Inszenierte Kritik an der Flüchtlingspolitik

Medien In der Thüringer Landespresse wird der rot-rot-grünen Regierung eine ideologische Flüchtlingspolitik vorgeworfen, die gescheitert sei. Die Fakten aber sehen anders aus.

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In Berlin ist Mario Czaja (CDU) als Senator für Gesundheit und Soziales für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen zuständig. Zu Beginn der rot-schwarzen Koalition 2011 waren 3.000 Flüchtlinge in Heimen untergebracht. Bereits im April des laufenden Jahres mussten Plätze für 15.000 Flüchtlinge gefunden werden. Seitdem ist die Zahl weiter drastisch angestiegen. Erst am vergangenen Freitag hatten sengende Hitze, kaum Wasser und Handgreiflichkeiten vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) ein Chaos ausgelöst.

In der sächsischen Landeshauptstadt Dresden kritisieren Mediziner die unhaltbaren hygienischen Zustände in der für Flüchtlinge errichteten Zeltstadt. Der Oberbürgermeister richtete jüngst an die Staatsregierung aus CDU und SPD die Forderung: »Der Freistaat Sachsen muss aufhören, Probleme nur zu verwalten, sondern rechtzeitig informieren und gemeinsam mit den Kommunen menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten finden sowie uns die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.«

Zwei Beispiele, die exemplarisch dafür stehen, dass rasant gestiegene Flüchtlingszahlen die Länder und Kommunen vor große Herausforderungen stellen. Aber auch zwei Beispiele dafür, was passieren kann, wenn in der Flüchtlingsunterbringung tatsächlich Fehler gemacht werden.

Von diesem Zustand ist Thüringen bislang verschont. Dies liegt zunächst vor allem daran, dass der Freistaat keine unmittelbare deutsche Außengrenze hat und nicht im Fokus der einreisenden Flüchtlinge steht. Berlin steht diesbezüglich unter einem viel größeren Druck – aber auch Städte wie Passau, Hamburg oder München, die quasi auf der Transitstrecke der Flüchtlinge liegen. Hinzu kommt aber auch, dass die Thüringer Landesregierung bereits von Beginn an auf die massiv angestiegene Zahl der Flüchtlinge reagiert hatte. Von den mehr als 25 Kabinettsitzungen der rot-rot-grünen Landesregierung spielte sicherlich in mindestens einem Dutzend das Thema Flüchtlingspolitik eine Rolle. Mit der frühzeitigen Orientierung auf Gera-Liebschwitz und Mühlhausen als neue Standorte für Flüchtlinge wurde zügig auf die Notwendigkeit reagiert, Flüchtlinge dauerhaft und humanitär unterzubringen.

Vorwurf: Ideologische Flüchtlingspolitik

Leitartikel und Kommentare in der Thüringer Landespresse zeichnen hingegen ein anderes Bild. Dort ist in einem Beitrag in der »Thüringer Allgemeinen« (TA) mit der Überschrift »Vor dem Scherbenhaufen« die Rede davon, dass die Landesregierung »aus vorwiegend ideologischen Gründen das Flüchtlingsproblem [hat] eskalieren lassen – angefangen mit dem Winterabschiebestopp.« Apokalyptisch wird orakelt: »Ramelows Regierung steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik: Es gibt Gewalt und Zerstörung. Das ist der Anfang. Im gesamten Monat Juni 2015 kamen 900 Flüchtlinge nach Thüringen. Aktuell sind es mehr als Hundert – täglich.«

Der Vorwurf, den auch der Chefredakteur der »Ostthüringer Zeitung« (OTZ) erhebt, lautet: »Wer abgewiesene Asylbewerber im Land lässt, handelt nicht nach Recht und Gesetz«. Behauptet wird, dass die Landesregierung angeordnet hätte, Asylbewerber/-innen deren Antrag abgelehnt wurde, in Thüringen zu belassen also keine Abschiebungen vorzunehmen. Abgesehen vom zeitlich befristeten Winterabschiebestop, der naturgemäß mit dem Beginn des Frühjahrs auslief, gibt es die Anweisung einer solchen Maßnahme nicht.

