Wechsel ohne Wandel

Chile So klar auch der Wahlsieg des rechten Politikers Sebastián Piñera in Runde eins der Präsidentenwahl ausfiel, eine Vorentscheidung ist das so wenig wie ein Rechtsruck

Einen „Rechtsruck“ soll der konservative Milliardär Sebastián Piñera den Chilenen am Sonntag also beschert haben. Auch wenn er die absolute Mehrheit im ersten Anlauf verpasst hat und auf die Stichwahl im Januar hofft, dem politischen Gegner mutet der Harvard-Absolvent eine herbe Niederlage zu. Mit Ex-Präsident Frei verwies der 60-Jährige nicht nur den langweiligen Kronprinzen von Präsidentin Bachelet auf den zweiten Platz. Gleiches gilt für die von beiden vertretene bisherige Regierungskoalition der Concertacíon. Nach genau 20 Jahren ununterbrochener Macht scheinen dem zerstrittenen Mitte-Links-Bündnis jetzt die Mehrheiten für ihre Reformen auszugehen. Frischer Wind nach bleierner Zeit war das Markenzeichen, das den vier Parteien der Allianz seit dem Ende der Pinochet-Diktatur 1988 und der Rückkehr zur Demokratie Wahlsieg auf Wahlsieg garantierte. Demokratiebegeisterung adiós, über eine Million Wähler blieben am vergangenen Wochenende zu Hause und haben damit links verbrämter „Pakt-Demokratie“ eine Abfuhr erteilt.

Auch wenn Bachelet sich durch eine teils diffuse Symbolpolitik viel Popularität gesichert hat – für die sie stützende Koalition war das letzten Endes von Schaden. Gab es unter Bachelet einen „Linksruck“ in Chile? Weder die Pinochet-Verfassung von 1980 noch das nach Vorlagen der „Chicago Boys“ mit dem Militärputsch von 1973 importierte neoliberale Wirtschaftsmodell wollte die Sozialistin antasten. Dem Internationalem Währungsfonds wie der Weltbank gilt Chile als „Musterland“, auch wenn (oder weil?) es dort eine enorme Schere zwischen arm und reich gibt und das obere Fünftel der Gesellschaft über 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verfügt. Die Concertación reagierte darauf mit sozialen Gewissen und Almosenprogrammen, auf dass die Ärmsten der Armen ruhig blieben – den wütenden Protest der indigenen Mapuche-Minderheit quittierte sie mit der Armee und Anti-Terror-Gesetzen.

Egal wer das Pazifikland ab 2010 durch die regionalen Ausläufer der Weltwirtschaftskrise steuert – der Hausherr in der Casa Moneda wird weiter auf betont ideologiefreiem Kurs bleiben. Längst hat der halbe Kontinent das Ruder nach links gerissen und mit der Neugestaltung von Staat und Gesellschaft begonnen. Die ökonomisch „modernste“ aller Nationen Südamerikas aber fühlt sich seit dem Tod Allendes am 11. September 1973 dem Axiom verpflichtet There is no alternative – Turbo-Kapitalismus, Marktwirtschaft, Deregulierung à la Washington Consensus. Ein Freihandelsvertrag mit den USA von 2004, staatliche Lobbyarbeit für die Amerikanische Freihandelszone (ALCA) und das Festhalten am Kupferbergbau in Privathand zeugen vom Machtanspruch der Eliten Chiles.

Einen Politikwechsel verheißt Piñera also nicht. Auch ein anti-demokratischer Rückfall in autoritäre Gebaren wäre unter einem Präsidenten, der seine ersten Millionen unter General Pinochet bei der Einführung des chilenischen Kreditkartenwesens machte, nicht in Sicht. Warum auch? Die Geschäfte laufen allseits gut, mit oder ohne Parlament und Wahlen.

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