Seit Beginn des Jahres führt die Staatskanzlei mit den kommunalen Trägern und Theaterintendanten Gespräche über die von allen Beteiligten gesehene Notwendigkeit von Strukturveränderungen zur Sicherung von Qualität und Angebot. Ziel ist es, langfristig stabile Strukturen zu schaffen sowie Finanzierungssicherheit und Tarifgerechtigkeit herzustellen. Ein Umbau soll behutsam und ohne betriebsbedingte Kündigungen erfolgen. Grundlage der Gespräche mit Intendanten und Kommunen war und ist die Vereinbarung, dass zunächst in einem nichtöffentlichen Raum unterschiedliche Varianten entwickelt und abgewogen werden.
Die Thüringer Landeszeitung (TLZ) hat nun heute Zwischenstände aus diesem Prozess Dokumente geleakt. Das ist ihr gutes Recht als Zeitung. Ob es der kulturpolitischen Debatte nützt, steht auf einem anderen Blatt. Theaterträger, Intendanten und das Land haben sich gemeinsam darauf verständigt, vertrauensvoll und in einem nichtöffentlichen Raum Varianten zu diskutieren, also auch mal schwarze Schwäne zu denken, um dann nach Abwägung einzelne dieser Varianten wieder zu verwerfen. Im Konsens. Auf Basis dieser Debatte soll dann im Oktober ein abgestimmter Vorschlag entstehen, der öffentlich diskutiert werden kann. Nicht in jedem Bundesland wird derzeit der Versuch unternommen, vertrauensvoll und gemeinsam an der Lösung von Herausforderungen im Theaterbereich zu arbeiten, um z.B. die Tariflücke bei den Beschäftigten zu schließen. Die Veröffentlichung von Zwischenständen und das Erwecken des Eindrucks von betriebsbedingten Kündigungen in den Theatern schafft jedoch nur eins: Es werden Ängste und Befürchtungen geschürt, vor allem bei den Beschäftigten. Das ist nicht sinnvoll.
Entscheidend ist: die Gespräche mit kommunalen Trägern und Intendanten laufen derzeit noch. Abschließende Festlegungen wurden nicht getroffen. Eine auf politischer Ebene konsentiertes „Strukturpapier“ der Staatskanzlei, wie es vom genannten Bericht der TLZ erwähnt wird, existiert nicht. Nach weiteren Gesprächen ist der Abschluss des Diskussionsprozesses für Oktober vorgesehen. Ein finales Konzept wird erst nach Erörterung mit den Intendanten sowie den Oberbürgermeistern aller betroffenen Städte präsentiert.
Bereits vor einigen Wochen wurde in einem Kommentar der TLZ ein vollkommen anders gearteter Vorschlag zur Lösung der bestehenden Herausforderungen der Thüringer Theater veröffentlicht: „Mal ausrechnen, was es kostet, die unwürdigen (Haustarif-)Verträge – u.a. in Eisenach, Gotha und Gera/Altenburg – durch gültige Flächentarifverträge abzulösen. Diese Zahl – statt derzeit etwa 64 Millionen würden es dann 80-90 Millionen sein – mag man ab 2017 in den Landeshaushalt einpreisen. Fertig.“ Kulturpolitik könnte so einfach sein.
Rahmenbedingungen der Kulturfinanzierung
Die Realität in der Thüringer Theater- und Kulturlandschaft sieht anders aus – sowohl im Hinblick auf ihre Finanzierung als auch ihre inhaltlich-strukturelle Ausgestaltung.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Rahmenbedingungen der Kulturfinanzierung. Der Freistaat Thüringen kann auch in diesem Jahr aufgrund der robusten Konjunktur mit steigenden Steuereinnahmen rechnen. Zudem sieht die Prognose der Steuerschätzer auch für den nächsten Projektionszeitraum ein Steuerplus vor. Wer freilich annimmt, diese Mittel könnten einfach in Ausgabenwachstum investiert werden, unterliegt einem Irrtum.
Den Steuermehreinnahmen stehen drastische Mindereinnahmen an anderer Stelle sowie Mehrausgaben aufgrund gesetzlicher und vertraglicher Bindungen gegenüber. Allein die Bundeshilfen wegen teilungsbedingter Lasten halbieren sich zwischen 2014 und 2018. Thüringen nimmt dadurch ca. 420 Millionen Euro weniger ein. Auch die EU-Förderung nimmt ab. Bei den Strukturfonds stehen in den kommenden Jahren 443 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Die Landwirtschaftsförderung sinkt um 122 Millionen Euro gegenüber der alten Förderperiode ab. Personalausgaben für den öffentlichen Dienst in allen seinen Facetten – von den Behörden bis zur Kita und den Unternehmen der Daseinsvorsorge – steigen an. Jeder Prozentpunkt bedeutet für Land und Kommunen Millionenbeträge. Das ist gut investiertes Geld. Ebenso wie in die Aufrechterhaltung, Sanierung und den Ausbau von Infrastruktur. Thüringen steht als Land und mit seinen Kommunen in der Verpflichtung, seinen Beitrag zur Bewältigung der Aufgabe der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen zu leisten. Die damit verbundenen Ausgaben werden durch den Bund nur zum Teil refinanziert.
Das aktuelle Steuerplus ist eine konjunkturabhängige und insoweit wenig verlässliche Entlastung. Es verschafft dem Freistaat Luft, um notwendige Strukturanpassungen vorzunehmen. So wird die angestrebte Gebietsreform, die Kommunen langfristig handlungsfähig machen. Die große Zahl von Städten und Gemeinden in der Haushaltsnotlage zeigt, dass diese Kommunen aus sich selbst heraus in ihrer derzeitigen Struktur nicht mehr handlungsfähig sind. Trotz der knapp 2 Milliarden Euro, die der Freistaat in den kommunalen Finanzausgleich investiert und trotz der millionenschweren Programme, die zusätzlich aus den Ministerien für Aufgaben in den Kommunen bereit gestellt werden.
