Wichtige Grundlage für Konsequenzen bei der Deutschen Welle

Antisemitismus-Gutachten Nach Antisemitismusvorwürfen und der Suspendierung von Mitarbeitenden der Middle-East-Redaktion liegt seit Februar 2022 ein Gutachten vor, aus dem Konsequenzen gezogen werden

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Der Auslandssender ,Deutsche Welle' reagiert auf Antisemitismus-Vorwürfe
Der Auslandssender ,Deutsche Welle' reagiert auf Antisemitismus-Vorwürfe

Foto: Ina Fassbender/Afp via Getty Images

Am 30. November 2021 erschien in der Süddeutschen Zeitung der Artikel „Ein Sender schaut weg“. In diesem Beitrag und nachfolgenden Berichten in weiteren Medien wurden antisemitische Äußerungen von Mitarbeitenden der Middle-East-Redaktion sowie freien Mitarbeitenden der Deutschen Welle (DW) im Ausland öffentlich gemacht und die Deutsche Welle dafür kritisiert, dies geduldet zu haben bzw. nicht eingeschritten zu sein.
Das Online Magazin VICE weitete am 03.12.2021 mit dem Artikel „VICE-Recherche: Wie die Deutsche Welle Israel-Hass in Jordanien fördert“ diese Antisemitismus-Vorwürfe auf den DW-Kooperationspartner Roya TV und am 07.12.2021 mit dem Artikel „VICE-Recherche: Auch im Libanon unterstützt die Deutsche Welle Israelhass“ auch auf den DW-Kooperationspartner Al Jadeed TV aus. Am 12. Dezember 2021 erhob Bild.de weitere Vorwürfe gegen den Partner Maan News aus dem Westjordanland: „,Deutsche Welle' verteidigt antisemitischen Sender“.

Für die 1953 als Auslandssender Deutschlands gegründete Anstalt des öffentlichen Rechts und Mitglied der ARD dürfte dies die schwerste Erschütterung in ihrer bisherigen Geschichte ausgelöst haben. Angesichts des Umstandes, dass sie aus Steuergeldern des Bundes (2021: 315,350 Mio. €) finanziert wird und in journalistischer Unabhängigkeit ein umfassendes Deutschlandbild vermitteln soll, sind solche Vorwürfe nicht allein ein redaktionelles Problem, sondern fordern die Vermittlungsarbeit Deutschlands insgesamt heraus.

Der Intendant der Deutschen Welle, Peter Limbourg, stellte sich deshalb den Vorwürfen und erklärte: „Wir müssen in Zukunft viel stärker unsere Position deutlich machen. Meinungsfreiheit ist niemals eine Rechtfertigung für Antisemitismus, Israelhass und Leugnung des Holocaust.“

Einleitung einer unabhängigen Untersuchung

Auf seine Bitte übernahm MIND prevention den Auftrag einer unabhängigen Untersuchung. „Zur Durchführung der unabhängigen Untersuchung konnte die DW mit der ehemaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und dem Psychologen Ahmad Mansour zwei für diese Aufgabe besonders profilierte Persönlichkeiten gewinnen“, so Intendant Peter Limbourg. Der Auftrag umfasste folgende Bestandteile:

(1) Verifizierung von Social Media-Postings, die von freien und festen Mitarbeitenden der arabischen Redaktion der Deutschen Welle unter dem Vorwurf des Antisemitismus in dem Artikel „Ein Sender schaut weg“ am 30.11.2021 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurden und deren Einordnung in den sozio-kulturellen Kontext sowie die Bewertung vor dem Hintergrund der erweiterten IHRA-Antisemitismus-Definition.

(2) Überprüfung des Rekrutierungsverfahrens, Benennung von Fehlern und Empfehlungen für Verbesserungen und präventive Maßnahmen

(3) Durchleuchtung und Bewertung der Vertriebs- und Partnerstrategie ebenso wie Ko- Produktionen der DW in der MENA-Region und daraus resultierende Empfehlungen.

Binnen weniger Wochen legten die unabhängigen Expert:innen den Bericht vor, der in einer gemeinsamen Sitzung von Rundfunkrat und Verwaltungsrat der DW am 07. Februar 2022 erörtert wurde. Dort betonten die Gremienvertreter:innen, dass der vorgestellte Bericht und die daraus von der Geschäftsleitung der DW entwickelten Maßnahmen eine wichtige Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit diesem Thema in den Gremien seien. Intendant Peter Limbourg sagte:
„Allein der Verdacht, dass es in einer deutschen, steuerfinanzierten Einrichtung Antisemitismus gibt, muss für Juden in diesem Land und weltweit unerträglich sein. Wir räumen heute Versäumnisse und Fehler ein. Diese werden wir zeitnah, vollständig und konsequent aufarbeiten. Wir werden klare, auch personelle Konsequenzen ziehen.“

Die erhobenen Vorwürfe treffen zu

Das Gutachten bietet dafür eine gute Grundlage. Es kommt zu der Feststellung, dass die in der Süddeutschen Zeitung zitierten Aussagen nach Prüfung zutreffend waren. Eine Bewertung erfolgt nicht auf Grund einer einzigen Aussage, sondern auf Grund einer Gesamtbetrachtung, teilweise über einen längeren Zeitraum.

