Nach dem Rundfunk-Urteil: endlich handeln!

Medienpolitik Das Bundesverfassungsgericht hat den Rundfunkbeitrag gebilligt und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gestärkt. Die Länder müssen nun vertagte Entscheidungen treffen

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Das ARD-Hauptstadtstudio in Berlin
Das ARD-Hauptstadtstudio in Berlin

Foto: Future Image/IMAGO

Der jüngste Beschluss des Bundesverfassungsgerichts war vor dem Hintergrund der bisherigen Karlsruher Rundfunkurteile mit Spannung erwartet worden. Für ARD, ZDF und Deutschlandradio ging es um nicht mehr und nicht weniger als die auskömmliche Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten; für die 15 Länder ohne Sachsen-Anhalt, die der Erhöhung des Rundfunkbeitrags – zum Teil unter erheblichen innenpolitischen Debatten – gefolgt waren, um die Rahmenbedingungen medienpolitischer Gestaltungskompetenz.

In unmissverständlicher Klarheit bestätigte das Bundesverfassungsgericht die staatliche Finanzgewährleistungspflicht indem es ausführt:

„Die staatliche Finanzgewährleistungspflicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG obliegt den Ländern als föderaler Verantwortungsgemeinschaft, wobei jedes Land mit Verantwortungsträger ist. [...] Um dieser Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlichen Rundfunk [...] gerecht zu werden und die Erfüllung seines Funktionsauftrag zu ermöglichen muss der Gesetzgeber vorsorgen, dass die dafür erforderlichen technischen, organisatorischen, personellen und finanziellen Vorbedingungen bestehen.“

Um die damit ausdrücklich implizierte finanzielle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sicherzustellen, hatte das Bundesverfassungsgericht bereits in seinen früheren Urteilen entschieden, dass die Finanzierung nicht über einen frei zu entrichtenden Preis oder über allgemeine Steuern gewährleistet werden soll. Die Finanzierung erfolgte vielmehr zunächst über eine gerätebezogene Gebühr und inzwischen modifiziert über einen haushaltsbezogenen Beitrag. Dahinter steht die Idee, dass ein für alle frei verfügbares unabhängiges und qualitativ hochwertiges Public-Value-Angebot durch eine solidarische Finanzierung sichergestellt ist.

Es ist nicht ohne Ironie, dass die Kritikerinnen und Kritiker des Rundfunkbeitrags gemeinhin die Auffassung vertreten, der Staat würde ihnen durch den Rundfunkbeitrag in die Tasche greifen, um den „Staatsrundfunk“ zu finanzieren. Sie übersehen dabei, dass die höchstrichterlich erneut bestätigte verfassungskonforme Konstruktion des Rundfunkbeitrags erst die Grundlage und Gewähr der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bietet, tatsächlich staatlich unabhängig tätig sein zu können, ohne befürchten zu müssen, dass über staatliche Haushaltsentscheidungen die Möglichkeiten des freien Rundfunks beschränkt werden können. Es ist diese Staatsferne, die den Vorwurf des „Staatsfunks“ entkräftet.

Um die nunmehr geltende Erhöhung des Rundfunkbeitrags in Höhe von monatlich 86 Cent einordnen zu können, ist es immer wieder erforderlich darauf hinzuweisen, dass von 2009 bis März 2015 die Höhe des Rundfunkbeitrags bzw. der Rundfunkgebühr mit 17,98 Euro konstant blieb und sich zum 1. April 2015 sogar um 48 Cent reduzierte. Denn durch die Umstellung von der Rundfunkgebühr auf den Rundfunkbeitrag erzielten die Sendeanstalten in den Jahren 2013 und 2014 Mehrerträge, die auf diese Weise an die Beitragszahlenden zurückgegeben wurden. Denkbar wäre freilich auch gewesen, auf diese Maßnahme zu verzichten und die Mehrerträge stattdessen einer Rücklage zuzuführen, um auf diese Weise absehbare Beitragssteigerungen moderater ausfallen zu lassen – dieser Weg wurde leider nicht bestritten, obwohl weitere Mehrerträge der ARD in den Jahren 2013-2017 und 2017-2020 sogenannten Beitragsrücklagen I und II zugeführt wurden.

