An diesem Sonntag wählt Uruguay seinen künftigen Präsidenten. Die ideologischen Fronten sind klar und auch die Hauptfiguren könnten polarisierender nicht sein: Schrullig-sympatischer Stadtguerilla-Veteran José "Pepe" Mujica gegen den staatsmännisch-glattgebürsteten Ex-Staatschef Luis Alberto Lacalle (1990-1995), sozialdemokratische Wohlfahrtspolitik gegen neoliberalen Marktradikalismus.
Hinter dem südamerikanischen Kleinstaat am Rio de la Plata liegt ein wortreich geführtes, aber inhaltlich fades Wahlkampftheater. "Mit der Kettensäge" werde er die öffentlichen Haushalte angehen, drohte Lacalle von der oppositionellen Nationalen Partei im Falle eines Wahlsieges. "Wir werden das rückgängig machen, was uns nicht gefällt - und das ist Vieles!", kündigte er eher nebulös an. Womöglich mangels inhaltlicher Alternativen spielte Lacalle immer wieder auf die 15 Jahre Haft an, die Kontrahent Mujica wegen seiner Aktivitäten als Tupamaro-Guerillero der Sechziger verbüßen musste. Die aktuelle Regierung sei nichts als eine Bande von "Mördern, Folterern und Dieben".
Natürlich geht von "Pepe", der sich selbst einen "hässlichen Mann mit dem Aussehen eines Gemüsehändlers" und "vegetarischen Guerillero" nennt, längst keine Gefahr mehr aus. Er ist schon seit langem in der für Lateinamerika beispiellos bunten Demokratiekultur Uruguays angekommen. In den parteiinternen Vorwahlen hatte er sich überraschend durchgesetzt und den Protegé von Noch-Präsident Tabaré Vásquez geschlagen. Nun drohe eine Machtverlagerung weg von den "europäisch geprägten Sozialdemokraten" hin zu den "Kommunisten", versuchte Lacalle einen Keil in das regierende Linksbündnis "Frente Amplio" (FA) zu treiben und Angst vor Enteignungen von Privatbesitz zu schüren.
Schimpfwort "neoliberal"
Doch auf einer Wahlkampf-Abschlussveranstaltung am Donnerstag, zu der rund 150.000 Menschen gekommen waren, warb Ex-Agrarminister Mujica für einen "Nationalen Pakt" mit den Oppositionsparteien. Man wolle "mit derselben Strategie" wie gehabt weiter machen, so die Beruhigung Richtung Mittelstand. Die Gefahr liege Rechts.
"Wenn Lacalle zurückkommt, wäre das so, als wenn in Argentinien Menem wieder ans Ruder käme", sagt etwa Julio Sumiso, Architekt aus dem Departamento Canelones. Diese zu verhindern sei oberstes Gebot. Das Trauma der Finanzkrise 2002 ist noch tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Spätestens seitdem im Nachbarland Argentinien Kinder verhungerten - ganz Lateinamerika verfolgte die Tragödie damals im Fernsehen live mit - ist "neoliberal" zum Synonym für rücksichtslose Raffgier geworden. Marktradikale Töne werden daher aufs Genaueste registriert.
Die weit gehende inhaltliche Leere im Wahlkampf ließ zunehmend die Zunft der Demoskopen in den Vordergrund rücken, die mit ihren Zahlenspielen die vergangenen Wochen prägten. Alles drehte sich um die eine Frage – Stichwahl ja oder nein? "Wenn keine Katastrophe passiert", sagte Meinungsforscher Oscar Bottinelli noch drei Tage vor der Wahl, wird es wohl erneut der FA-Einheitskandidat sein, der das Rennen macht. Wie schon beim ersten Wahlsieg eines Links-Politikers überhaupt im Oktober 2004 - damals knackte Vásquez die erforderliche 50-Prozent-Hürde mit weniger als einem Prozent nur hauchdünn - könnte es aber am Sonntagabend sehr knapp werden.
