Viele Waffen, wenig Licht

Rüstungsindustrie Heckler & Koch ist hoch verschuldet, ein Auftrag der Bundeswehr ungewiss. Und eine dubiose Übernahme droht
Ausgabe 05/2020

Die Szenerie erinnert an die Fantasy-Fernsehserie Game of Thrones: Auf einem prächtigen Thron aus Maschinengewehren sitzt ein als Tod verkleideter Anti-Kriegs-Aktivist, in seinen Händen hält er ein Gewehr und das Firmenlogo von Heckler & Koch. Um ihn herum hat sich ein knappes Dutzend Demonstranten postiert.

Es ist ein Donnerstagmorgen im Dezember 2019 in Rottweil, etwa 90 Kilometer südlich von Stuttgart. Schon im 19. Jahrhundert wurde hier Schießpulver produziert, das nahezu rauchlos verbrannte und deshalb international zu Berühmtheit gelangte. Heute finden sich in Baden-Württemberg etliche Standorte deutscher Hersteller von Waffen und Militärtechnologie (der Freitag 3/2020). H&K, laut Selbstdarstellung „ein weltweit führender Hersteller von Handfeuerwaffen mit festen Wurzeln am Standort Deutschland“, hat seinen Sitz in Oberndorf am Neckar. Von dort sind es keine 20 Kilometer nach Rottweil, wo das Unternehmen an diesem Tag zur außerordentlichen Hauptversammlung geladen hat. Grund zum Feiern hätte das Unternehmen eigentlich: Ende Dezember wurde H&K 70 Jahre alt. Doch das Unternehmen drücken hohe Schulden. Und dann ist auch noch unklar, ob H&K, Produzent des Sturmgewehrs G36, den 245-Millionen-Euro-Auftrag der Bundeswehr für den G36-Nachfolger erhält. Vor dem Badhaus, wo die Hauptversammlung stattfindet, stehen die Demonstranten und halten ein Transparent in die Höhe: „Egal wer auf dem Thron sitzt – Waffenexporte stoppen!“.

Tatsächlich ist der H&K-Thron vakant. Seit 2002 hat zwar der Investor Andreas Heeschen Einfluss auf das Unternehmen, heute ist er der größte Aktionär. Doch Heeschen will, oder muss, verkaufen. An eine Luxemburger Finanzholding, die Compagnie de Développement de l’Eau S.A. (CDE), die bereits jetzt einen Anteil an H & K hält. Doch die Sache ist sogar noch komplizierter: Hinter der CDE steht der französische Investor Nicolas Walewski, der selbst zusätzliche H&K-Aktien besitzt, Genaues ist der Öffentlichkeit dazu nicht bekannt. Den Anteil von CDE schätzen Branchenkenner auf mindestens 9,6 Prozent. Die Hauptversammlung wiederum hat Andreas Heeschen einberufen – um sich selbst in den Aufsichtsrat wählen zu lassen.

Erstaunliche Vorgänge

Das ist für Außenstehende einigermaßen erstaunlich, denn erst am Tag vor der Versammlung hat die CDE offiziell bestätigt, dass sie die Mehrheit der Heeschen-Anteile übernehmen will. Heeschen und Walewski sollen einst miteinander befreundet gewesen sein. Dass dem nicht mehr so ist, wird im Badhaus endgültig klar.

Zunächst bestätigt sich, dass Heeschen der CDE zehn Millionen seiner Aktien längst verpfändet hat: 2015, gegen ein Darlehen. Die Details des Darlehensvertrags sind nicht bekannt. Über die Bühne ist der Deal allerdings noch nicht. Denn das Bundeswirtschaftsministerium muss ihn genehmigen. Bei „sicherheitsrelevanten Unternehmen“ hat das derzeit von Peter Altmaier (CDU) geführte Ministerium im Falle einer Übernahme aus dem Ausland nach dem Außenwirtschaftsgesetz besondere Prüfkompetenzen. Im Falle von CDE und der Übernahme des potenziellen Herstellers des neuen Sturmgewehrs der Bundeswehr läuft das Prüfverfahren seit 20 Monaten. Zuletzt war der Bundesnachrichtendienst involviert.

