"Das ist eine Unverschämtheit"

Vorratsdatenspeicherung Am Freitag hat die Große Koalition die Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Deren Kritiker kündigen Verfassungsklagen an. Ein Gespräch mit Hans-Christian Ströbele
Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Grüne) ist Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums und seit 1998 Mitglied des Rechtsausschusses
Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Grüne) ist Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums und seit 1998 Mitglied des Rechtsausschusses

Foto: Jens Jeske/imago

der Freitag: Die Regierungsfraktionen behaupten, die heute beschlossene Vorratsdatenspeicherung (VDS) genüge den Anforderungen der Urteile von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof. Stimmt das?

Hans-Christian Ströbele: Nein, das stimmt nicht. Es ist sowieso schwer vorstellbar, dass es eine gesetzliche VDS-Regelung geben kann, die den genannten Urteilen entspricht. Beide Gerichte sehen eine solche Datenspeicherung insgesamt skeptisch. Sie haben einige Vorgaben gemacht, die berücksichtigt werden müssten. Aber ob eine solche Datenspeicherung auf Vorrat überhaupt zulässig ist und mit den Grundrechten vereinbar, bleibt immer zweifelhaft.

Jetzt sollen Telefon- und Computerdaten für zehn Wochen gespeichert werden, Standortdaten für nur vier Wochen. Genügt diese Einschränkung?

Nein. Wenn es auf diese Art Daten gesammelt werden, ist die Begehrlichkeit von vielen groß, solche Datensammlungen auch zu nutzen. Das wollen Privatfirmen ebenso wie staatliche Stellen, Geheimdienste und auch ausländische Dienste. Es wäre auch für die NSA leichter, wenn sie die Daten schön gesammelt abgreifen könnte.

Gesprächsinhalte werden nicht von der VDS erfasst. Wo ist das Problem?

Es geht um die Verbindungsdaten der Kommunikation, Metadaten genannt. Wer hat wann mit wem wie lange telefoniert und wie häufig? Wenn diese Daten gesammelt werden, ist das nicht harmlos. Wenn man sich die Metadaten von einem Menschen über längere Zeit anguckt, kann man sehr viel über sein persönliches und berufliches Leben erfahren. Daraus lässt sich manchmal mehr schließen als aus Gesprächsinhalten. Deshalb legen die Geheimdienste ja so großen Wert darauf, Metadaten zu speichern.

Nun argumentiert die Koalition aber, dass mithilfe der Daten Verbrechen aufgeklärt werden können.

Immer wieder haben wir die Verfechter der Vorratsdatenspeicherung gefragt: Sagt uns doch mal Beispiele, bei denen nur Daten, die aus einer VDS entnommen worden sind, eine Straftat verhindert haben. Diese Beispiele wurden uns nie genannt. Mit der berechtigten Angst vor terroristischen Anschlägen wird hier versucht, diese massenhafte Datenspeicherung von nicht verdächtigen Personen zu rechtfertigen. Bei denen besteht aber kein Grund für die Speicherung. Das ist eine Unverschämtheit.

Die Grünen sind also gegen jede Form von Datenspeicherung?

Nein. Natürlich sind wir dafür, Daten aufzunehmen und zu speichern, auch Inhalte von Telefongesprächen – wenn ein begründeter Verdacht auf eine terroristische Straftat besteht. Diese Mittel sollten aber nicht gegen die gesamte unverdächtige Bevölkerung genutzt werden. Unsere Grundrechte sind nicht so gemeint, dass alle Menschen verdächtig sind und deshalb keine Grundrechte in Anspruch nehmen dürfen.

Der Abgeordnete Alexander Hoffmann (CSU) sprach in der heutigen Debatte davon, dass man sich mit der neuen VDS „für Freiheit und Sicherheit“ entscheide. Widersprechen sich Freiheit und Sicherheit?

Die widersprechen sich sehr häufig. Aber hier geht es gar nicht um den Konflikt von Freiheit und Sicherheit. 98 oder 99 Prozent der Menschen die davon betroffen sind, werden nie auch nur in den Verdacht kommen, irgendeine schwere Straftat begehen zu wollen.

Ihr Parteifreund Konstantin von Notz hat heute angekündigt, gegen die VDS vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Halten Sie das für sinnvoll?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Einzelpersonen können Verfassungsbeschwerde einlegen, eine Fraktion kann – ab einer gewissen Größe – eine Organklage einreichen. Ich gehe davon aus, dass auch die Linken das überlegen, aber auch zusammen sind wir eigentlich nicht groß genug. Wir prüfen die Voraussetzungen und wollen jedenfalls beim Bundesverfassungsgericht gegen dieses Gesetz klagen. Es werden aber auch andere Personen außerhalb des Parlaments dagegen klagen, die das bereits angekündigt haben.

Die Koalition argumentiert mit der Schutzmaßnahme, dass alle Eingriffe ohnehin unter dem so genannten Richtervorbehalt stehen.

Ich war jahrzehntelang Strafverteidiger und weiß, dass Richter solche Maßnahmen meistens kritiklos durchwinken. Auch bei Telefonüberwachung, wo noch tiefer in Persönlichkeitsrechte eingegriffen wird, kriegen die Richter zuweilen Freitagnachmittag von Staatsanwälten noch einen großen Stapel mit Anträgen auf Telefonüberwachungen vorgelegt. Die haben dann gar nicht die nötige Zeit um die Sachen durchzuarbeiten, da wird sehr oberflächlich geprüft.

Einerseits stellt der Staat fest, dass er an vielen Stellen die Kontrolle über die Geheimdienste verloren hat, andererseits werden über ein Element wie die VDS diesen Diensten noch mehr Daten zur Verfügung gestellt. Das ist doch paradox.

Ja, es ist eine absurde Situation. Anstatt sich zu überlegen, wie man mehr Datensicherheit schaffen kann, werden Firmen verpflichtet, die Daten vorrätig zu halten, damit sie mit mehr oder weniger mangelhafter Prüfung staatlichen Stellen zur Verfügung gestellt werden können. Für mehr Datensicherheit wäre es hingegen wichtig, dass man möglichst wenige Daten über die einzelnen Bürger vorrätig hält – erst recht, wenn überhaupt kein Verdacht gegen sie vorliegt.

Das Gesetz zur VDS liegt ja schon lange vor, es ist auch vor längerer Zeit in 1. Lesung beraten worden. Die Regierung hat es jetzt durchgeschmuggelt, weil es heißt: Jetzt reden alle über Flüchtlinge, dann merkt das keiner, wenn wir das schnell durchwinken. In der SPD gibt es große Teile, die erhebliche Bauchschmerzen mit dem Thema haben. 43 SPD-Abgeordnete haben ja dagegen gestimmt.

Drohen Menschen, die Dokumente von Whistleblowern wie Snowden oder Manning lesen, aufgrund des neuen Gesetzes Ermittlungen?

Die Koalition hat neben der Vorratsdatenspeicherung auch einen neuen Paragrafen für das Strafgesetzbuch reingeschmuggelt: §202 d. Demnach ist Datenhehlerei strafbar. Fraglich ist, wo da die Grenze ist, zum Beispiel für mich persönlich: Ich muss mir überlegen, ob ich mir noch Dokumente von Snowden verschaffen kann, wie es im Gesetz heißt – nicht unbedingt aus beruflichen Gründen, sondern aus persönlichem oder politischem Interesse. Da werden der Strafverfolgung Tür und Tor geöffnet.

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ben Mendelson

freier Journalist. Schwerpunkt: öffentliche Daseinsvorsorge und Privatisierungen. Wirtschaftshistoriker und Vierteljurist.

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