Einer cinephilen Wiederentdeckung erfreut sich derzeit das Werk des Filmemachers Sohrab Shahid Saless (1944 – 1998). Nach Retrospektiven in Berlin und Teheran (Freitag 9/2017) sind seine in Iran und Deutschland entstandenen Filme ab 5. Juni in Brüssel zu sehen. Als Saless 1974 nach Westberlin kam, lernte er die Bauzeichnerin Helga Houzer kennen, die hier nun erstmals über die beiden wechselvollen Jahre mit dem Filmemacher spricht.
der Freitag: Frau Houzer, für Millionen Iraner war die Islamische Revolution 1979 der Anlass, die Heimat zu verlassen. Der Filmemacher und Drehbuchautor Sohrab Shahid Saless emigrierte bereits knapp fünf Jahre früher.
Helga Houzer: Sohrab kam im Juni 1974 zur Berlinale nach Westberlin. Sein Debüt Ein einfaches Ereignis lief im Forum, Stillleben, sein zweiter Kinofilm, im Wettbewerb. Letzterer erhielt den Silbernen Bären. Er kehrte zunächst nach Teheran zurück, um einen Film über ein Waisenhaus zu drehen. Das stieß auf den Widerstand der politisch Verantwortlichen, denen seine sozialkritischen Arbeiten missfielen. Damit war klar, dass er nach Berlin zurückkommen würde.
Wann haben Saless und Sie sich kennengelernt?
Mitte 1974 arbeitete ich als Bauzeichnerin in einem Ingenieur- und Architekturbüro. Einer meiner Kollegen dort war Iraner, und seine Frau half bei der Organisation der Berlinale. Eines Abends während der Festspiele lud das Ehepaar zu sich ein. Und ich ging hin, weil ich offen und neugierig war. Sohrab war auch da – ein charmanter junger Mann, der Vollbart trug. Er wohnte im Hotel. Ich meinte dann zu ihm: Wenn du Lust hast, kannst du bei mir wohnen. Gesagt – getan. Im Sommer arbeiteten wir am Drehbuch zu In der Fremde. Bevor er wieder in den Iran reiste, suchte er noch eine Wohnung für uns, in die ich in seiner Abwesenheit einzog. Das war im Spätherbst 1974.
Sie wurden ein Paar und schrieben neben „In der Fremde“ noch zwei weitere Drehbücher, die verfilmt und prämiert wurden: „Reifezeit“ (1976) und „Tagebuch eines Liebenden“ (1977).
Die erste Zeit war die einer großen Verliebtheit, wenn auch nicht unbeschwert. Sein Leben bestand aus Filmemachen. Sohrab hatte mich ausgewählt, ihm zu helfen, sich in der fremden deutschen Welt zurechtzufinden, in der er dann drehen wollte. „Kann man das so machen und so sagen? Wo ist das passende Setting für die und die Szene?“ Er entwickelte die Ideen zu den Drehbüchern, ich machte die Korrekturen und diskutierte mit ihm. Einige Vorschläge nahm er an, andere nicht.
Info
Helga Houzer wurde 1948 in Berlin geboren. Sie arbeitete als Bauzeichnerin, spielte bei der Theatergruppe Zentrifuge in Berlin-Kreuzberg und wurde später Heilpraktikerin. Von 1974 bis 1976 lebte sie mit Sohrab Shahid Saless in einer Beziehung
Waren Sie auch bei den Verhandlungen dabei? Den Dreharbeiten?
Er hat mich davon ferngehalten, so dass ich oft nicht wusste, wo er ist. Ich war ja vollzeitbeschäftigt. Wenn er von Treffen oder Reisen wiederkam, erzählte er nicht viel. Er sprach nur über die Dinge, die gemacht wurden. Oder wenn jemand einen Film nicht finanzieren wollte. Darüber hat er sich ausführlich ausgelassen, war beleidigt und wütend. Er war ein empfindsamer, stolzer und düsterer Mensch: „Ich fühle mich wie ein Herz, dem die Haut abgezogen worden ist.“ Das hat er mehrfach gesagt, vielleicht ein Zitat von Tschechow, den er sehr verehrte. Er besaß eine deutschsprachige, kleinformatige Dünndruckausgabe von ihm, in der er andächtig las. Unser Zusammenleben hatte aber auch sehr schöne Seiten. Er schrieb entzückende Liebesbriefe, nannte mich Olga. Und er zelebrierte das abendliche Kochen, bei dem er iranische Gerichte zubereitete.
In Notizen spricht Saless davon, dass ihm nach der Emigration Steine in den Weg gelegt worden seien. So hatten Kritiker prophezeit, dass er den Goldenen Bär für „In der Fremde“ bekommt. Doch auf Druck der iranischen Delegation erhielt er stattdessen den Fipresci-Preis des Filmkritikerverbands.
Sohrab wurde immer unzufriedener, wie es in Deutschland für ihn lief. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass ich gegen ihn sei. Und so wurde auch unsere Verbindung düsterer. Er verdächtigte mich, für den Savak, den damaligen iranischen Geheimdienst, tätig zu sein. In diesem Klima wurde ich depressiv und wohnte einige Zeit bei meinen Eltern, während Sohrab in einer möblierten Wohnung lebte.
In Westberlin lebten damals noch andere iranische Filmemacher wie Masud Rajaj (Freitag 35/2012). Kannte er die?
Ich war nicht in seine Kreise integriert. Engen Kontakt hatte er zu seinem Kameramann Ramin Reza Molai, der mit der Familie in Berlin lebte. In dieser männlichen Welt wollte er mich nicht dabeihaben.
Sie haben mit Saless den iranischen Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Bozorg Alavi (1904 – 1997) besucht, der seit den 1950ern in Ostberlin lebte.
Wie Sohrab den Kontakt hergestellt hat, weiß ich nicht. Ihm war aber wichtig, dass er das Ehepaar Alavi mit einer Partnerin besucht. Also standesgemäß und nicht wie ein abgewirtschafteter Künstler. Die Alavis wohnten in einer schönen Wohnung in der Frankfurter Allee, waren stilvoll eingerichtet und führten, das merkte man, ein kulturvolles Leben.
Wie ging Ihre Zeit zu Ende?
Im Herbst 1976 bat er mich, ihn zum Flughafen Tegel zu fahren. Als ich auf die Rampe hochfuhr, um in das Rondell zu kommen, das zu den Gates führt, lag dort eine überfahrene Taube. Da wusste ich: Sohrab geht weg und wird nicht wiederkommen.
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