Dies ist bekannt. Erst jüngst erläuterte der Ministerpräsident in einem sachlichen Gastbeitrag der OTZ: »Die Landesregierung hält sich an Recht und Gesetz – einen Abschiebestopp für abgelehnte Asylbewerber gibt es nicht. Die Landesregierung setzt, wie schon die Vorgängerregierung, bestehendes Bundesrecht um.«

Sind die Voraussetzungen für einen Aufenthalt in Thüringen nicht erfüllt, beispielsweise aufgrund eines abgelehnten Asylantrages, wird der betreffende ausländische Staatsbürger zur Ausreise aufgefordert, führte der Ministerpräsident weiter aus. Die betreffenden Personen haben – in Thüringen wie überall in Deutschland – einen Monat Zeit, dieser Ausreiseaufforderung nachzukommen. Dieses Verfahren wird als freiwillige Ausreise bezeichnet. Es ist keine Ermessensentscheidung der rot-rot-grünen Landesregierung, sondern Bestandteil des bundesdeutschen Asylverfahrens.

Dennoch wird hartnäckig an der Behauptung des generellen Abschiebestopps und der Rechtsbeugung durch r2g festgehalten. Das Motiv liegt auf der Hand: Nur auf diesem Wege lässt sich das gewünschte Bild von guten und schlechten Flüchtlingen zeichnen. Die einen, die ein Recht auf Asyl haben und die anderen, deren Anträge abgelehnt werden. Erstere müssten aufgrund des vermeintlichen Abschiebestopps unter unzumutbaren Bedingungen hausen, während Letztere in vergleichbar komfortablen Unterbringungsmöglichkeiten wohnen würden - obwohl sie kein Aufenthaltsrecht hätten.

Als weiterer Beleg einer vermeintlich ideologisch gefärbten Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik wird herangezogen, dass der Integrationsminister Dieter Lauinger (Grüne) der freiwilligen Ausreise den Vorrang vor Abschiebungen einräume. Demgegenüber habe wenigstens der Innenminister, Holger Poppenhäger (SPD) die Zeichen der Zeit erkannt und angekündigt, die Zentrale Abschiebestelle (ZAS) personell aufstocken zu wollen. Auch hier stehen die Fakten im Widerspruch zur Behauptung.

Richtig ist, dass die ZAS personell aufgestockt werden soll, doch dies ist angesichts der stark gestiegenen Zahl der Flüchtlinge und damit zu bearbeitenden Verfahren eine logische verwaltungsorganisatorische Maßnahme. Denn jede Behördenleitung sieht es als ihre Aufgabe, Ressourcen dorthin zu lenken, wo der Arbeitsaufwand steigt. Ein Widerspruch zwischen den beiden r2g-Kabinettsmitgliedern lässt sich daraus jedenfalls nicht ableiten.

Noch einmal ist festzuhalten - das Prinzip »Freiwillige Ausreise vor Abschiebung« bedeutet nicht, dass abgelehnte Asylbewerber/-innen in Deutschland entscheiden können, ob sie gehen oder nicht. Es bedeutet lediglich, dass sich die betreffenden Personen die zwingende Ausreise im Rahmen eines Monats organisieren können. Andernfalls wird der Aufenthalt in Deutschland zwangsweise beendet. In diesem Fall spricht man von einer Abschiebung.

Die freiwillige Ausreise hat sowohl für den Ausreisenden als auch letztlich für das Land Vorteile. So können etwa der Zeitpunkt und die Umstände der Rückkehr im Rahmen des einen Monats selbst geplant werden und es wird im Gegensatz zur Abschiebung kein Wiedereinreiseverbot erteilt. Außerdem verursacht eine Abschiebung enorme Kosten, beispielsweise durch den höheren Verwaltungsaufwand, das Chartern eines Flugzeuges oder die Begleitung von Sicherheitsbeamten, die die Ausreise überwachen. Diese Kosten wären grotesker Weise vom Abgeschobenen selbst zu zahlen. In den meisten Fällen, in denen Abgeschobene die Kosten nicht zahlen können, bleiben die Ausländerbehörde bzw. das Land darauf sitzen.

