Wir sollten uns das 21. Jahrhundert teilen

Großmächte Der Konflikt zwischen der Weltmacht USA und dem Aufsteiger China verschärft sich. Aber eine Neuauflage des Kalten Krieges ist keine gute Idee

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die dramatische Idee eines „Systemwettkampfes“ mag in Washington oder Peking politische Gemüter bewegen. Aber Deutschland ist mit der realistischen Kühle einer Angela Merkel oder auch eines Joschka Fischer besser beraten
Die dramatische Idee eines „Systemwettkampfes“ mag in Washington oder Peking politische Gemüter bewegen. Aber Deutschland ist mit der realistischen Kühle einer Angela Merkel oder auch eines Joschka Fischer besser beraten

Foto: Flickr/CC Public Domain 1.0

Hat der Westen in China seinen neuen Feind gefunden? Lange Zeit war die Sowjetunion das Reich des Bösen, gegen das sich der Westen definierte. Der sowjetische Kommunismus aber entpuppte sich als schwacher Gegner. Seine Wirtschaft war nicht innovativ, seine Politik gebaut auf Angst. Nach einer kurzen Zeit der Langeweile bekam der Westen einen neuen Widersacher in Gestalt des islamistischen Terrors, der der gescheiterten Moderne im Nahen Osten entsprang. Der amerikanische war on terror aber entfachte, vor allem indem er aus Saddam Husseins grausamer Diktatur im Irak einen gescheiterten Staat machte, nur noch mehr Elend, Terror und Tod. China schaute sich die sinnlosen, endlosen, teuren Kriege des Westens von der Seitenlinie aus an — und wurde derweil qua seines gigantischen Wirtschaftswachstums immer mächtiger.

Nun, da auch die letzten westlichen Soldaten leise aus Afghanistan abziehen, ohne eines ihrer selbstgesteckten Ziele erreicht zu haben, vollzieht sich der bereits von Barack Obama angekündigte pivot to Asia immer weiter. Mit der amerikanischen Perspektivverschiebung vom Nahen Osten in Richtung Asien ist vor allem eines gemeint: den Aufstieg Chinas zu einer ebenbürtigen Macht aufhalten.

Zwar wird die Urvokabel des Kalten Krieges, containment („Einhegung“), noch nicht genannt, aber es besteht kaum ein Zweifel daran, dass wir uns gerade in einer Rekonstruktion des Kalten Krieges befinden. Im außenpolitischen Reden und Denken der USA hat sich in den vergangenen Jahren etwas verschoben. Im Jahr 2018 bezeichnete das amerikanische Verteidigungsministerium China als „revisionistische”, also die globale Ordnung verändern wollende Macht, und verkündete, dass die USA von der Terrorbekämpfung zu einer geostrategischen Großmachtpolitik umschwenken würden. Der freundliche amerikanische Präsident Joe Biden fährt die gegen China gerichtete Politik seines ruppigen Vorgängers in anderer Tonart weiter. In seiner State of the Union Rede nach den ersten einhundert Tagen Amtszeit beschwor er einen großen Wettkampf zwischen Demokraten und Autokraten: „Die Autokraten werden die Zukunft nicht gewinnen. Amerika wird das tun. Die Zukunft gehört Amerika.“ Es ginge um nichts weniger, als darum, „den Wettkampf um das 21. Jahrhundert zu gewinnen”.

Macht Deutschland mit?

Auch als Demokrat sollte man hier kurz innehalten: Kann man sich das 21. Jahrhundert nicht auch teilen, statt darum zu kämpfen? Aber wie anderen Supermächten vor ihr fällt es auch den USA schwer, die Ambitionen eines ernsthaften Konkurrenten zu tolerieren.

In Deutschland ist Außenpolitik selten ein Wahlkampfthema. Aber wie es Deutschland im amerikanisch-chinesischen Konflikt halten soll, ist eine der wichtigen Zukunftsfragen des Landes. In einem Kommentar, den er als implizite Antwort auf Präsident Bidens State of the Union-Rede formulierte, warnt der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer vor einer Neuauflage des Kalten Krieges. Ein solcher, so Fischer, sei „das Letzte, was dieses Jahrhundert braucht“. Für die eigentliche Menschheitsaufgabe, nämlich die Bekämpfung des Klimawandels, bräuchte man Kooperation und nicht Konflikt.

Aus dem Wahlprogramm seiner Partei hat Fischer diese Argumentation allerdings nicht entnommen. Die Grünen, die eine „aktive“ und „werteorientierte“ Außenpolitik anstreben, finden zu China im Vergleich zu allen anderen Parteien die schärfsten Worte: „Das autoritäre Hegemonialstreben einer chinesischen Regierung, das Menschen- und Bürger*innenrechte systematisch aushebelt, zwingt Staaten nicht nur in wirtschaftliche und politische Abhängigkeit, sondern spaltet auch Europa“, so heißt es im Wahlprogramm. In einem Interview mit der FAZ unterstrich Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock nochmals, dass es mit Sicht auf China darum gehe, „Dialog und Härte“ zu verbinden. „Ein anderer Umgang mit autoritären Regimen ist für mich in einer künftigen Bundesregierung eine Schlüsselfrage – für unsere Sicherheit und unsere Werte. Wir sind gerade in einem Wettstreit der Systeme: autoritäre Kräfte versus liberale Demokratien. Hier geht es auch um China.“

Die Grünen sind also ganz bei Biden. Und was sagt die CDU? Der gelassene Problemaussitzer Armin Laschet zeigt sich vom Weltendrama à la Biden und Baerbock wenig beeindruckt. Seine Kandidatur ist das Versprechen, die Merkel-Ära weiterzuführen. Und das gilt auch für China, wie er in einem Interview mit der Financial Times bestätigte. „Brauchen wir einen neuen Feind?“, fragte er da, um dann fast schon im Sinne Joschka Fischers auszuführen, dass China zwar ein anderes Gesellschaftsmodell als der Westen hätte, aber eben auch ein Partner sei, gerade in der Klimafrage.

Angela Merkel fuhr im amerikanisch-chinesischen Konflikt, wie auch sonst in ihrer Politik, immer mehrgleisig. Möglichst gute Beziehungen mit beiden Seiten hieß die Devise, obwohl man sich den USA natürlich enger verbunden fühlt. Die Beziehungen mit Peking sind vor allem geschäftlicher Natur und verkörpern damit den außenpolitischen Ansatz, von dem die Grünen so gerne wegkommen möchten: Außenpolitik als Außenwirtschaftspolitik. Laut dem Auswärtigen Amt war China auch im vergangenen Jahr der größte Warenhandelspartner Deutschlands. Volkswagen verkauft vier von zehn Autos im Reich der Mitte. Wenn Annalena Baerbock im bereits erwähnten FAZ-Interview also sagt, dass man sich von China „nicht komplett abschotten“ könne, haben wir es mit einer völligen Untertreibung zu tun. Aber auch bei den Grünen dürfte nichts so heiß gegessen werden, wie es gekocht wird. Eine „werteorientierte“ Politik, die wegen des chinesischen Durchgriffs in Xinjiang oder Hongkong auf den Verkauf deutscher Autos verzichtet, ist schwer vorstellbar.

Warum die Metapher des Kalten Krieges falsch ist

China ist das größte offiziell kommunistische Land. Aber mit der Sowjetunion hat es nur wenig zu tun, weswegen die Metapher vom neuen Kalten Krieg in die Irre führt.

Die Sowjetunion war ein nach innen illegitimes Staatengebilde, das seine wenig überzeugende Ideologie zu exportieren versuchte. Der chinesische Staat hingegen ist in den Köpfen seiner Bevölkerung sicherlich nicht weniger stabil verankert als der deutsche – trotz seiner autoritären Verfasstheit. Die chinesische Machart des staatlich überwachten Kapitalismus hat bisher gut funktioniert und zog die unteren Klassen nach oben, während im Westen die Einkommensschere immer weiter aufging. Und anders als die Sowjetunion oder der liberale Westen hatte China in seiner Geschichte nur selten das Bedürfnis, seine Staatsform zu exportieren. Nichts deutet darauf hin, dass es heute anders sei. Der chinesische Gesellschaftsvertrag ist ein ziemlich spezifisches Produkt aus alter Geschichte und neuem Entwicklungsnationalismus, der in seiner Vermengung von Markt und Maoismus keine Universalisierbarkeit für sich behaupten kann und es auch nicht tut. Weder Deutschland noch die USA haben zu befürchten, dass chinesische Truppen einmarschieren, um ihr Gesellschaftssystem durchzusetzen.

Worin Joe Biden recht hat ist, dass die westliche Demokratie auf dem Prüfstand steht. Die Gefahr aber kommt mehr von innen als von außen. Das Illiberale wächst in den Verwerfungen des Liberalen selbst: Es war nicht China, das Donald Trump, die AfD oder Nazi-Netzwerke in der Bundeswehr erfunden hat. Wer den Liberalismus retten will, muss nicht ins ferne China schauen, sondern den Gesellschaftsvertrag im Westen selbst erneuern.

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Kind des letzten Kalten Krieges. Anti-Amerikanismus steht einem Land, das seine Existenz nicht nur amerikanischer Großmachtpolitik, sondern auch amerikanischer Großzügigkeit verdankt, schlecht zu Gesicht. Das heißt aber nicht, dass man den USA deshalb in den nächsten Kalten Krieg folgen muss. Die dramatische Idee eines „Systemwettkampfes“ mag in Washington oder Peking politische Gemüter bewegen. Aber Deutschland ist mit der realistischen Kühle einer Angela Merkel oder auch eines Joschka Fischer besser beraten. Der relative Abstieg des Westens und der Aufstieg Asiens sind unvermeidbare Fakten einer Weltgeschichte, die gerade geschrieben wird. Die Klimabedrohung ist es auch. Vielleicht gilt es, dem Pathos des Systemwettkampfes den Pathos der einen bedrohten Welt entgegenzuhalten. Wir sollten uns das 21. Jahrhundert teilen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin Meyer

Außenpolitik und Geschichte.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden