta, viator! Think final!« dichtete Tatarski einst einen Werbspruch auf Tuborg-Bier. Er kann ebenfalls für dieses fantastische Buch gelten: verweile Leser und denk zuende!
Viktor Pelewin: Generation P. Roman. Aus dem Russ. v. Andreas Tretner. Verlag Volk und Welt, Berlin 2000. 326 S., 42 DM.
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