Links ist da, wo der Daumen rechts ist

Linke Debatte Eine Kritik an politischen Positionen Sahra Wagenknechts ist berechtigt - die Ideologiekritik an mancher Kritik ist notwendig

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Sahra Wagenknecht hat wieder einmal mit umstrittenen Äußerungen am rechten Rand gefischt
Sahra Wagenknecht hat wieder einmal mit umstrittenen Äußerungen am rechten Rand gefischt

Foto: STEFFI LOOS/AFP/Getty Images

Die Aufregung in den sozialen Netzwerken ist groß. Sahra Wagenknecht hat in Reaktion auf den Anschlag von Ansbach eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der sie die Ereignisse der vergangenen Tage als Beleg dafür heranzieht, dass die "Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte“. "Der Staat" müsse nun "alles dafür tun, dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können." Das setze voraus, dass man wisse, wer im Land ist, und wo es Gefahrenpotenziale gebe.

Zwischenzeitlich forderte der linke MdB Jan van Aken personelle Konsequenzen aus der Aussage und kritisierten weitere MdB der Linksfraktion die Äußerungen der linken Fraktionsvorsitzenden, die sich auf Facebook zu einer Klarstellung veranlasst sah.

Hat sich Sahra Wagenknecht mit ihren Äußerungen Argumente der AfD zueigen und zum Teil einer linksrechten Querfront gemacht, wie es beispielsweise ein Tweet von STERN-Herausgeber Andreas Petzold nahelegt?

https://twitter.com/andreaspetzold/status/757579506643337216

Nun, zugegeben, auch der Blutdruck der beiden Autoren ist bei der ersten Lektüre gestiegen. Wir sind weder Anhänger irgendwelcher Avancen an rechte Wähler/-innen oder Parteien, noch halten wir rhetorisches Rechtsblinken, zumal in der gegenwärtigen Situation, für eine strategische Option. der Parteivorsitzende Bernd Riexinger hat es einmal in Bezug auf das Verhältnis von AfD und LINKE in sechs Worten gesagt: "Die sind rechts, wir sind links". Im jüngsten Spiegel-Interview hat der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (DIE LINKE) dieses Zitat in einer Positionierung zum Populismus von links wiederholt. In diesem Sinne teilen die beiden Autoren in Gänze das differenzierte Statement des Bundesgeschäftsführers der Linkspartei, Matthias Höhn.

Politische Linke und "historische Wählerbasis"

Was wir aber auch teilen, ist eine Nachdenklichkeit über den Zustand der politischen Linken, die sich an Texten wie der jüngst veröffentlichten Polemik "Aber wir lieben euch doch alle!" von Ernst Hillebrand entzündet. Hillebrand und andere beklagen eine soziale Entkopplung der "progressiven" Millieus. Hillebrand schreibt:

"Es ist diese ideologische Entfremdung zwischen den linken Parteien und ihrer historischen Wählerbasis, die im Wesentlichen die schlechten Wahlergebnisse der linken Mitte erklärt. Während die Parteien und ihre Funktionäre sich in zentralen wirtschaftlichen und sozialen Fragen im Sinne von Globalisierung, Europäisierung, Entgrenzung und Liberalisierung positionieren, halten Teile der Unterschicht an Nationalstaat, Patriotismus, und traditionellen Wertemustern fest."

Diesen Befund bestreiten kann man kaum, auch wenn man daraus solche und solche Schlussfolgerungen ziehen kann.

Die Kritiker/-innen von Sahra Wagenknecht haben dann Recht, wenn sie die Rezeption ihrer Äußerungen hinterfragen. Denn diese Rezeption ist einmal der Beleg dafür, dass die Linke mit dem Rechtsblinken nichts gewinnen kann. Entweder sie biegt ab, dann hört sie auf, links zu sein. Oder sie blinkt nur, dann ist das Blinken nicht mehr als ein Hinweisgeber auf das rechte Original.

Aber es gibt für uns als politische Linke, unter der wir stets mehr als eine Partei verstehen, auch keinen Anlass, der Illusion zu erliegen, der Wandel von Milieus, Werten und gesellschaftlicher Diskurse hätte auf uns keinen Einfluss. Wenn die Linke Mehrheiten für eine andere Politik erringen will, dann weder gegen noch ohne die "historische Wählerbasis", von der Ernst Hillebrand schreibt.

Links ist da, wo Menschen eine sichere Heimat haben

Dann werden wir erstens nicht umhin kommen, eine progressive politische Erzählung zu entwickeln, die Begriffe wie Sicherheit (als den legitimen Wunsch nach Sicherheit vor den großen Risiken des Lebens, seien sie nun Krieg, Gewalt, Armut oder Diskriminierung) und Heimat (als ebenso legitimen Wunsch nach einem Leben in verlässlichen familiären, sozialen, ökonomischen und institutionellen Arrangements) nicht meidet und tabuisiert, sondern kognitiv und affektiv auf eine Weise besetzt, die Zustimmung für eine progressive Politik wirbt. Zweitens sind wir gehalten, eine politische Agenda aufzusetzen, die dieser Wählerbasis ein Leben in Sicherheit ermöglicht.

Wer diesen Annahmen nun reflexhaft widersprechen möchte, sollte zumindest bedenken: ein Alleinstellungsmerkmal der Partei DIE LINKE darin zu sehen, dass sie konsequente Friedenspartei sei, heißt zu konstatieren, dass Frieden u.a. Sicherheit vor Krieg ist und Sicherheit ein wesentliches Merkmal friedlicher Gesellschaften.

Genauso wenig kann man ernsthaft eine Politik der offenen Grenzen für diejenigen, die aus ihrer Heimat fliehen, verteidigen, ohne zugleich einen positiven Begriff von Heimat zu haben. Heimat ohne Deutschtümelei zu denken - darin haben uns möglicherweise Menschen mit Migrationshintergrund etwas voraus und vielleicht besteht darin ein Grund, dass moderne Konservative in der migrantischen Community in Teilen anschlussfähiger sind, als Mitte-Links.

Es wäre gut, wenn die politische Linke in diese Debatte über die Revitalisierung des Kontakts zu ihrer historischen Wähler/-innenbasis einsteigen würde. Diese Debatte lohnt sich unseres Erachtens noch mehr als die politische Selbstbestätigung.

Dieser Beitrag entstand gemeinsam mit Alexander Fischer, ehemaliger Sprecher der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen und inzwischen Referatsleiter in der Landesvertretung des Freistaates beim Bund. Beide Autoren geben in diesem Beitrag ihre persönliche Meinung wieder.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

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