Ein einfacher Faktencheck zeigt, dass die Tatsachenbehauptungen ihrer Grundlage entbehren und dennoch weiterhin medial reproduziert werden. Berechtigte Kritik an diesem Vorgehen hingegen wird verächtlich gemacht, wie jüngst in der OTZ: »Weil die OTZ zum Thema Asylrecht der Landesregierung vorwirft, fern des Rechts zu sein, rasten die Radikalen in der Linkspartei aus. Auch Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow ist außer sich. Haben sich Hysterie und Pulverdampf erst einmal verzogen, lohnt es sich, noch einmal sachlich auf den Kern der Angelegenheit zu gucken.« Dieser Aufforderung wird gern nachgekommen, denn so wird die Debatte vom Kopf auf die Füße gestellt.

Vermeintlich sichere Herkunftsländer

Die Personifizierung der vermeintlich unterlassenen konsequenten Abschiebung besteht in der allgemeinen Wahrnehmung in Personen aus dem früheren Jugoslawien und Albanien. Hier verbinden sich zwei Debattenstränge: Einerseits die Kontroverse um die »sicheren Herkunftsländer« und andererseits die Auseinandersetzung um den angemessenen Umgang mit Personen aus den Staaten des westlichen Balkans, die bereits in Deutschland sind.

Die Unionsparteien - inzwischen auch einzelne SPD-Bundespolitiker - und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) betreiben das Ziel, die Staaten Serbien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina aber auch Albanien und das Kosovo zu »sicheren Herkunftsländern« zu erklären. Argumentiert wird, dass Staaten mit denen die Europäische Union Aufnahmeverhandlungen betreibe, könnten normativ keine nicht-sicheren Herkunftsländer sein. Länderstudien von PRO ASYL sprechen eine andere Sprache: »Gutachten zu Albanien und Montenegro ergänzen die bereits vorliegende menschenrechtliche Begutachtung der Länder Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina. Wie bei diesen drei Ländern lässt sich eine Einstufung als 'sichere Herkunftsstaaten' auch bei Montenegro und Albanien mit dem europäischen Flüchtlingsrecht und den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbaren. Ein Bericht des Auswärtigen Amts spricht von ethnisch motivierter Diskriminierung gegenüber Roma, Korruption und organisiertem Verbrechen in Albanien. Es herrsche 'eine Kultur der Straflosigkeit und fehlenden Implementierung der vorhandenen Regelwerke'. Verschiedene Berichte belegen darüber hinaus schwerwiegende Diskriminierungen von Angehörigen gesellschaftlicher Minderheiten. Aufgrund der langsamen und korruptionsanfälligen Justiz gibt es zudem keine effektive Strafverfolgung und keinen wirksamen Schutz gegen Bedrohungen durch die Blutrache, rassistische und homophobe Übergriffe oder geschlechtsspezifische Gewalt. Eine umfassende Auswertung von Menschenrechtsquellen zeigt, dass auch Montenegro nicht pauschal als sicher eingestuft werden kann. In den vergangenen Jahren wurden kritische montenegrinische Journalisten und Presseorgane immer wieder Opfer von Anschlägen. Kaum einer wurde aufgeklärt. Faktisch herrscht in Montenegro völlige Straffreiheit nicht nur bei Gewalt gegen Medienvertreter. Selbst Polizisten, die nachweislich gefoltert hatten, konnten im Dienst verbleiben. Auch Schwule und Lesben sind Angriffen ausgesetzt, die ungeahndet bleiben.«

Die Nichtregierungsorganisation Freedom House klassifiziert jährlich alle Länder im Hinblick auf die Einschränkung von politischen und bürgerlichen Freiheitsrechten. Die Skala reicht von 1 (geringe Einschränkung) bis 7 (hohe Einschränkung). Die Staaten des westlichen Balkans werden dort mit Werten von 2 bis 5 geführt. Es herrscht also keine systematische Einschränkung von Freiheits- und Bürgerrechten und auch keine systematische gewaltsame politische Verfolgung bzw. Krieg oder Bürgerkrieg. Dessen ungeachtet können Individuen oder Bevölkerungsgruppen eingeschränkte Rechte und Verfolgung erfahren.

