Evo Morales hat alle Anhänger aufgefordert, seine Politik notfalls mit ihrem Leben zu verteidigen. Wie zu erwarten, sorgte das Referendum vom 10. August, mit dem der Präsident Boliviens in seinem Amt klar bestätigt wurde, für keine Entspannung. Im Gegenteil.
Die Täter solcher Blutbäder ändern sich - die Opfer bleiben die gleichen", schreibt der argentinische Historiker Pablo Cingolani über die 30 ermordeten indigenen Bauern im nordbolivianischen Cobija (Departamento Pando): Es waren wehrlose Männer und Frauen, die Mitte vergangener Woche von mit Maschinenpistolen aufgerüsteten Bürgerwehren auf dem Weg zu einer Solidaritätsveranstaltung für Präsident Morales erschossen wurden. Einer der Getöteten war Bernardino Racua aus jenem Bauernverband, der unter anderem das Amazonas-Volk der Takanas vertritt, das sich im 16. Jahrhundert erfolgreich spanischer Eroberung widersetzte. "Jahrhunderte lange Zivilisierung durch christliche Bekehrung und Arbeit auf Gummibaumplantagen zerstörten ihre Kultur, sie hörten auf, sie selber zu sein", klagt Pablo Cingolani den Umgang mit dem Volk der Takanas an.
Überall im multikulturellen "Herzen Südamerikas", das mehr als 36 Nationen vereint, erhoffte man sich von der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) und Evo Morales als dem ersten indigenen Präsidenten des Subkontinents eine "Neugründung Boliviens" im Zeichen der ethnischen Versöhnung. Die kleine Elite aus Unternehmern, Latifundisten und Berufspolitikern, die sich seit der Wahlniederlage von 2005 in den Departamentos verschanzt, will sich damit nicht abfinden. Doch fällt es ihr immer schwerer, ihr rassistisches Denken hinter einer Fassade der regionalen Sezession zu verbergen. Seit einer Woche wird blank gezogen und auf jeden zivilisatorischen Firnis verzichtet.
Spätestens seit dem Vorfall von Sucre am 25. Mai 2008 musste jedem klar sein, der hetzerischen Agitation gegen den "ungebildeten Indio Morales" werden Taten folgen. An jenem Tag war eine Gruppe indigener Bauern aus der Provinz Chuquisaca vor laufenden TV-Kameras erniedrigt worden. Mit entblößtem Oberkörper und auf den Knien mussten die Männer, angetrieben von einem Mob fanatischer MAS-Gegner, über die Plaza Mayor von Sucre kriechen. Dies geschah nicht zufällig in Boliviens formaler Hauptstadt, in der sich eine Zweckallianz rechtskonservativer Kräfte mit allen Mitteln an die schwindende Macht klammert. Whipalas, die Regenbogen-Fahne der Andenvölker, ging in Flammen auf, eine aufgeputschte Menge bespuckte ihre Opfer und beleidigte sie als "Lamas". Die Gruppe aus Chuquisaca war ursprünglich nach Sucre aufgebrochen, um Evo Morales auf einer dort anberaumten Veranstaltung zu hören. Als eine Flughafenblockade den Präsidenten zur Rückkehr zwang, bekamen die dunkelhäutigen Landarbeiter den von Medien und Lokalpolitik geschürten Hass gegen die "schmutzigen Indios" am eigenen Leib zu spüren. Geschlagen und beleidigt, wurden sie mit Alkohol und Benzin übergossen und hörten die Drohung, sollten sie Sucre nicht auf schnellstem Wege verlassen, würden sie bei lebendigem Leibe verbrannt.
Erinnerte diese symbolische Demütigung an die Gebaren der spanischen Conquista aus dem 16. Jahrhundert, trägt das eingangs erwähnte Massaker von Cobija die Züge längst überwunden geglaubter Herrschaftspraktiken südamerikanischer Militärdiktaturen in den siebziger und achtziger Jahren. Seit Morales am 10. August beim Referendum über seine Präsidentschaft und die "Politik des Wandels" auf mehr als 67 Prozent Ja-Stimmen kam, ist die rechtsbürgerliche Opposition auf Konfrontation versessen und schickt bezahlte Schläger und Bürgerwehren auf die Straße. Die regierungsfeindlichen Präfekten der Tieflandregionen machen kein Hehl mehr aus ihrem destruktiven Furor, auch wenn sie wissen müssten, dass ihr Sezessionismus wegen der finanziellen Abhängigkeit von der Zentralregierung niemals zum Ausbruch aus dem bolivianischen Staatsverband führen kann. Zudem ist die Bevölkerung mehrheitlich keinesfalls gewillt, in einen Kampf zwischen Hochland- und Tieflandbewohnern zu ziehen, weil das Land eben nicht in "collas" und "cambas" gespalten ist, sondern schlicht in Arm und Reich, Oben und Unten. Weil eine Mehrheit der Bolivianer dies begriffen hat, bleibt der an den Wahlurnen gescheiterten Rechten nurmehr der Rückgriff auf faschistoide Methoden, um politisch verlorenes Terrain durch Terror zurück zu erobern.
Sollte es gelingen, den sozialen Grundkonflikt Boliviens auf Dauer derart zu militarisieren, wie das im Augenblick geschieht, wäre dies ein herber Rückschlag für Morales und seine "demokratisch-kulturelle Revolution", die eine noch immer von Rassismus durchdrungene Gesellschaft zu befrieden sucht. Der Präsident hat angesichts der vielen Provokationen von rechts bisher zu Besonnenheit und Geduld aufgerufen, doch seit dem Massaker von Cobija verlangt das Regierungslager mehrheitlich ein entschiedenes Handeln.
"Sollten sie anfangen, unsere Leute umzubringen, werden sie von den Massen aus dem Weg geräumt", meinte Isaac Avalos, Vorsitzender der Einzigen Gewerkschaftlichen Konföderation der Landarbeiter Boliviens (CSUTCB) schon im Mai auf die Frage, wie lange es noch friedlich bleibe. Sollte es der regierungstreuen Armee wie auch der Polizei nicht gelingen, die indigenen Bolivianer vor dem Straßenterror der Präfekturen und ihrer Milizen zu schützen, droht dem Tiefland unweigerlich der Sturzflug in einen Bürgerkrieg.
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