Vier Monate ist es her. Wie überall hatte man auch in La Paz große Hoffnungen in die UN-Konferenz von Kopenhagen gesetzt. Um so schwerer wog die Enttäuschung. Anstatt das Weltklima vor dem Kollaps zu bewahren, mauerten die Industriestaaten gegen Klimaschutz und bindende Pflichten. Business as usual auch bei Schwellenländern wie Brasilien, China und Indien, die ohne Skrupel um ihre neue Rolle auf der Weltbühne pokerten. Dem Gros der Entwicklungsländer fiel die unwürdige Rolle zu, Verhandlungsmasse zu sein. Als Barack Obama am letzten Konferenztag anreiste und nach nächtlicher G8-Kungelrunde vor die Journalisten trat, um den vermeintlichen „Durchbruch von Kopenhagen“ zu präsentieren, platzte Outlaw Evo Morales endgültig der Kragen. Nicht nur, dass er im Namen Boliviens einem „undemokratischen Protokoll“ die Zustimmung versagte – auch sein Urteil war eindeutig: Die Schuld an einer zerstörten Umwelt trage das westliche kapitalistische Entwicklungsmodell. Zu weit gehe die Degradierung des Südens, ein erneuter Akt von Kolonialisierung und westlicher Arroganz. Auch Fidel Castro verlangte eine Reaktion auf die „Seifenoper“, als deren Urheber er die „US-Regierung und ihre NATO-Verbündeten“ ausmachte.
Harmonie mit der Umwelt
Zur „Weltkonferenz der Völker zum Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde“ in seinem Land rief Evo Morales bereits in Dänemark Ende vergangenen Jahres. Prompt sind dem Appell etwa 20.000 Aktivisten aus aller Welt gefolgt. Unter der Ägide des Ministeriums für Umwelt und Wasser debattieren nun in der Universität von Tiquipaya Landlosenbewegungen, Verbände der Indigena, Gewerkschaften und Umwelt-NGOs. Auf der Agenda stehen neben dem Klimawandel erstmalig die Rechte der heiligen Pachamama – der Mutter Natur. Umgeben von sattem Grün und der milden Luft des Cochabamba-Tals werben die Bolivianer für das traditionell-indigene Konzept Vivir bien. Statt unendlichem Wachstum und Konsum gilt hier das Leben in Gemeinschaft und Harmonie mit der Umwelt sehr viel. Bei einem symbolischen Welt-Referendum über den Klimaschutz – so die Veranstalter – sollten die Menschen Zeugnis ablegen, wofür sie optieren. Die reiche Welt im Norden stehe in einer moralischen Schuld, mehr zu geben als zu nehmen.
Doch findet auch der Alternativgipfel in keinem politischen Vakuum statt. Neben den sozialen Bewegungen sind die linken Präsidenten der Allianz Bolivarianische Alternative für die Völker unseres Amerikas (ALBA) präsent. Der Venezolaner Hugo Chávez, Rafael Correa aus Ekuador, Daniel Ortega für Nikaragua, Paraguays Staatschef Fernando Lugo und Evo Morales setzen immer mehr auf den Umweltdiskurs nach dem Motto: Seht her, wir Sozialisten im armen Süden sind umweltfreundlicher als ihr Kapitalisten im reichen Norden! Bleibt ihr auf Wachstum und Konsum fixiert, zerstört ihr den Planeten. Ein Vorwurf, der sicher auch bei der nächsten UN-Klimakonferenz im mexikanischen Cancún erhoben wird. Wie ernst aber kann man die Anschuldigungen nehmen, lebt doch Venezuela nicht zuletzt von Erdölausfuhren in die Vereinigten Staaten, dem Klimakiller Nr. 1?
Von Bolivien lernen
Auch Bolivien steht vor einem Dilemma. Erst vor kurzem beschloss die Morales-Regierung ein 30-Milliarden-Dollar-Paket – den Plan Patria, durch dessen Hilfe das Pro-Kopf-Einkommen durch Staatsgelder und Kredite mit einem Schlag verdoppeln wird, soll dem traditionellen Rohstofflieferanten den Großen Sprung ermöglichen. Bolivien steht vor dramatischen Veränderungen. Südamerikas zweitgrößte Gasvorkommen, die weltweit größten Reserven an Eisenerz und Lithium wollen ausgebeutet und vor Ort verarbeitet werden. Statt eines Ausverkaufs wie seit 500 Jahren soll der Reichtum dem Land dienen. Ein jüngst geschlossenes Abkommen mit Brasilien eröffnet Unternehmen wie dem Energieriesen Petrobras einen Zugang zum Ressourcen-Spender Bolivien.
Insofern kann der "andere Klimagipfel" von Cochabamba den Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Naturschutz und Industrialisierung schwerlich ausklammern, in dem die Veranstalter stehen. Der Bau von Staudämmen sowie der künftige Umgang mit den Bodenschätzen wird deshalb von regierungskritischen Basisbewegungen am Rande durchaus diskutiert.
Nichtsdestotrotz ist Cochabamba kein grün getünchtes Propaganda-Meeting für Lateinamerikas Linksregierungen. Nachdem sich 193 Staaten in Kopenhagen als unfähig bewiesen haben, Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten, können neue Formen des Protests und der Einflussnahme nur hilfreich sein. Gerade von den sozialen Bewegungen Boliviens lässt sich lernen, was Mobilisierung vermag. Sie waren es, die im berühmten „Wasser-Krieg“ von Cochabamba im Jahr 2000 den Verzicht auf eine privatisierte Trinkwasserversorgung erzwangen. Und im „Gas-Krieg“ von 2003 hatten sie Anteil daran, dass kein bolivianisches Gas zum Dumpingpreis nach Kalifornien verschachert wurde. Der UN-Klima-Gipfel von Cancún Ende des Jahres wird zeigen, ob Cochabamba einer breiten Bewegung gegen Kapitalismus und Umweltzerstörung helfen konnte.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.