Stillstand in Sachsen

Landtagswahl 2014 Die politischen Verhältnisse in Sachsen bleiben wie betoniert. Die CDU gewinnt die Wahl und kann sich den Koalitionspartner aussuchen. Ein Wechsel ist nicht in Sicht

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Stanislaw Tillich
Stanislaw Tillich

Bild: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Drei der fünf ostdeutschen Länder führen im Abstand von 14 Tagen Landtagswahlen durch. Während in Brandenburg die derzeit einzige rot-rote Landesregierung um Bestätigung für ihre Arbeit wirbt und in Thüringen erstmals ein linker Ministerpräsident ins Amt kommen könnte, kann die sächsische CDU auch nach der sechsten Landtagswahl im Freistaat den Ministerpräsidenten stellen.

Die Wahlbeteiligung ist historisch niedrig. Nur 49,2% der Wahlberechtigten geben ihre Stimme ab. Legt man den Parteianteil an den Wahlberechtigten zugrunde, kommt die CDU auf einen Anteil von 19%, die LINKE auf 9%, die SPD auf 6%, AfD 5%, Grüne 3% und FDP sowie NPD auf 2%.

Im Landtag sitzen künftig fünf statt sechs Parteien. Die FDP wurde deutlich aus dem Parlament gewählt, die NPD scheiterte mit 808 Stimmen knapp an der 5%-Hürde.

Die bereits bei der Bundestagswahl diagnostizierte Schwäche der Parteien links von der Union findet in Sachsen ihre Fortsetzung: Linke, SPD und Grüne verlieren absolut etwa 10% der Stimmen von 2009. Ihr prozentualer Stimmenanteil sinkt von 37,4% auf 37%.

Auch in Sachsen gilt, dass die schwindende Pateibindung, die Wechselbereitschaft der Wähler/-innen, ihre politische Heimatlosigkeit keinen Vorteil für die Parteien links der Union mit sich bringt. Denn die parteipolitischen Lager im Freistaat zeigen sich knapp 25 Jahre nach dessen Gründung erstaunlich stabil. Bewegung und Dynamik bis hin zu wahlpolitischen Verwerfungen finden allein im rechten politischen Spektrum und in der Wähler/-innenschaft der vermeintlich »bürgerlichen« Parteien statt.

Absolute Mehrheiten auf lange Sicht unerreichbar für die CDU

Erwartungsgemäß bleibt die CDU mit Abstand stärkste Partei und wird auch weiterhin den Ministerpräsidenten stellen. Mit Ausnahme des Wahlkreises Leipzig 2 gewinnt sie alle Direktmandate. Im nächsten Landtag wird die Partei 59 Abgeordnete stellen - ein Mandat mehr als zuvor.

Von alter Stärke ist die sächsische Union gleichwohl weit entfernt. Sie verliert zum dritten Mal in Folge und sinkt mit 39,4% auf ihr niedrigstes Ergebnis einer Landtagswahl im Freistaat. Gegenüber ihrem besten Landtagswahlergebnis (1999) büßt sie 17,5 Prozentpunkte ein, gegenüber 2009 gut 10 Prozentpunkte ihrer Stimmen.

Der Freistaat Sachsen wird seit 1990 von der CDU regiert. Sie nimmt in der dortigen Parteienlandschaft eine hegemoniale Stellung ein und bestimmt aus dieser Rolle die Rahmenbedingungen des Wahlkampfes für die anderen Parteien.

In diesem Jahr entschied sich die CDU für einen Wahlkampf in den Sommerferien und eine Wahl am letzten Ferientag, davon ausgehend, dass nach 24 Regierungsjahren große Mobilisierungserfolge nicht zu erwarten und »Bestandspflege« am ehesten möglich sei, wenn die Mobilisierung anderen Parteien möglichst schwer gemacht werden würde.

Darüber hinaus wollte sich Tillich abheben von den gänzlich verschiedenen Ausgangskonstellationen bei den Wahlen in Thüringen und in Brandenburg.