Der Linkspartei-Politiker Tobias Pflüger rechnet damit, dass Altmaiers Haus grünes Licht geben wird. Pflüger sitzt seit 2017 für Freiburg und die Region Südbaden im Bundestag, er ist Mitglied des Verteidigungsausschusses, verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion und Parteivize. Nach seiner Einschätzung geht man bei H&K davon aus, dass das Wirtschaftsministerium noch im ersten Quartal 2020 zustimmen wird. Die größten Befürworter der CDE-Übernahme sitzen ihm zufolge in einem anderen Ministerium – in dem für Verteidigung, geleitet von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Das Verteidigungsministerium wolle offenbar dringend den Nachfolgeauftrag für das Sturmgewehr G36 vergeben – wohl im zweiten Quartal 2020.

Noch aber brodelt es bei Heckler & Koch, wofür die Hauptversammlung in Rottweil reichlich Anschauungsmaterial liefert. Den CDE-Vertretern schmeckt es nicht, dass der selbst nicht anwesende Andreas Heeschen Aufsichtsrat werden will. Mit zwei Anträgen zur Tagesordnung verlangen sie stattdessen die Absetzung zweier amtierender Aufsichtsratsmitglieder: die als Heeschen-Vertraute geltenden Martin Sorg und Harald Kujat, Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr. Doch noch hält Heeschen die Mehrheit, die Absetzungsanträge haben deshalb keine Chance auf Erfolg, Sorg und Kujat bleiben.

Also bombardieren zwei Vertreter der CDE-Holding den Vorstand mit zahlreichen Fragen zum wirtschaftlichen Vorgehen Heeschens, etwa: Warum ist während dessen Ägide die Verschuldung von Heckler & Koch so stark gewachsen? In salvenartigem Stakkato schießt ein groß gewachsener CDE-Anwalt seinen Fragenkatalog ins Mikrofon; Aufsichtsrat Sorg versucht ihn mit dem Hinweis zu bremsen, dass die Stenografen Schwierigkeiten hätten, die Fragen zu protokollieren.

Heeschens Vertreter, ein Anwalt aus Köln, ist darob in einer Sitzungspause irritiert: Er könne nicht verstehen, sagt er, wieso die CDE einerseits Heeschen massiv kritisiere, andererseits dessen Anteile kaufen wolle. Das sei keine gute Grundlage für Geschäftsbeziehungen.

Kein Wunder, dass sich der Heeschen-Anwalt grämt: Die Antworten, die der H&K-Vorstand auf die CDE-Fragen geben muss, werfen kein gutes Licht auf seinen Mandanten. Der Schuldenstand des Unternehmens sei seit Heeschens Einstieg 2002 von zwei Millionen auf 295 Millionen Euro im Jahre 2015 gestiegen. Heute liegt er bei etwa 230 Millionen Euro. 2006 habe Heckler & Koch ein 100-Millionen-Euro-Darlehen aufgenommen, verzinst mit 9,5 Prozent. Mit dem Geld gewährte H&K unter anderem Darlehen an andere Unternehmen Heeschens, zum Beispiel an eine Firma für Gartengeräte, die Insolvenz anmeldete. Insgesamt musste H&K laut Vorstand Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe abschreiben.

Ein Aktionär wirft in seinem Redebeitrag Heeschen daraufhin „Selbstbedienungsmentalität“ vor. Er ist einer der „ Kritischen Aktionär*innen“: Pazifist*innen, die Kleinstanteile erworben haben und seit einigen Jahren die Heckler-&-Koch-Versammlungen nutzen, um sich Gehör zu verschaffen. Den Heeschen-Anwalt kümmert ihre Kritik anscheinend nicht: Während einiger ihrer Reden widmet er sich dem Knobeln an Sudokus auf seinem Tablet. Die Wahl Heeschens in den Aufsichtsrat gelingt. Seine jährliche Vergütung: 75.000 Euro.

