Alright, der Kampf geht weiter. In seinem neuen Gedichtband Morbus Heimat schlägt Ruhrpott-Rimbaud Urs Böke wieder zu; prügelt ein auf mülltrennende Vorstadtandroiden, die „Flüchtlingen den Unterschied zwischen Einweg und Mehrweg“ erklären. Böke trifft zielsicher: „90°-Winkel sind aus unseren / Gärten verschwunden / Rattengift streuen wir / nur einmal im Jahr // Dann wenn wir sicher sind / dass kein Nachbar guckt“. Bezeichnend ist, dass Böke, anders als der gemeine, vermeintlich linke Underground-Autor, seine Gegner nicht ausschließlich unter Wutbürgern, der Geld-Elite oder in der neuen Spießermitte findet, sondern auch die Trägheit des abgefuckten Prolls ins Visier nimmt: „Zeit ist Geld und Leistung / muss sich wieder lohnen // Sagen sie den Arbeitslosen / die dasitzen mit zu viel Zeit // Und sich fragen / wo das Geld bleibt“
Böke schildert den alltäglichen Kampf zwischen „oben“ und „unten“. Dabei ist „unten“ nicht zwangsweise besser oder weniger fragwürdig. Beide Seiten schenken sich nichts dabei, Vorurteile und Klischees zu bestätigen. Während die einen am Krieg verdienen, verdienen die Gesättigten den Krieg: „satt und sauber / in den / Abend geglitten / nichtig wie Attentate / weil hier / viel zu wenig / passiert / weil dieser Wohlstand / den Krieg verdient“.
Der Autor nimmt sich selbst nicht aus und weiß um seinen eigenen Stand. Doch er bleibt von ideologischen Unschärfen verschont. Böke blickt aus der Umlaufbahn über die gedüngten Rasen der Siedlungen, in denen Verlierer um ihre Grills hocken. Sein „Grinsen spiegelt sich / im Chrom der Dekoration“. Er ist nah dran am Bösen, dem „Säuglingsarsch mit alter Fratze“. Sein Vokabular bleibt kriegerisch: „Blei und Uniformen“, „Schlachtfeld“, „Hände, die sich reichen im Kampf“. Lyrik aus dem Schützengraben – das ist Bökes Ding. Und Angriff ist die beste Verteidigung. Denn wie in Brechts Der gute Mensch von Sezuan klappt es nicht, gleichzeitig gut zu sein und doch zu leben: „Egal was du tust / egal wie viel du spendest (…) Egal wie tief / dein Geld die / Brunnen gräbt // Das Militär / ist vor dir dort.“
Nichts zu machen und jeder macht sich die Hände schmutzig. Das Leben ist für Böke ein Zahnrad in Form einer Ellipse: „die Ritzen greifen zu ohne Unterlass (…) das eigene Sterben ist nur Tangente.“
Starker Tobak. Doch wie bereits in seinen vorangegangenen Werken, zuletzt in Schorf und Pack schlägt sich, findet man unter scharfen Wortsalven tiefrührende Poesie. Er hadert nicht um des Haderns willen, sondern ob seiner Anteilnahme für das menschliche Schicksal, die Einsamkeit unter den Einsamen: „Gewärmt / haben Menschen / noch nie“. Das ist keine Hau-drauf-Lyrik. Keine Widerstandsposse. Nur finstere Einsicht; ein erschöpfter Clinch, bevor einer das Handtuch wirft: „aber ich warte / ich warte weiter / auf Umarmungen“.
Alright, Böke ist böse. Ein fieser Fighter, der es versteht, auf minimalem Raum maximal zu verdichten. Das gilt neben den Gedichten auch für die drei Cut-up-Collagen im Buch, in denen der Autor mit diversen Schnipseln und Bildern aus der deutschen Presse die Symptome der „Krankheit Heimat“ illustrativ komponiert. Vor ein paar Jahren schrieb ich in einer Rezension zu Bökes Land ohne Verfassung: „Wo andere Dichter zwei Seiten brauchen und den Punkt immer noch nicht treffen, trifft Böke mit nur zwei Zeilen voll in die Magengrube.“ – Das stimmt. Seine Worte treffen, aber auch ins Herz.
Info
Morbus Heimat. Gedichte und Collagen Urs Böke Ratriot 2017, 5 € Benedikt
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