Das Kalkül ging auf - zu keinem Zeitpunkt gab es in Sachsen eine politische Wechselstimmung, Union und Freistaat scheinen eine auf Dauer gestellte politische Einheit zu bilden, der Ort der politischen Macht in Sachsen ist in festen Händen: die CDU regiert, Die Linke führt die Opposition. Bewegung gibt es seit der Wahl 2004 traditionell nur rechts von der Union.

Seit der jüngsten Landtagswahl ist freilich auch klar: absolute Stimmenmehrheit sind für die CDU nicht mehr erreichbar, es gilt in den Wahlkämpfen den erwartbaren Verschleiß der hegemonialen Stellung möglichst weit in die Zukunft zu dehnen.

FDP: »Wir sind dann mal weg«

Der bisherige Koalitionspartner FDP wird nach dem Verlust der parlamentarischen Repräsentanz in Bayern und dem Bundestag im Herbst des vergangenen Jahres auch im sächsischen Landtag nicht mehr vertreten sein.

Der Einzug in das Europaparlament im Schlepptau anderer Kleinparteien konnte ebenso wenig wie der Versuch, sich von der Bundespartei abzusetzen für die sächsische FDP Rückenwind erzeugen.

Die Liberalen sind seit dem sächsischen Wahlsonntag nur noch in 7 von 16 Landesparlamenten vertreten. Es ist nicht auszuschließen, dass sie zwei Wochen später sowohl Brandenburg als auch in Thüringen aus dem Landtag ausscheiden wird. Eine derart geringe Parlamentsrepräsentanz gab es zuletzt nach den Wahlen der Jahre 1999/2000, als die Partei ebenfalls in 11 Landtagen nicht vertreten war, aber immerhin in drei Landesregierungen.

Die Wähler/-innenwanderungsbilanz zeigt, dass 20.000 ehemalige Wähler nicht mehr zur Wahl gingen. Ein ebenso hoher Stimmenanteil wanderte zur CDU, an SPD, Grüne und Linke verlor die Partei noch einmal so viele Stimmen und weitere 22.000 Stimmen nach rechts an AfD (18.000) und die NPD (4.000).

Zwanzig Jahre nachdem die Liberalen erstmals aus dem Landtag gewählt wurden, sind sie nun wieder außerparlamentarisch. Ob die parlamentarische Abstinenz wieder zehn Jahre dauert, oder ob die Partei überhaupt wieder in den Landtag einziehen kann, wird sich zeigen.

Denn das Ausscheiden der FDP aus dem Landtag beruht nicht allein auf der Stärke der AfD. Das Wahlverhalten der ehemaligen FDP zeigt in Richtung Abkehr von Politik und Wahlen, in Richtung nationalliberale und –konservative Wahlentscheidung (AfD, Union) und in Richtung sozial-liberale Wahlentscheidung.

Wie eine Rückkehr der FDP als liberale Partei aussehen könnte, ist unklarer denn je. Sie scheint nicht mehr gebraucht zu werden.

Die letzte schwarz-gelbe Landesregierung geht von Bord

Rund 60% der von Infratest dimap befragten Wahlberechtigten stellten der Regierung ein gutes Zeugnis aus. Rund ein Drittel waren mit der Regierung weniger oder gar nicht zufrieden.

In der Bewertung der beiden Koalitionspartner lag die CDU mit 62% Zufriedenheit deutlich vor der FDP, deren Arbeit mit 21% Zustimmung bewertet wurde. Fünf Jahre zuvor war der Abstand zwischen CDU und SPD zwar ebenfalls deutlich, doch mit 23% Differenz weniger stark ausgeprägt.

Naturgemäß war die Zufriedenheit mit der Landesregierung bei den Anhänger/-innen der CDU mit knapp 90% am stärksten ausgeprägt. Doch auch bei den Anhänger/-innen der beiden potenziellen Koalitionsparteien Grüne und SPD überwog die Zufriedenheit mit der Landesregierung gegenüber der kritischen Bewertung ihrer Arbeit.

Bei den Anhänger/-innen von Linkspartei und AfD dominierte hingegen die Unzufriedenheit, wenngleich ein jeweils relevanter Teil die Regierung positiv bewertete.

Vorausgesetzt, eine Direktwahl des Ministerpräsidenten wäre möglich, hätten sich laut Infratest-dimap 57% der Befragten für den Amtsinhaber entschieden. Die Forschungsgruppe Wahlen ermittelte eine Zustimmung für den Amtsinhaber Tillich von 63%. Auch in der Politikerzufriedenheit rangierte der Ministerpräsident Tillich weit vorn. Bei einem Bekanntheitsgrad von 90% waren mehr als zwei Drittel mit seiner Arbeit zufrieden, nur knapp jeder zweite war weniger oder gar nicht zufrieden.

Das Ausscheiden der FDP aus dem Landtag besiegelt dennoch mehr als nur das Ende der letzten amtierenden schwarz-gelben Koalition.

Es ist auch das vorläufige Ende eines politischen Modells: Zum zweiten Mal seit 1971 gibt es in Deutschland weder auf Bundesebene noch in einem Bundesland eine schwarz-gelbe Koalition. Nachdem 1951 erstmals in Rheinland-Pfalz eine Regierung aus CDU und FDP gebildet wurde, amtierten für zwanzig Jahre konservativ-liberale Regierungen in Bonn, Berlin, Düsseldorf, Kiel, Mainz, Saarbrücken und Stuttgart. Erst sechs Jahre später bildeten beide Parteien im Saarland und in Hannover wieder Landesregierungen. Nach der Bundestagswahl 2009 regierten Union und Liberale sowohl im Bund als auch in sieben Landesregierungen (BW, BY, HE, NI, NW, SH, SN) – so viel schwarz-gelb war nie zuvor und danach.

DIE LINKE - Alter Ego der CDU

Die Parteien links von der Union haben es in den vergangenen zwanzig Jahren nicht vermocht, eine politisch und persönlich tragfähige Basis für eine Regierungsalternative zur Union zu schaffen.

Zur »ewigen Regierungspartei« CDU gehört fast wie ein Alter Ego die »ewige Oppositionspartei« PDS/DIE LINKE. Die zweitstärkste Partei im Lande schaffte es bisher bei keiner Wahl, die CDU-Regierung wirklich zu gefährden. Es reichte nie, es passte nie.

Bereits 2012 begann der sächsische Landesverband einen »Dialog für Sachsen«, um neue Wählerschichten anzusprechen, um die politische Kommunikation mit der Bevölkerung zu verbreitern, um die notwendige inhaltliche landespolitische Erneuerung anzustoßen – und um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein erheblicher Teil der eigenen Anhänger sich auf der Gewinner-Seite der sächsischen Entwicklung sah.

Parallel dazu wurde versucht, nicht nur symbolische, sondern realpolitische Optionen für das Verlassen des Oppositionsturmes und einen Regierungs- und Politikwechsel aufzubauen und den Landesvorsitzenden Rico Gebhardt als personelle Alternative zum Ministerpräsidenten aufzubauen. Die Hürde, dass weder Sozialdemokraten noch Grün wie zuvor in Thüringen bereits sein könnten, einen Linken zum Ministerpräsidenten zu wählen, versuchte er im Vorfeld des Wahlkampfes abzuräumen mit dem Vorschlag, die drei Parteien könnten sich auf einen Parteilosen als Ministerpräsidenten verständigen. Dieser Vorschlag stieß bei den beiden anderen Parteien auf wenig Gegenliebe – nicht verwunderlich, allein schon, weil darüber angesichts ihrer Mitgliederschwäche und geringen sozialen Verankerung ihre Kenntlichkeit im Wahlkampf arg bedroht gewesen wäre. Diese geringe soziale Verankerung der potentiellen Bündnispartner ist es denn auch, die eine Regierungsalternative für Die Linke bis auf weiteres unwahrscheinlich erscheinen lässt.

Sachsen ist das Bundesland, in dem Die Linke weiterhin politische Erfahrungen sammeln kann, wie es gelingt, als zweitstärkste Partei ohne reale Machtperspektive in der Opposition politische und soziale Stabilität, dann vielleicht auch Wachstum zu generieren.

Gemessen in absoluten Stimmen und ohne Berücksichtigung der geringen Wahlbeteiligung einerseits sowie der absolut gesunkenen Zahl der Wahlberechtigten andererseits, erreicht die Linkspartei ihr zweitschlechtestes Landtagswahlergebnis und das drittschlechteste Wahlergebnis im Freistaat überhaupt (ohne Kommunalwahlen).

Sie erringt das Direktmandat im Wahlkreis Leipzig 2 erstmals, verliert jedoch die zuletzt 2004 und 2009 gewonnenen Wahlkreise Leipzig 3 und Chemnitz 4. Die 2004 errungenen Wahlkreise Leipzig 5 und Hoyerswerda (WK 55) konnten bereits 2009 nicht mehr verteidigt werden.

DIE LINKE hat gegenüber der Landtagswahl 2004 einen Anteil von 4,7% verloren. Sie bewegt sich prozentual auf einem Niveau unterhalb der Landtagswahl 1999. In absoluten Stimmen verlor die Partei seit 1999 insgesamt 170.749 Wähler/-innen, wobei hier die absolut gesunkene Zahl der Wahlberechtigten und die geringere Wahlbeteiligung nicht einbezogen sind. Dies entspricht rund 35,5% der Stimmen von 1999.

Kurzum: Die sächsische Linkspartei hatte im Wahlkampf kein Strategie- oder Persönlichkeitsproblem, sondern ist konfrontiert mit

  • generell absinkender Mobilisierungsfähigkeit der Partei in Ostdeutschland

  • landespolitischen Rahmenbedingungen, die mit dominierender CDU und ohne Wechselstimmung einerseits sowie konfrontiert mit erfolgreichen rechtspopulistischen Protestparteien (AfD und NPD) andererseits ein Wachstum bei Wahlen äußerst erschweren
  • im Vergleich zu anderen ostdeutschen Ländern ungenügenden Möglichkeiten, ihre politische Gestaltungsfähigkeit in der Landesregierung oder auf kommunaler Ebene durch Landrätinnen und Landräte (vgl. Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen) oder Oberbürgermeister/-innen größerer Städte wie Schwerin oder Eisenach zu verdeutlichen.

Unter diesen Bedingungen erreichte sie ein achtbares Ergebnis – die strukturellen Probleme der Partei bleiben bestehen.

SPD: Raus aus dem 10%-Ghetto

Die SPD erreicht bei dieser Landtagswahl 12,4% und verbessert sich auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Sie bleibt weiterhin der sozialdemokratische Landesverband mit den notorisch schlechtesten Landeswahlergebnissen und einer enormen Diskrepanz zwischen den Ergebnissen bei Landtags- und Bundestagswahlen.

Während die Partei bei den seit 1990 im Freistaat durchgeführten Bundestagswahlen ein Ergebnis von durchschnittlich 22,9% verbuchen kann, erreicht sie bei den Landtagswahlen seit 1990 mit 10,6% weniger als die Hälfte der sächsischen Bundesergebnisse.

Bezogen auf die einzelnen Wahlen nähern sich die Ergebnisse zwischen Bundestags- und Landtagswahl hingegen an. Das Landtagswahlergebnis 2014 liegt mit 2,2 Prozentpunkten vergleichsweise nahe am Bundestagswahlergebnis 2013 der SPD in Sachsen (14,6%).

Die Zugewinne der SPD beruhen auch auf Wähler/-innenwanderungen von anderen Parteien. Laut Infratest-dimap wechseln 11.000 Wähler/-innen der CDU zur SPD, weitere 12.000 kommen von der FDP und 7.000 von den Grünen. An die AfD gibt die Partei 8.000 Wähler/-innen ab, weitere 5.000 bleiben der Wahl fern.

Die 12,4% sind kein Anzeichen für eine sozialdemokratische Renaissance im Freistaat. Aber mit Martin Dulig verfügt die Partei über einen Landesvorsitzenden, der seinen Bekanntheitsgrad enorm gesteigert hat. Auch werden der SPD wieder deutlich höhere Vertrauenswerte auf dem Feld der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Ausgleichs zugeschrieben – die sie bisher nicht in eine entsprechende Stimmensteigerung umsetzen kann.

Trotz dieser strukturellen Schwäche im Parteienwettbewerb könnte die Partei die Gelegenheit erhalten, zum zweiten Mal mit der CDU die Landesregierung zu stellen.

Mögliche Königsmacher in der grünen Peripherie

Den Grünen gelingt zum dritten Mal in Folge der Einzug in den Landtag. Trotz Stimmenverlusten könnten sie – erfolgreiche Sondierungen mit der CDU vorausgesetzt – zum Königsmacher der sächsischen Landespolitik werden.

Die Partei verliert jedoch fast ein Fünftel ihrer Stimmen von 2009. Schaut man auf die Wählerwanderung, dann liegt die Annahme nahe, dass das Liebäugeln mit einer schwarzgrünen Koalition die grünen Wähler/-innen zum Wechsel in Richtung SPD und Linke veranlasst haben könnte. Rund 7.000 Wähler/-innen wanderten zur SPD, weitere 6.000 zur Linkspartei. An die AfD verlieren die Grünen 3.000 Wähler/-innen und noch einmal 7.000 an andere Kleinparteien. Wanderungen zu den Grünen kommen aus dem Nichtwähler/-innenlager (1.000), der CDU (1.000) und von der FDP (3.000).

Die höchsten Stimmenanteile erreicht die Partei in den Wahlkreisen von Leipzig und Dresden. Ihre Hochburg liegt im Wahlkreis Leipzig 5, dort erreicht sie 16,1%. Die Dresdner Hochburg liegt im dortigen Wahlkreis 1 (15,0%). Über alle Wahlkreise von Leipzig und Dresden liegt der grüne Stimmenanteil bei 10,9%.

Durch das Ausscheiden der NPD aus dem Landtag verfügt die Partei mit acht Mandaten über eine potenzielle Regierungsmehrheit mit der CDU.

Neu im Landtag: Die Alternative für Deutschland (AfD)

Die AfD ist wie erwartet in den sächsischen Landtag eingezogen. Alle Prognosen, die ihr ein gutes bis sehr gutes Ergebnis voraussagten, sind eingetroffen.

Mit 14 Mandaten ist sie so stark wie die FDP, die fünf Jahre zuvor ebenfalls 10% erreichte und wird mit 9,7% viertstärkste Partei im Landtag. Sie ist erstmals in einem Landesparlament vertreten. Sie nimmt einerseits die Funktion der »Denkzettel«- und Protestwähler-Partei ein, zeigt aber andererseits auch ein hohes Maß an überzeugten Wähler_innen aus dem wertkonservativen und rechten Wählerspektrum. Sie ist die eigentliche Wahlsiegerin, als ihrem Erfolg das Ausscheiden der NPD und die unter 40% der Union zu verdanken sind

Sachsen hat sich erneut als die Hochburg der AfD erwiesen. Bereits bei der Bundestagswahl 2013 (6,8%) und bei der Europawahl im Mai (10,1%) erreichte die Partei im Freistaat ihre bundesweit besten Werte. Bei den drei landesweiten Wahlen in Sachsen, an denen die AfD teilnahm, erreichte sie durchschnittlich 160.530 Stimmen.