Handlungsfähigkeit der Kommunen beachten
Allein 9 Millionen Euro investiert das Land in den Kulturlastenausgleich der Kommunen. Noch einmal 2 Millionen Euro stehen für die Breitenkulturförderung zur Verfügung, mit denen überwiegend lokale Kulturakteure und –veranstaltungen gefördert werden. Das Land unterhält keine Landesmuseen, sondern finanziert stattdessen überregional bedeutsame kommunale Museen. Immer häufiger beklagen die Thüringer Städte, Gemeinden und Landkreise jedoch, dass sie ihren Eigenteil an Landesprogrammen oder der Kulturförderung nicht mehr tragen können, bitten sie darum, dass das Land in die Finanzierung von Einrichtungen wie Musik- oder Jugendkunstschulen einsteigt oder kommunale Museen in Landesfinanzierung übernimmt.
Dieses Abrutschen der Kommunen bei der Bewältigung ihrer Kulturaufgaben zu beenden, ist das Ziel der geplanten Gebietsreform, die deshalb ein Programm zur Stärkung kommunaler Selbstverwaltung ist. Weniger aber leistungsfähigere Kommunen werden anschließend besser in der Lage sein, öffentliche Daseinsvorsorge, wozu als Kernaufgabe die kulturelle Infrastruktur gehört, zu gewährleisten. Wenn die Kommunen dann noch miteinander kooperieren, wie z.B. beim geplanten südthüringer Museumsverbund oder landkreis- und länderübergreifend wie beim Kulturtourismus in der Harz-Region und wenn sie vielleicht wieder in der Lage sind, mehr Kulturdezernenten zu berufen, wird es nicht weniger, sondern mehr Kultur im Freistaat geben.
Allein die vorstehenden Beispiele zeigen, dass die Behauptung kluge Kulturpolitik bestünde darin, nur 25 Millionen Euro für die Theater mehr auszugeben und alles sei perfekt, sowohl unrealistisch ist als auch die tatsächlichen Herausforderungen der Theater- und Kulturpolitik ignoriert.
Herausforderungen der Theater- und Kulturpolitik
Die Stadt- und Staatstheater, freien Theater und Theatergruppen bzw. -vereine, Tourneetheater sowie privatwirtschaftliche Musical- und Opernangebote bilden gemeinsam mit den Kinder- und Jugendtheatergruppen die Theaterlandschaft im Freistaat. Das Stadttheater in Nordhausen ist mehr als das dortige „Stadttheater“, sondern das vielfältige Theater, das in der Stadt stattfindet, wozu u.a. das dortige Figurentheater oder das Studio 44 gehören. Eine Kommune wie Arnstadt organisiert mit viel ehrenamtlichem Engagement in einem ehrwürdigen Theaterhaus ein vielfältiges Programm. Das Theater ist aber kein produzierender Standort mit Landesförderung wie z.B. Weimar, Erfurt oder Gera-Altenburg oder die Gothaer Philharmonie.
Die Aufgabe des Kulturministers besteht darin, die Theaterlandschaft als Ganzes in den Blick zu nehmen und ihre Vielfältigkeit zu bewahren. Zudem ist dafür Sorge zu tragen, dass das Verfassungsgebot der gleichwertigen Lebensbedingungen in allen Landesteilen seinen Ausdruck auch in einem Angebot an Theater und Musik jenseits von Hotspots wie Weimar, Jena oder Rudolstadt findet. In der Kulturentwicklungskonzeption (KEK) für die Landkreise Nordhausen und Kyffhäuser wurde die Kooperation zwischen Stadttheater und freien Theatern als „Huckepack-Strategie“ bezeichnet. Vor rund zehn Jahren formulierte der damalige Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft: „So wie es in mancher Stadt eine gemeinnützige Festival-GmbH gibt, so könnte man sich für alle in der Stadt wirkenden Theatergruppen, -truppen, -häuser eine das Stadttheater einschließende überwölbende Dachorganisation vorstellen, die – öffentlich finanziert – die Koordination und Kooperation (…) wie eine Holding bewirkt.“ So weit reichen die bisherigen Überlegungen nicht – es zeigt jedoch, dass der Gedanke der säulen- und spartenübergreifenden Kooperation nicht neu, sondern weiterhin aktuell ist.
Umfang und Struktur der Kulturfinanzierung
Gemessen an den gesamten öffentlichen Kulturausgaben betrug im Jahre 2009 der Anteil für Theater und Musik aller bundesdeutschen Gebietskörperschaften 35,4%. Dies war vor Bibliotheken, Museen etc. der größte Ausgabeposten. Während alle Länder im Jahre 2009 für Theater und Musik 39,33 Euro je Einwohner investierten, lag die Pro-Kopf-Ausgabe Thüringens bei 50,74 Euro. Damit lag der Freistaat auf Platz 5. Diese Position hat sich seitdem nicht wesentlich verändert und sollte ins Verhältnis zur Finanzkraft Thüringens gegenüber den anderen Ländern gesetzt werden.
Gleichzeitig wäre der Einwand zutreffend, dass diese Statistiken für sich genommen noch nicht dazu führen, dass die Beschäftigten des Eisenacher Theaters wieder in einen tariflichen Gehaltszustand zurückkehren oder die Gerechtigkeitslücke in der Vergütung der Thüringer Theaterbeschäftigten geschlossen wird. Unabhängig davon, dass in der freien Theaterszene leider noch Honorare üblich sind, die keineswegs der Forderung genügen, dass man von Arbeit leben können muss.
Die Zahlen und Ländervergleiche weisen jedoch darauf hin, dass Thüringen über das Land und seine Kommunen bereits in der Vergangenheit überproportional viel in die Aufrechterhaltung der Theaterstrukturen investiert hat. Dies wollen wir fortsetzen. Aber einige Kommunen sind, wie gezeigt wurde, derzeit nicht oder nur unter großen Anstrengungen in der Lage, weitere Ausgabensteigerungen zu vollziehen. Das Land kann und wird nicht in der Lage sein, jeweils in die Ersatzvornahme einzutreten.
