Niemand ist unschuldig

Literatur Heute erscheint Franz Doblers dritter Roman „Ein Bulle im Zug“ – exakt zwei Wochen nach den tödlichen Schüssen auf Michael Brown in Ferguson

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Egal, ob Franz Dobler über einen Schweinezüchter, den Tischtennisvizeweltmeister oder einen Astronauten schreiben würde, der Mann hätte immer mehr als nur eine leise Ahnung von Musik. So ist das auch in Doblers neuem Roman Ein Bulle im Zug, in dem Lee Morgan-Fan und Kriminalhauptkommissar Fallner dienstunfähig wird, nachdem er bei einem Einsatz den 18-jährigen Kriminellen Maarouf mit drei Kugeln niedergeschossen hat. Auf den Rat seiner Therapeutin verwirklicht Fallner seinen Kindheitstraum und besorgt sich eine Bahncard100, mit der er so lange kreuz und quer durch die Republik fahren will, bis er seine „Problemzone“ verlassen hat.

Maarouf, der tote Junge, begleitet ihn auf seinem Trip, taucht regelmäßig auf, macht ihn von der Seite an. Fallner versucht ihn abzuschütteln, bleibt ständig in Bewegung, steigt selten aus – und wenn, dann meistens nur um: „Auch dem Drecksack, der sein Problem war, schien das permanente Rumkurven zu gefallen, denn er hatte sich in diesen vier Tagen nur ein- oder zweimal blicken lassen. Ohne viel Ärger zu machen. Deshalb hatte er die Hoffnung, er würde langsam und bald endgültig auf der Strecke bleiben.“

Doch da ist noch die Sache mit der Waffe. Denn obwohl der Kommissar zu wissen glaubt, dass Maarouf seine Pistole ziehen wollte, wurde am Tatort keine gefunden. Immer wieder rekapituliert Fallner den Einsatz, sucht nach Erklärungen, zweifelt an sich selbst, verzweifelt an allem. Dann, nachts allein im Großraumwagen oder am Ende der Welt, in einem Kaff in der deutschen Peripherie, ist der tote Junge nie weit, um ihm zwischen die Beine zu kicken: „Weißte, kleiner Wachtmeister, sagte er, als du mit mir Bang-Bang spieltest in jener Nacht vor sechs Monden, da hattest du einen fetten Dicken in der Hose, und voller Begehren warst du, es mit einem Bang-Bang endlich rauszulassen.“

Bis die Wahrheit schließlich am Ende des Buchs im grandiosen Showdown à la Peckinpah ans Licht kommt, muss Fallner über 300 Seiten Zugfahren, und das oft in bester Gesellschaft, wie tätowierten White-Trash-Mamis, besoffenen Fußballfans oder einem alten Killer im Bordbistro, der seine Kartoffelsuppe nicht essen will.

Keine Ahnung, wie oft und wie lange Dobler im Zug saß, um all den Stoff zu sammeln, aber ich vermute mal, dass er einiges mehr oder weniger genau so miterlebt haben muss. Manche Begegnungen sind einfach zu skurril, um sie zu erfinden. Dabei bleibt der Autor, ganz gleich, ob es sich gerade um Fallners reale Zugbekanntschaften oder um dessen Hallus und Flashbacks dreht, seinem routiniert lässigem Aus-dem-Bauch-heraus-Stil verbunden. Gleichzeitig, und das ist die ganze Kunst, sind Doblers Beobachtungen von messerscharfer Präzision. Selten liest man derart geschliffene Sätze, die einem, trotz ihrer Dichte, wie Öl runtergehen: „Den Blick in die Weite mögen – aber nicht in der Weite draußen sein wollen. Die Weite nur mögen […], wenn man sich in einem relativ kleinen Raum befindet, der in Bewegung ist und durch die Weite fährt. Damit sie dich nicht verschlingen kann.“

Nichtsdestoweniger war Doblers Schreibe selten derber, als in Ein Bulle im Zug, was stellenweise sehr witzig ist und natürlich auch gut ins Polizeimilieu passt. Andererseits verkörpert Kommissar Fallner alles andere als das typische Bullenklischee; und genau das ist auch der Haken, an dem ich mich persönlich ein wenig aufhänge. Fallner ist nicht nur aufgeklärt, irre kultiviert und politisch gebildet, sondern ebenso tolerant und außerordentlich selbstreflektiert. Mag sein, dass es Cops gibt, die mit ihrem Job hadern. Einen Polizisten wie Fallner gibt es, glaube ich, nicht. Denn wer bei diesem Verein anheuert, kann nicht so veranlagt sein, und falls doch, wird er mit Sicherheit nicht so bleiben. Sheriff zu sein ist eben nicht das gleiche wie Brötchenbacken oder die Post auszutragen.

Ich frage mich, welche Erfahrungen Dobler mit seinen Freunden und Helfern bisher machen durfte. Und logisch, not all cops are bastards. Und no one is innocent (Ronald Biggs). Und natürlich kommen im Roman auch jene selbstgerechten Polizisten vor, die man aus persönlichen Begegnungen zur Genüge kennt. Trotzdem kostete es mich anfangs Überwindung, die Charakterzeichnung des Kommissars zu akzeptieren. Dafür ist in meinem Umfeld einfach schon zuviel Demütigendes vorgefallen.

Vielleicht ist das aber auch der Trick, der dieser Story ihren besonderen Flow verleiht; dass hier eben nicht, wie sonst überall, der Cop den Bad Lieutenant mimen muss.

Doblers dritter Roman erscheint just zu den Riots in Ferguson, deren Hintergrund ja eine ganz ähnliche Geschichte wie die Ausgangssituation im Buch ist. Das ist strange, könnte aber den Verkauf ankurbeln. Und das hätte Ein Bulle im Zug mehr als verdient.

Franz Dobler: „Ein Bulle im Zug“, Tropen/Klett-Cotta, 2014, 350 Seiten, 21,95 Euro

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benedikt Maria Kramer

(*1979) arbeitet als Autor in Augsburg. 2016 erschien im Songdog-Verlag sein Gedichtband "Glücklichsein ist was für Anfänger".

Benedikt Maria Kramer

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