Ich bin’s. Die Dichterin war an der Stilisierung ihrer Person nicht ganz unbeteiligt
Foto: Barbara Pflaum/Imagno/dpa
Ingeborg Bachmann gilt als erfolgreich: 1953 war sie Gast bei der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf, wo ihr der Preis der Gruppe zuerkannt wurde. 1954 zierte sie als erste Schriftstellerin die Spiegel-Titelseite. Mit dem zweiten Gedichtband Anrufung des Großen Bären (1956) festigte sich ihr Ruhm. Die 1926 in Klagenfurt geborene Bachmann gilt als unkonventionell, scheu, divenhaft: Sie lebte in Italien zeitweise mit dem homosexuellen Hans Werner Henze. Ihre Lesungen bestritt sie mit leiser Stimme, ließ Handtasche oder Taschentücher fallen, wenn es ihr an Aufmerksamkeit mangelte.
In Liebesdingen gilt sie als glücklos: Die Wiener Beziehung zu Hans Weigel war kurz, die spannungsreiche zu Paul Celan materialisierte sich weit mehr in Texten als in der Welt. Auch ihre lä
n der Welt. Auch ihre längste, die zu Max Frisch, scheiterte. Überhaupt gilt sie als tragische Figur: Ihr Roman Malina jagte Marcel Reich-Ranicki derart Angst ein, dass er eine Besprechung zurückzog. Häufig krank, wie die 2017 erschienenen Notate Male oscuro zeigen, alkohol- und drogenabhängig, starb Bachmann nach einem Brandunfall einen Tod, über den viel spekuliert worden ist.Wir wissen das aus der rororo-Monografie von Hans Höller (1999), aus Andrea Stolls Biografie Der dunkle Glanz der Freiheit (2013), aus verstreut publizierten Erinnerungen und Korrespondenzen, aus Helmut Böttigers biografischer Teilstudie Wir sagen uns Dunkles (2017) zur Beziehung von Paul Celan und Ingeborg Bachmann. Nun ist die Biografie eine so beliebte wie heikle Gattung. Siegfried Kracauer brandmarkte sie 1930 in Die Biographie als neubürgerliche Kunstform. Mehr als ein halbes Jahrhundert später übte Pierre Bourdieu Kritik an der Vorstellung einer Lebensgeschichte als Abfolge intentionaler und signifikanter Akte, Die biographische Illusion heißt sein Werk. Zu der Frage, ob es eine neue Bachmann-Biografie braucht, gesellt sich also die methodologische Frage, wie man sie schreiben könnte.Ina Hartwig stellt sich dieser Frage klug und elegant. Die Frankfurter Kulturdezernentin, vorher als Literaturredakteurin der Frankfurter Rundschau und freie Kritikerin tätig, hat gemeinsam mit der Regisseurin Ruth Beckermann den Film Die Geträumten über Ingeborg Bachmann und Paul Celan realisiert. In Wer war Ingeborg Bachmann? Eine Biographie in Bruchstücken legt Hartwig, der Untertitel deutet es an, ein besonderes Exemplar der Gattung Biografie vor. Sie greift lebens- und werkgeschichtliche Kristallisationspunkte auf. Ihr Interesse gilt dem Mythos Bachmann, wie er sich durch das Werk, durch stilisierende oder interessengeleitete Selbst- und Fremdaussagen gebildet hat. Hartwig analysiert, aus welchen Zuschreibungen und Abbildungen sich ein Bild verfestigte, das nicht ohne Zutun Bachmanns entstanden wäre, die ihre Karriere zeitweise planvoll vorantrieb. Durch Hartwigs Methode wird sie aus ihrem Mythos wieder ein Stück weit befreit: Wir sehen sie nicht in ihrer Opferrolle, sondern als eine ihr Leben gestaltende Person, die ihrer Zeit oft voraus war.Orgie und HeilungDer Band beginnt mit Bachmanns Ende, den Todesumständen und den konkurrierenden Sichtweisen auf den Tod der Schriftstellerin. Es ist fesselnd zu verfolgen, wie Hartwig dafür mit Ruth Beckermann das römische Ospedale Sant’Eugenio aufsucht, wo Bachmann nach ihrem Brandunfall behandelt wurde, „eine Bühne, auf der hintereinander und teilweise auch durcheinander die Familienmitglieder, Freunde und Freundinnen, die sich zum Teil nicht leiden können, und verschiedene Ärzte auftreten“.Indem miterzählt wird, wie Beckermann wegen nicht genehmigten Filmens festgenommen wird, und wie Hartwig ihre Vorstellungen vom Tod Bachmanns im Lauf der Recherchen revidiert, treten Vergangenheit und Gegenwart schärfer hervor und greifen doch ineinander. Die historische Bedingtheit im