„Kolumbien soll zu einem tropischen Israel werden“

Lateinamerika Nicht nur mit ihrer zögerlichen Honduraspolitik handeln sich die USA viel Misstrauen auf dem Subkontinent ein

„Obama lügt Lateinamerika an!“ Boliviens Präsident Evo Morales will sein Missfallen über die neue alte Linie der USA gegenüber seinem Kontinent nicht verhehlen. Gerade ist bekannt geworden, was ihn so in Rage versetzt: Kolumbiens neokonservativer Präsident Alvaro Uribe gewährt den US-Streitkräften Zugang zu sieben weiteren Militärbasen, wofür der nach Israel und Ägypten drittwichtigste Empfänger nordamerikanischer Militärhilfen (2008: 669,5 Millionen Dollar) weitere Zuwendungen erhält.

Uribe auf Good-Will-Tour

Um die Wogen zu glätten, ist der kolumbianische Staatschef zu einer Good-Will-Tour nach Peru, Bolivien, Paraguay, Brasilien und Spanien aufgebrochen. Doch außer Präsident Alan García in Lima, der vor einem „neuen Kalten Krieg“ und der „kommunistischen Bedrohung“ in Lateinamerika warnt, hat Uribe keine Verbündeten. Vollends ausgeklammert von seiner Rundreise bleibt Hugo Chávez. Venezuelas Staatschef hat als Reaktion auf die expandierende US-Präsenz in Kolumbien die Ausrüstung für drei Panzer-Bataillone in Russland gekauft. Seitdem sind die Vorwürfe aus Bogotá – die auch gegen Ecuadors Präsidenten Rafael Correa erhoben werden –, Chavez’ Regierung halte die Rebellen der kolumbianischen FARC-Guerilla mit Waffen und Logistik aus, noch lauter geworden. Selbst Kontakte zur libanesischen Hizbollah und geheime Uranlieferungen an den Iran werden Venezuela und Bolivien angedichtet.

Offenbar versuchen die Vereinigten Staaten, über Kolumbien verlorenen Einfluss in Lateinamerika zurückzugewinnen. Nach der Rückgabe der Panamakanalzone 1999 und dem Beschluss des ecuadorianischen Parlaments, den November 2009 auslaufenden Pachtvertrag für die US-Airbase Manta nicht zu verlängern, entschädigt der willfährige Uribe für manches. Die „Yankees“ schaffen sich mit Kolumbien ein „tropisches Israel, das mit der schmutzigen Arbeit einer Destabilisierung unangenehmer Regierungen wie der von Ecuador und Venezuela beauftragt ist“, glaubt der kubanische Analyst István Ojeda.

Bisher hat die einstige Vormacht aus dem Norden die Integration des Subkontinents im Süden, wie sie in Gestalt der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) unter dem Schirm Brasiliens und durch die Alternativa Bolivariana para los pueblos de Nuestra América (ALBA) unter der Ägide Venezuelas stattfindet, fast ergeben hingenommen. Gleiches gilt für den Vormarsch des Exporteurs China, der zum wichtigsten Handelspartner Lateinamerikas aufgestiegen ist, wenn man der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik Glauben schenken darf. Doch scheint Barack Obama entschlossen, den Druck auf den Subkontinent wieder zu erhöhen. „Der Präsident der USA sieht anders aus, die Politik des Imperiums aber nicht. Meine Berater rieten mir: Traue Obama nicht, Imperium bleibt Imperium. Und sie hatten Recht“, resümiert Evo Morales. Nicht nur beim ersten indigenen Staatschef Lateinamerikas hatte der erste afroamerikanische Präsident der USA kurz nach dessen Wahlsieg im November 2008 für verhaltene Sympathie gesorgt. Als Aymara, so Morales, könne er Obama gut verstehen, auch der komme vom Rand der Gesellschaft. Die Führungen von Kuba, Venezuela, Argentinien, Chile und Brasilien reagierten ähnlich.

Von der Karibik bis Feuerland

Im April 2009 schienen sich die Hoffnungen auf einen Wandel in den Beziehungen zwischen den USA und ihrem historischen „Hinterhof“ tatsächlich zu bestätigen. Auf einem Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) im karibischen Inselstaat Trinidad und Tobago hatte Obama reumütig Fehler seiner Vorgänger eingestanden. Seine euphorisch aufgenommene Proklamation »neuer Beziehungen« zwischen Nord und Süd versprach eine Abkehr von über 200 Jahren Dominanz und über 100 Militärinterventionen von der Karibik bis Feuerland. Die Monroe-Doktrin sei als Symbol hegemonialer Ansprüche dank Oba­mas Wind of Change als Relikt der Geschichte entsorgt wie auch die gegen jedes Recht verstoßende Kennan-Corollary-Richt­linie, hieß es.

Diese war 1950 durch den US-Diplomaten George Kennan zur Bekämpfung des Kommunismus entworfen worden, um die direkte Einmischung in die Innenpolitik fremder Staaten zu rechtfertigen. Der Urheber meinte, von „vagen“ und „unrealistischen“ Zielen wie Menschenrechten, Anhebung des Lebensstandards und Demokratisierung in Lateinamerika sollte die „führende Nation“ nicht länger reden. Stattdessen sei „nüchternes Machtdenken“ geboten. Je weniger man dabei von idealistischen Parolen behindert werde, desto besser. Ziel jeder US-Regierung sei es, eine „Form von Beziehungen zu finden, die es uns erlaubt, Wohlstandsunterschiede ohne ernsthafte Abstriche an unserer nationalen Sicherheit zu erhalten“. Der „Typus des unterstützten Regimes“ sei dabei nicht so wichtig. Die zögerliche Haltung des Weißen Hauses zum Putschregime in Honduras deutet an, dass sich diese Auffassung nicht vollends überlebt hat. Vielleicht hält es Obama mit Theodore Roosevelt, einem seiner Vorgänger aus der Zeit des frühen 20. Jahrhunderts, der für den Umgang mit der Karibik der Maxime folgte: „Sprich sanft und trage dabei einen großen Knüppel.“

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