Panama Papers lassen grüßen

Der IG-Metall-Betriebsbetreuer für H&K, Georg Faigle, Zweiter Bevollmächtigter der Gewerkschaft im nahen Freudenstadt, sagt dazu: „Ich sehe nicht, dass sich daraus ein Mehrwert ergibt.“ Erst im vergangenen Jahr hatte eine knappe Mehrheit der Beschäftigten von H&K dafür gestimmt, pro Woche zweieinhalb Stunden unbezahlter Mehrarbeit zu leisten, um zur Stabilisierung des angeschlagenen Unternehmens beizutragen.

Bei H&K ist die Lage derweil vertrackt. Einige im Unternehmen wären offenbar durchaus froh, wenn sie Heeschen bald los wären und CDE bald übernähme. Die Vorstände Björn Krönert und Bodo Koch wiederholen mehrfach, dass doch jede Gesellschaft ein Interesse „an einer stabilen und finanzstarken Eigentümerstruktur“ habe, was unschwer als klare Präferenz für CDE zu verstehen ist. Wer aber mit dem Luxemburger Fonds tatsächlich die Kontrolle bei Heckler & Koch übernähme, ist unklar. Verschiedene Medien verweisen zwar auf den Fondsmanager Nicolas Walewski. Doch nach Recherchen der Umweltschutzorganisation Greenpeace ist die CDE über einige ihrer hochrangigen Vertreter mit einem großen Netz aus Offshore-Firmen verbunden. Der Anwalt Gérard Lussan, der als Treuhänder für Walewskis Privatvermögen fungiert und als Geschäftsführer einer Bank mit Sitz auf der karibischen Insel Barbados geführt wird, gehöre dazu. Sein Name taucht auch in den von einem Whistleblower geleakten Panama Papers über Steuervermeidungsstrategien Superreicher auf. Außer zur Steueroase Barbados hätten CDE-nahe Akteure laut Greenpeace auch Verbindungen zu Unternehmen in Malta, auf den Britischen Jungferninseln und den Kaimaninseln. Greenpeace-Sprecher Fabian Schwalm kritisiert, es sei nicht ersichtlich, wer wirklich hinter CDE stecke. Sofern Unbekannte im Hintergrund die undurchsichtige Struktur kontrollierten, bestehe die Gefahr, dass deutsche Waffentechnologie ins Ausland transferiert werden könnte.

Auch der Bundestagsabgeordnete Tobias Pflüger nennt die Strukturen rund um die CDE „dubios“. Er bedauert, dass H&K durch die Übernahme der CDE finanziell wohl gerettet würde. Denn Pflüger wünscht sich, „dass diese Firma ihre Waffengeschäfte nicht weitermachen kann“. Finanziell stabilisiert bleibe das Unternehmen „ein zentraler Kleinwaffenversorger, der ständig Grauzonen ausnützt, Stichwort Mexiko“. Im vergangenen Jahr verhängte das Landgericht Stuttgart eine Strafzahlung von 3,7 Millionen Euro, weil Heckler & Koch von 2006 an Tausende Sturmgewehre illegal in mexikanische Unruheprovinzen exportiert hatte. Der Prozess soll vor dem Bundesgerichtshof fortgesetzt werden.

In Bezug auf die Hintermänner des Unternehmens aus Oberndorf am Neckar bleibt vieles im Dunkeln. Eigentlich hat H&K gerade versprochen, die „Transparenz gegenüber Presse und Öffentlichkeit“ zu stärken: Seit Jahresbeginn arbeitet der Ex-Kriegsreporter Marco Seliger für die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Waffenproduzenten. Doch auf eine Presseanfrage des Freitag gab es bis Redaktionsschluss keine Antwort.

Ben Mendelson ist freier Journalist mit den Schwerpunkten öffentliche Daseinsvorsorge und Privatisierungen

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Geschrieben von

Ben Mendelson

freier Journalist. Schwerpunkt: öffentliche Daseinsvorsorge und Privatisierungen. Wirtschaftshistoriker und Vierteljurist.

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