Seien Sie ehrlich! Erinnern Sie sich noch an einen ersten Entwurf zum Leistungsschutzrecht oder zur Vorratsdatenspeicherung? Vermutlich nicht. Haben Sie mitbekommen, dass Katrin Lompscher von der Linkspartei, Berliner Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, vor etwa zwei Wochen den ersten Entwurf eines Berliner Mietendeckels vorgelegt hat? Vermutlich schon. Es war bei all der Aufregung kaum möglich, das nicht mitzubekommen.
Sicher, das lag auch daran, dass das Papier einige radikale Forderungen enthielt – es war eben ein erster Entwurf. Inzwischen ist ein offizieller Referentenentwurf unterschrieben, der nicht ganz so weit geht. Darüber spricht mal wieder keiner, könnte man jetzt sagen, und so ein kleines bisschen stimmt das ja auch: kein vergleichbares Getöse. Doch das muss nicht nur schlecht sein, denn wenn die öffentliche Aufregung peakt, ist die Entgleisung meist nicht fern. So auch in den Tagen nach dem ersten Entwurf, in denen der Griff häufig in die unterste Schublade der „Argumentationskunst“ ging – zu „argumentum ad hominem“ oder „argumentum ad personam“. Heißt: Um einen Punkt zu entkräften, versucht man nicht den Punkt selbst, sondern die Person, die ihn macht, in Zweifel zu ziehen oder schlicht zu beleidigen. Im praktischen Beispiel bedeutet dies: Man kritisiert nicht (nur) den Entwurf selbst, sondern versucht, Katrin Lompscher zu diskreditieren und sie als Linke zu dämonisieren.
So fragte die B.Z. zum Beispiel in bester Aluhutträgermanier raunend: „Folgt Senatorin Lompscher dem Rat einer gefährlichen Organisation?“ Gemeint war die Interventionistische Linke. Deren Schrift, Das Rote Berlin – Strategien für eine sozialistische Stadt, sei quasi Blaupause für den Entwurf. Und überhaupt: SED-Vergangenheit der Linkspartei! Bebildert wurde der Artikel nicht etwa mit Baustellen oder Hochhäusern – sonst eigentlich immer erste Wahl, wenn es um Artikel zu Mieten oder Wohnungsnot geht –, sondern mit einem möglichst unvorteilhaften Foto von Katrin Lompscher selbst. Was braucht es mehr, um das Bild einer sinistren Person zu zeichnen – vernetzt mit Extremisten und alten DDR-Kadern. In ein ähnliches Horn stießen auch Cicero und Berliner Morgenpost. Letztere ließ es sich – wie auch die B.Z. – nicht nehmen, noch einmal darauf zu verweisen, dass Lompscher einst Andrej Holm als Staatssekretär für Wohnen benannt hatte. Holm trat jedoch bald wieder zurück – nach heftigen und oftmals sehr persölichen Angriffen wegen seines Umgangs mit seiner früheren Stasi-Mitarbeit.
Bei derlei Attacken darf natürlich auch die Welt nicht fehlen. Die schlagzeilte pflichtschuldig: „Die Lompscher-Linke. Irre oder gerissen?“ Ja, welches Feindbild hätten Sie denn gern?
Natürlich kann man den ersten Entwurf des Mietendeckels auch kritisieren, und es gab auch sachliche Kritik, die man nicht teilen muss, mit der man aber mehr anfangen kann. Umgekehrt gab es viele positive Reaktionen in den Medien – zum Beispiel in den Tagesthemen. Dort kommentierte Esther Neumeier, die radikale Idee aus Berlin zeige deutlich: „Hier gibt es klare Kante gegen Mietspekulanten.“ Der FDP-Vizevorsitzende Alexander Graf Lambsdorff twitterte daraufhin ein Bild der nordkoreanischen Nachrichtensprecherin Ri Chun-hee, nebst süffisantem Hinweis, es gebe bei den Tagesthemen eine neue Kollegin.
So etwas hilft weder der öffentlichen Debatte noch dem Standing des Diskutierenden. Denn, so schrieb es schon Schopenhauer in Bezug auf das „argumentum ad personam“: „Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob.“
Kommentare 4
Anscheinend macht Frau Lompscher was richtig.
August Bebel: "Wenn uns unsere Feinde loben haben wir was falsch gemacht."
die hass-prediger aus der mitte fühlen sich gedeckt!
Neoliberal-konservative Politiker, Ökonomen und Gazetten vom Typ "Welt" tun an dieser Stelle immer so, als ob alle Mieterinnen und Mieter in Deutschland in Zukunft keinen Cent Miete mehr für ihre Wohnung zahlen müssten. Das gab es meines Wissens nicht einmal in der ehemaligen DDR.
Fakt ist: Eine "Deckelung" der bestehenden Mieten schafft keinen neuen und mehr Wohnraum.
Fakt ist aber auch: Die vielgepriesene "heilige" Marktwirtschaft schafft es 75 Jahre nach dem Trümmerhaufen des Zweiten Weltkrieges nicht, bezahlbare Wohnungen in hinreichender Anzahl zur Verfügung zu stellen. Oder wollen Neoliberale und Konservative das bei Lichte und nüchtern bestreiten? Sogenannte "Leistungsträger", die im Jahr 2019 aus einer einzigen Dividendenausschüttung 500 Millionen Euro kassieren, haben mit Sicherheit kein Problem damit, wenn die Miete für ihre 60-qm-Wohnung von 700 Euro/Monat auf 1.300 Euro steigt, nur weil das Haus einen "energetischen" Farbanstrich bekommen hat.
Wir leben in einer Demokratie. Wenn der Markt versagt, muss der Staat intervenieren. Für Scheinheilige gilt das offenkundig aber nur bei "notleidenden" Banken, wenn sich Topmanager beim milliardenschweren Hütchenspielen an der Börse verzocken.
Ich mag einfach keine Scheinheiligen!
Typisches Geschrei der Neoliberalen auf das die Mehrheit auch noch hereinfällt. Jeder Mittellose bangt jetzt um sein klein Eigentum. Aber da gibt es doch noch eine Alternative von "Rattenfängern"? - Die schaffen das (Enteignen der Mittellosen).