Daraus, dass Asylsuchende aus den Staaten des früheren Jugoslawiens und Albanien nur zu einem sehr kleinen Prozentsatz anerkannt werden, kann demnach nicht auf einen »massenhaften Asylmissbrauch« geschlossen werden. Vielmehr können auch aus diesen Staaten Menschen kommen, die gute Gründe haben, ihr Herkunftsland zu verlassen. Ihre Fluchtgründe werden jedoch nicht anerkannt und sie sind keineswegs, wie gemeinhin suggeriert wird, ausschließlich wirtschaftlich bezogen.

PRO ASYL nennt Zahlen, nach denen in anderen europäischen Ländern die »Schutzquoten für Asylsuchende z.B. aus dem Kosovo bei um die 40 Prozent (Schweiz, Finnland) und bei Antragstellern aus Serbien bei 37 Prozent (Schweiz), im Fall von bosnischen Antragstellern bei ca. 20 Prozent (Frankreich und Belgien) und bezüglich albanischer Asylsuchender bei 18 Prozent (Großbritannien)« lagen.

»Spurwechsel« für Asylbewerber/-innen

Selbst wenn man außer acht lässt, warum in Deutschland Asylanträge von Personen aus den Staaten des westlichen Balkans in weniger Fällen als in anderen Ländern anerkannt werden, ist laut dem »Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung« (IAB), der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, ein Umdenken bei Flüchtlingen aus dieser Region sinnvoll und erforderlich.

Laut IAB belief sich die durchschnittliche Bearbeitungszeit der Anträge auf Asyl im vergangenen Jahr auf 7,1 Monate. Der Bund hat den Ländern hingegen eine Bearbeitungszeit von 3 Monaten zugesichert aber bis heute nicht eingehalten. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung dauert die Bearbeitungszeit sogar 11,1 Monate. Das ist zu viel - darin sind sich viele trotz unterschiedlicher Haltung zur Asylpolitik einig.

Bei Personen aus dem westlichen Balkan und einigen ausgewählten Herkunftsländern (z.B. Syrien) verkürzte sich die Bearbeitungszeit auf rund 4 Monate.

Das IAB stellt angesichts dessen fest: »Gegenwärtig wird versucht, durch eine Beschleunigung der Asylverfahren und eine schnellere Abschiebung die Kosten der Asylverfahren zu reduzieren und die Anreize für den Zuzug zu senken. Ob und in welchem Umfang dies gelingt, ist ungewiss. Der anhaltend hohe Anteil von Asylerstanträgen aus den Ländern des Westbalkans deutet darauf hin, dass diese Politikmaßnahmen Grenzen haben, auch wenn sich die Zahl der Asylerstanträge aus dem Kosovo jüngst deutlich verringerte. Obwohl die schnelle Abwicklung der Asylverfahren grundsätzlich sinnvoll ist, um schnell Rechtssicherheit herzustellen (s.u.), stellt sich die Frage, ob der Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen mit geringen Erfolgsaussichten ihrer Anträge nicht auch dadurch begrenzt werden kann, dass andere Zugangswege wie die Migration zu Erwerbszwecken stärker geöffnet werden. Das würde die Anreize senken, über das Asyl- und Flüchtlings-recht einen Zugang nach Deutschland oder in andere EU-Staaten zu bekommen und die Kosten für den Staat und die (potenziellen) Asylbewerber senken.«

Die auf dieser Feststellung aufbauende Überlegung des Spurwechsels begründet das IAB: »Die Opti-on eines Spurwechsels kann z.B. zu Beginn des Asylverfahrens eröffnet werden, um die Asylverfahren zu entlasten. Ein solcher Spurwechsel sollte, ähnlich wie oben be-schrieben, an Arbeitsmarktkriterien gebunden sein, etwa die Vorlage einer verbindli-chen Arbeitsplatzzusage mit tariflichem Mindesteinkommen. Es könnte auch ein be-grenzter Zeitraum zur Arbeitssuche, etwa von sechs Monaten, eingeräumt werden. Die Option eines Spurwechsels könnte zu Anreizen führen, als Asylbewerber oder Flüchtling nach Deutschland zu kommen, wenn sich die Bedingungen von denen des Zugangs für Arbeitsmigranten stark unterscheiden. Sie sollte deshalb am besten mit einer generell breiteren Öffnung des Arbeitsmarktzugangs verbunden werden. Die Option des Spurwechsels wird in Schweden bereits erfolgreich erprobt.«

Besonders Personen aus dem früheren Jugoslawien könnten davon profitieren, denn wie das IAB zutreffend feststellt, verbinden viele Menschen in Deutschland mit den meisten dieser Länder eine lange Tradition der Zuwanderung, die in die Zeiten der Gastarbeiteranwerbung zurückreicht; viele der Zuwanderer verfügen über gute Deutschkenntnisse.