Der Wahlkampf der AfD war erkennbar darauf angelegt, Protestwähler/-innen ebenso zu gewinnen wie Stimmen aus dem Milieu von CDU, FDP und NPD. Zu diesem Zweck widmete sich das Wahlprogramm und der Wahlkampf der AfD denjenigen Themen, die im Spannungsfeld zwischen rechtskonservativ und rechtsextremistisch seit langer Zeit als Angstmacher en vouge sind.

Wie schon in der Vergangenheit, gab es auch im sächsischen Landtagswahlkampf Ähnlichkeiten bzw. Übereinstimmung bei den Wahlaussagen von NPD und AfD:

  • "Asylantenheime, nein danke" (NPD) und "Asylbewerberstrom reduzieren" (AfD).
  • „Keine Zuwanderung in die Sozialsysteme“ (NPD und AfD)

Gleichwohl ist auch die sächsische AfD weder eine Partei mit ausschließlicher Nähe zu Rechtsextremen noch ist sie nur rechtspopulistisch. In Übereinstimmung mit Alexander Häusler lässt sich festhalten: Die AfD ist geprägt von drei politischen Strömungen und Milieus: einem marktradikalen, einem nationalkonservativen und einem deutlich rechtspopulistisch affinem Milieu. Es gibt eine auffällige inhaltliche Zustimmung aus Parteikreisen zu den Thesen des Erfolgsbuchautors Thilo Sarrazin. Ein besonders Feindbild der AfD ist die so genannte Politische Korrektheit – die These, dass Medien und Politik vom angeblichen Diktat einer linksgestrickten ‚political correctness‘ beherrscht seien.“

Die Wähler/-innenschaft der AfD dürfte sich bisherigen Erkenntnissen nach am ehesten mit dem Milieu der Republikaner vergleichen lassen. Zu diesem Ergebnis kommen zumindest Beobachtungen sowohl von Forsa als auch der Wahlstatistik in Baden-Württemberg, wo die Partei sowohl 1992 als auch 1996 mit 10,9% bzw. 9,1% im Landtag saßen.

In den neuen Ländern gelang es der Schönhuber-Partei damals nicht, sich parlamentarisch zu etablieren – von ihrem Niedergang profitierte einerseits die NPD, die jedoch für den bürgerlichen Teil des Republikaner-Lagers unwählbar war. In diese seitdem bestehende Lücke stößt nun die AfD.

In 28 der 60 Landtagswahlkreise erreicht die AfD ein Zweitstimmenergebnis oberhalb des Landeswerts von 9,7%. In Bautzen 5 erreicht die Partei mit 14,8% ihren höchsten Wert, gefolgt von den Görlitzer Wahlkreisen 3 und 2 mit 14,6% bzw. 13,8%.

Infratest-dimap hatte die sächsischen Wahlkreise 2009 sechs Regionen zugeordnet: Westerzgebirge/Vogtland, Chemnitz/Oberes Erzgebirge, Leipzig/Nordsachsen, Dresden/Osterzgebirge, Oberlausitz/Niederschlesien, Grenzregion zu Polen/Tschechien. Werden diese Regionsbeschreibungen zugrunde gelegt, liegen die Hochburgen sowohl der AfD als auch der NPD in der Oberlausitz/Niederschlesien sowie der Grenzregion zu Polen/Tschechien

Ein Zusammenhang zwischen den Ergebnissen der AfD und NPD lässt sich sowohl auf der regionalen Ebene feststellen als auch in möglichen Stimmenverschiebungen von der NPD zur AfD. Denn während die NPD in den Wahlkreisen Bautzen 5 und 1 gegenüber 2009 noch zulegen kann, verliert sie am stärksten in den Görlitzer Hochburgen der AfD und zwar: Görlitz 1 (-3,0%), Görlitz 2 (-2,3%), Görlitz 3 (-2,2%), Görlitz 4 (-1,0%). Aber auch in Meißen 2 und 3, wo die AfD starke Ergebnisse erzielt, muss die NPD Federn lassen (-1,4% bzw. -1,6%). Dasselbe gilt für die Wahlkreise Erzgebirge 3 und 4, wo die NPD 1,5 bzw. 2 Prozentpunkte verliert.

