"Freiheit statt Sozialismus" - reloaded

Bundestagswahl Die CDU will einen Lagerwahlkampf gegen Rot-Rot-Grün mit Sozialismus-Panik führen. Mitte-Links sollte sich davon nicht beeindrucken lassen. Es gibt Wichtigeres zu tun

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Ab dem heutigen 2. März läuft bundesweit in den Kinos der Film »Der junge Karl Marx« an. Der Film zeigt, wie der 26-jährige Marx, gespielt von August Diehl, ‎im Pariser Exil 1844 Friedrich Engels (Stefan Konarske) kennenlernt und aus dieser Bekanntschaft eine der fruchtbarsten Arbeitsbeziehungen für die entstehende sozialistische Bewegung wird. Die Ideen und Schriften dieser beiden politischen Philosophen haben noch heute eine große Aktualität.

In der ZEIT vom 9. Februar dieses Jahres führt Lisa Nienhaus aus: "Kapitalismus und Globalisierung haben im Verlaufe der vergangenen 150 Jahre viele Menschen reicher gemacht, nicht nur Kapitalisten, sondern auch Arbeiter. Trotzdem ist die Marxsche Kritik hochaktuell." Und in der taz hielt Ulrike Hermann ergänzend fest: "Marx fasziniert bis heute, weil er der erste Theoretiker war, der die Dynamik des Kapitalismus richtig beschrieben hat.[...] Es ist kein Zufall, dass die Mainstream-Ökonomen so beharrlich versuchen, Marx zu ignorieren und zu tabuisieren. Denn wenn sie ihn lesen würden, wäre ihre eigene Theorie obsolet."

Im gleichen ‎Sinne diskutierten jüngst Mathias Greffrath, Wolfgang Streeck, Sahra Wagenknecht, Robert Musik und Paul Mason in einer 6-Teile umfassenden Reihe das vor 150 Jahren erschienene Marxsche Hauptwerk »Das Kapital« in der Deutschlandfunk-Rubrik »Essay und Diskurs«.

Die ewige Warnung der CDU vor dem Sozialismus

Während sich dergestalt künstlerisch und diskursiv sowohl mit Marx als auch den noch heute geltenden Widersprüchen kapitalistischer Entwicklung und den daraus entstehenden Ungleichheiten und sozialen Ungerechtigkeiten auseinander gesetzt wird, zeigt der Vorwahlkampf zur Bundestagswahl, wie es um das politische Bewusstsein von Mitte-Rechts bestellt ist.

Seit die SPD mit Martin Schulz als designiertem Kanzlerkandidat nach Jahren der Agonie und Stagnation ernsthaft in der Lage zu sein scheint, nicht nur einen Kanzlerkandidaten auszurufen, sondern auch den Anspruch zu erheben, den nächsten Kanzler tatsächlich zu stellen, wird bei CDU, CSU und AfD in bezeichnender Eintracht der rot-rot-grüne Teufel an die Wand gemalt.

In einem Interview eröffnet der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium ‎und Stern der Jungen Konservativen in der CDU, Jens Spahn, der staunenden Öffentlichkeit, dass es sich bei der Partei DIE LINKE tatsächlich um Sozialisten handelt. Welch Überraschung bei einer Partei, die sich in ihrem Parteiprogramm dem demokratischen Sozialismus verpflichtet fühlt.

Wie spannend wäre es, wenn der ehemalige Gesundheitsexperte der Unionsparteien Spahn statt der ewigen Warnung der CDU vor dem Sozialismus (1953: "Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau", 1957: "Keine Experimente"1976: "Freiheit statt Sozialismus", 1980: "Den Sozialismus stoppen - Strauß wählen") eine ernsthafte Diskussion über politische Alternativen zu führen bereit wäre. Themen gäbe es genug: Zum Beispiel darüber, wie durch die Einführung einer Bürgerversicherung, wie sie die rot-rot-grünen Parteien anstreben, die Versicherten von gesetzlicher und privater Krankenversicherung nicht mehr gegeneinander ausgespielt würden. Oder wie durch das System der staatlichen Beihilfe, der Krankenversicherung Geld vorenthalten wird, statt die Beamtinnen und Beamten und die Beihilfe in die Gesetzliche Krankenversicherung zu überführen, als erstem Schritt zur Bürgerversicherung.