»In einem ersten Schritt könnte man für diese Gruppe den Arbeitsmarktzugang gezielt erleichtern, insbesondere wenn eine breitere Öffnung des Arbeitsmarktes für Drittstaatsangehörige nicht oder nicht schnell umgesetzt wird. Auch hier könnte z.B. der Arbeitsmarkt-zugang für Personen mit beruflichen Bildungsabschlüssen und Hochschulabschlüssen bei einer verbindlichen Arbeitsplatzzusage freigestellt werden, bei Personen ohne beruflichen Bildungsabschluss nur nach Zustimmung der BA. Zudem könnte ein Aufenthalt zur Arbeitssuche generell, d.h. ohne Prüfung der beruflichen Abschlüsse, freigestellt werden, sofern die Personen über ausreichende Existenzmittel verfügen. Es würde sich anbieten, eine derartige Öffnung durch ein Abkommen zwischen der EU und dieser Ländergruppe zu erreichen. Kurzfristig, bis zum Abschluss eines solchen EU-weiten Abkommens, könnte Deutschland einen solchen Arbeitsmarktzugang durch ein bilaterales Abkommen, etwa durch ein Gastarbeiterabkommen, umsetzen.«

Länder und Kommunen im Maschinenraum, die Bundesregierung auf dem Sonnendeck

Die Bundesregierung zeigt bislang keinerlei Bereitschaft, sich in dieser Hinsicht zu bewegen. Auch bei anderen Maßnahmen, die den Ländern bereits zugesagt wurden, oder die zu einer Entlastung der Länder und Kommunen beitragen würden, zeigt sich die Bundesregierung erstaunlich unbeweglich.

Bereits im vergangenen Jahr sagte der Bund zu, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einführung einer Gesundheitskarte für Asylbewerber/-innen zu schaffen. Bislang liegt noch nicht einmal ein Gesetzentwurf vor, der im Bundesrat beraten werden könnte. Ob der Gesetzentwurf eine Kontrahierungspflicht der Krankenkasse, also die Verpflichtung, Asylbewerber/-innen als Mitglieder aufzunehmen, enthalten würde, ist weiterhin offen.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) bringt eine Verdoppelung der Flüchtlingshilfe für die Kommunen auf mindestens. 2 Mrd. Euro jährlich ins Spiel, doch eine legislative Umsetzung erfährt dies nicht - es ist nicht mehr als eine unabgestimmte Aussage aus dem Kanzleramt.

SPD, GRÜNE und LINKE werben seit Monaten für ein Einwanderungsgesetz, doch der Präsident des BAMF und der CSU-Parteivorsitzende fordern lieber, das Asylbewerberleistungsgesetz zu ändern und Asylbewerber/-innenaus sicheren Drittstaaten das monatliche Taschengeld zu streichen.

Der niedersächsische Innenminister Pistorius hat angekündigt, man arbeite zur Zeit an einer Liste mit Bundes- und Landesgesetzen, die man als Hemmschuh für eine effektive Bewältigung der Flüchtlingsproblematik ansehe – dazu zählten Vorschriften aus dem Vergaberecht, aus dem Bereich der energetischen Sanierung von Bestandsgebäuden und aus dem Baurecht. Geplant ist wohl eine Gesetzesinitiative mit dem Ziel, diese Vorschriften zeitlich befristet auszusetzen. Um welche Vorschriften es im Einzelnen gehen soll, ist noch unklar – ebenso die geplante Zeitschiene.

