Kunstgewerbe

linksbündig Bei der Biennale in Venedig langweilte man sich

Dreams and conflicts: The Dictatorship of the viewer - Die Diktatur des Betrachters hieß der vielversprechende Titel, den sich Francesco Bonami, der diesjährige Kurator der 50. Biennale, geboren 1955 in Florenz, Senior-Kurator am Museum of Contempory Art in Chicago, ausgedacht hatte. Die Schwierigkeit, sich von seinem Vorgänger, dem Tycoon der Ausstellungsmacher, Harald Szeeman, der die Biennale gleich zweimal, nämlich 1999 und 2001 ausgerichtet hatte, abzusetzen, ist überdeutlich. Szeemann inszenierte die gigantischen Räume der Arsenale rhythmisch. Der Paukenschlag des australischen Künstlers Ron Mueck namens Crouching Boy, ein überdimensionaler Junge, der am Boden kauerte, ist noch in guter Erinnerung: eine realistische Figur, größer als ein Doppeldeckerbus, ein unübersehbares Fanal. Bonami dagegen lässt die Ausstellung in den Arsenalen von acht Kuratoren mit verschiedenen Themenbereichen bespielen. Ohne Zusammenhänge und Beziehungen zerhackten und zerstückelten sie die riesigen Räume und füllten sie dann mit ziemlichem Einheitsbrei.

Wer sich darin verläuft, für den gibt es keine Höhepunkte, keine Skandale, kaum Videos und wenig Fotografie. Der Betrachter ermattet rasch beim Anblick der vielen Basteleien. Bei Szeeman waren zwischen der Videoflut immer wieder Entdeckungen möglich, heuer wird dem Kunstforscher entweder bereits Bekanntes oder Uninteressantes geliefert. Unter Groß-Themen wie Individual Systems, The Structure of Survival oder Utopia-Station können so unterschiedliche Ansätze wie die Zahlenbilder von Roman Opalka und die Eskimozeichnungen von Juri Leiderman, kitschig unterlegt mit der Musik des fliegenden Holländers, verbraten werden. Die meisten Arbeiten sind schnell zu erfassen und verlangen keine besonderen Kenntnisse, um verstanden zu werden, es ist der Versuch, Kunst politisch leicht zu verpacken.

Ähnlich sieht es bei den Länderpavillons aus. Auch hier gibt es keine spektakulären Entdeckungen, keine Warteschlangen. Der deutsche Beitrag hinterlässt ein Gähnen und die Gewissheit, dass es kein gutes Prinzip ist, zwei Künstler zusammenzuspannen, die sich nichts zu sagen haben. Das an sich überlebte Prinzip Pavillon hat immer dann funktioniert, wenn der Kurator einem einzigen Künstler vertraut hat, ihn etwas machen ließ und nicht auf Nummer sicher gehen wollte und unter dem Motto "darf´s etwas mehr sein?" zur Sicherheit noch jemand dazu packte. Gregor Schneider mit seinem Haus Ur auf der Biennale 2001 war ein gelungenes Beispiel, wie auch Hans Haacke mit Germania 1993 und Josef Beuys mit der Straßenbahnhaltestelle von 1976.

Im Vergleich zu den anderen Ländern langweilt man sich, muss sich aber auch nicht ärgern wie über den kitschigen kanadischen Beitrag von Jana Sterbak, die ihrem Hund eine Videokamera anlegt und ihn durch kanadische Schneelandschaften jagen lässt, musikalisch untermalt mit den Goldberg-Variationen - reines Kunstgewerbe. Der australische Beitrag beschäftigt sich mit Genmanipulationen und macht das so plakativ, dass man sich wie in einem Horror-B-Picture vorkommt. Fred Wilson thematisiert sehr dekorativ im amerikanischen Pavillon die Unterdrückung der Schwarzen durch die weiße Kultur am Beispiel Venedigs - hübsch anzusehen nur leider überdeutlich. Chris Ofili repräsentiert England, er stellte seine bunte Dekorationsware in gut inszenierte Farbräume wie gewohnt auf Elefantendung, Kuhfladen sind ungeeignet dafür. Österreich, einst progressiver Vorreiter, hat sich diesmal einen ausländischen Kurator geholt, den Deutschen Kaspar König, der mit Bruno Gironkoli, geboren 1936 in Villach, einen unerklärlich tiefen Griff in die Mottenkiste getan hat. Gironcolis riesige Metallskulpturen, symbolisch aufgeladene, menschliche und organische Formen, haben uns heute nichts mehr zu sagen.

Das Prinzip der Länderpavillons funktioniert einfach nicht mehr. Was soll repräsentativ für die Kunst eines Landes sein? Die sich bewegenden Schattenmenschen in dem "israelischen Beitrag" von Michal Rovners Filmprojektionen sind sicher kein Beitrag über Israel heute. Sollen die bestehenden nationalen oder globalen Konflikte durch die jeweiligen Künstler reflektiert werden? Oder sind sie einfach nur Dekoration, bunt und pseudohip? Traut der Künstler dem Rezipienten nichts mehr zu? Ist der Betrachter grundsätzlich doof, dass man sich nur noch traut, ihm so eingängige Kunst-Kost vorzusetzen? Oder können vielleicht einfach nur die Kuratoren keine Kunst mehr sehen? Können Künstler überhaupt denken? Mit diesen Fragen verlässt man das an sich ganz schöne Venedig.

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