Tsipras - Bewältigung der Austeritätsfolgen statt Sozialismus

Doch ebenso wenig wie zu diesen Themen möchte Spahn als Staatssekretär von Bundesfinanzminister Schäuble über die fatale Wirkung der Austeritätspolitik gegenüber Griechenland sprechen, wo in deren Folge Armut und Kindersterblichkeit rapide zugenommen haben. ‎

Die von der sozialistischen Syriza-Partei geführte Regierung führt in Griechenland keineswegs den Sozialismus ein, sondern versucht im Gegenteil die härtesten Folgen der Austeritätspolitik für die unteren Schichten der Bevölkerung abzublocken. Die von den Unionsparteien in den vergangenen Jahren klischeehaft geäußerte Kritik an der Tsipras-Regierung vergaß konsequent, dass es neben der sozialdemokratischen PASOK vor allem die Konservativen waren, die über Jahrzehnte, in nepotistischer Manier Griechenland in den Abgrund regiert hatten.

Bitte keine Scheu vor der inhaltlichen Kontroverse durch Mitte-Links

Wenn Jens Spahn einen harten Lagerwahlkampf gegen links führen will, dann sollten ‎SPD, Grüne und DIE LINKE diese Auseinandersetzung nicht scheuen, sondern als Chance begreifen, wie nachfolgend an drei Aspekten deutlich gmacht werden soll.

1) Zunächst zeigen die Zustimmungswerte für die SPD in Verbindung mit den Werten von Grünen und Linken, dass es in der Bevölkerung - allen anderslautenden Behauptungen zum Trotz - weiterhin eine Lagerorientierung gibt. Es wird durchaus unterschieden zwischen Mitte-Links und andererseits Mitte-Rechts. Das stellt auch Gewissheiten der drei Mitte-Links-Parteien in Frage. Die SPD kann wieder lernen, dass jenseits der Mitte Wahlen gewonnen werden. Die Grünen stellen fest, dass die Betonung der Äquidistanz zu allen in Bundestag vertretenen Parteien trotz Winfried Kretschmanns Wahlerfolgen in Baden-Württemberg nichts daran ändern, dass ein relevanter Teil der Mitgliedschaft und Wähler/innenschaft der Grünen Mitte-Links statt schwarz-grün orientiert ist. Und für DIE LINKE zeigt sich die Brüchigkeit sowohl der Annahme, alle Parteien außer sie selbst seien Teil eines neoliberalen Kartells als auch der Vorstellung von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaines, DIE LINKE könnte durch Anbiederei an die AfD punkten. Hier trifft zu, was Bernd Riexinger schon vor Jahren feststellte: "Die AfD ist rechts - wir sind links."

2) Diese Achsen wieder stärker zu betonen und die soziale Frage zum Gegenstand der Unterscheidung zu machen, ist darüber hinaus ein wirksames Mittel zur Auseinandersetzung mit der AfD. Auch sie verliert in den Umfragewerten, seit die SPD wieder aus dem 23%-Keller aufgestiegen ist. ‎Die Ursache dafür liegt nicht allein darin, dass die SPD wie alle anderen Parteien Wählerinnen und Wähler an die AfD verloren hat. Sollte es in Deutschland in diesem Jahr tatsächlich einen Wahlkampf geben, indem der Umstand thematisiert wird, dass trotz anhaltender ökonomischer Prosperität die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft, könnte eine parteipolitische Entwicklung konterkariert werden, die Slavoj Zizek in der ZEIT vom 18. Februar 2017 wie folgt skizzierte: "‎In West- wie Osteuropa sind die Anzeichen einer langfristigen Neuordnung des politischen Raums nicht zu übersehen. Bis vor Kurzem wurde der politische Raum von zwei zentralen Parteien beherrscht, die das gesamte Wahlvolk ansprachen, einer Partei rechts der Mitte (ob christdemokratisch, liberal-konservativ oder "Volkspartei") und einer links der Mitte (ob sozialistisch oder sozialdemokratisch), während kleinere Parteien um eine begrenzte Klientel warben (Grüne, Liberale und so weiter). Jetzt kristallisiert sich zunehmend eine Partei heraus, die den globalen Kapitalismus als solchen vertritt und die in der Regel relativ tolerant gegenüber Abtreibung, Rechten für Homosexuelle sowie für religiöse und ethnische Minderheiten ist. Ihr gegenüber steht eine immer stärkere einwanderungsfeindliche, populistische Partei, die an ihren Rändern von unverblümt rassistischen, neofaschistischen Gruppen begleitet wird."

