Professor Rabenvater

Promotion Warum soll man an deutschen Hochschulen heute noch seinen Doktor machen? Es winkt der Abstieg ins Prekariat

Warum tue ich mir diese Quälerei an? So lautet die wohl häufigste Frage, die sich Doktoranden stellen. Dabei haben Uni-Absolventen gute Gründe, eine Dissertation zu verfassen. Will man eine akademische Laufbahn einschlagen, kommt man in Deutschland um die Dissertation nicht herum. Sie ist das Eintrittsticket in die Wissenschaft und ermöglicht es meist erst, Aufsätze, Rezensionen oder Tagungsberichte zu schreiben. Daneben gibt es Absolventen, die nicht ins Berufsleben finden oder keine genaue Vorstellung von ihrer Zukunft haben. Sie schreiben die Doktorarbeit nicht selten in der Hoffnung, mit dem Titel Sozialprestige zu erlangen. Die Universitäten formulieren es wesentlich idealistischer. So heißt es etwa in der der „Promotionsordnung zum Dr. phil./Ph.D.“ der Freien Universität Berlin: „Mit der schriftlichen Promotionsleistung ist die Befähigung zu selbstständiger vertiefter wissenschaftlicher Arbeit nachzuweisen und ein Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis anzustreben.“

Auch im Vorwissen kommender Qualen: Allgemein zieht die Möglichkeit an, sich während der Dissertation mit einem speziellen Thema mehrere Jahre lang intensiv auseinander zu setzen. Umso erstaunlicher ist dann, unter welchen Bedingungen diese jungen Leute leben und arbeiten. Da ist zum einen die „derzeitige unklare Rechtssituation in den Hochschulgesetzen der Bundesländer“, wie es in einem im Internet veröffentlichten Offenen Brief zur Einführung eines Promovierendenstatus an den Hochschulen heißt. Sie sorge dafür, „dass wir an den Universitäten als Gruppe nicht wahrgenommen werden. Je nach Finanzierungsart unserer Doktorarbeit können wir Studierende oder MitarbeiterInnen sein, beziehungsweise auch gar nicht als Angehörige der Hochschule gelten. Dies führt zu einer nicht nachvollziehbaren Ungleichheit in Fragen der Mitbestimmung, der sozialrechtlichen Stellung sowie der rechtlichen Absicherung innerhalb unserer Gruppe.“

Damit verbunden ist die Frage nach der individuellen Finanzierung. Haben die Doktoranden die Möglichkeit, bei ihrem Doktorvater oder ihr Doktormutter als wissenschaftliche Mitarbeiter angestellt zu sein, heißt das nicht, dass sie genug für ihren Lebensunterhalt haben, wie Sabine Volk sagt. Sie ist Mitbegründerin und Sprecherin der Bildungsbewegung „Intelligenzija Moving“, die sich für eine Verbesserung der rechtlichen, finanziellen und wissenschaftlichen Situation von Nachwuchsforschern einsetzt. Durchschnittlich verdienen diejenigen mit einer halben Stelle zurzeit etwa 1.000 Euro netto pro Monat. Lehrbeauftragte, Privatdozenten und außerplanmäßige Professoren bekommen höchstens ein „Aufwandstaschengeld“, meist aber sogar überhaupt keine Entlohnung für ihre Arbeit an der Universität.

Prekarisierungsdiskurs

So verwundert nicht, was die 2010 vom Hochschulinformationssystem (HIS) veröffentlichte Studie Wissenschaftliche Karrieren konstatiert: „Wer sich heute in Deutschland für eine wissenschaftliche Karriere entscheidet, wählt häufig einen riskanten und entbehrungsreichen beruflichen Weg. Das Wissenschaftssystem gilt gemeinhin als Bereich, in dem das so genannte Normalarbeitsverhältnis nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt.“ Es dominierten befristete Beschäftigungsformen; kein Wunder also, werde die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses in jüngerer Zeit immer wieder „mit dem Prekarisierungsdiskurs in Verbindung gebracht“.

Die kurze Vertragsdauer verstärkt Unsicherheit und Abhängigkeit vom Arbeitgeber: „Rund ein Drittel der Nachwuchswissenschaftler(innen) hat einen Vertrag mit einer Laufzeit zwischen zwei und drei Jahren. Zusammen mit der Gruppe der Personen, die einen Arbeitsvertrag mit einer Dauer zwischen einem und zwei Jahren besitzt, stellen sie die Mehrheit der Befragten mit befristeten Arbeitsverträgen.“

Das Bild, das manche vom privilegierten Promovenden haben, dürfte somit widerlegt sein. Im Wintersemester 2010/2011, so die Studie Promovierende in Deutschland „befanden sich von den 200.400 Promovierenden 165.600 in einem Beschäftigungsverhältnis. Dies entspricht 83 Prozent aller Promovierenden im Wintersemester 2010/2011. Von den Promovierenden in einem Beschäftigungsverhältnis waren 126.000 bzw. 76 Prozent an einer Hochschule angestellt. An einer außeruniversitären Forschungseinrichtung waren 12.400 Promovierende (8 Prozent) beschäftigt.“ Eine Beschäftigung in der Wirtschaft und bei sonstigen Arbeitgebern fanden fast 16 Prozent der Promovierenden.

In der Regel haben nur die Universitätsprofessoren an den Hochschulen die finanziellen Mittel, Wissenschaftliche Mitarbeiter einzustellen. Privatdozenten oder Außerplanmäßige Professoren sind zwar habilitiert, haben jedoch keine feste Anstellung an der Uni und daher keine Posten zu vergeben. Der Rest der Doktoranden muss Verwandte um Unterstützung bitten, sich einen Job suchen oder ein Stipendium beantragen. Nur etwa 26 Prozent aller Promovierenden bekommen jedoch ein Stipendium. Die größte Gruppe der geförderten Promovierenden wird dabei von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt.

Neben finanziellen Sorgen gibt es für den Promovierenden noch andere belastende Faktoren. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter etwa forschen längst nicht nur für ihre eigene Arbeit, sondern unterstützen ihren Doktorvater, unterrichten Studierende, nehmen Prüfungen ab, korrigieren Hausarbeiten und erledigen Verwaltungsaufgaben.

Diese Abhängigkeit hat seinen Preis. Betreuer sind oft eitel und äußerst empfindlich. Man muss zu ihnen hinaufschauen, auch Kofferträger sein. Sonst bestrafen sie einen mit „Liebesentzug“. Die Beziehung zu ihnen stößt auch an ihre Grenzen, wenn sie sich mehr herausnehmen als ihnen zusteht. Sexuelles Interesse kommt vor. Manche Betreuer nutzen ihre Macht über ihre Studenten, Mitarbeiter und Doktoranden zudem wissenschaftlich. Eine besonders subtile Form der Ausbeutung ist das Plagiieren. Auch Privatdozenten oder Professoren scheuen nicht davor zurück, bei den von ihnen Betreuten abzuschreiben und geistiges Eigentum anderer als ihr eigenes auszugeben. Fälle sind dem Verfasser bekannt, aber es ist ein Tabuthema, Zahlen sind daher nur schwer zu eruieren.

Sinnkrisen

Was jedoch alle Promovenden mehr oder weniger betrifft, ist das Alleinbleiben mit der Doktorarbeit. Immer weniger Universitätsprofessoren müssen immer mehr leisten, forschen, Studenten lehren, Doktoranden betreuen und – immer bedeutender – Drittmittel einwerben, um ihre Projekte finanzieren zu können. Somit erhält der einzelne Nachwuchswissenschaftler oft nicht die notwendige Aufmerksamkeit und Unterstützung. Folgen der Einsamkeit und Überforderung sind nicht selten Stress, Sinnkrisen, psychosomatische Erkrankungen und Abbrüche des Promotionsverfahrens.

Den Werdegang der jungen Wissenschaftler, die oft mit Idealismus und Tatendrang an ihre Arbeit gehen, um dann oft desillusioniert zu werden, kann man als Indikator dafür nehmen, wie gleichgültig die Politik und Universitäten mit dem Nachwuchs umgehen. Anstatt sie großzügig zu fördern, werden jene oft finanziell prekär gehalten und wissenschaftlich sich selbst überlassen. Diejenigen, die diese Situation beklagen und von „Braindrain“ sprechen, sind meist für diese Entwicklung mit verantwortlich. Wenn die Förderung und Bezahlung im Ausland besser ist, wer wird den Jungen die „Flucht“ verübeln?

Das hier gezeichnete Bild ist düster. Aber will man eine Änderung der prekären Verhältnisse, muss man die Probleme klar benennen. Sie sind eindeutig struktureller Natur, wie Sabine Volk von „Intelligenzjia Moving“ betont. Dennoch kann die jetzige Situation überwunden werden. So haben engagierte junge Forscher in den letzten Jahren Initiativen gegründet und es übernommen, Forderungen der Nachwuchswissenschaftler zu artikulieren, die sich mehrheitlich scheuen, offen Kritik zu üben – aus Angst, Job, Betreuung und damit die eigenen Aufstiegschancen zu verspielen.

Widerstände

Die Institutionen vernehmen zwar den Ruf derjenigen, die die Mängel im System benennen, doch infolge der nach wie vor geringen Solidarität der Jungen untereinander, fehlt es am öffentlichen Druck, Korrekturen vorzunehmen. Die Vorschläge etwa von „Intelligenzija Moving“ nach Änderungen scheinen nicht zu viel verlangt. Sie will, „dass alle prekären Beschäftigungsverhältnisse in feste Stellen übergehen, diese Stellen adäquat bezahlt werden und die Lehre insgesamt aufgewertet und der Forschung gleichberechtigt zur Seite gestellt wird.“

Geht man über diese Vorschläge hinaus, wäre es wichtig, das nicht nur finanzielle, sondern auch wissenschaftliche Abhängigkeitsverhältnis zum Betreuer durch mehr Transparenz aufzuweichen. Der Doktorand sollte von einem weiteren, dem Doktorvater nicht bekannten Dozenten betreut und seine Forschungsergebnisse jedes Semester beim Promotionsbüro hinterlegen, etwa damit spätere Plagiatsvorwürfe gegen welche Seite auch immer leichter erkennbar sind. Auch sollten Doktorandenkolloquien fester Bestandteil der Promotion sein und nicht von der (Un-)Lust des Doktorvaters abhängen.

Schließlich sollte die Universität ein Interesse haben, dass die Doktoranden, die später keine wissenschaftliche Karriere anstreben, leichteren Zugang ins Berufsleben finden. Eine solche Initiative scheint das an der Leibniz Universität Hannover entwickelte Programm „Promotion plus+ qualifiziert“ zu sein, das sich aber eher an potentielle Manager wendet: „Es ist als ein Führungskräfteentwicklungsprogramm aus berufsbezogener Theorie und Praxis zu verstehen, (...). In kleinen interdisziplinären Gruppen vermitteln Ihnen Blockveranstaltungen Kenntnisse in den Kernbereichen Projekt- und Prozessmanagement, Personalführung und Teamentwicklung, Unternehmerisches Denken und Handeln, Kommunikation“.

Sabine Volk, früher selbst Lehrbeauftragte an der Universität Potsdam, ist indes skeptisch, ob ein solches Programm wirklich hilfreich ist oder nicht eher Marketingzwecken dient: „Einzelnen mag es kurzfristig helfen, langfristig ändert sich durch solche Programme nichts an den derzeitigen Verhältnissen. Die akademischen Strukturen zu reformieren, heißt das ungerechte Bildungssystem zu beseitigen. Das stößt aber auf harten Widerstand in Politik und Universität, wo wenig Interesse besteht, auch nur einen Teil der Macht zugunsten der Nachwuchswissenschaftler abzugeben.“

Es zeigt sich, dass eine grundsätzliche Debatte darüber nötig ist, welchen Wert die wissenschaftliche Arbeit und die Menschen, die sich wenn auch nur einige Jahre dafür entscheiden, für die Gesellschaft haben – ob sie unabhängige und innovative Forscher sein sollen oder eher gut ausgebildete, aber prekäre Eliten.

Behrang Samsami hat 2009 an der Freien Universität Berlin promoviert

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Behrang Samsami

Wissenschaftlicher Mitarbeiter #Bundestag | freier Journalist | promovierter Germanist | #Iran

Behrang Samsami

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