Es gibt bereits einen »Präzedenzfall«: Bereits am 26.11.14 ist das »Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen« in Kraft getreten. Damals ging es darum, vor Einbruch des Winters durch Klarstellungen und befristete Änderungen im Baugesetzbuch, den Bau von Flüchtlingsunterkünften und die Umnutzung bisher anders genutzter Gebäude (z.B. Büro- oder Geschäftsgebäude) zu erleichtern. U.a. betrifft das die Errichtung von Unterkünften im unbeplanten Innenbereich (Lockerung des Einfügegebots), im Außenbereich (am bebauten Ortsrand) und in geeigneten Fällen in Gewerbegebieten.

Das Gesetz ist damals in einem – für eine Bundesratsinitiative - außergewöhnlich schnellen Verfahren zustande gekommen und zeigt, was möglich ist, wenn sich Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung einig sind:

  • Ausgehend von einer Bundesratsinitiative Hamburgs v. 12. 09. 14, brachte der Bundesrat die Initiative am 19. 09. mit sofortiger Sachentscheidung einstimmig in den Deutschen Bundestag ein.
  • Am 6.11. hat der Bundestag das Gesetz in 2./3. Lesung mit kleinen Änderungen verabschiedet.
  • Es wurde dem Bundesrat fristverkürzt zugeleitet, auf Ausschussberatungen wurde mit Zustimmung des Ständigen Beirates verzichtet.
  • Bereits am 07.11. hat der Bundesrat das Gesetz passieren lassen (kein VA, Gesetz war nicht zustimmungspflichtig).
  • Inkrafttreten des Gesetzes am 26.11.14.

Ein solches Vorgehen ist mit dem Ende der nahenden Sommerpause unerlässlich. Der Bund muss sich, um Hubertus Heils Bonmot zu zitieren, vom Sonnendeck in den Maschinenraum bewegen, in dem Länder und Kommunen seit Monaten die Arbeit tun.

Kurzum: Fakten statt Mythen

Wer sich all diese Fakten vergegenwärtigt, der wird sehen, dass die Vorwürfe einer ideologiebetrieben Flüchtlingspolitik in Thüringen jeglicher Grundlage entbehren. Ihre Perpetuierung trägt vielmehr denjenigen Rechnung, die schon immer der Auffassung waren, das geeignete Mittel der Asylpolitik seien abgeschottete Grenzen und restriktive Verfahren gegenüber den Asylsuchenden.

Dabei müssten wir es in Thüringen besser wissen. Der leider verstorbene Soziologe Ulrich Beck formulierte im Jahre 2008 beim Eröffnungsvortrag des Deutschen Soziologentags im ostthüringischen Jena: »Was der nationale Blick ausblendet: Je mehr Gleichheitsnormen sich weltweit ausweiten, desto mehr wird der globalen Ungleichheit die Legitimationsgrundlage des institutionalisierten Wegsehens entzogen. Die reichen Demokratien tragen die Fahne der Menschenrechte in die letzten Winkel der Erde, ohne zu bemerken, dass auf diese Weise die nationalen Grenzbefestigungen, mit denen sie die Migrantenströme abwehren wollen, ihre Legitimationsgrundlage verlieren. Viele Migranten nehmen die verkündete Gleichheit als Menschenrecht auf Mobilität ernst und treffen auf Länder und Staaten, die - gerade unter dem Eindruck zunehmender Ungleichheiten im Inneren - die Norm der Gleichheit an ihren bewaffneten Grenzen enden lassen wollen.«

Wir können froh sein, dass in Untersuchungen des Allensbach-Instituts die Befragten »erkennbar mehr von der Suche nach pragmatischen humanitären Lösungen gekennzeichnet [sind], als von dem Bestreben, die nach Europa hereindrängenden Menschen um jeden Preis aus Deutschland fernzuhalten. [...]« So unterstützen beispielsweise laut dem Institut 54% der Befragten die Idee eines Aufenthaltsrechts auf Probe.

Wenn das Institut im Zuge seiner Befragungen zu der Erkenntnis kommt, dass »weite Teile der Bevölkerung angesichts der Herausforderung durch die Flüchtlingsbewegung hin und her gerissen sind«, hilft nur eins - Fakten statt Mythen. Dies gilt in gleicher Weise für Legislative und Exekutive, wie für die »vierte Gewalt«, die Medien.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

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