3) Parteien wie die PiS in Polen oder der Front National in Frankreich propagieren eine xenophob untersetzte protektionistische Sozialpolitik, die unter dem Slogan "America first" auch von Präsident Trump als Motiv auserkoren wurde. Sie stellt ein Gegenmodell zur neoliberal determinierten Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte dar. Die AfD in Deutschland ist sich noch unentschieden, wie sie sich zu dieser Entwicklung verhält. Während eine Rede von Björn Höcke im Thüringer Landtag zur Rentenpolitik jüngst deutliche Anlehnungen an diesen Sozialprotektionismus aufwies, argumentieren andere Vertreter der AfD, dass der französische FN "sozialistische Züge" aufwies.

Das Mitte-Links-Lager sollte sich nicht scheuen, Alternativen zu diesem rückwärtsgewandten Modell paternalistischer Sozialstaatlichkeit deutlich zu machen. Die stellvertretende Leiterin des ZEIT-Wirtschaftsressorts, Lisa Niehaus, formuliert dazu im oben bereits zitierten Artikel: "Was der Westen heute als die Nachteile seines Wirtschaftssystems erkennt, sind die von Marx genannten Folgen: wachsende Ungleichheit (vor allem in den angelsächsischen Ländern, weniger in Deutschland), Lohndruck auf die einfachen Arbeiter durch die Globalisierung (vor allem im Westen), Konzentration der Gewinne bei den Reichen und Effizienzdruck auf alle Beschäftigten. Wie es dazu kam, erklärt Marx viel besser als die Politiker der Neurechten, die sich heute als Helden der Arbeiterklasse aufspielen. Die Behauptung des amerikanischen Präsidenten, sein Land sei über Jahre von anderen Ländern systematisch ausgebeutet worden, würde Marx ganz sicher nicht teilen. Mit etwas Glück würde er Donald Trump einen 'breitmäuligen Faselhans' nennen – eines der vielen Schimpfwörter, mit denen er in den Fußnoten seines Werks seine Kritiker bedachte. Und Trumps Lösung, nun Handelsabkommen zu kündigen und Strafzölle zu erheben, würde Marx belächeln. Schließlich hat er die Zeit der hohen Schutzzölle noch selbst miterlebt und wusste, dass sie vor allem die Industriellen im Land schützen. Zum Schutz der Arbeiter waren sie hingegen kaum geeignet."

Kurzum: Dieser Bundestagswahlkampf kann sich, wenn die Mitte-Links-Parteien sich etwas Mühe geben, in mehrfacher Hinsicht von den vorhergehenden unterscheiden: Indem es nach langer Zeit eine Alternative zur Kanzlerin Merkel gibt, indem diese Alternative auch eine Alternative zu den bislang vermeintlich alternativlosen Gewissheiten neoliberaler Globalisierung darstellt, dabei zugleich protektionistischen Populismus vermeidet und stattdessen auf eine europäische Sozialunion orientiert. Ein solcher Wahlkampf, im 150. Jahr des »Kapital« hätte mehr als Charme. Er wäre im besten Sinne aufklärerisch und vernünftig.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

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