Eingefroren im Wüstensand

Westsahara Trotz recht geringer Erfolgsaussichten kümmern sich die Vereinten Nationen nachdrücklich um eine überfällige Entkolonialisierung
Ausgabe 28/2016
Mohamed Abdelaziz zu seiner Zeit als Präsident der Arabischen Republik Sahara
Mohamed Abdelaziz zu seiner Zeit als Präsident der Arabischen Republik Sahara

Foto: Farouk Batiche/AFP/Getty Images

Er war seit 1979 Generalsekretär der Befreiuungsorganisation Polisario und seit 1982 Präsident der von vielen Staaten anerkannten Demokratischen Arabischen Republik Sahara. Seit 1985 führte die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) Mohamed Abdelaziz als einen ihrer Vizepräsidenten. Er behielt dieses Mandat, als sich der Staatenbund 2002 in Afrikanische Union (AU) umbenannte. Als er nun am 5. März UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in dem auf algerischem Gebiet liegenden Flüchtlingscamp Boujdour empfing, war er bereits von schwerer Krankheit gezeichnet – er starb am 31. Mai. Wer über Mohamed Abdelaziz’ Vermächtnis schreibt, kommt nicht umhin, eine Reihe respektabler diplomatischer und juristischer Erfolge zu erwähnen. Immer ging es um das Existenzrecht des mittlerweile von 80 Ländern anerkannten Staates in den Grenzen der bis 1975 bestehenden spanischen Kolonie Westsahara. Sie wurde vor gut vier Jahrzehnten nicht den Sahrauis übergeben – ein Geheimdeal zwischen Marokko und Mauretanien bewirkte vielmehr, dass sich beide Länder das Gebiet im Verhältnis von eins zu zwei teilten.

Die wahren Fronten

Die Führung in Rabat demonstrierte seinerzeit ihren mutmaßlich historischen Anspruch auf die Westsahara mit einem an Mussolinis „Marsch auf Rom“ (1922) erinnernden „Grünen Marsch“. Geduldet von Spanien, das die Bevölkerung der nördlichen Westsahara vorsichtshalber evakuiert hatte, drangen im Oktober 1975 etwa eine halbe Million marokkanischer Zivilisten ungehindert über die Grenze vor. Ihr Aufzug vertuschte, dass zugleich marokkanisches Militär Posten der spanischen Armee übernahm. Dies stieß auf den Widerstand der 1973 gegründeten Polisario, die aus ihrer Sicht einen Befreiungskrieg führte, während Marokko von einem Bürgerkrieg sprach. 1979 schließlich verzichtete Mauretanien auf seine Ansprüche, so dass in den von dessen Streitkräften besetzten Gebieten seither „befreite Zonen“ existieren. 1991 kam es mit Marokko, vermittelt durch die UNO, zu einer Waffenruhe, die das Königreich bald zum Bau von Grenzbefestigungen nutzte, die mit der Berliner Mauer oder dem israelischen Grenzwall zur Westbank vergleichbar sind.

Bis heute hofft Marokko auf die internationale Anerkennung seiner Annexion, beutet die unter dem Wüstenboden lagernden Bodenschätze aus und forciert eine Besiedlung, die ebenfalls an das Verhalten Israels im Westjordanland erinnert. Demgegenüber haben UNO und Internationaler Gerichtshof stets das Recht der Sahrauis auf Selbstbestimmung bekräftigt. Rabat will ihnen höchstens regionale Autonomie zugestehen.

Dass in Nordwestafrika einer der vielen weltweit „eingefrorenen“ Konflikte existiert, ist nur zu verständlich, wenn man sich die Umstände vergegenwärtigt, die dazu geführt haben. Der Westen duldete die marokkanische Landnahme, weil Algerien einst wichtigster Regionalalliierter der Polisario war. Das Land galt 1975 zwar als „blockfrei“, war aber mit der Sowjetunion enger verbunden als mit dem Westen. So wurde angenommen, die Regierung in Algier wolle sich mit Hilfe der Polisario Zugang zum Atlantik verschaffen, obgleich es dazu an jedweder Infrastruktur fehlte.Inzwischen haben sich die Verhältnisse kolossal verändert. Algerien firmiert längst als Verbündeter des Westens im „Kampf gegen den Terror“.

Jüngste Gespräche von Ban Ki-moon in Algier sind als Versuch zu deuten, Lösungswege für die Westsahara zu erkunden. Marokko hat darauf mit großem Unmut reagiert, der noch wuchs, als auf Antrag der Demokratischen Arabischen Republik Sahara der Europäische Gerichtshof ein Handelsabkommen zwischen Marokko und der EU annullierte, das Agrarprodukte aus besetzten Westsahara-Gebieten einschloss. Saudi-Arabien, Qatar, Ägypten, Irak und – neuerdings – Libyen unterstützen die Position Rabats. Womit sich Frontlinien offenbaren, von denen die islamische Welt mehr gespalten wird als durch den medial vorgegaukelten Hader von Sunniten und Schiiten.

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