Die Kompetenzen, die der AfD in den Vorwahl- und Wahltagsbefragungen von allen Befragten zugewiesen werden, betreffen »Ausländerpolitik« und »Kriminalitätsbekämpfung« (jeweils 4%) sowie »soziale Gerechtigkeit« und »Arbeitsplätze« (je 3%). Bei den AfD-Wählern heben die Kompetenz in der »Ausländerpolitik« 42% hervor, »soziale Gerechtigkeit« 41% und »Kriminalitätsbekämpfung« 37%. Ebenso viele nennen noch die »Außenpolitik«.

Diese Kompetenzzuschreibungen der eigenen Anhänger passen zu dem Ergebnis, dass knapp 2 von 5 AfD-Wähler_innen sagen, die Partei aus »Überzeugung« gewählt zu haben und mehr als die Hälfte, dass »Enttäuschung über andere Parteien« der Grund gewesen sei.

Die »Enttäuschung über andere Parteien« kann durchaus mehr beinhalten, als ihnen einen Denkzettel verpassen zu wollen. Zwar meint die Mehrheit der Befragten, die AfD-Wahl sei vor allem eine Denkzettel-Wahl und keine Überzeugungswahl, bei den AfD-Wählern fällt das Ergebnis für die Frage-Alternative Denkzettel oder Überzeugung gänzlich anders aus als bei der Fragestellung von Infratest dimap (Enttäuschung über andere vs. Überzeugung):

Gibt die Auffassung aller Befragen noch Anlass zu der Annahme, die AfD-Wähler könnten zu anderen Parteien nach der Erteilung eines »Denkzettels« zurückkehren, so scheint die Mehrheit der AfD-Wähler die Abkehr von der vorherigen Partei eher als endgültig zu betrachten.

In der Wählerwanderungsbilanz sammelt die AfD bei allen Parteien Stimmen ein. Am meisten bei den Anhängern von Kleinparteien (39.000), die vermutlich die Chance sehen, mit ihrer Stimmer eine Partei in den Landtag zu wählen. An zweiter Stelle folgt die CDU (33.000), gefolgt von früheren Wähler/-innen der FDP (18.000) und durch Mobilisierung ehemaliger Nichtwähler (16.000). Weitere 15.000 Stimmen kommen von der Linken, 13.000 von der NPD und 12.000 von SPD (8.000) bzw. Grünen (3.000).

Keine Entwarnung bei der NPD

Die NPD ist nach einer Zitterpartie und mit 808 fehlenden Stimmen denkbar knapp am dritten Landtagseinzug in Folge gescheitert.

Das Wahlergebnis ist zwar objektiv eine Niederlage für die Partei, die insbesondere die veritablen finanziellen Probleme erschweren wird. Deutlich wird jedoch auch, dass alle Beobachtungen einer gefestigten rechtsextremen Wähler/-innenschaft der Partei bestätigt werden.

Die NPD erreicht bei den Wähler/-innen unter 30 einen Anteil von 10% und bei den über 60-Jährigen mit 9%. Diese Werte liegen rund doppelt so hoch als das Ergebnis für die Partei über alle Altersgruppen. Auch bei Arbeitslosen und Arbeitern reüssiert die Partei mit 11%.

Gegenüber der Landtagswahl 2009 kann die Partei in 14 von 60 Wahlkreisen prozentual zulegen. Darunter am stärksten in Bautzen 5 und Bautzen 1.

Ihre fünf besten Ergebnisse erzielt die Partei in folgenden Wahlkreisen:

  • Bautzen 5: 10,9% (+3,9%),
  • Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 4: 9,9% (-0,2%)
  • Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 3: 8,7% (+0,7%)
  • Bautzen 1: 8,4% (+1,8%)
  • Meißen 2: 7,1% (-1,4%).

Am schlechtesten schneidet sie in den großen Städten Dresden, Leipzig, Chemnitz sowie in Zwickau ab, wo sie überwiegend unter dem Landesergebnis liegt.

Entwarnung kann dennoch nicht gegeben werden: Vergleichende Erkenntnisse der Landtagswahlen in Sachsen 2009 und 2014 zeigen, dass mittlerweile knapp jeder vierte Wahlberechtigte in Sachsen die NPD als eine normale demokratische Partei ansieht, die zumindest Probleme benennt, auch wenn sie diese nicht lösen kann. Vor fünf Jahren war es noch jeder fünfte Wähler. Unter den AfD-Wähler/-innen sehen laut Infratest dimap 56% die NPD als eine demokratische Partei wie alle anderen auch. Immerhin 10% aller Wähler/-innen in Sachsen hätten es gut gefunden, wenn die Partei weiterhin im Landtag vertreten wäre.

Wichtigste Politikfelder und wahlentscheidende Themen

Im SachsenTREND erfragte Infratest-dimap, wie auch bei den anderen Wahlen, die wichtigsten politischen Probleme in den Augen der Wählerinnen und Wähler.

Das Themenfeld Schule/Bildung/Ausbildung lag mit 38% an der Spitze und hatte gegenüber 2009 um 9 Prozentpunkte zugenommen. Auch Familienpolitik hatte mit 19% um 10% gegenüber 2009 an Bedeutung hinzugewonnen.

Angesichts dieser Wahrnehmung überrascht es nicht, dass 65% der Befragten die Auffassung vertraten, dass die neue Landesregierung in Schule und Bildung investieren solle, während 14% den Schuldenabbau für vordringlich erachteten.

Demgegenüber nahm die Bedeutung der wirtschaftlichen Situation um 13% ab und lag bei 11%, die Relevanz des Thema Arbeitslosigkeit/Arbeitsmarkt reduzierte sich um 36%, lag aber mit 29% auf Platz 2.

Das Themenfeld Kriminalität lag auf Platz 5 mit 11% und einem Bedeutungszuwachs von 7%.

Schwarz-Rot wahrscheinlicher als Schwarz-Grün

Die sächsische CDU regierte seit dem Verlust der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl 2004 sowohl mit der SPD als auch der FDP - ohne dass der jeweilige Koalitionspartner in diesem Bündnis eine andere Funktion hatte als zur Mehrheitsbeschaffung zu taugen.

Für die Regierungsbildung in Sachsen sind zunächst Gespräche der Union mit SPD und Grünen zu erwarten, nachdem Ministerpräsident Tillich am Wahlabend das taktische Liebäugeln mit der AfD beendete.

Während eine Koalition mit der CDU innerhalb der SPD wenig umstritten ist, dürfte innerhalb des grünen Landesverbandes die Debatte über ein Zusammengehen mit der CDU heftige Wellen schlagen. Bereits bei der Aufstellung der Landesliste hatte sich gezeigt, dass die eifrigste Befürworterin einer schwarz-grünen Landesregierung – die Spitzenkandidatin Antje Hermenau – in dieser politischen Orientierung alles andere als unumstritten ist.

Anders als in Hessen würde eine Regierungsbeteiligung der Grünen in Sachsen weder die Eigenständigkeit im Parteienwettbewerb noch politische Souveränität beweisen – es wäre schlicht die Wahrnehmung einer Gelegenheit in einem Land, das zur grünen Peripherie zählt. Mit eineinhalb Ministerien dürfte im ansonsten schwarzen Sachsen der grüne Einfluss einer Fußnote in der Landesgeschichte gleichkommen.

Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung der ausführlichen Wahlnachtberichterstattung von Horst Kahrs (Rosa-Luxemburg-Stiftung) und Benjamin-Immanuel Hoff
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden