Potenziale der AfD in Sachsen

Landtagswahl Sachsen Nach aktuellen Umfragewerten haben FDP und NPD bei der sächsischen Landtagswahl im August keine Aussicht auf Wiedereinzug in den Landtag. Die AfD könnte sie beerben.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Am 2. Januar veröffentlichten die Dresdner Neuesten Nachrichten und die Leipziger Volkszeitung die erste politische Meinungsumfrage zur sächsischen Landtagswahl, die am 31. August 2014 stattfinden soll. Sie wurde durchgeführt vom Leipziger uniQma-Institut.

Auch wenn sich in den Ergebnissen der Umfrage, bei der 800 repräsentativ ausgewählte sächsische Wahlberechtigte befragt wurden, derzeit vor allem bundespolitische Trends widerspiegeln und bei jeder Bewertung der Daten die Fehlertoleranz von 1,5% bis 3% einzubeziehen ist, lohnt es sich doch, zu prüfen, ob sich Entwicklungen abzeichnen, die im laufenden Wahljahr Relevanz entfalten können.

Nach momentanem Stand würden mit der FDP (2%) und der NPD (1%) zwei der sechs im Landtag des Freistaates vertretenen Parteien an der 5-Prozentmarke scheitern.

Die FDP würde damit nicht nur ihre letzte Regierungsbeteiligung in Deutschland verlieren, sondern könnte möglicherweise am Ende des Jahres in allen drei neu zu wählenden ostdeutschen Landtagen nicht mehr vertreten sein.

Die NPD, die 2004 fast so stark wie die SPD wurde und deren Hochburgen im Freistaat liegen, ist momentan im Niedergang begriffen. Der sächsische NPD-Fraktionsvorsitzende Holger Apfel war bis vor Kurzem Bundesvorsitzender der Rechtsextremen. Zwischenzeitlich ist er nicht nur aus der Parteispitze verdrängt worden, sondern auch aus der Partei ausgetreten. Der Webauftritt des sächsischen Landtages führt ihn zwar noch unter diesen Ämtern, doch dürften sich die Auswirkungen auf die Landtagsfraktion der NPD in Kürze zeigen. Unter diesen Voraussetzungen spricht manches dafür, dass es der NPD nicht gelingen dürfte, ein drittes Mal in den Landtag Sachsen einzuziehen.

Beerbt werden könnten sowohl die FDP als auch die NPD von der im vergangenen Jahr gegründeten Alternative für Deutschland (AfD). Sie würde derzeit 6% erreichen und erstmals in einen Landtag einziehen.

Dass diese Prognose keineswegs unrealistisch ist, zeigt ein Blick auf die Ergebnisse der Parteineugründung bei der Bundestagswahl 2013.

AfD-Hochburg Sachsen

Während die AfD mit 4,7% zwar den Einzug in den Bundestag verpasste und im Westen mit 4,4% unter der 5-Prozentmarke blieb, erreichte sie im Osten insgesamt 5,7%. Die höchsten Werte erzielte die Partei dabei in den drei Ländern, in denen in diesem Jahr Landtagswahlen stattfinden. Und zwar in Sachsen den Spitzenwert von 6,8%, an zweiter Stelle Thüringen mit 6,2% und Brandenburg mit 6,0%.

Die sächsischen Hochburger der AfD lagen bei der Bundestagswahl in Görlitz und der Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge. Von den dreißig Wahlkreisen mit den höchsten Stimmenanteilen der AfD liegen 12 in Sachsen. In keinem Bundesland liegen mehr AfD-Hochburgen. (Infratest dimap 2013: 58f./113)

Vergleicht man diese Werte mit denen der NPD und der FDP bei der Landtagswahl 2009 so stellen sich Übereinstimmungen her. Die Hochburgen der NPD lagen in den peripheren Landesteilen der Oberlausitz/Niederschlesien sowie der Grenzregion zu Polen und Tschechien. Dort erzielte die Partei jeweils überdurchschnittliche Werte von 7,2%. Auch die FDP erzielte dort und im Osterzgebirge leicht überdurchschnittliche Werte von 10,2 bis 10,5% (Infratest dimap 2009: 51).

Die AfD fungierte bei der Bundestagswahl als Sammelbecken für Wählerinnen und Wähler unterschiedlichster politischer Richtungen. Wählte die Mehrzahl der Deutschen bei der Bundestagswahl ihre Partei aus Überzeugung, zog die AfD diejenigen Wähler/-innen an, die aus Enttäuschung über andere Parteien für die AfD stimmten.

