Gemeinsames Ziel aber verschiedene Wege.

Rezension Der Deutsche Kulturrat plädiert in der aktuellen Ausgabe seiner Zeitschrift "Politik & Kultur" für eine stärkere Verbindung von politischer und kultureller Bildung

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Politische Bildung – aber wie?
Politische Bildung – aber wie?

Foto: imago/phototek

Der Dachverband der bundesweiten Kulturverbände, der Deutsche Kulturrat, ist sowohl Interessenverband einer immer vielfältiger werdenden Landschaft Kultur-, Kunst- und Medienschaffenden als auch so etwas wie das Trüffelschwein des kulturpolitischen Diskurses. Mit der Forderung nach einem Jahr Sendepause für Talkshows erreichte er vor einiger Zeit große Öffentlichkeit und befeuerte die notwendige Reflektion über dieses zunehmend ritualisierte Medienformat.

Im Themenschwerpunkt der aktuellen Ausgabe seiner sechsmal im Jahr erscheinenden Zeitschrift »Politik & Kultur« plädiert der Kulturrat erneut für eine stärkere Kooperation von kultureller und politischer Bildung. Wie es um die politische Bildung an den Schulen in Deutschland bestellt ist, zeigten jüngst Studien der Universität Bielefeld, über die der Autor hier auf diesem Blog berichtet hatte.

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, plädiert in der Einleitung zum Heftschwerpunkt dafür, praktische Erfahrungen gemeinsamer Zielgruppen und Methoden zum Gegenstand eines kooperativen Verständnisses von kultureller und politischer Bildung zu machen, statt in dogmatischer Abgrenzung zwischen beiden Elementen verhaftet zu bleiben:

"In der Praxis gibt es zahlreiche Berührungspunkte und Schnittflächen zwischen politischer und kultureller Bildung. Zum einen nutzt die politische Bildung kulturelle Bildung als Methode. Mit Mitteln der kulturellen Bildung werden Inhalte der politischen Bildung vermittelt. Zum anderen treffen sich politische, historische und kulturelle Bildung beispielsweise in der Arbeit von Gedenkstätten und Geschichtsmuseen. Beides sind Kulturorte, die kulturelle Bildung hat izwischen einen festen Platz in diesen Orten und zugleich wird politisches und historisches Wissen vermittelt."

Ein kooperatives Verständnis von kultureller und politischer Bildung scheitert, so Zimmermann, häufig jedoch an einem stark sektoralisiertem Verständnis, das "die vermeintliche Zweckfreiheit der kulturellen und die Zweckbestimmung der politischen Bildung" gegeneinander stellt, statt diesen Unterschied dialektisch aufzulösen.

Wie dies geht zeigt der Erziehungswissenschaftler Max Fuchs, in seinem Beitrag "Gemeinsames Ziel, verschiedene Wege?" überzeugend. Fuchs, der dem Deutschen Kulturrat von 2001 bis 2013 als Präsident vorstand, nimmt zunächst einen kurzen historischen Abriss der Begriffe und dahinter liegenden Konzepte von Bildung und Erziehung vor, der in die Schlussfolgerung mündet, dass "Bildung ein emanzipatorischer Begriff ist". Fuchs weist darauf hin, dass die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) vor einigen Jahren den Slogan formulierte: "Kulturelle Bildung ist soziale Bildung und zum Teil auch politische Bildung" und bilanziert kritisch:

"Trotzdem gibt es Bemühungen, kulturelle von politische Bildung strenger abzugrenzen. Eine solche Abgrenzung gelingt umso leichter, je enger man beide Begriffe fasst. Wenn man politische Bildung sehr stark auf die Tätigkeit des Staates konzentriert, was einer Tradition in Deutschland entspricht, und wenn man andererseits kulturelle auf einen eher apolitischen Umgang mit den Künsten beschränkt, dann ist eine Unterscheidung leicht. Wenn man aber zu dem Politischen auch die Diskussionen und Debatten, die außerstaatlichen Interventionsformen [...] oder die öffentlichen Politikdebatten zählt [...], entstehen genau die Persönlichkeitsdispositionen in einer kulturpädagogischen Praxis, die man in der Politik benötigt."

Diese pragmatische "politische Dimension in der unmittelbaren Praxis" ist Fuchs' Instrument, bilderstürmerischen Befürchtungen entgegenzutreten, es gäbe zwischen der Sphäre der kulturellen und der politischen Bildung künftig keine Unterscheidbarkeit mehr. Politische und kulturelle Bildung sind, so Fuchs, nicht identisch und sollen es auch nicht werden. Worum es Fuchs vielmehr geht, ist die Gestaltung geeigneter politischen Rahmenbedingungen für die kulturelle und für die politische Bildung:

"In diesem Feld müssen die jeweiligen Fachorganisationen zusammenarbeiten, weil sie dieselben Ziele verfolgen: Es geht um ein Zurückdrängen einer grassierenden neoliberalen Ausrichtung in Politik und Verwaltung, die der kulturellen und der politischen Bildung nicht zuträglich ist."

Stellt man den beiden Beiträgen von Fuchs und Zimmermann das "Plädoyer für Achtsamkeit" von Susanne Keuchel, Direktorin der Akademie für Kulturelle Bildes des Bundes und des Landes NRW e.V., gegenüber, bestätigt sich die von Erstgenannten kritisierte dogmatische Abgrenzung der kulturellen von der politischen Bildung. Da offenbar auch in der kulturellen Bildung der gezielte Schlag mit der Faschismus-Keule als wirksames Instrument gilt, ungeliebte Debatten zu beenden, beginnt Frau Keuchel ihren Text mit Zitaten von Robert Böttcher, dem Protagonisten der Kunsterziehung im Dritten Reich und ab 1938 Reichssachbearbeiter für Kunsterziehung, denn es gelte "zu hoffen, dass die Ideen Böttchers keine Renaissance erfahren". Auf dieser Basis wird im weiteren Text auch nicht mehr im Sinne von Achtsamkeit argumentiert, sondern folgt ein striktes Plädoyer für die Trennung von kultureller und politischer Bildung. Man hätte sich von der Leitung der Akademie für Kulturelle Bildung des Bundes und des bevölkerungsreichsten Bundeslandes mehr Souveränität im Umgang mit einer offensichtlich als ungewünscht erachteten Position des Deutschen Kulturrates gewünscht.

Bedauerlicherweise wird die Kontroverse über die verstärkte Kooperation oder Aufrechterhaltung der Sektorierung von politischer und kultureller Bildung über die drei genannten Beiträge hinaus nicht fortgeführt. Angesichts der Kultur- und Bildungshoheit der Länder im bundesdeutschen Föderalismus hätte man erwarten können, dass Vertreterinnen und Vertreter der Landeskulturpolitik bzw. der politischen Bildung in den Staatskanzleien, Bildungs- oder Kulturministerien eingeladen werden, ihre Positionen zu dieser Debatte zur Kenntnis zu geben. Immerhin hat der Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK), der Thüringer Bildungsminister Helmut Holter (DIE LINKE) das Themenfeld "Demokratie- und politische Bildung" zum Schwerpunkt des 70. Jahres des Bestehens der KMK erklärt. Und das diesjährige Kamingespräch der Kulturministerinnen und -minister widmete sich unter der Überschrift "Was bleibt vom 20. Jahrhundert?" mit den Perspektiven der Erinnerungs- und Gedenkkultur und hatte den Fokus weit eingestellt - ganz im Sinne der Verknüpfung von kultureller und politischer Bildung. Diese Leerstelle kann auch das Interview mit Günter Morsch, der bis Mai dieses Jahres die Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen - Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten leitete, nicht schließen. Das ist freilich auch nicht das Ziel des Gesprächs mit Morsch, der schlüssig und prononciert auf die gesellschaftliche Interventionsfunktion der Gedenkstätten hinweist. In gleicher Weise hatte der Leiter der Thüringer Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau Dora, Prof. Knigge, beim kulturpolitischen Kamingespräch argumentiert.

Bezogen auf die Vernachlässigung der Länderperspektive zeigt sich jedoch erneut, dass der Deutsche Kulturrat zu stark auf die Bundesebene fokussiert ist. Er kann als Deutscher Kulturrat freilich nicht die Landeskulturpolitik seinen Landesverbänden überlassen. Er muss vielmehr als bundesweiter Dachverband der Kultur- und Medienpolitik zwar gegenüber der Bundesregierung interagieren aber gleichzeitig zur Kenntnis nehmen, dass nach dem Grundgesetz die Kultur-, Bildungs- und Medienpolitik als Privileg den Ländern obliegt. Auch wenn der Bund dies durch die Anziehungskraft des größeren Etats nach und nach zu vergessen machen sucht.

Von dieser strukturellen Blindheit des Deutschen Kulturrates abgesehen, sind die weiteren Beiträge im Heftschwerpunkt gelungen und lesenswert. Cornelia Klepp, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Kärnten, nimmt in ihrem angenehm umfangreichen Beitrag einen historischen Abriss der politischen Bildung in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert vor und führt durch die vergleichende Perspektive auf Rahmenbedingungen der Didaktik politischer Bildung in Österreich und Deutschland zu einem hohen Erkenntnisgewinn.

Diese Rückschau wird kontrastiert das Gespräch, das Hans Jessen mit dem Präsidenten der Bundeszentrale für Politische Bildung, Senator a.D. Thomas Krüger, über die aktuelle Verfasstheit und strategischen Herausforderung der politischen Bildung führt. Auf die Frage nach der gemeinsamen Schnittmenge mit der kulturellen Bildung verweist Krüger auf die Interferenzen in der Arbeit, der Zielgruppen und der Methoden sowie Formate politischer Bildung. Zudem gibt es Gemeinsamkeiten in den Interessen. Die politische Bildung profitiert, so Krüger, von der Interaktion mit der kulturellen Bildung - und man muss auch nach dieser Aussage nicht befürchten, dass Krüger in die Fusstapfen von Robert Böttcher tritt. Obwohl man sich gewünscht hätte, dass Jessen hier weiter nachhakt, sind die nachfolgenden Aussagen Krügers zur Gefahr der "Versicherheitlichung" der politischen Bildung durch die Fokussierung auf die Extremismusprävention ungemein wichtig und von großer Aktualität.

Carsten Quesel, Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz, ergänzt den vergleichenden Blick über den deutschsprachigen Raum der politischen Bildung mit seiner Betrachtung der Kriterien des Erfolgs politischer Bildung. Den auch in Deutschland beliebten Kassandra-Rufen hinsichtlich Qualität und Zukunft der schulischen politischen Bildung setzt Quesel die unaufgeregte These entgegen, dass möglicherweise die Schule als "Universalwerkstatt für die Beseitigung demokratischer Defekte" überschätzt wird. Ein "Scheitern politischer Bildung" wird deshalb möglicherweise dort diagnostiziert, "wo es sich um eine Krise handelt, deren Ursprung nicht pädagogischer Natur ist". Quesel plädiert deshalb für den Verzicht auf den "demokratischen Tugendbolzen". Zugunsten der unbequemeren Vorstellung vom "politischen Leben als Komponente einer humanen Bastelexistenz". Das ist sicherlich ganz im Sinne von Thomas Krüger.

Die Würdigung der Volkshochschulen als demokratische Orte des Lernens im Beitrag der Präsidentin des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, der vormaligen saarländischen Ministerpräsidentin und heutigen CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ist angemessen. Kramp-Karrenbauer verweist auf die vier Grundideen der Volkshochschularbeit: 1) Volkshochschulen sind geeignete Orte, um in der Kommune Diskussions- und Dialogprozesse anzuregen und zu moderieren. 2) Volkshochschulen widmen sich dem theoretischen Erkenntnisgewinn und regen zum Einmischen, Handeln und Engagement an. 3) Volkshochschulen sind offen für alle Bürgerinnen und Bürger. 4) Volkshochschulen sind offene Orte des gesellschaftlichen Diskurses auf kommunaler Ebene. Sie zeigt zudem, welche Integrationsleistungen auch die Volkshochschulen seit 2015 bewerkstelligten. Spätestens an dieser Stelle hätte angemerkt werden können und müssen, dass viele Kommunen ihre Volkshochschulen als sogenannte freiwillige Aufgabe nicht in angemessener Weise finanzieren. Es klafft eine Lücke zwischen normativem Anspruch und dessen Einlösung.

Drei kurze Beiträge der Leiter der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik, der Stasi-Unterlagen-Behörde sowie des Deutschen Hygiene-Museums runden den trotz aller Kritik lesenswerten Themenschwerpunkt ab. Es bleibt zu hoffen, dass die Debatte über die Verflechtungen von kultureller und politischer Bildung fortgeführt wird. Sicherlich haben die Träger der soziokulturellen Praxis zu dieser Debatte viele Erfahrungswerte beizutragen, die manch theoretischen Abgrenzungsversuch infrage stellen dürfte.

Wer nach dem Blick auf Volkshochschulen, Museen und Archive die Perspektive auf die Bibliotheken vermisst, die ihrem Selbstverständnis nach nicht nur "Wohnzimmer der Städte", sondern auch Orte demokratischer Bildung sind, dem kann wiederum das aktuelle Heft (Nr. 161, 2/2018) der »Kulturpolitischen Mitteilungen« ans Herz gelegt werden - es widmet sich der "Zukunft der Bibliotheken".

»Politik & Kultur« ist die Zeitung des Deutschen Kulturrates. Sie wird herausgegeben von Olaf Zimmermann und Theo Geißler und erscheint sechsmal jährlich. Die Ausgabe 4/2018 widmet ihren Schwerpunkt der Kooperation von kultureller und politischer Bildung.

Die »Kulturpolitische Mitteilungen« ist das zentrale Informations- und Diskussionsorgan für kulturpolitische Fragen und wird herausgegeben von der Kulturpolitischen Gesellschaft. Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich und widmet sich in der Ausgabe 161 (II/2018) der Zukunft der Bibliotheken.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

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