Stichwahl wahrscheinlich
"Das wahrscheinlichste Ergebnis ist ein zweiter Wahlgang, ein Wahlsieg der FA im ersten Anlauf sollte aber dennoch nicht ausgeschlossen werden", prognostizierte der Direktor des renommierten Umfragesinstituts Factum. Seine Zahlen belegen das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Mujica und Lacalle: 48 bis 50 Prozent der rund 2,5 Millionen Wahlberechtigten würde für den Liebling der Unterprivilegierten stimmen, rund 30 Prozent für Lacalle und seine National-Partei. Platz Drei fiele mit 16 Prozent an Pedro Bordaberry, Sohn des gleichnamigen Militärdiktators der siebziger Jahre und Kandidat der zweiten konservativ-bürgerlichen Kraft Partido Colorido.
Sollte es Ende November tatsächlich zu einer Stichwahl zwischen den zwei Erstplazierten kommen, ein Triumph des geeinten rechten Lagers käme dennoch einer politischen Sensation gleich. Mehr als stark konnte die FA in der Regierung punkten, zu hoch ist trotz Streits um den "autoritären Führungsstil" und die programmatisch-strategische Ausrichtung die Beliebtheit von Frontmann Vásquez. Allein das Wiederwahlverbot konnte ihn von einer zweiten Präsidentschaft abhalten. Doch war der ehemalige Parteichef des aus über 14 Linksgruppierungen aller Couleur (Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten) bestehenden Zusammenschlusses in den eigenen Reihen zunehmend in die Kritik geraten.
Ende 2008 hatte er Kraft seines Präsidial-Veto ein bei konservativen Wählern umstrittenes Abtreibungsgesetz gestoppt. Zwar hatte der Entwurf das von der FA kontrollierte Parlament passiert. In letzter Instanz aber und gegen den Willen der gesamten Partei blockierte der Krebsarzt Vásquez die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruches. Wegen gemeinsamer Militärmanöver mit den USA, einer UN-Truppenentsendung nach Haiti und der ungebrochenen Offenheit Uruguays für ausländisches Kapital handelte er sich den Vorwurf ein, er sei ein "Freund der Yankees und Multis".
Weniger Arme, mehr Lohn
Seinem Nachfolger hinterlässt er trotz widriger Umstände wie Ernteausfälle durch Dürre und der weltweiten Öl-Verteuerung eine durchaus stabile Wirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs 2005 bis 2008 um 21 Prozent. Die Löhne stiegen um ein Viertel, beim untersten Einkommensdrittel der Uruguayer sogar um mehr als 30 Prozent. Der Mindestlohn verdoppelte sich auf 140 Euro, für Landarbeiter wurde ein 8-Stunden-Tag eingeführt. Lebte im Jahr 2004 noch fast jeder Dritte unterhalb der Armutsgrenze, ist es heute nach Angaben den Nationalen Statistikamtes noch jeder Fünfte.
Auch das gesellschaftliche Klima hat sich spürbar verändert. Ein zeitgleich mit der Wahl stattfindendes Referendum soll ein Amnestiegesetz für Verbrechen der Militär-Junta abschaffen. Die Zustimmung erscheint sicher. "Die langen Schatten der Diktaturen wollten lange nicht verschwinden", sagt Uruguays prominentester Autor Eduardo Galeano. "Die ersten Jahre der Frente-Amplio-Regierung haben unserem Land dazu verholfen, dass es nicht mehr von dieser Angst paralysiert ist". Angesichts anstehender Wahlen in Bolivien und Chile im Dezember 2009, in Brasilien (2010) und Argentinien (2012) versteht die Linke Lateinamerikas den morgigen Urnengang auch als Nagelprobe progressiver Politik. Ein Sieg der Rechten wie schon bei den Parlamentswahlen in Argentinien im Juni 2009 hätte entsprechend eine verheerende Signalwirkung.
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