Mansour erklärte bei der Vorstellung des Berichts, die Kommission habe mit rund 30 der mehr als 200 Mitarbeitenden der Arabisch-Redaktion gesprochen. Das Resultat sei: „Wir reden hier von punktuellem Fehlverhalten, aber nicht von strukturellem Antisemitismus.“ Dies gelte auch für die Berichterstattung. „Auch da haben wir punktuelle Fehler gefunden, die wir ausführlich beschrieben haben in unserem Bericht.“ Die Zahl der Einzelfälle gebe allerdings Anlass zu berechtigter Sorge.

Insgesamt ergibt sich daraus ein Bild, das den Vorwurf antisemitisch motivierter Überzeugungen rechtfertigt. Dieser Bewertung liegt die internationale IHRA – Antisemitismus – Definition sowie die Kriterien der Drei – D.- Abgrenzung zu Grunde (vgl. S. 38 ff). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch künftig ähnliche oder vergleichbare Aussagen auf den privaten Social Media Accounts der suspendierten Mitarbeitenden geben könnte. Die ausgesprochenen Suspendierungen erscheinen danach gerechtfertigt.

Es wurden ergänzend zu den Bewertungen der fünf namentlich genannten Mitarbeitenden weitere Recherchen durchgeführt und dabei weitere acht DW-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter identifiziert, denen ebenfalls antisemitische Äußerungen auf Social Media vorzuwerfen sind. Die Entscheidung über die weitere Verfahrensweise liegt bei der DW.

Wie sieht die künftige Prävention aus?

Soweit es von den Gutachter:innen in der vergleichsweise kurzen Zeit beurteilt werden konnte, wurden in der Berichterstattung der DW Arabia in der überwiegenden Mehrheit keine antisemitischen Tendenzen identifiziert. Dies wird als ein Verdienst der Middle-East-Redaktion mit vielen sehr engagierten und guten Mitarbeitenden gewürdigt. Dennoch geschahen punktuelle Fehler, die vor dem Hintergrund der aktuellen Berichterstattung über die Deutsche Welle Beachtung finden müssen und deren Ursachen im Sinne der künftigen Prävention genauer zu beleuchten sind.

Beispiele für eine verzerrte und teils auf objektiven Unwahrheiten beruhende Berichterstattung, wie Artikel und Bildreihen, finden sich auf den Seiten 10 ff. des Berichts. Die entsprechenden Einzelbeispiele zur Programmgestaltung werden im Bericht ab S. 15 ff. ausgeführt. Zusammenfassend werden aus Sicht der Gutachter:innen dem deutschen Publikum:
1. Objektiv falsche Informationen als Fakten dargestellt und
2. Geschehnisse vor Ort, historisch als auch aktuell, sehr einseitig und tendenziös eingeordnet.

Die Schlussfolgerungen des Gutachtens (ab S. 34) umfassen im Wesentlichen 19 Empfehlungen, auf die seitens der Deutschen Welle mit einem 10-Punkte-Maßnahmenplan vom 07. Februar 2022 reagiert wurde und die folgende Aspekte umfassen:

1. Die DW wird sich auf eine Antisemitismus-Definition festlegen und diese intern verpflichtend vermitteln. Die Definition schließt die Anerkennung des Existenzrecht Israels und die Ablehnung von Leugnung und Verharmlosung des Holocaust ein.

2. Die DW wird ihren Code of Conduct schärfen, in ihm die „roten Linien“ für Mitarbeitende klar benennen und seine Verbindlichkeit erhöhen. Darüber hinaus erarbeitet die DW eine Fassung des Code of Conduct speziell für Geschäftspartner.

3. Die DW wird die Regeln für wertebasiertes Recruiting schärfen.

4. Die DW wird die interne Fortbildung zu ihren Werten und Standards erweitern, verbessern und neue Pflichtmodule einführen.

5. Die DW wird ihr Risiko-Management in Geschäftsbeziehungen stärken.

6. Die DW wird den Bereich Compliance stärken, indem sie ihn direkt beim Intendanten anbindet und um das Aufgabengebiet Brand Integrity erweitert.

7. Die DW wird bei Geschäftsbeziehungen ihre Werte konkreter vermitteln und intern strengere Prüfmechanismen umsetzen.

8. Die DW wird die Entscheidung über den Abschluss neuer Geschäftsbeziehungen auf eine breitere Grundlage stellen.

9. Die DW wird Dialogformate mit Partnern in MENA-Region etablieren.

10. Die DW wird in der Chefredaktion ein Kompetenzteam einrichten, um im Programmangebot die Themenfelder Antisemitismus, Existenzrecht Israels und deutsche Verantwortung zu stärken. Sie wird zudem das DW-Studio Jerusalem personell verstärken.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster erklärte: „Nach den Vorwürfen hat die Deutsche Welle schnell reagiert und ein unabhängiges Gutachten erstellen lassen. Das ist sehr zu begrüßen. Denn so wie bisher darf es nicht weitergehen. Der Sender sollte jetzt rasch die Empfehlungen der Gutachter umsetzen."

Die Deutsche Welle wird sich, wie es aussieht, nicht auf dem Gutachten ausruhen, sondern notwendige Konsequenzen ziehen. Der Sender sollte freilich die Anregung des Zentralratsvorsitzenden aufgreifen, "in einem Vierteljahr einen ersten Bericht vor[zu]legen, der über die getroffenen Maßnahmen Auskunft gibt.“

Der Autor ist Landesbeauftragter zur Förderung jüdischen Lebens und der Bekämpfung des Antisemitismus in Thüringen
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

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