Aus dem schwarz-gelben Lager erhielt die AfD bei der Bundestagswahl 720.000 Stimmen, aus dem Mitte-Links-Spektrum 610.000 Stimmen. Weitere 720.000 Wähler/-innen mobilisierte die Partei von anderen nicht-etablierten Parteien, früheren Nichtwählern sowie den Erstwählern. (Infratest dimap 2013: 15)

Gewählt wurde die AfD, nicht untypisch für Parteien des rechten Spektrums eher von Männern als von Frauen. Bei den ostdeutschen Arbeitern schnitt sie mit 8% besser als in allen Bevölkerungsgruppen ab. In dieser Gruppe erzielte, neben den Arbeitslosen die NPD bei der vergangenen Landtagswahl Sachsen ihre besten Ergebnisse – auch wenn sie in den beiden Gruppen am stärksten an Rückhalt verloren hatte.

Offenheit für rechte Positionen in Sachsen

Sowohl Wahlauswertungen als auch langfristig angelegte demoskopische Forschungen zeigen, dass die Bevölkerung in Sachsen eine vergleichsweise größere Offenheit gegenüber rechten und rechtsextremen Positionen hat, als in anderen Bundesländern. (Schubarth/Ulbricht 2012, Donsbach/Förster 2010, Infratest dimap 2009)

Eine Stigmatisierung des Landes oder gar Pauschalierungen wie der »braune Osten« wäre gleichwohl unangemessen. Erforderlich ist vielmehreine nach Bundesländern als auch inhaltlich und regional-räumlich differenzierte Betrachtung vorgenommen werden (Schubarth/Ulbricht 2012: 40). Daraus wird deutlich, dass z.B. auch in Bayern und Baden-Württemberg deutlich stärkere Präferenzen für rechte Positionen bestehen, als in anderen Bundesländern, nur dass sie im Vergleich zu Ostdeutschland stärker antisemitisch konnotiert sind, als ausländerfeindlich.

Erkenntnisse der Landtagswahl in Sachsen 2009 zeigen, dass immerhin jeder fünfte Wahlberechtigte in Sachsen die NPD als eine normale demokratische Partei ansah, die zumindest Probleme benennt, auch wenn sie diese nicht lösen kann (Infratest dimap 2009: 23). Gewählt wurde die NPD bei der damaligen Landtagswahl aus inhaltlichen Motiven. Mobilisieren konnte sie am stärksten mit Ausländerfeindlichkeit, während sich frühere Wähler, denen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik wichtig sind, sich von der NPD abgewandt hatten (a.a.O.: 46).

Die FDP hingegen konnte insbesondere mit wirtschaftspolitischen Themen und mit der Steuerpolitik die sächsischen Wählerinnen und Wähler 2009 überzeugen und an sich binden.

Europa- und Landtagswahlen als Protestwahlen

Die 5%-Hürde, die der AfD bei der Bundestagswahl noch zum Verhängnis wurde, braucht die Partei bei der Europawahl nicht zu fürchten. Zum einen weil die Hürde aufgrund eines Verfassungsgerichtsurteils auf 3% abgesenkt wurde und eine weitere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aussteht, die weitere Erleichterungen für die kleinen Parteien erwarten lässt. Zum anderen weil aufgrund der traditionell geringen Wahlbeteiligung eine hinreichende Mobilisierung des Potenzials der Protestwähler den Einzug in das Europa-Parlament garantiert. Die Partei könnte zudem von ersten Enttäuschungen der Großen Koalition profitieren, die Europa- und Landtagswahlen gemeinhin als bundespolitische Protestwahlen nutzen.

Ein Wahlerfolg bei der Europa-Wahl könnte der Partei Rückenwind für die Landtagswahlen in den drei ostdeutschen Ländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg geben. Die Partei könnte dort das parteiungebundene Protestpotenzial, enttäuschte FDP- und Unionswähler sowie relevante Teile des bisherigen NPD-Wählerspektrums erreichen.

Hierbei ist zu betonen, dass es sachlich falsch und für den politischen Umgang mit der Partei fatal wäre, die AfD als quasi NPD-reloaded zu kennzeichnen. Das ist sie nicht, was den Umgang mit ihr einfacher und schwieriger zugleich macht.

Instrumentelle Abgrenzung nach rechts

Ob die AfD freilich organisatorisch in der Lage sein wird, solche Wahlkämpfe zu führen, kann derzeit nicht vorhergesagt werden. Die Partei steht derzeit, ähnlich wie die Piratenpartei vor zwei, drei Jahren, vor dem Dilemma, den Parteiaufbau in kürzester Zeit bei einem rasanten Mitgliederzuwachs zu gestalten. Die Anziehungskraft erfolgreicher nicht-etablierter Parteien auf Glücksritter und Parteinomaden ist hoch.

Ohne die AfD mit der Partei Die Linke vergleichen zu wollen, taxierte der heutige Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, während des Prozesses der Fusion von PDS und WASG zur LINKEN den Anteil an „Irren“ in Parteineugründungen auf 10%.

Es ist anzunehmen, dass bei der AfD dieser Anteil eher überschritten werden wird, wie aktuelle Entwicklungen der Partei in Hessen und anderen Landesverbänden zeigen.

Über den Erfolg oder Misserfolg der AfD im Wahljahr 2014 entscheidet nicht zuletzt, ob und wie sie sich gegenüber dem rechtsradikalen und rechtsextremen Spektrum abgrenzt. Der Leiter des Meinungsforschungsinstituts forsa war auf Basis der Vorwahlbefragungen zur Bundestagswahl der Auffassung, dass die AfD-Anhänger vor allem vom rechten Rand der FDP kämen und signifikante Übereinstimmungen mit dem Milieu der rechtsradikalen Republikaner in den 1990er Jahren aufweisen würden. (vgl. Häusler 2013: 82).

Die AfD ist mit ihrem Image als wertekonservative und marktliberale Partei ausgesprochen attraktiv für die Mitglieder und Aktivisten der verschiedenen rechtskonservativen, Euro-skeptischen Parteigründungen der vergangenen Jahre, die allesamt erfolglos waren. Diese setzten in ihren programmatischen Äußerungen in der Regel auf Kritik an vermeintlich zu starker Zuwanderung, einer „Islamisierung“ Deutschlands und überbordenden Sozialleistungen für Nichtdeutsche und ‚Sozialschmarotzer‘. Auch wenn diese Positionen eine nicht unerhebliche Zustimmung in der Bevölkerung erreichen können, gelten Parteien, die solche Positionen zu massiv vertreten, als außerhalb des politischen Diskurses stehend. Dies hinderte Politiker der Union und der FDP in der Vergangenheit nicht, solche Positionen immer wieder aufzugreifen, um die Flanke der Parteien in eben jenes Spektrum zu schließen. Der aktuelle Sozialschmarotzer-Diskurs, den der bayerische Ministerpräsident Seehofer (CSU) derzeit gegenüber Menschen aus Bulgarien und Rumänien begonnen hat, ist ein solcher Versuch, auf dem Rücken der betreffenden Personengruppen und unter Inkaufnahme politischer Kollateralschäden Vorwahlkampf zu betreiben und der AfD das Wasser abzugraben.

Die AfD bemühte sich ihrerseits im Bundestagswahlkampf um eine institutionelle Abgrenzung nach rechts um sich jedoch gleichwohl mit hinreichend deutlicher Thematisierung entsprechender Positionen wahrnehmen und zitieren zu lassen. Diese Strategie, nicht als zu rechts zu gelten um für enttäuschte FDP- und Unionswähler attraktiv zu bleiben um gleichzeitig mit Populismus und protektionistischen Politikkonzepten das enttäuscht-autoritäre Lager anzusprechen, wird sie in gleicher Weise in Sachsen versuchen umsetzen.

Ob die AfD damit Erfolg haben wird, hängt wesentlich davon ab, ob die sächsische Union der populistischen Versuchung Seehofers nachgibt oder gar die AfD als Westentaschenreserve künftiger Koalitionen sieht. Darüber hinaus sind Die Linke und die SPD gehalten, gemeinsam mit den Gewerkschaften kluge Antworten auf die AfD in den von ihnen repräsentierten AfD-affinen Wähler/-innenmilieus zu finden.

Donsbach, W./Förster, C. 2010: Die Sachsen im wiedervereinigten Deutschland. Erfahrungen und Einstellungen auf der Grundlage von 20 Jahren demoskopischer Forschung, TUDpress, Dresden.

Häusler, T. 2013: Die „Alternative für Deutschland“ – eine neue rechtspopulistische Partei? Materialien und Deutungen zur vertiefenden Auseinandersetzung, hrsgg. von der Heinrich-Böll-Stiftung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf.

Infratest dimap 2013: WahlREPORT der Bundestagswahl vom 22. September 2013, Berlin.

Infratest dimap 2009: WahlREPORT der Landtagswahl in Sachsen vom 30. August 2009, Berlin.

Schubarth, W./Ulbricht, J. 2012: Rechtsextremismus im vereinten Deutschland, in: Berth, H./Brähler, E./Zenger, M./Stöbel-Richter, Y. (Hrsg.): Innenansichten der Transformation. 25 Jahre Sächsische Längsschnittstudie, Psychosozial-Verlag, Gießen, S. 29-50.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden