Nach Ehe für Alle nun LGBTIQ*-Landesprogramm

Gesellschaft Die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen hat das Landesprogramm "Akzeptanz und Vielfalt" auf den Weg gebracht

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Benjamin-Immanuel Hoff
Benjamin-Immanuel Hoff

Foto: Jacob Schröter/Imago

Bereits der Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Koalition in Thüringen vom Dezember 2014 legte fest: "Die Akzeptanz und Gleichstellung aller Lebensweisen zu befördern, ist eine Aufgabe, der sich die Koalition verpflichtet fühlt. Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender und intergeschlechtliche Menschen sollen in Thüringen diskriminierungsfrei und gleichberechtigt leben und weder im Alltag noch durch Verwaltungshandeln benachteiligt werden."

Diesem Anspruch hatte die Landesregierung nicht nur durch Aktivitäten im Bundesrat, unter anderem zur Gleichstellung der Ehe für alle - die auf eine Thüringer Initiative zurückgeht, der Entsendung einer Vertreterin der Community in den ZDF-Fernsehrat und vielem anderen mehr, sondern auch durch die Einladung an zivilgesellschaftliche Akteure, auf Augenhöhe ein solches Thüringer Landesprogramm "Akzeptanz und Vielfalt" zu erarbeiten, Rechnung getragen. Denn als eine hervorgehobene Maßnahme ist im Koalitionsvertrag „die Entwicklung eines Landesprogramms Akzeptanz und Vielfalt …“ festgeschrieben.

Partizipativer Entstehungsprozess mit Widersprüchen

In Artikel 2 Absatz 3 der Thüringer Landesverfassung wurde schon 1993 festgelegt, dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Die Thüringer Verfassung geht damit über die Diskriminierungsverbote des Grundgesetzes hinaus und bildet mit den Ländern Brandenburg, Berlin und Bremen eine kleine Ländergruppen, in denen das Verbot der sexuellen Diskriminierung explizit als Landesverfassungsnorm enthalten ist. In Bremen wurde diese Formulierung z. B. erst im Jahr 2001 in die Verfassung aufgenommen. Gleichwohl klaffen Verfassungsanspruch und Verfassungsnorm weiterhin auseinander, unterscheiden sich diskriminierungsfreiere Räume in größeren Städten vom Lebensalltag in den ländlicheren Räumen, Klein- und Mittelstädten.

Um bei der Earbeitung des Landesprogramms diese Lebenswirklichkeit und die Interessen der Community - ausgehend vom Grundsatz der Partitizipation und dem Empowerment-Anspruch der Betroffenen - von Beginn an, so intensiv wie möglich einzubeziehen, wurde der Prozess der Programmerarbeitung nicht überstürzt, sondern vielmehr darauf ausgerichtet, auf allen Seiten Verständnis zu erzeugen. Denn die Erfahrung mit solchen Landesprogrammen zeigt auch, dass die Beharrungsinteressen innerhalb von Behörden, die Prioritätensetzung angesichts von hohem Arbeitsaufkommen, Generationenwechsel im öffentlichen Dienst insgesamt (in Thüringen scheiden bis 2025 rund 16.000 Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst aus) umso eher gelingt, wie bei den Beteiligten ein Verständnis und Interesse erzeugt wird. Dafür bei denjenigen Akteur*innen in der Community um Verständnis und Geduld zu bitten, ist nicht immer einfach. Die dichotome Grundkonstellation lautet: Die Behörden wollen nicht vs. die Community hat unrealistische Forderungen und kein Verständnis vom behördlichen Alltag. Beides trifft ebenso wenig zu, wie sich dafür stets Belege finden lassen.

In die Erarbeitung waren aber nicht nur Vertreter der Community einbezogen. Auch an nicht der LSBTIQ*-Community angehörende Verbände und Institutionen richtete ich die Bitte um Vorschläge zum Landesprogramm. Am 15. September 2017 fand hierzu eine Tagung statt. Die vorgebrachten Anregungen wurden ebenfalls in den vorliegenden Entwurf eingearbeitet. Das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, das mit der Umsetzung der Demokratiefördermittel des Bundes über das Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit wichtige Erfahrungen gesammelt hat und Schnittstellenmanager-Funktion wahrnimmt, ist in diesem Prozess ein wichtiger Partner.

Eingebetteter Medieninhalt

Die am Prozess der Erarbeitung des Landesprogramms beteiligten zivilgesellschaftlichen Akteure, haben ehrenamtlich in 18 abendlichen Arbeitsgruppensitzungen intensiv an der Erarbeitung des Programms mitgewirkt. Dabei wurden die Themen des Landesprogramms identifiziert, diskutiert sowie daraus Maßnahmen abgeleitet. Im Einzelne waren dies (in alphabetischer Reihenfolge) Vertreterinnen und Vertreter:

  • der AIDS-Hilfe Weimar & Ostthüringen e.V.,
  • des Brennnessel e.V. Erfurt,
  • des Forschungsinstitut tifs,
  • der GEW Thüringen,
  • des Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena,
  • des Landesfrauenrats Thüringen e.V.,
  • des LSVD Thüringen e.V.,
  • des pro familia-Landesverbands Thüringen,
  • des Regenbogen-Referats des StuKo der Bauhaus-Uni Weimar,
  • des Vielfalt Leben – QueerWeg Verein für Thüringen e. V.,
  • der ZWANG?LOS! Selbsthilfegruppe Erfurt und
  • weitere Engagierte.