Kurzum: Die Beitragssenkung des Jahres 2015 war bereits Ausdruck eines Rundfunkbeitragspopulismus, der sechs Jahre später in Sachsen-Anhalt auf die Spitze getrieben wurde und letztlich die jüngste Bundesverfassungsgerichtsentscheidung provozierte. Der frisch verhandelte Entwurf des Koalitionsvertrags der sogenannten Deutschland-Koalition aus CDU, FDP und SPD in Sachsen-Anhalt, über den die Landesparteien nun abzustimmen haben, lässt leider keine Besserung erwarten. Vielmehr steht zu befürchten, dass die kommenden Diskussionen in der Medienpolitik argumentativ nicht sauberer geführt werden. Die Ablehnung eines Indexmodells, auf das später in diesem Beitrag eingegangen wird, per Koalitionsvertrag und zu einem Zeitpunkt, an dem aus der BVerfGE sinnvolle Schlussfolgerungen gezogen werden müssen, zementiert den Rundfunkbeitragspopulismus, statt ihm konstruktiv entgegenzuwirken.

Medienvertrauen – Orientierung in der Krise

In der Randziffer 81. seiner Entscheidung formuliert das Bundesverfassungsgericht die strukturierende und einordnende Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer beispielhaft prägnanten wie zutreffenden Weise:

„Dies [...] führt dazu, dass es schwieriger wird, zwischen Fakten und Meinung, Inhalt und Werbung zu unterscheiden, sowie zu neuen Unsicherheiten hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Quellen und Wertungen. Der einzelne Nutzer muss die Verarbeitung und die massenmediale Bewertung übernehmen, die herkömmlich durch den Filter professioneller Selektionen und durch verantwortliches journalistisches Handeln erfolgt. Angesichts dieser Entwicklung wächst die Bedeutung der dem beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden (BVerfGE 149, 222 - 30 - - 31 - <262 Rn. 80>). Dies gilt gerade in Zeiten vermehrten komplexen Informationsaufkommens einerseits und von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes andererseits (vgl. etwa den Bericht der Enquête-Kommission Künstliche Intelligenz des Deutschen Bundestages vom 28. Oktober 2020, BTDrucks 19/23700, S. 447 ff.).“

Empirisch unterfüttert wird diese normative Position zudem durch die Erkenntnisse der ARD/ZDF-Massenkommunikation Langzeitstudie, die regelmäßig in der Fachzeitschrift Media Perspektiven veröffentlicht werden und aus denen nachfolgend zitiert wird.

Für mehr als drei Viertel der Bundesdeutschen ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk – unabhängig von der Pandemie – die erste oder zweite Anlaufstelle für politische Informationen. Im ersten Lockdown 2020 erreichte dieser Wert zeitweise 83 Prozent, wobei sich der Anteil derjenigen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als wichtigste Informationsquelle bezeichneten von 56 auf 60 Prozent erhöhte (vgl. van Eimeren et al 2020: 553).

Das Forschungsinstitut YouGov untersuchte im vergangenen Jahr mittels einer dreiwelligen Panelbefragung, welche Auswirkungen die Corona-Krise auf die Informationsnutzung hatte. Die Befragungswellen waren Ende März, drei Wochen später Mitte April sowie Ende Juli bis Anfang August 2020. Die Befragten stammten aus dem YouGov-Deutschland Panel und umfassten in der ersten Welle 2.038 Personen, von denen in der zweiten Welle 1.620 Personen und in der dritten Welle 1.275 Personen teilnahmen und die als repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahre angesehen werden. (Viehmann et al 2020: 556)

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine Online-Angebote stellten für zwei Drittel der Befragten (66 Prozent) zum Beginn der Pandemie die mit Abstand am häufigsten genutzte Informationsquelle dar. Im Vergleich zur täglichen Nutzungsintensität 2018 stellte dies einen Anstieg von 16 Prozentpunkten dar, während beim privaten Rundfunk dieser Anstieg nur drei Prozentpunkte (46 zu 43 Prozent) und bei den Lokal- bzw. Regionalzeitungen 10 Prozentpunkte (44 zu 34 Prozent) umfasste (Viehmann et al 2020: 557f.) Die Studienautor:innen halten im Fazit ihrer Untersuchung fest:

„Die etablierten Medien konnten zum Zeitpunkt des vorläufigen Höhepunkts der Corona-Krise Ende März 2020 von einem Vertrauensvorschuss der Bevölkerung profitieren, den sie auch vier Monate später nicht verspielt hatten. Umso wichtiger scheint es, dass sie auch zukünftig faktenorientiert, konstruktiv, lösungsorientiert und ausgewogen über die Pandemie berichten. Denn die Befunde zu den Wirkungen eines konstruktiven Journalismus zeigen: Je eher den Menschen ein lösungsorientiertes und konstruktives Weltbild vermittelt wird, desto eher übersetzen sie dies in entsprechende Handlungsstrategien.“ (Viehmann et al 2020: 575)

Diese Erkenntnisse hinsichtlich eines in der Krise gestiegenen Medienvertrauens bestätigten wiederum auch die Daten der siebten Erhebung der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen, veröffentlicht im März dieses Jahres, an der Autor:innen der vorgenannten YouGov-Datenauswertung beteiligt waren.

