Germany is Hitler is Germany

Reeducation Über einen Forschungs-Scoop und die Wiederentdeckung des Publizisten Emil Ludwig
Ausgabe 04/2017

Reeducation, mit dem gleichnamigen politischen Bildungsprogramm traten die Alliierten nach der Besetzung Deutschlands 1945 an, um die Bevölkerung zu Frieden und Demokratie zu erziehen und in die internationale Gemeinschaft zurückzuführen. Die NSDAP und ihre Organisationen wurden verboten, ranghohe Nazis vor Gericht gestellt. Es entstanden neue Zeitungen und Radiosender genauso wie zeitkritische Filme wie Die Mörder sind unter uns.

Es hieß bisher, dass die Siegermächte selbst die Idee zu diesem bedeutenden Wiederaufbau-und-Wiedereingliederungs-Projekt hatten, die ursprüngliche Konzeption soll aus Großbritannien kommen. Die Überraschung: Einen maßgeblichen Anteil an der Reeducation, aber auch an den Verhaltensregeln für Besatzungssoldaten in Deutschland, soll Emil Ludwig gehabt haben. Emil wer? Der Mann, geboren am 25. Januar 1881, war nicht irgendjemand, sondern einer der berühmtestenJournalisten, Dramatiker und Schriftsteller seiner Epoche. Und das nicht nur in Deutschland. Nach Thomas Mann und Stefan Zweig war er in den 1930ern der meistgelesene deutschsprachige Autor in den USA.

Ludwig, geboren in Breslau als Sohn des jüdischen Augenarzts Hermann Cohn, der 1883 seinen Namen umändert, begründet seinen Erfolg in der Weimarer Republik in erster Linie als Autor psychologischer Biografien über Goethe, Bismarck, Napoleon und Wilhelm II. Besonders mit dem Werk über Wilhelm zieht er scharfe Kritik auf sich: Historiker, die um ihren Markt fürchten, sprechen ihm jede Legitimation ab, während beleidigte Monarchisten und Konservative ihm die schonungslose Entlarvung des letzten Hohenzollern als Kaiserdarsteller übelnehmen.

Ludwig setzt sich nach 1918 leidenschaftlich für die Republik als Staatsform und die Idee der Vereinigten Staaten von Europa ein, was er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten noch verstärkt. Seit 1932 Inhaber eines Schweizer Passes, ist er in seinem Haus in Tessin vor dem Zugriff der Nazis sicher. 1940, als der Druck auf ihn durch die Behörden seiner neuen Heimat steigt, sich mit nazikritischen Äußerungen zurückzuhalten, entscheidet er, in die Vereinigten Staaten überzusiedeln.

Hier intensiviert er seinen Einsatz für Humanismus und Demokratie weiter. Als einziger deutscher Emigrant hat er Zugang zu den höchsten US-amerikanischen Stellen in Washington. Er hält inoffiziell im Auftrag von Präsident Roosevelt Vorträge im ganzen Land, um über NS-Deutschland aufzuklären und für einen Kriegseintritt der USA zu werben. Ludwig vertritt die These, dass es bei den Deutschen schon immer eine strikte Trennung zwischen Geist und Macht gegeben habe, wobei der Einfluss Preußens und der des Militärs eine Hauptverantwortung trügen.

1942 zieht Emil Ludwig sich mit einer Rede, die durch einen verkürzenden Bericht mit dem Resümee „Germany is Hitler, and Hitler is Germany“ bekannt wird, auch den Zorn der Emigranten auf sich. Ludwig geht von einer Kollektivschuld der Deutschen aus und glaubt nicht an eine Reeducation durch sie selbst. Die Alliierten sollen Deutschland dauerhaft besetzen, in zwei Staaten aufteilen und die Erziehung der Bevölkerung anleiten. Bis Kriegsende verfasst er Schriften wie Fourteen Rules for the American Occupation Officer, die nahezu wörtlich übernommen werden.

Die Behauptung findet sich in einem vom dem Erich-Maria-Remarque-Spezialisten Thomas F. Schneider herausgegebenen, kürzlich publizierten germanistischen Sammelband über Emil Ludwig der Zeitschrift Non Fiktion, die zweimal jährlich beim Wehrhahn-Verlag erscheint. Der Band soll den Anfang der Forschung in Deutschland zu Ludwig markieren, Vorurteile abbauen und helfen, den 1948 verstorbenen Autor wieder bekannt zu machen.

Dass es sich lohnt, zeigt die These von Emil Ludwigs Einfluss auf das alliierte Reeducationprogramm. Auch wenn ein direkter Zusammenhang nicht nachzuweisen ist, zeigen neueste Arbeiten doch, dass viele Parallelen zwischen seinen Vorschlägen und den tatsächlich erfolgten Maßnahmen bestehen.

Info

Non Fikton – Emil Ludwig Thomas F. Schneider (Hg.) Wehrhahn 2016, 232 S., 24,80 €

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Geschrieben von

Behrang Samsami

Freier Journalist und Autor | promovierter Germanist | #Iran

Behrang Samsami

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