Begonien und Widersprüche

Kunst und NS-Diktatur Emil Noldes Gemälde "Begonien" kehrte im vergangenen Herbst nach Erfurt zurück und verweist uns auf die Widersprüche nicht nur dieses Künstlers in der NS-Diktatur

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Emil Noldes Gemälde "Begonien"
Emil Noldes Gemälde "Begonien"

Foto: Martin Schutt/picture alliance/dpa

Rot und gelb leuchten sie vor weißem Hintergrund. Der Rückkauf des Ölgemäldes „Begonien“ von Emil Nolde im vergangenen Herbst und die öffentliche Präsentation des Werks in Erfurt war ein Anlass zu besonderer Freude. Im Jahr 1929 entstandenen, 1930 durch das Erfurter Angermuseum angekauft und 1937 im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ wieder entfernt, kehrte das Bild nach mehr als 80 Jahren Aufenthalt in der Schweiz nach Erfurt zurück.

Es ist die Geschichte eines glücklichen Rückkaufs, der zunächst nicht zu gelingen schien und sich doch noch zum Guten wenden ließ. Kostete der Ankauf 1930 noch 8.000 Mark, übrigens schon damals ein beachtlicher Preis für ein Nolde-Gemälde, wurden es am Ende 1,5 Millionen Euro, die die öffentliche Hand und private Zuwendungsgeber finanzierten, um das Gemälde wieder dauerhaft in Erfurt zeigen zu können. Für die Ausgabe öffentlicher Mittel bedarf es immer guter, nachvollziehbarer Gründe, gerade wenn solch hohe Summen im Spiel sind.

Im Fall von Emil Noldes Gemälde „Begonien“ ließ sich diese Ausgabe überzeugend begründen. Die Bedeutung Noldes als einem der Hauptvertreter des deutschen Expressionismus ist ebenso unumstritten wie sein Rang in der europäischen Kunstgeschichte. Auch die ungebrochene Wertschätzung, die Nolde in weiten Teilen der Öffentlichkeit erfährt, rechtfertigte den Rückkauf. Der Künstler unterhielt vielfältige private Beziehungen nach Thüringen, vor allem nach Jena, wo er im Winter 1908 die Technik des Aquarellierens für sich entdeckte. Dennoch ist trotz zahlreicher Ausstellungen in das Land sein außergewöhnlich reiches Schaffen in den Sammlungen Thüringer Museen kaum mehr belegbar, denn Nolde wurde unter den Nationalsozialisten verfemt und seine Werke im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ im Jahr 1937 entfernt.

Bereits 1930 waren in der Folge der nationalsozialistischen Beteiligung an der Thüringer Landesregierung durch den NSDAP-Minister für Inneres und Volksbildung Frick Maßnahmen gegen die von den Nationalsozialisten so genannten „kulturbolschewistischen“ Tendenzen ergriffen worden – beginnend in den Weimarer Kunstsammlungen. Sie fanden 1937 mit der Entfernung und teilweisen Vernichtung „entarteter“ Kunst aus allen thüringer Museen und Sammlungen ihren traurigen Höhepunkt.

Für Emil Nolde, von dem über 1.000 Werke in deutschen Museen beschlagnahmt wurden und der in der kunstverachtenden Ausstellung „Entartete Kunst“ von allen Künstlern am stärksten vertreten war, war die nationalsozialistische Ausgrenzung sowohl künstlerisch und beruflich dramatisch. Hinzu kam jedoch, dass er unter der Verfemung auch deshalb in besonderer Weise litt, weil seine Sympathien für den Nationalsozialismus über die „politische Ahnungslosigkeit“, hinter der er sich nach dem Krieg lange Zeit versteckte, weit hinausreichten. Weil es Nolde in der Nachkriegszeit erfolgreich gelang, seine Affinität zur nationalsozialistischen Ideologie zu verschleiern und von seinem künstlerischen Werk zu trennen, wurde er lange Zeit als NS-Opfer wahrgenommen, das er in dieser Ausschließlichkeit nicht war. Nicht zuletzt im Zuge jüngerer Forschungsarbeiten erfährt eine breitere Öffentlichkeit wieder, dass Nolde überzeugter Antisemit war und bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches Anhänger des NS-Regimes blieb.

Trotz dieses politischen Hintergrunds des Künstlers stand der Erwerb des Ölgemäldes „Begonien“ für das Erfurter Angermuseum und die Unterstützung durch die öffentlichen und privaten Geldgeber, darunter der Freistaat Thüringen, die Kulturstiftung der Länder sowie die Ernst von Siemens-Kunststiftung berechtigterweise nie in Frage. Bei einem so populären Maler wie Emil Nolde, dessen Werke jedes Jahr Preisrekorde auf dem internationalen Kunstmarkt erzielen und Reproduktionen millionenfach verkauft werden, besteht eine Verpflichtung, der Öffentlichkeit in Thüringen und darüber hinaus eine direkte und vor allem differenzierte Begegnung mit diesem herausragenden Expressionisten ermöglichen.

Das Erfurter Kunstmuseum am Anger, nur wenige Schritte vom Hauptbahnhof entfernt, kann mit diesem Werk einen Beitrag zur historisch-kritischen Perspektive sowohl auf Emil Nolde als auch unser gewohntes NS-Bild leisten. Wir neigen dazu, den Nationalsozialismus eindimensional als eine Kraft zu sehen, die mit allen modernen Kunstrichtungen gewaltsam brechen wollte. Darin wird zum Teil ein Glücksmoment gesehen, weil durch die Ausgrenzung der Vertreterinnen und Vertreter moderner Kunst und Architektur diese vor der totalitären Versuchung verschont blieben. Dieses Bild ist falsch. Nicht nur weil uns Nolde zeigt, dass die künstlerische Ausdrucksform keinen zwangsläufigen Rückschluss zulässt auf politische Meinungen oder rassische bzw. antisemitische Vorurteile. Auch das Bauhaus, dessen Gründung 1919 in Weimar in diesem Jahr mit Museumseröffnungen, Ausstellungen, Dokumentationen und Fernsehspielen gefeiert wird, und die vom Bauhaus inspirierten Methoden der Produktgestaltung waren im Nationalsozialismus nicht widerspruchsfrei. Standardisierte Zweckmäßigkeit bei der Produktgestaltung, basierend auf den Prinzipien des Deutschen Werkbundes und des Bauhauses, waren pragmatische Maßstäbe in der Kriegsproduktion, Martin Gropius beteiligte sich noch nach der Machtübernahme Hitlers an Wettbewerben, darunter dem Erweiterungsbau für die Reichshauptbank bzw. das nationalsozialistische „Haus der Arbeit“ und gestaltete 1934 mit Joost Schmidt und Walter Funkat die Abteilung Nichteisen-Metalle auf der Ausstellung „Deutsches Volk – Deutsche Arbeit“. Selbst Mies van der Rohe, ursprünglich Mitglied der Novembergruppe, verweigerte unter opportunistischen Begründungen 1933 den Austritt aus der Akademie der Künste nach dem Vorbild von Thomas Mann und Alfred Döblin, arbeitete bis zu seiner Emigration 1937 an nationalsozialistischen Bauprojekten und blieb Mitglied derjenigen Akademie, die inzwischen die Ausstellung „Entartete Kunst“ verantwortete.

In diesem Sinne darf das rückerworbene Gemälde nicht nur ausgestellt werden. Es muss uns Anlass sein, zu verstehen, dass es eine unschuldige Moderne nicht gab. Dies macht die Begegnung mit Kunst und die Auseinandersetzung mit den Ambivalenzen nicht allein des Zeitalters der Extreme, sondern auch unserer Zeit erst möglich. In diesem Sinne ist der Rückerwerb der „Begonien“ eine Chance, Öffentlichkeit herzustellen, die aus der Beschäftigung mit Kunst Erkenntnis zieht.

Petra Eisele, Adolf H. beim Zeitunglesen unter dem Adventsbaum. Zur Rezeption der Gestaltungsprinzipien des Bauhauses im Nationalsozialismus, in: Christina Biundu/Andreas Haus (Hrsg.), Bauhaus-Ideen 1919-1994. Bibliographie und Beiträge zur Rezeption des Bauhausgedankens, Dietrich Reimer Verlag, 1994, S. 30-41

Kirsten Jüngling, Emil Nolde – Die Farben sind meine Noten, Berlin, Propyläen Verlag, 2013

Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Konstanze Gerling-Zedler, Referentin in der Thüringer Staatskanzlei.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

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