Auf die Frage: „Wie ist das, wenn es um wirklich wichtige Dinge geht – etwa Umweltprobleme, Gesundheitsgefahren, politische Skandale. Wie sehr kann man den Medien vertrauen?“, antworteten im Jahr 2008 etwas mehr als ein Viertel der Befragten (29 Prozent) „man kann eher/voll und ganz vertrauen“, während 63 Prozent eher unschlüssig waren („teils teils“) und ein knappes Zehntel das Vertrauen verneinte („man kann eher nicht/überhaupt nicht vertrauen“). Im Jahre 2015 hatte sich die Vertrauensquote um einen Prozentpunkt reduziert, während der Anteil der Unschlüssigen um 10 Prozentpunkte auf 53 Prozent abgesunken und die Zahl der Misstrauenden von 9 auf 19 Prozent angestiegen war. In den Jahren 2016 bis 2019 stieg die Vertrauensquote auf jeweils rund 41 Prozent, während der Anteil der Unschlüssigen zwischen 29 und 41 Prozent sowie der Anteil der Misstrauenden 17-28 Prozent umfasste. Im Jahr 2020 lag der Anteil derjenigen, die den Medien eher/voll und ganz vertrauen bei 56 Prozent, derjenige der Unschlüssigen bei 28 Prozent, während der Anteil derjenigen, die den Medien eher nicht oder gar nicht vertrauen 16 Prozent umfasste. (Jakobs et al 2021: 153)

„Gesunken ist im Jahr 2020 auch der Anteil an Menschen, die extrem kritisch bis feindselig auf die etablierten Medien blicken – diese Einstellung bezeichnen wir als Medienzynismus [...]. Insgesamt bejahten 11 Prozent der Befragten die Aussage, dass die Bevölkerung in Deutschland von den Medien systematisch belogen werde. In den Vorjahren lag die Zustimmung zwischen 13 und 19 Prozent. In der aktuellen Umfrage wiesen zudem 66 Prozent den Vorwurf zurück, die Medien berichtete nicht wahrheitsgetreu – dies ist der bisher höchste gemessene Wert in der Langzeitstudie, 2019 widersprachen 58 Prozent der Befragten diesem sogenannten 'Lügenpresse'-Vorwurf.“ (Jakobs et al 2021: 154f.)

Die differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Mediengattungen bestätigte auch hier etablierte Muster: „Das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk war mit 70 Prozent am größten (in den Vorjahren lag es zwischen 65 und 72%).“ (Jakobs et al 2021: 157)

In der sich in diesen Zahlen ausdrückenden Relevanz der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten wird zugleich seine Bedeutung und die Relevanz eines dualen Mediensystems deutlich, in dem unterschiedliche Logiken die Produktion von Medieninhalten ermöglichen und das unterschiedliche Perspektiven auf die Welt und unsere Gesellschaft zulässt. Öffentlich-rechtliche und privatwirtschaftliche Medien haben jeweils ihre blinden Flecken, leuchten aber aus ihrer eigenen Sicht jeweils den toten Winkel der anderen Perspektive aus. Öffentlich-rechtliche Angebote müssen in wirtschaftlichen Belangen weniger Rücksicht nehmen, während private Angebote gegenüber öffentlichen, gesellschaftlichen und sonstigen Autoritäten noch unabhängiger agieren können. Zusammengenommen sorgt die daraus entstehende öffentliche Debatte dafür, dass wir als Bürgerinnen und Bürger besser Bescheid wissen.

