Ihr Tod bricht Tabus

Nachruf Die Top-Mathematikerin Maryam Mirzakhani entsprach so gar nicht dem Klischee, das im Westen von Iranerinnen existiert
Ausgabe 29/2017
Maryam Mirzakhani auf den Titelseiten ihres Heimatlandes Iran. Ohne Kopftuch
Maryam Mirzakhani auf den Titelseiten ihres Heimatlandes Iran. Ohne Kopftuch

Foto: Atta Kenare/AFP/Getty Images

Das war ein seltenes Ereignis: Am vergangenen Sonntag, einen Tag, nachdem bekannt geworden war, dass die bedeutende Mathematikerin Maryam Mirzakhani mit nur 40 Jahren an Brustkrebs gestorben ist, widmeten ihr die Zeitungen ihres Heimatlandes Iran die Titelseiten und äußerten Stolz und Trauer über den Verlust. Das Besondere an diesen Nachrufen: Erstmals bildeten staatliche Medien wie die von der Teheraner Gemeindeverwaltung herausgegebene Zeitung Hamshahri die Verstorbene ohne Kopftuch ab. Das tat auch Irans Präsident Hassan Rohani, der seinen Nachruf auf seiner Instragram-Seite mit einer Montage von Maryam Mirzakhani illustrierte, auf dem man sie vor mathematischen Formeln und vor allem ohne die Kopfbedeckung sieht, die für iranische Frauen in der Islamischen Republik eigentlich obligatorisch ist. Rohani knüpfte damit an eine Aktion von 2014 an, als er der Wissenschaftlerin auf Twitter zur Fields-Medaille gratulierte und Fotos von ihr mit und ohne Kopftuch postete. Damals löste er im Iran eine Debatte über das Kleidungsstück aus. Hardliner kritisierten, dass die Kleidervorschriften unter seiner Führung aufgeweicht würden.

Gewollt oder ungewollt löste Mirzakhani so immer wieder Diskussionen in ihrer Heimat und auch weltweit aus. Denn sie entsprach einfach nicht dem Klischee, das im Westen von Iranerinnen aufgrund unseliger Spielfilme wie Nicht ohne meine Tochter existiert. Im Gegenteil zeigt ihr Leben exemplarisch, welche Möglichkeiten Frauen auch in einem stark männlich dominierten Land und in einem ebenfalls stark männlich geprägten Fach wie der Mathematik haben. Maryam Mirzakhanis Werdegang macht auch deutlich, welche großes Potenzial iranische Universitäten und die Wissenschaft, die hier betrieben wird, haben: 1977 in Teheran geboren, besuchte Mirzakhani die Farzanegan-Schule für besonders begabte Mädchen und gewann als erste Iranerin jeweils 1994 und 1995 die Goldmedaille bei der Internationalen Mathematik-Olympiade. Ihren Bachelor machte sie 1999 an der Teheraner Scharif-Universität für Technologie, den Doktor in Harvard. Von 2004 bis 2008 war sie Assistant Professor an der Universität von Princeton, ab 2008 Professorin in Stanford.

Der Höhepunkt ihrer akademischen Karriere war 2014 die Fields-Medaille, die nur alle vier Jahre verliehen wird. Es war das erste Mal, dass eine Frau diese weltweit höchste Auszeichnung im Fach Mathematik erhielt. Spätestens von da an war Mirzakhani vielen Mädchen und Frauen im Iran und auf der ganzen Welt zum Vorbild geworden. Sie hatte den Beweis geliefert, dass eine Männerbastion wie die Mathematik nicht hermetisch abgeriegelt ist, sondern auch von Frauen erobert werden kann.

60 Prozent Studentinnen

Dass Mirzakhani als Akademikerin im Iran nicht allein dastand und -steht, belegen übrigens Zahlen: Rund 60 Prozent der Studierenden sind Frauen. Dass staatliche iranische Medien Maryam Mirzakhani in ihren Nachrufen ohne Kopftuch abgebildet haben, könnte auf eine Umwälzung in der Islamischen Republik hinweisen, die nicht zuletzt auf das Wirken der am 14. Juli 2017 verstorbenen Mathematikerin, ja auf die Präsenz aller im Iran studierenden und arbeitenden Frauen zurückgeht. Da kommt einem Max Frisch in den Sinn, der einmal von der Emanzipation der Frauen sagte, dass sie, wenn sie gelingen sollte, die „Gesellschaft mehr verändern“ würde „als etwa die Verstaatlichung der Schwerindustrie, der Banken, was ich mir beiläufig auch wünsche“.

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Geschrieben von

Behrang Samsami

Freier Journalist und Autor | promovierter Germanist | #Iran

Behrang Samsami

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