Dennoch ist auch am Ende des Prozesses die Vertrauensarbeit fortzuführen, steht die Community der staatlichen Seite skeptisch gegenüber, wie in Pressestatement (hier und hier) im Vorfeld und bei der Verkündung des Landesprogramms deutlich wurde. Wesentlich für die Herstellung von Vertrauen in die Ernsthaftigkeit des Landesprogramms wird freilich die Umsetzung des Programmes selbst sein. Hierauf werden auch Institutionen, wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes schauen.

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228 Maßnahmen im Landesprogramm mit Fokus ländlicher Raum

Das Landesprogramm, mit dem Thüringen zu anderen Ländern aufschließt, die über solche Maßnahmeprogramme bereits verfügen, umfasst insgesamt 228 umzusetzende Maßnahmen aus allen Politik- und Verwaltungsbereichen, die mit zeitlichen Vorgaben versehen sind.

Der räumlichen Struktur des Freistaates angemessen, besteht - im Vergleich zu entsprechenden Programmen anderer Bundesländer - eine Besonderheit des Thüringer Programms darin, dem ländlichen Raum ein eigenes Kapitel gewidmet haben. Der Freistaat Thüringen verfügt über keine Metropolregion, in der eine Vielfalt von Lebensweisen zu gewohnter Selbstverständlichkeit gehört. Sofern Angebote vorhanden sind, beschränken sie sich in der Regel auf die größeren Städte Erfurt, Weimar und Jena. Selbst in Gera oder Hochschulstädten wie Ilmenau sind entsprechende Angebote deutlich geringer ausgeprägt. Um aber beispielsweise Jugendlichen, die nicht dem heteronormativen Bild entsprechen, auch eine Perspektive in ländlichen Räumen zu geben, muss stärker auf eine Akzeptanz für vielfältige sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten- sowie Familienmodelle hingewirkt werden. Vor welcher Aufgabe Thüringen hier steht haben auch die Magnus-Hirschfeld-Tage im Herbst 2016 gezeigt. Veranstaltungen außerhalb der genannten Städte zu organisieren, war nicht einfach.

Wichtiges Programm in rechtspopulistischen Zeiten

Zu erwarten ist, dass die AfD im Thüringer Landtag das Programm nutzen wird, um der rot-rot-grünen Landesregierung erneut "ideologische Politik" vorzuwerfen, die "Sexualisierung des Schulunterrichts" zu befürchten und die Verschwendung von Steuergeldern für vermeintliche Randgruppenpolitik zu geißeln.

Die Thüringer CDU wird zwar erfahrungsgemäß sich nicht in die Reihe der AfD-Kritik einordnen und hatte dennoch bei der Beratung des Doppelhaushaltes 2018/2019 die koordinierende Unterstützung des Landesprogramms, für die in der Staatskanzlei 180.000 EUR pro Jahr vorgesehen sind, in Frage gestellt.

Nicht zuletzt wird inzwischen auch innerhalb der gesellschaftlichen Linken kontrovers darüber debattiert, ob eine identitätspolitische Fokussierung auf städtische Milieus, in denen ein solches Programm als erforderlich angesehen wird, nicht zur Abwendung traditioneller proletarischer Milieus und ihre Hinwendung zur populistischen Rechte befördern würde.

Angesichts dessen muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass auch dieses Programm nicht für eine Minderheit oder im Interesse einer Minderheit erarbeitet wurde. Es richtet sich vielmehr an die gesamte Gesellschaft. Schon vor einiger Zeit wies ich darauf hin, dass vorrangige Zielgruppe des Programms nicht Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender, intergeschlechtliche sowie queere Menschen sind. Im Mittelpunkt stehen, Institutionen, Verbände und auch Menschen, welche entwedern in ihren Regularien oder dem Alltagsbewusstsein die Akzeptanz anderer Lebensweisen und das Verständnis für Vielfalt vermissen lassen.

Deshalb findet das Thüringer Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt seine Begründung nicht in der "Anzahl" von LGBTIQ*-Menschen, sondern in deren Erfahrungen des Verhaltens ihnen gegenüber. Es geht bei der Überwindung diskriminierender Statistiken, der strukturierten Erfassung und Ahndung v0n Hasskriminalität, der Aufklärung und Wissensvermittlung bis hin zum Erkenntnisgewinn im Alltag um nicht mehr und nicht weniger als die selbstverständliche Ausfüllung einer Verfassungsnorm und ein gesellschaftliches Klima von Toleranz, Akzeptanz und gelebter Vielfalt. Lesben, Schwule, Bisexuelle, transidente und intergeschlechtliche Menschen sowie Menschen, die sich mit dem Begriff des Queeren gegen abwertende Normierungen, Etikettierungen und Zuschreibungen zur Wehr setzen bzw. sich keiner bestehenden Zuschreibung unterordnen wollen, verdienen Respekt und Unterstützung.

Gerade in der gesellschaftlichen Linken sollte eine Debatte vermieden werden, in der die Interessen der genannten Gruppen und Personen ausgespielt werden gegen Interessen anderer. Zumal sich das Landesprogramm u.a. dadurch auszeichnet, dass es LGBTIQ*-Personen eingebettet in ihr lebensweltliches Umfeld, z.B. als Flüchtlinge mit spezifischen zusätzlichen Diskriminierungsmechanismen erkennt.

Mit dem Thüringer Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt soll ein Beitrag dazu geleistet werden, ein gesellschaftliches Klima zu erreichen und zu erhalten, das die Gleichberechtigung aller Lebensweisen anerkennt. Ausgrenzungen und Benachteiligungen, Beleidigungen und Gewalt gegenüber anders Lebenden und Liebenden müssen der Vergangenheit angehören. Mit Hilfe des Landesprogramms wollen wir informieren, sensibilisieren, stärken, vernetzen, unterstützen und so Diskriminierungen zurückweisen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

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