Der Besuch der alten Freundin

Lange nicht gesehen. Meine Zimmer- und Leidensgenossin aus Studententagen kommt endlich zu Besuch.

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Seit sie vor drei Jahren berufsbedingt nach Brüssel übersiedelt ist, haben wir einander nicht gesehen. Meine Studienkollegin und ehemalige WG Mitbewohnerin wird zehn Tage in meinem Büro/Gästezimmer residieren. Ich habe extra eine kleine, neue Schlafcouch gekauft und freue mich riesig! Unsere gemeinsame Zeit wird ohnehin knapp, da ich mitten in einem Projekt stecke und sie möglichst viel Zeit mit ihrer Mama verbringen und all ihre Freunde treffen will.

Der heutige Abend gehört uns beiden allein. Samstagabend wird sie meinen neuen Freund Markus kennen lernen, Sonntag wird gepicknickt am See, den Rest halten wir flexibel.

Endlich läutet es an der Tür, Leni fällt mir um den Hals, lachend schleppe ich den Koffer in ihr Urlaubszimmer und zeige ihr stolz die neue, weiße Couch.

Ich blicke auf ein ernstes Gesicht und eine gerunzelte Stirn und vernehme, dass der Schlafplatz Feng-Shui technisch ungünstig sei. Ob wir die Bettstatt wohl an die gegenüber liegende Wand stellen könnten?

Überrascht nicke ich - ich Lamm - denn dazu müssen wir den Schreibtisch, mit PC, Monitor, Drucker und Rollladenschrank quer durchs Zimmer schieben. Um dies zu bewerkstelligen schieb meine Freundin mit viel Elan und unter lautem Quietschen die neue Couch erstmal aus dem Zimmer, wobei mein Parkettboden ein Riefenmuster erhält.

Erstaunt blicke ich sie an, sie ignoriert mich und den Holzschaden und zerrt schon am Schreibtisch auf dem PC, Monitor und Drucker stehen, die ich schnell abstecke, bevor sie runter purzeln.

Ich bitte sie kurz zu warten und lege Tücher unter, diesmal bleiben am Boden nur Schleifspuren zurück. Am jetzigen Standplatz des Schreibtisches gibt es keine Anschlüsse für meine Geräte, was bedeutet, dass ich diese, die nächsten Tage, nicht nutzen werde können.

Leni scheint das nicht zu kümmern, sie kramt in ihrer Handtasche, aus der sie ein kleines Glasfläschchen mit rot-gelb-organgem Inhalt befördert.

Sie schüttelt es vorsichtig, trägt es in der ausgestreckten Hand durch den Raum, platziert es an einer exponierten Stelle des Bücherregals im Vorzimmer und informiert mich mit Faltenstirn, dass ich dieses Fläschchen während ihres Aufenthaltes nicht berühren darf. Es enthält Energien die gut für sie sind.

Was ist mit meiner unkomplizierten Jugendfreundin geschehen? Feng-Shui-Möbel rücken? Fläschchen, die gute Energien beinhalten?

Während ich mir den Kopf darüber zerbreche, wie ich diese fremdelnde Person vor mir auf ihre neuen Bedürfnisse ansprechen könnte, plaudert sie schon fröhlich vor sich hin, berichtet von ihrem Job, den Kollegen, erkundigt sich nach mir, will ein Foto von Markus sehen, was ich nicht habe und der restliche Abend vergeht wie im Flug.

Samstag verbringt Leni mit shoppen und ihrer Mama, am Abend schlagen wir uns den Bauch mit Spaghetti und Rotwein voll, dann köpfen wir eine Flasche Champagner und warten auf Markus, der um 21:00 Uhr, gut gelaunt wie immer, eintrudelt, mich küsst und sich sofort meiner Freundin zuwendet um sie zu begrüßen. Sie kommt ihm, mit den Worten: „Aha und du glaubst also, dass du Alex’ neuer Lebensgefährte sein kannst!?“ zuvor.

Du lieber Gott, was ist in sie gefahren?

Er bejaht freundlich, lässt sich lächelnd auf die Couch plumpsen und legt einige kleine Geschenkspäckchen vor sich auf den Tisch. Ich bin gerührt. Übermorgen habe ich Geburtstag, da Markus ab morgen auf Geschäftsreise ist, bekomme ich heute schon meine Geschenke.

Mein Freund erkundigt sich, ob er meiner Freundin nachschenken darf? Sie antwortet spitz, dass sie in meiner Wohnung eher zu Hause sei als er und sich selbst bedienen kann.

Unsicher, ob ich richtig gehört habe, sehe ich sie an, sie grinst unverschämt, wie eine Fünfjährige, dabei ist sie 42!

Verlegen ob des Verhaltens meiner irre gewordenen Freundin, beginne ich meine Geschenke auszupacken und bin hingerissen.

Markus hat sich viel Mühe gegeben das Richtige zu finden. Einen wunderschönen Seidenschal in meinen bevorzugten Farben, ein Tischfeuerzeug welches zu meinen Möbeln passt und zuletzt ein Fläschchen meines Lieblingsparfüms. In jedem Geschenk steckt eine kleine Karte mit einer Liebeserklärung.

Leni lächelt und verkündet, dass sie noch nie in ihrem Leben etwas derartig Peinliches wie dieses Tischfeuerzeug gesehen hat und den Schal geschmacklos findet.

Ich möchte im Erdboden versinken, Markus reagiert nicht auf die Attacken und erkundigt sich höflich nach ihrer Arbeit, Wohnort und Plänen. Sie antwortet patzig, stellt selbst keine Fragen und blickt grimmig. Nach einer halben Stunde verabschiedet sich mein charmanter Plaudermann, da er am nächsten Tag um sechs Uhr morgens Richtung China unterwegs sein wird.

Nach seinem Abgang frage ich Leni welche Laus ihr über die Lebe gelaufen sei? Sie blickt mich erstaunt an und erklärt, dass ohnehin alles in bester Ordnung wäre. Mit der Frage, was denn mein Problem sei, verabschiedet sie sich in ihr Bett.

Es ist spät, ich bin müde und verwirrt. Den nächsten Tag verbringen wir mit Freunden am See, wo wir auch auf meinen Geburtstag anstoßen. Leni ist fröhlich, ich verunsichert, da ich ihr gestriges Verhalten nicht zuordnen kann.

Die kommenden Arbeitstage sind endlos anstrengend, ich bin keinen Abend vor Mitternacht zu Hause. Leni bekomme ich kaum zu Gesicht. Donnerstag macht sich Erschöpfung breit, kopfschmerzgeplagt freue ich mich, heute schon um zweiundzwanzig Uhr meine kuschelige Wohnung zu erreichen, ein Bad zu nehmen und ins Bett zu fallen.

Leni sitzt mit Freundin Beate auf der Couch, meine Wohnung stinkt ungemein. Weihrauch? Patchouli? Auf jeden Fall ein Geruch der mir seit Kindertagen Kopfweh und Übelkeit bereitet, mir wird schwindlig, ich setze mich.

Die Mädels erkundigen sich, ob mir nicht gut sei oder ich etwas schlechtes gegessen hätte? Ich möchte sie erwürgen! Während ich alle Fenster aufreiße, beschwert Leni sich mit spitzer Stimme, dass jetzt die ganze Wohnungsausräucherung umsonst war!!

Wohnungsausräucherung?

Ich frage sie, ob sie tatsächlich absichtlich diesen Gestank verursacht hat und weshalb?

Schnippisch antwortet sie, dass sie mir lediglich Gutes tun wollte und die negativen Energien aus meiner Wohnung entfernt hat. Negative Energien entfernt? Mit Räucherware, die Brechreizgefühle in mir auslöst?

Ich bin wütend, erschöpft und ratlos, lasse die beiden Mädels allein und gehe in mein geräuchertes Bett. Drei Tage dauert es, bevor der Gestank aus Möbeln, Teppichen und Vorhängen vollends verschwindet. Leni sehe ich nicht, wenn ich morgens aufstehe schläft sie noch, Abends ist sie abwesend, übers Wochenende fährt sie weg. Als ich sie Montagabend zum Flughafen fahre, plaudert sie als wäre nichts geschehen, ich fühle mich unwohl, aber nicht in der Lage meine Gefühle anzusprechen.

Kaum in Brüssel angekommen, meldet sie sich telefonisch und verkündet gut gelaunt, dass wir in Zukunft regelmäßig skypen sollten, um einander öfter zu sehen.

Meine süße, unkomplizierte, immer nette Leni ist übergeschnappt. Sie findet es normal Möbel zu verschieben und dabei teure Holzböden zu beschädigen, meinen charmanten Freund zu beleidigen, die Wohnung zu verpesten und dann zur Tagesordnung über zu gehen.

War sie immer schon so und ich habe es nie bemerkt?

Bin ich empfindlicher geworden?

Oder werden wir allmählich schrullig?

Die unbeschwerten Studentenzeiten sind jedenfalls vorbei.

Und ich überlege für zukünftige Besucher, statt einer Gästecouch, eine Liste günstiger Hotels bereit zu halten.

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