Wenn wir also künftig zum Ausgleich der Tariferhöhungen an den Stadt- und Staatstheatern und für notwendige Bauinvestitionen mehr öffentliche Mittel investieren werden, dann müssen diese Ausgaben langfristig angelegt sein. Die Theater müssen Planungssicherheit hinsichtlich ihrer Produktionsbedingungen erhalten, und die Beschäftigten gute Arbeitsbedingungen vorfinden. Das Land will die Gewissheit haben, dass mit den eingesetzten Mitteln seine Ziele wie flächendeckendes qualitativ anspruchsvolles Theaterangebot, Zusammenarbeit von Stadt- und Staatstheatern mit der freien Theaterszene, kulturelle Jugendbildung und interkulturelle Aktivitäten erreicht werden.
Wer sich nicht ändert, bleibt zurück
Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen ist dem eingangs zitierten Kommentar zu widersprechen, in dem formuliert wurde: „Verehrter Herr Minister, diesmal lautet die bessere Devise: Nichts tun! (…) Nur an den Strukturen muss nichts verändert werden, weil uns unsere Theater und Orchester lieb, aber nicht zu teuer sind.“ Ich zitiere statt dessen noch einmal den Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft: „Erich Fried hat einmal in einem kleinen Gesicht mit der Überschrift ‚Status quo‘ geschrieben: ‚Wer will, dass die Welt so bleibt wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt.‘ Das trifft auch auf Kultureinrichtungen zu, auch wenn sie sich bisher gut bewährt haben. (…) Damit dieser Umbau nicht als aufgezwungene ‚Naturnotwendigkeit‘ über die Theater hereinbricht, ist eine inhaltlich-konzeptionelle Debatte über das Theater der Zukunft, seine Aufgaben und Funktionen, die auch die finanzielle und strukturelle Dimension umfasst, notwendig.“
Diese Debatte führen derzeit Intendanten, Kommunen und das Land. Das ist anstrengend aber fruchtbringend, lehrreich und wesentlich besser als nichts zu tun.
Kommentare 11
Lieber Herr Hoff, natürlich muss über die Kulturlandschaft nachgedacht werden, aber vor allem über deren Erhalt. Thüringen hat in den vergangenen 25 Jahren in seiner Theaterpolitik keinen guten Weg beschritten: Es ging nicht wirklich darum, die vielfältige Landschaft zu erhalten und Kultur als Bildungsauftrag zu verstehen, sondern letztlich immer um Haushaltsfragen. So wurde in den vergangenen Jahrzehnten oftmals die Sense angesetzt und kräftig beschnitten. Die Landeshauptstadt verfügt inzwischen nicht einmal mehr über ein eigenes Schauspiel, Nordhausen macht aus Bruchstücken noch das Beste und der Meininger Intendant kittet mit Kraft und Leidenschaft die Zwangsehe mit Eisenach. Wäre es seinerzeit gelungen, die Widerstände politisch erfolgreich zu bekämpfen, dann hätte Rudolstadt allenfalls nur noch eine Bauruine und Gera mit seinem künstlichen Anhängsel Altenburg längst kein Vollsparten-Theater mehr. Es ist zweifelhaft, ob wirklich die Schließung von Sparten fiskalisch sinnvoll ist: Rudolstadt bespielt Nordhausen, Gera hat es mit Altenburg und Meiningen mit Eisenach zu tun – wer kann mir erklären, wo finanzieller Nutzen bei solchem Aufwand zu finden sein soll? Und wer redet vom Verlust von Qualität und Identität?
Lieber Herr Hoff,
es lässt sich ja herzlich über schwarze Schwäne und weiße Elefanten diskutieren. Aber warum fehlt die Courage, diese Diskussionen öffentlich zu führen. Gespräche mit den "kommunalen Trägern und Theaterintendanten" im "nichtöffentlichen" Raum ist ein eigenwilliger Zugang bei einem so interessanten öffentlichen Thema wie der künftigen Theaterstruktur - dem Flaggschiff der staatlichen Kulturpolitik. Da fehlt mir leider in Thüringen immer noch der Mut zur Debattenkultur.
Das Thema ist ja nun keines, das nur "kommunale Träger und Theaterintendanten" betrifft. Im Gegenteil ist doch gerade die Kulturpolitik ein schönes Feld, um öffentliche Diskussion auszuprobieren. Und da die Parlamente im Regelfall aus der Kulturpolitik ausgeschlossen sind, besteht um so mehr ein Grund, Diskussionen von Beginn an transparent zu führen.
Angst vor dem Versagen des Argumentes sollte es nicht geben. Und das öffentliche Verkünden eines geheim mit den "kommunalen Trägern und Theaterintendanten" ausgehandelten Konzepts irgendwann im Herbst ist nicht elegant - und wird erst Recht heftigen Gegenwind provozieren. Also, mutig sein, öffentlich streiten!
Lieber Herr Elias, Ihre Hinweise sind nicht unberechtigt. Vergegenwärtigen wir uns die Theaterdebatte aus den Jahren 2003/2004 im Kontext der Expertenkommission, die vom damaligen Bundespräsidenten Rau eingesetzt wurde, sehen wir, dass die Rahmenbedingungen im Wesentlichen gleich geblieben sind. Gleichzeitig stehen Land und kommunale Träger als diejenigen, die die Theater finanzieren und die Intendanten als diejenigen, die die Mittel zu verwalten und möglichst gut im Sinne von Qualität einzusetzen haben, in der Pflicht, da sie nur die zur Verfügung stehenden Ressourcen einsetzen können. Darauf habe ich im Beitrag hingewiesen. Insbesondere auf die finanzielle Leistungsfähigkeit von Land und Kommunen.
Die Diskussion die wir in Thüringen derzeit führen dreht sich weniger um die Frage, wie viel Geld bei den Theatern eingespart wird, sondern vielmehr um die Frage, wie die künftige Theaterstruktur aussehen soll, die angesichts von Tarifanpassungen, die einen Millionenbetrag umfassen, teurer wird als bisher.
* * *
Liebe/r Frau/Herr ASTOERR, auch Ihnen gebe ich Recht dahingehend, dass eine öffentliche Debatte grundsätzlich wichtig und erforderlich ist. Sie stimmen jedoch möglicherweise auch mit mir darin überein, dass diejenigen, die sich einer öffentlichen Debatte zu stellen bereit sind, dies auch mit einer abgestimmten und ausdiskutierten Position tun können und sollten.
Es ist kein Fehler, einen Plan zu entwickeln, vorzustellen und zu diskutieren. Ein Konzept aber als alternativlos darzustellen und mit Sachzwanglogik zu begründen, wäre falsch. Das hat aber niemand vor.
Es ist jedoch die Pflicht von politischen Akteuren zu sagen, wohin sie gehen wollen und das Recht von Bürger/-innen, dass diese Aufgabe auch wahrgenommen wird.
Lieber Herr Hoff,
ich finde es es dankenswert, dass Sie uns Ihre Überlegungen so ausführlich darlegen. Ich möchte Sie jedoch bitten, einige Aspekte aus einer anderen Sicht zu diskutieren.
1. die Beträge, die das Land Thüringen für Kultur aufwendet sind im Vergleich zu anderen, nicht freiwilligen Positionen marginal. Die Einsparungen, die Sie anstreben, sind es auch. Was zerstört wird, läßt sich möglicherweise nicht kameralistisch gegen rechnen, die kultursubstanz, ein Wert an sich, geht verloren, mit ihr Arbeitsplätze, mit ihr Attraktivitöt der Standorte und Touristen.
2. die viel zitierten Tariferhöhungen Werden den Verwaltungen des Landes und der Städte ohne mit der Wimper zu zucken gewährt, sie müßten eine Selbstverständlichkeit für Theater und Orchester sein, und keine Verhandlungsmasse.
der Gedanke, über Personalabbau Einsparungen zu erzielen, ist kurzsichtig, da die Verträge der Mitarbeiter mit hohen Gehaltsgruppen (Verwaltung, Technik, Orchester) nicht oder nur verbunden mit hohen Abfindungen kündbar sind. Die Transaktionskosten werden über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren - nämlich dann, wenn die auch in den Theatern demografisch stärkste Gruppe der Babyboomer in Rente geht - größer sein, als die Einsparungen.
3. das neue Modell, das einem uralten, bereits von Ihren CDU Vorgängern immer wieder aus der Schublade gezogenem ähnelt, zentralisiert beinahe ein Drittel der Theatermittel in Erfurt. Ein doch recht mittelmäßiges Opernhaus - seit 15 Jahren keine Nennung mehr in den Kritikerumfragen - wird aufmunitioniert, ein feudaler Prachtbau in der Landeshauptstadt wird gerechtfertigt. Es darf nicht zugunsten der Landeshauptstadt Kulturabbau in den Regionen stattfinden.
4. jüngere kulturwirtschaftluche Untersuchungen haben ergeben, dass Kooperatiinen und Fusionen unter Theatern und Orchestern nur negative ökonomische Effekte ergeben, weil immaterielle Kulturgüter nur schwierig zu exportieren oder zu übertragen sind.
Überall dort, wo kooperiert und fusioniert wird, herrschen heute Krisenszenarirn vor, siehe in der Theaterlandschaft Mecklenburg Vorpommerns..
5. die Ungleicheit wird bei drei verschieden gestaffelten Tarifverträgen, niedrig dotierter bühnenvertrag für Schauspieler, Sänger, Assistenten, öffentlicher Dienst Vertrag für Verwaltung und Technik, Spezialtarifvertrag für Musiker mit Spitzengehältern erst dann aufzuheben sein, wenn die Theater endlich Einheitstarifverträge bekommen. So gehen junge Schauspieler und Assistenten, die nach zwei Jahren wieder gekündigt werden können mit 1.700 Brutto nach Hause, während ihre unkündbaren Kollegen im Orchester das bis zu Dreifache erhalten. Insbesondere die Künstlergagen müssten im Sinne einer Gerechtigkeit deutlich angehoben werden.
6. bitte diskutieren Sie Ihre Vorschläge auch mit den Mitarbeitern der Theater und Orchester und ihren Zuschauern. Der von ihnen avisierte Kreis auf Wahlämtern (Bürgermeister, Intendanten) ist oft nur kurzfristig in der Verantwortung.
bitte bedenken Sie, dass Thüringen eine einmalige und kostbare Theater- und Orchesterkandschaft hat, die einer Reform bedürfte, die sie nachhaltig stärkt.
sehr freundliche Grüße
Ihr Cotard
Die Kunst der vollendeten Tatsache
Benjamin-Immanuel Hoff ist ein durchaus geschickter Rhetoriker, das muss man ihm lassen. Jedoch bei den erneut anstehenden Strukturüberlegungen zu den Thüringer Orchestern und Theatern schätzt er die die Aufstellung der Protagonisten falsch ein: Er spricht vom „Trialog“ zwischen Land mit Intendanten und Kommunen. Mal ehrlich: Minister und Staatssekretäre (Land), Oberbürgermeister und Landräte (Kommunen) und Intendanten haben alle befristete Verträge/Mandate und man hat seit 1990 schon viele von ihnen kommen und wieder gehen sehen. Das wird auch so bleiben. Andererseits: Die überwiegend aus der thüringischen Kleinstaaterei (Alleinstellungsmerkmal!) entstandenen und dadurch besonders traditionsreichen Orchester und Theater und ihre Beschäftigten (!) waren oft schon vor ihnen da und sind häufig auch nach den Abgängen der Protagonisten des „Trialogs“ immer noch da. Ebenso wie das Publikum, die Freunde und Förderer, die Wählerinnen und Wähler…
Kurzer Rede kurzer Sinn: Wer als Minister den Beschäftigten der Orchester und Theater und ihrer Berufsverbände (Gewerkschaften) nicht absolut auf Augenhöhe begegnet, wird einen schweren Stand haben. Allein der ansatzweise Versuch, vollendete Tatsachen aus dem „Trialog“ am Ende den Beschäftigten zu präsentieren, sollte eigentlich nicht Maßstab einer rot-rot-grünen Landesregierung sein. Da reicht es auch nicht, mal im Landestheater Eisenach auf einer Betriebsversammlung aufzulaufen oder Smalltalk mit der Thüringer Orchesterkonferenz zu halten. Die nächsten Wochen werden in Thüringen mal wieder spannend. Politisch, medial und rhetorisch.
Gerald Mertens, Geschäftsführer der DOV, Berlin
Lieber Cotard,
leider muss ich Ihnen in Punkt 3 vehment wiedersprechen!
Der von Ihnen so bezeichnete Prachtbau wurde zum Großteil von der Stadt und nicht vom Land finanziert (das haben sie zwar auch nicht behauptet, aber zur Klärung des Tatsachen ist es durchaus erwähnenswert!
Und zu behaupten das Erfuter Theater wäre in Kritikerumfragen seit Jahren nicht genannt worden ist schlichtweg falsch. Nicht nur dass es vor ca. 6 Jahren mit einer Inszenierung für den Faust Preis nominiert war, es gibt auch regelmäßige Nennungen bei Kritikerumfragen(z.B. im Opernglas).
Desweiteren gibt es in den Fachzeitschriften seit Jahren regelmäßige Kritiken der Inszenierungen. Von den jährlichen Uraufführungen und regelmäßigen Ausgrabunge ganz zu schweigen.Daher ist mir Ihr Urteil über das Theater Erfurt völlig unverständlich!
Status quo (zur Zeit des Wettrüstens)
von Erich Fried (1981)
"Wer will // daß die Welt // so bleibt // wie sie ist // der will nicht // daß sie bleibt"
Geehrter Thüringer Minister für Kultur Hoff!
Zunächst mal: Anerkennung und Dank für Ihre umgehende Antwort.
Ihrer Einladung zur kritischen diskursiven Begleitung der Debatte folge ich sehr gerne.
Auch dafür danke.
In einem Punkt darf ich mir eine kleine Korrektur auf kommunikationstechnischer Ebene erlauben: Ich habe weniger versucht, Sie über meine „Position hinsichtlich der künftigen Entwicklung der Thüringer Theater“ in Kenntnis zu setzen, als Ihnen vielmehr kritisch-polemisch und pointiert einige recht präzise Fragen zu stellen, die selbstverständlich einer Antwort harren.
Und: Eine Position, eine Haltung meinerseits, kann es erst geben, wenn verbindliche Ergebnisse aus der fraglichen Reformdebatte hervorgehen. Die existieren ja nun aber noch nicht. Demnach war die Wahl der Frageform die angemessene und richtige Kommunikationsart Ihnen gegenüber.
Dass die TLZ Dokumente „geleakt“ hat, ist bedauerlich.
„Leaking“...: Diesen Anglizismus assoziiere ich eher mit der Funktionsweise von Geheimdiensten oder den oft kritisierten geheimniskrämerischen Verhandlungsmethoden der Verhandlungspartner von TTIP, als mit einer kulturpolitischen Reformdebatte, wo es um die Zukunft öffentlicher Kulturinstitutionen geht.
Sie sind in einem Interview mit der TLZ vom 1.7. zwar ausführlich auf den Umstand eingegangen, dass Sie mit den leitenden Theater- und Konzertfunktionären sowie den betroffenen Kommunen im dauernden „Trialog“ stehen, das ist richtig. Und sie haben auch ausdrücklich auf die Existenz dieser Verhandlungen hingewiesen.
Aber warum den dort arbeitenden Kulturschaffenden (und der Öffentlichkeit) nicht auf Augenhöhe begegnen und zwar strategisch, aber offensiv und kontinuierlich informieren? Und warum die Leiter der betroffenen Kulturinstitutionen in eine Situation bringen, in der sie quasi „off the records“ um die Zukunft der ihnen anvertrauten Ensembles pokern müssen? Gab es vielleicht doch den einen oder anderen "Sachverhalt" zu „leaken“...?
Das Vertrauensverhältnis zwischen der Leitung einer kulturellen Einrichtung und den künstlerischen Mitarbeitern ist ein verletzliches und kostbares Gut, das niemals vorsätzlich gefährdet werden darf. Theaterbetriebe sind in aller Regel streng hierarchisch funktionierende Gebilde und werden leider von Intendanten auch schon mal als eigene Pfründe missverstanden. Und wenn man sie zum Pokern zwingt, gilt womöglich der Erhalt der eigenen Existenz und die „bella figura“ den jeweiligen Machthabern gegenüber plötzlich mehr als die künstlerischen Interessen der Institution, die sie eigentlich zu vertreten hätten.
Da fragt man sich dann schon, was beispielsweise den Nordhäuser Noch-Intendanten Tietje dazu treibt, in der TA vom 21.8. Ihrem Gestaltungswillen zu applaudieren, wenn er doch ab 2016/17 Intendant in Schwerin wird und dort bis 2019, gemäß Zielvereinbarung zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Stadt (und zur Freude des Gordi-prämierten Meck-Pommerschen Kulturhäuptlings Brodkorb), 30 Stellen abbauen wird. Welche Rolle spielt denn er in der Debatte um die Gestaltung der Zukunft einer Theaterlandschaft, in der er gar nicht vertreten sein wird?
Zum Zeitpunkt der Fertigstellung meines Beitrags scheint das Porzellan des Vertrauens von Seiten der Kulturschaffenden in Thüringen ja nun leider zerschlagen zu sein.
Hoffentlich nicht unwiderruflich.
Verlautbarungen an schwarzen Brettern mit der Direktive, Medien keine Interviews zu geben, sind aber leider keine guten Zeichen.
Die Dynamik dieser Debatte erinnert bisher fatal an das unbedarfte Vorgehen Ihrer BaWü-Ressortkollegin Bauer im Jahre 2013, als sie mit einem unausgegorenen, nicht umsetzbaren Reformkonzept für die Landes-Musikhochschulen und katastrophalem Kommunikationsmanagement durch die Lande rumpelte und flächendeckende Proteste entfachte: <https://www.youtube.com/watch?v=rJPsCVJY49c>.
Ab Zeitpunkt 1:12:00 bringt in diesem Clip ein junger (mir nicht bekannter) Kulturschaffender die inhaltlichen und sachlichen Unstimmigkeiten des ministeriellen Konzeptes messerscharf auf den Punkt. Bezeichnenderweise und gattungstypisch geht Bauer im nachfolgenden Antwortblock nicht mit einer einzigen Silbe auf die klugen Voten des Redners ein.