Erzählen einer Biografie wird transparent.Zwischen der (Literatur-)Geschichte und Gegenwart wandernd, nimmt Hartwig weitere Orte und Geschehnisse in den Blick: die Begegnung mit dem Dichter Paul Celan, die durch die Veröffentlichung des Briefwechsels Herzzeit (2008) in ein anderes Licht gerückt ist, ihre Berliner Jahre, ihre erotisch aufgeladene Ägyptenreise mit Adolf Opel, um nur einige dieser Schlaglichter zu nennen.Das besonders eindrucksvolle Kapitel Berlin, Germany beschreibt das damalige Westberlin, ähnlich wie das römische Krankenhaus, als Bühne: Nach dem Mauerbau im August 1961 realisieren die Amerikaner ihren Plan, die Stadt „zu einem Bollwerk der Freiheit, Demokratie und Kunst gegen den kommunistischen Osten“ zu machen. Von der Ford Foundation floss viel Geld in kulturelle Einrichtungen und in Künstlerstipendien, eines davon, ein Jahresstipendium, dotiert mit 60.000 Mark, ging an Bachmann. In dieser Stadt spielt sich ein tendenziell dramatischer Lebensabschnitt ab: Bachmann ist oft einsam, verbringt längere Zeit in einer Klinik, wohl aufgrund ihrer Alkohol- und Tablettensucht in Verbindung mit einer Depression. Mit der Büchner-Preis-Rede Ein Ort für Zufälle, einem, wie Hartwig meint, Schlüsseltext „auf der biografischen Schwelle zwischen Krise und Neuanfang“, arbeitet die Biografin heraus, wie Bachmann die Erfahrungen der Berliner Zeit in poetische Rede transformiert. Im Wechsel von atmosphärischen zu analytischen Passagen zeigt sich eine weitere Stärke des Bandes, der in seinen werkinterpretatorischen Abschnitten stets den Transformationsprozess der Literatur betont und verdeutlicht, dass Bachmanns Werk nicht im Leben aufgeht, das sich mal schwierig und schmerzhaft, dann wieder frei und unkonventionell gestaltet, was sich im Ägyptenkapitel „Orgie und Heilung“ zeigt.Der Verzicht auf eine chronologische Erzählordnung unterstreicht das Zufällige, Kontingente eines Lebens, umso mehr, als die Autorin auch ihren eigenen Blick und interpretatorischen Gestus stets benennt. Die Essays verschleiern weder die Bedingungen ihrer Entstehung noch ihre Konstruktion. Indem sie, das Bild Bachmanns und das eigene Schreiben betreffend, doppelt reflexiv sind und auf Interpretationsspielräume und Leerstellen deuten, die trotz aller Detailgenauigkeit der Recherche bleiben, ist eine Offenheit des Leserblicks nicht nur möglich, sondern nötig – insbesondere, wenn Hartwig Lesarten gegeneinanderstellt und dabei ihre Präferenz klar benennt.Das klingt kompliziert, ist aber im Ergebnis ungeheuer spannend zu lesen, da verfestigte Bachmann-Bilder ins Fließen geraten. Wie sehr Hartwig den Facettenreichtum und die Inkommensurabilität d(ies)es Lebens verteidigt, sieht man am eindrücklichsten im Schlusskapitel, das für sich steht und Hartwigs Rechercheergebnisse am stärksten literarisiert. Die Gespräche, die sie mit Zeitzeugen geführt hat, von Hans Magnus Enzensberger über Marianne Frisch bis hin zu Henry Kissinger, dem im Entstehen des Bandes eine besondere Rolle zuwächst, werden nicht in Interviewform, sondern als kleine Geschichten wiedergegeben. Hier wird erneut die subjektive Färbung jeder vermeintlich objektiven Erzählung deutlich.„Ich bin es nicht. Ich bin’s“, lautet ein Vers aus Bachmanns Gedicht Lieder auf der Flucht. Diese paradoxe Wahrheit lässt sich nach der Lektüre auf diese Biografie in Bruchstücken übertragen. Hartwigs Band ist eine Annäherung an ein Leben, die im Aufzeigen von Bruchstellen und Offenheit die Ambivalenzen und Geheimnisse der porträtierten Person und die Aporien der Gattung Biografie zum Ausdruck bringt. Man bekommt Lust, zu Bachmanns Werk zurückzukehren – ein Effekt, der sich nicht allzu oft beim Lesen von Künstlerbiografien einstellt, wo nicht selten eine in vielen Biografien grassierende Harmonisierungs- und Vereindeutigungswut das Interesse eher zum Erlahmen bringt, anstatt es zu schüren.Placeholder infobox-1
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