Moderner und flexibler Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

So erfreulich gestiegenes Medienvertrauen, abnehmender Medienzynismus und erhöhte Nutzung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkangebote in analoger und digitaler Form sind, ist doch in Übereinstimmung mit Jakobs et al zu bezweifeln, dass diese Entwicklung langfristig in die Zukunft verlängerbar ist: „Eine Krise ist für alle eine Ausnahmesituation und mit wachsendem Unmut über die Leistungen der Politik [...] können auch die Medien an Vertrauen verlieren.“ (Jakobs et al 2021: 161)

Das Gelegenheitsfenster, das sich aus dem Momentum eines pandemiebedingten Hochs im Medienvertrauen und der Mediennutzung ergibt, muss die Gemeinschaft der 16 Länder nutzen, um unmittelbar nach den Wahlen im Herbst dieses Jahres 2021 zu lange liegen gebliebene Aufgaben endlich zu Ende zu bringen.

Der Freistaat Thüringen hatte gemeinsam mit weiteren Ländern frühzeitig für eine Flexibilisierung und Modernisierung des staatsvertraglich vorgegebenen Auftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geworben und entsprechende Vorschläge unterbreitet.

Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, genauer auf die in Rz. 84 der jüngsten Karlsruher Entscheidung zu schauen, in der die Argumentation aus der Entscheidung BVerfGE 119, 181 aufgegriffen wird. Die Karlsruher Richter:innen stellen fest, dass weder gesetzliche Programmbegrenzungen von vornherein unzulässig sind, noch, dass jede Programmentscheidung einer Rundfunkanstalt finanziell honoriert werden muss, denn:

In der Bestimmung des Programmumfangs sowie in der damit mittelbar verbundenen festlege ihres Geldbedarfs können die Rundfunkanstalten nicht vollständig frei sein. Denn es ist ihnen verwehrt, ihren Programmumfang und den damit verbundenen Geldbedarf wird den Rahmen des funktionstüchtigen hinaus auszuweiten. Es bleibt Sache des Gesetzgebers, den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach Art. 5 Abs. 1 Satz zwei GG zur Vielfaltssicherung auszugestalten und die entsprechenden medienpolitischen und programmleitenden Entscheidungen zu treffen; ihm kommt dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu.“

Genau dies hat die Medienpolitik mit der sich aktuell in Erarbeitung befindlichen Neugestaltung des Auftrags im Sinne. Entscheidend am Auftrag ist, dass das Programm nicht bloß einzelne lukrative Zielgruppen in den Blick nimmt, sondern sich an die ganze Gesellschaft richtet. Wir brauchen gerade in einer vielfältiger werdenden Gesellschaft Medienangebote, die das Allgemeine, das alle Angehende, das Gemeinsame adressieren, auf dessen Grundlage wir verschieden sein können. Das kann ein professioneller öffentlich-rechtlicher Rundfunk leisten, der in seinen Gremien im permanenten Austausch mit den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen ist und der deshalb in sich selbst demokratisch organisiert ist. In seinem Programm zeigt sich die ganze kulturelle und soziale und regionale Vielfalt unseres Landes. Die dadurch sichtbaren Widersprüche und Spannungen werden so der gesellschaftlichen Bearbeitung zugeführt.

Die Medienpolitik hat somit quasi einen Auftrag zum Auftrag. Die Rundfunkkommission, in der alle 16 Länder durch die für Medien zuständigen Expert:innen der Staats- und Senatskanzleien auf Fachebene und politischer Ebene vertreten sind, hat die Bearbeitung der Thematik „Auftrag und Strukturoptimierung“ in zwei Phasen aufgeteilt. In Phase 1 soll es insbesondere um die konkrete Ausgestaltung des Auftrages gehen. In der Phase 2 soll dann über weitere Finanzierungsaspekte entschieden werden.

Dies kann – auch und gerade nach der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung und deren Vorgeschichte – nur zur Budgetierung führen. Wenn die Länder künftig nur noch wenige konkrete Angebote beauftragen, sondern die Produktion eines Programms bestimmter Qualität und eine gesamthafte Ausrichtung sich am Allgemeinen der Gesellschaft orientiert, wird der Auftrag kein klares Preisschild mehr haben.

Dann braucht es vielmehr klare Budgets innerhalb derer die Anstalten selbst entscheiden können, wie sie ihren Auftrag am besten erfüllen können. Ein Budget für die Finanzierung eines Programmvolumens entsprechender Qualität und ein zweites Budget für die Kosten der Verbreitung über die zum jeweiligen Zeitpunkt relevanten Kanäle und Plattformen. Diese Budgets sollten sich im Regelfall entlang eines gemeinsam festgelegten Index erhöhen. Denkbar wäre zum Beispiel der Verbraucherpreisindex.

Eine unabhängige Kommission – gern auch eine KEF 2.0 – prüft, ob auf diese Weise zu viel, zu wenig oder ausreichend Geld zur Verfügung steht und würde gegebenenfalls Anpassungen vorschlagen. Die Landesparlamente hätten dann zu diskutieren, ob der erwartete Auftrag von den Sendern auch erfüllt werden kann. Nicht mehr und nicht weniger. Die Beitragsentwicklung würde ebenso rationalen Kriterien unterworfen sein, wie deren Festlegung nicht mehr Spielball landes- und koalitionspolitischer Erwägungen oder beitragspopulistischer Geländegewinne wäre.

Das alles gelingt nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als ihr eigenes Angebot und seine Sender als ihre eigenen Institutionen begreifen. Deshalb braucht es sowohl in den Strukturen der Teilhabe an den Sendern als auch in den Angeboten des Programms eine ausreichende Bandbreite und Vielfalt. Um Zustimmung zum eigenen Handeln muss man werben. Die teilweise aggressiv vorgetragene Ablehnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist zwar nur eine Minderheitenposition, aber wir sollten sie gleichwohl ernst nehmen und uns darum kümmern, dass dieses demokratische Rückgrat unseres gesellschaftlichen Zeitgesprächs stark und stabil bleibt.

Wir sind an einem Punkt angelangt, bei dem eine Fortschreibung einer Rechtsetzung aus dem letzten Jahrhundert nicht mehr weiterhilft. Es sollte in den Händen der Programmmacherinnen und Programmmacher liegen, zu erkennen wo, wann und wie sie welche Inhalte „an die Beitragszahler:innen bringen“ wollen.

Zukunft als Auftrag

An dieser Stelle kommen wir nach Lektüre des jüngsten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes auf die eingangs erwähnte verfassungsrechtlich abgesicherte Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurück. Die grundsätzliche verfassungsgerichtliche Dogmatik wurde insbesondere in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt, als das, was wir heute als Digitalisierung und Medienkonvergenz bezeichnen, noch mit dem Wort des Jahres 1995 „Multimedia“ blumig umschrieben wurde. Seitdem hat das duale Mediensystem erhebliche unternehmerische Umwälzungen im privaten Bereich, tiefgreifende technische Innovationszyklen und im Hinblick auf die Rezeptionsgewohnheiten ebenso umfassende Veränderungen erfahren. Wir haben heutzutage eine vollkommen veränderte Medienlandschaft. Würde ein Duales System heute am grünen Tisch neu entwickelt, würden andere als die derzeit geltenden pfadabhängigen Parameter bestimmend für das Bundesverfassungsgericht sein, wenn es eine Garantieaussage für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu treffen hätte.

Genau darin besteht im Nachgang zu dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes und im Sinne des verfassungsrichterlich angebotenen „weiten Gestaltungsspielraumes“ die Chance, um endlich einen neuen Auftrag medienstaatsvertraglich zu fixieren, der dazu dient, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Ankermedium auch eine zukunftsgerechte Entwicklung und Finanzierung zu ermöglichen. Dafür braucht es nicht mehr und nicht weniger als die Bereitschaft aller Beteiligten, zur zukunftsfähigen Rahmensetzung für ein „vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes [öffentlich-rechtliches] Gegengewicht [...] in Zeiten vermehrten komplexen Informationsaufkommens einerseits und von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes andererseits.“

Quellen und Weiterführendes

Birgit van Eimeren/Berhard Kessler/Thomas Kupferschmitt (2020), Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Mediennutzung, Motive und Bewertungen. Sonderauswertungen der ARD/ZDF-Massenkommunikation Langzeitstudie, in: Media Perspektive, Heft 10-11/2020, S. 526-555.

Ilka Jakobs/Tanjev Schulz/Christina Viehmann et al (2021), Medienvertrauen in Krisenzeiten. Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen 2020, in: Media Perspektive, Heft 3/2021, S. 152-162.

Christina Viehmann/Marc Ziegele/Oliver Quiring (2020), Gut informiert durch die Pandemie? Nutzung unterschiedlicher Informationsquellen in der Corona-Krise. Ergebnisse einer dreiwelligen Panelbefragung im Jahr 2020, in: Media Perspektive, Heft 10-11/2020, S. 556-577.

Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Nils Jonas Greiner, Leiter des Referates Medienrecht und Medienpolitik der Thüringer Staatskanzlei.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

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