Das Konzept in seiner hier angesprochenen Form wurde später von der Landesregierung diskret entsorgt.
Ihren Blog-Beitrag habe ich gelesen.
Antworten auf meine Fragen habe ich darin keine gefunden, aber Sie bemühen meinen Lieblingslyriker, Erich Fried, in der Headline und als Zitat im Zitat. Ich knüpfe daher im Folgenden an dieses Gedicht an:
Zur Verdeutlichung meines eigenen beruflichen und persönlichen Standpunktes und in dieser Debatte:
Die mit Frieds Zitat und Ihrem Zwischentitel „Wer sich nicht ändert, bleibt zurück“ eingeforderte strukturelle „Transformation“ habe ich als Kulturschaffender längst an mir selbst vollzogen.
Aus einem Unwohlsein gegenüber starren institutionalisierten Theaterstrukturen, das in jahrzehntelanger beruflicher Erfahrung begründet liegt, habe ich mich, vor einiger Zeit schon, auf den weiten Weg gemacht, Strukturen und Formen zu finden, die es mir persönlich erlauben, wichtige Inhalte künstlerisch adäquat zu transportieren und zu vermitteln. Und ich habe sie gefunden.
Einer der Gründe für mein „Unwohlsein“ liegt in der (subjektiv so empfundenen) andauernden inhaltlichen Uniformität und Ambitionslosigkeit vieler institutionalisierter Opernbetriebe in Mitteleuropa.
Ich gehöre also gewiss nicht zu irgendeiner Fraktion von Reformverweigerern und auch nicht zu irgendwelchen Nutznießern etablierter Strukturen. Ich habe ausserdem keinerlei berufliche oder persönliche Verbindungen zur Thüringer Theaterlandschaft, bin also im besten Sinne frei und unabhängig.
Aber ich beobachte und registriere genau und gehöre zu jenen unverbesserlichen unabhängigen Theatermachern, die irgendwie leben und jeden ergatterten Euro wieder in Inhalte reinvestieren.
Ich leiste mir Inhalte.
Sie haben mich auf Ihren Blog-Beitrag verwiesen.
Nach dessen Durchsicht stelle ich fest:
Ich lese Zahlen, Vergleiche, Hochrechnungen und Prognosen, wonach Kulturinstitutionen, -standorte und deren Perspektiven eingeschätzt werden. Um Zahlen wird in der bevorstehenden Reform gewiss noch genug gerungen werden.
Ich setze diesem Beitrag konsequenterweise Inhalte entgegen.
Sie scheinen mir dringend notwendig, denn: In Ihrem Plädoyer sehe ich keinerlei Argumente und (vor allem) Perspektiven, die aus inhaltlichen Überlegungen hergeleitet wären bzw. resultieren. Nur wo im Kulturleben klare inhaltliche Perspektiven herrschen, können nachhaltige Strukturen daraus hervorgehen.
Müsste demnach nicht in Ihrem Plädoyer stehen, dass der Opernbetrieb in Weimar schon nur deswegen unerlässlich ist, weil – Pars pro toto – der visionäre Franz Liszt in den Jahren 1852, 55 und 56 dem Komponisten Hector Berlioz, teilweise im Rahmen eigener Festwochen, die Möglichkeit gegeben hat, sein Oeuvre im deutschen Kulturbereich nachhaltig bekannt zu machen?
Hinter dem experimentierfreudigen Doppel Liszt-Berlioz steckten institutionelle und politische Träger, die derartigen Experimenten gegenüber nicht nur zutiefst aufgeschlossen waren, sondern ein echtes und ehrliches inhaltliches „G'spür“ dafür hatten, diese Experimente ermöglichten und damit Weimar ein immerwährendes und in der Substanz unzerstörbares kulturelles Erbe geschenkt haben.
Gehören also Liszt, Berlioz, aber auch Humperdinck und all die anderen, nicht gerade deshalb zu den immateriellen thüringischen Kulturgütern?
Sie sind wichtig. Für Weimar, Thüringen und Deutschland. Sie gehören gepflegt, erhalten und propagiert. Auch vom Thüringer Minister für Kultur.
Sie gehören gespielt. In Weimar. Vom Weimarer Ensemble. Auf dem bestmöglichen Niveau. Das Weimarer Ensemble gastiert dann damit im Ausland. Und wird zum Botschafter Thüringens. So geht das.
Ein anderer Punkt, der – wenn so beabsichtigt, wie von den Medien berichtet – ein absoluter kulturpolitischer Skandal wäre: die Abwicklung der Landeskapelle Eisenach.
Wer um Himmels Willen kommt denn auf die groteske Idee, das Orchester von Bachs Geburtsstadt stillzulegen?? Warum nicht ein Minimum an struktureller und inhaltlicher Phantasie walten lassen und – lediglich ein Gedankenspiel – kulturpolitische Impulse setzen, die es diesem in jeder Hinsicht geschichtsträchtigen Klangkörper in aller Ruhe und professionellen Seriosität ermöglichen, sich zu einem international bekannten Repräsentanten und Spezialisten der reichen, einmaligen Musiktradition Eisenachs zu entwickeln? – Ein weiterer Botschafter Thüringens in der internationalen Kulturwelt.
Die jahrhundertealte Vielfalt und ungebrochene Kreativität der thüringischen Opern-, Musik- und Theaterlandschaft ist ihrer kulturhistorischen Bedeutung europaweit, wahrscheinlich weltweit, einzigartig. So gehört sie behandelt. Auch von Politkern.
Dass Sie die (unbestritten wichtige und prioritäre) Integration von Flüchtlingen (eine Herkulesaufgabe, die jedes Land zu vollbringen hat) als Quantifikationskriterium für eine zukünftige Verteilung von Kultursubventionen bemühen, ist ehrenwert und philanthropisch, aber:
Warum steht ein solches Argument im Plädoyer eines Kulturministers für eine Theaterreform? Einen derartigen Diskurs ordne ich in der Sache einem Sozial-, Gesundheits- oder Finanzministerium zu.
Ihr Blog-Beitrag liest sich wie die dürre, illusionslose und technokratische Replik eines cleveren, kulturpolitisch recht gut unterrichteten Finanzministers auf genau denflammenden Vorstoß, den man sich eigentlich von einem engagierten und informierten Kulturminister hätte erhoffen dürfen.
An dieser Stelle greife ich – wieder Pars pro toto – einen einzelnen Aspekt Ihrer Strukturdebatte heraus, so wie er gegenwärtig, von den Medien reportiert, im Raum steht ‒ und stelle ein paar Fragen dazu:
Falls Sie die Sparte Musiktheater in Weimar abwickeln, aber die Staatskapelle beibehalten, wird demnach das Erfurter Opernensemble vom neu vereinigten Philharmonischen Orchester Erfurt / Gotha begleitet, wenn am DNT Oper gespielt wird? Die Musiker reisen dann also teilweise aus Gotha nach Weimar an, während die dort ansässige Staatskapelle bezahltermassen am Frauenplan spazieren geht?
Oder lassen Sie die (in Erfurt vom zusammengelegten Philharmonischen Orchester begleiteten) Opernproduktionen für die Aufführungen in Weimar, im Rahmen teuer subventionierter Orchesterdienste, eigens von der Staatskapelle nachproben? 1 Ensemble + 2 Orchester = Doppelte Anzahl Orchesterproben für ein- und dieselbe Produktion?
Sollten diese Proben allerdings im Reformkonzept aus den eben angesprochenen finanziellen Überlegungen wegfallen und die Weimarer Staatskapelle dadurch die Erfurter Opernproduktionen probenlos übernehmen müssen, dann wäre das ein Affront der Klang- bzw. Spielkultur des Orchesters und dem Qualitätsbewusstsein der Musiker gegenüber.
Ausserdem wird das Weimarer Publikum möglicherweise mit Qualitätseinbussen konfrontiert, die es kaum widerstandslos hinnehmen dürfte.
Dank des unausgegorenen „2+2 Spartenmodells“ des Rostocker Theaterweisen Methling hoppelt ja Ihr Meck-Pomm-Kollege Brodkorb auch genau diesem Problem hinterher:
Eigene Oper in Rostock nein, aber Orchester ja. Dann also Oper von außen – mit Orchester Nummer 2? Oder doch lieber mit dem eigenen Orchester, das sonst nix mehr zu tun hat??
Ebendiese Problematik wurde in Rostock stadtintern, offensichtlich selbst auf politischer Ebene, messerscharf erkannt und im Rahmen der folgenden Anfrage auf Seite 8 formuliert: <http://www.de-drom.de/de-drom/Initiative_Volkstheater_files/0728-01.pdf>.
Das Problem bleibt allerdings in der stadtväterlichen Replik strukturell vollkommen ungeklärt und wird, mit Handkuss und Methlings Segen, an das Leitungsteam der Kulturinstitution weitergereicht:
„Nach dem Untersuchungsbericht […] ist eine reine Tätigkeit als Konzertorchester durch die starke Sättigung des Marktes schwierig. […] geht davon aus, dass eine strategische Neupositionierung des Orchesters bei dem Zwei-Sparten-Modell notwendig wird, um neue Tätigkeitsfelder für das Ensemble zu erschließen. Bei dem 2+2 Spartenmodell wird die Kooperation als eine Möglichkeit zur Erschließung neuer Tätigkeitsfelder für das Orchester gesehen. Die konkrete Untersetzung und strategische Neuausrichtung des Orchesters ist Bestandteil der durch die Geschäftsführung […] zu erarbeitenden Umsetzungskonzeption.“ ‒ Eigentlich eine Frechheit...
...Kulturpolitik in Deutschland.
Es entbehrt nicht eines gewissen Zynismus, Erich Frieds Gedicht, das er 1981 als Fanal gegen sinnloses Wettrüsten zwischen zwei Politsystemen publiziert hat, als moralisierenden Appell im Namen einer Strukturdebatte zu missbrauchen, deren Ausgang mit hoher Wahrscheinlichkeit von Kündigungen, Entlassungen und der Vernichtung von Arbeitsplätzen flankiert sein wird.
Menschen werden ihre Arbeit verlieren.
Und das, wo Erich Fried in England zeitweise Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes war.
Ich überlasse es Ihnen, als Parteimitglied der „Linken“, zu beurteilen, ob der Autor über das Zitat im vorliegenden Kontext erfreut gewesen wäre.
Wäre es womöglich im Sinne einer persönlichen Gedankenspielerei interessant für Sie, mal die Relevanz des Gedichtes auf Ihren eigenen Standpunkt zu überprüfen?
Ihnen persönlich, dem Menschen Benjamin-Immanuel Hoff, antworte ich daher auf Fried ‒ mit Fried:
ASCHE:
(1963)
"Ich bin die Asche meiner Flammen // deren Brennholz // ich wurde // das mich kleinschlug // als ich Axt war // gehalten // von meinen Händen // die mich brannten // bis ich Kühlung // suchte // in meiner Asche"
Im Rahmen der Debatte um eine Reform der thüringischen Theaterlandschaft antworte ich dem Thüringer Minister für Kultur Hoff auf sein Fried-Zitat im Zitat mit einem Diktum von August Everding, das dieser 1993 während einer Rede anlässlich eines Protestanlasses des Deutschen Bühnenvereins in Berlin geprägt hat.
Es hat im Deutschland und im Thüringen des Jahres 2015 leider überhaupt nichts von seiner schmerzvollen Aktualität verloren:
„Wo Kultur wegbricht, wird Platz frei für Gewalt.“
Mit freundlichen Grüßen und – viel Glück!
N. Trees
"... ist eine inhaltlich-konzeptionelle Debatte über das Theater der Zukunft, seine Aufgaben und Funktionen, die auch die finanzielle und strukturelle Dimension umfasst, notwendig.“
Momentan lässt man wohl eher Probeballons aufsteigen, um auszutesten, wie laut die Aufschreie der Betroffenen sind. Ludger Vollmer (der Opernkomponist, nicht der Grünen-Politiker) hat gerade mit einem Offenen Brief in der Thüringer Allgemeinen darauf reagiert, dass anscheinend die Opernsparte am Deutschen Nationaltheater Weimar geschlossen werden soll. Inhaltlich-konzeptionell ist an dieser Idee wohl, dass man meint, in der Stadt Goethes, Herders und Schillers brauche man nur ein Sprechtheater?
„Dürfen wir die Abschaffung der ,Lohengrin‘- und ,Hänsel-und-Gretel‘- Uraufführungsbühne, des Liszt‘schen und Strauss‘schen Musiktheaters unserer Stadt wirklich einfach hinnehmen?", fragt Ludger Vollmer. Als gelegentlicher Besucher sage ich Nein!
Dann lassen wir eben die Probeballons fliegen und rufen einfach mal, am besten laut und flächendeckend!
Irgendwann wird er merken, dass alle, sei es Nike Wagner, Ludger Vollmer, Hadie oder wie hier - und ganz aktuell - Jörg Sobiella irgendwie aus genau denselben Gründen in dieselbe Richtung schreien... <http://www.br.de/radio/br-klassik/sendungen/leporello/theaterlandschaft-thueringen-umbruch-100.html>
Oder, um es mit einem Arienzitat aus Puccinis Tosca zu sagen: "Recondita armonia", zu deutsch: "Verborgene Harmonie".
Zur Entspannung für den Stress, der durch den BR-Beitrag verursacht worden ist, hier eine ganz tolle Aufnahme von Puccinis Arie, leider nur im Konzert. Aber, nachdem wir hier über Inhalte sprechen, lassen wir einen Tenor singen, der sein Metier so richtig versteht. Zum Zeitpunkt der Aufnahme schon 70 Jahre alt (und schwerst sehbehindert ), aber wer macht es ihm heute nach??
<https://www.youtube.com/watch?v=hp4ygOc7Jso>
Muss sich Weimar das in Zukunft entgehen lassen??
Wie immer mit Gruss - N.Trees
Werter Herr Minister Hoff,
schön, dass Sie sich über diesen blog persönlich der Diskussion stellen! Ich hoffe, Sie werden in der sich anbahnenden öffentlichen Debatte weiter offen bleiben für den Gedankenaustausch.
Deutschland hat eine große Strahlkraft, viele der attraktiven Alleinstellungsmerkmale sind verknüpft mit dem Föderalismus und seinen geschichtlichen Wurzeln. Der machtvolle unternehmerische Mittelstand, das duale Ausbildungs- wie überhaupt das Bildungssystem usf. ... eine Besonderheit vor allem in Thüringen ist oder war eben das unvergleichlich reiche Musikleben - ein Exportschlager bis heute. Wieso argumentieren Sie in Ihrer Funktion als Hüter der thüringischen kulturellen Identität angesichts dieser auf der ganzen Welt beneideten Einzigartigkeit ernsthaft mit einer Nivellierung von Pro-Kopf-Kulturausgaben? Der für die Bewahrung und den Ausbau dieses echt thüringischen Juwels aufgewendete Betrag könnte ohne Weiteres eben statt derzeit 1,2% auch gern 1,5% des Landeshaushaltes ausmachen, ohne den Verdacht auf Verschwendung. Bitte, richten Sie Ihr Augenmerk auf den hohen Wert gewachsener Kulturtradition, verzichten Sie auf ein "divide-et-impera", lassen ab vom Geltungsbestreben der Landeshauptstadt und schüren keinen Futterneid!
Ich bin Greifswalder, Jahrgang '77 und arbeitete fünf Jahre lang im Orchester von Sondershausen/Nordhausen. Seit 1990 leben in Thüringen wie in meiner Heimat MV gleichermaßen etwa 20% weniger Menschen, die Orchesterplanstellen sind seither jedoch um 40% bzw. 45% abgebaut worden. Ausgerechnet Politiker der Linken und der SPD sehen die Fortsetzung dieses kulturellen Kahlschlags als Ihre Aufgabe an? Es gehen hochqualifizierte Jobs verloren, attraktive dezentrale Identifikationskerne werden aufgegeben. Bildung und Kulturförderung in der Breite und den Zugang dazu für jede und jeden - das muss die Agenda eines linken Staatsdieners sein!
Herr Tietje hat eine solide Arbeit gemacht als Intendant und Anästhesist in Nordthüringen, hat letztlich durch vorausschauende und besonnene Haushaltsverwaltung den Amputationsschmerz verhindert, der Arm jedoch war trotzdem ab. Ich wünsche ihm für seine Zeit in Schwerin, dass er und die politischen Akteure sich gemeinsam mit der Bürgerschaft vor Augen halten mögen: in meiner Heimat waren vor 1990 neben den Kirchen eben die Theater jene Nischen, in denen Denken zuweilen geduldet wurde, und das wenige, was da noch kraftvoll gedeiht, nach all dem ungebremsten Verlust von Arbeit und Würde und dem brain drain, jetzt zu ersticken, gäbe das Land vollends in die Hände der dumpfen braunen Anwälte der Verlierer.
Eigenverantwortung und Mitbestimmung sind auch Deutschlands besondere Stärken und sorgen für dauerhafte hohe Lebensqualität. Lassen Sie eine öffentliche Debatte stattfinden, begleiten Sie diese mit dem Ziel, alle Kommunen einzubinden, auch solche, die nicht direkt Theater finanzieren müssen, aber von der Nähe eines solchen profitieren, holen Sie alle Häuser unter das Dach einer Landes-Stiftung, gönnen Sie sich und dem Land Thüringen eine Vision!
Mit freundlichem Gruß
Ralph Krause, Cellist in Nürnberg
Viele Jugendkulturprojekte hangeln sich von einer Kurzförderung zur nächsten. Ich finde in Thüringen wäre ein Jugendkulturgesetz nötig. Dieses Gesetz sollte die Finanzierung von Jugendkultur in den Städten und Gemeinden zu einer Pflichtaufgabe des Staates machen. Dieses Kulturgesetz könnte Jungendprojekte, Musikgruppen und Treffs finanziell absichern.