Alles über die irre Mietenkillerin

Mietendeckel Ist Senatorin Lompscher in Wahrheit eine gefährliche Linksradikale? Die „B.Z.“ ist da etwas auf der Spur
Ausgabe 36/2019
Originell bewerben müssen Immobilienunternehmen in Berlin ihre Einheiten in der Regel nicht, Abnehmer finden sie auch so
Originell bewerben müssen Immobilienunternehmen in Berlin ihre Einheiten in der Regel nicht, Abnehmer finden sie auch so

Foto: Imago Images/Schöning

Seien Sie ehrlich! Erinnern Sie sich noch an einen ersten Entwurf zum Leistungsschutzrecht oder zur Vorratsdatenspeicherung? Vermutlich nicht. Haben Sie mitbekommen, dass Katrin Lompscher von der Linkspartei, Berliner Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, vor etwa zwei Wochen den ersten Entwurf eines Berliner Mietendeckels vorgelegt hat? Vermutlich schon. Es war bei all der Aufregung kaum möglich, das nicht mitzubekommen.

Sicher, das lag auch daran, dass das Papier einige radikale Forderungen enthielt – es war eben ein erster Entwurf. Inzwischen ist ein offizieller Referentenentwurf unterschrieben, der nicht ganz so weit geht. Darüber spricht mal wieder keiner, könnte man jetzt sagen, und so ein kleines bisschen stimmt das ja auch: kein vergleichbares Getöse. Doch das muss nicht nur schlecht sein, denn wenn die öffentliche Aufregung peakt, ist die Entgleisung meist nicht fern. So auch in den Tagen nach dem ersten Entwurf, in denen der Griff häufig in die unterste Schublade der „Argumentationskunst“ ging – zu „argumentum ad hominem“ oder „argumentum ad personam“. Heißt: Um einen Punkt zu entkräften, versucht man nicht den Punkt selbst, sondern die Person, die ihn macht, in Zweifel zu ziehen oder schlicht zu beleidigen. Im praktischen Beispiel bedeutet dies: Man kritisiert nicht (nur) den Entwurf selbst, sondern versucht, Katrin Lompscher zu diskreditieren und sie als Linke zu dämonisieren.

So fragte die B.Z. zum Beispiel in bester Aluhutträgermanier raunend: „Folgt Senatorin Lompscher dem Rat einer gefährlichen Organisation?“ Gemeint war die Interventionistische Linke. Deren Schrift, Das Rote Berlin – Strategien für eine sozialistische Stadt, sei quasi Blaupause für den Entwurf. Und überhaupt: SED-Vergangenheit der Linkspartei! Bebildert wurde der Artikel nicht etwa mit Baustellen oder Hochhäusern – sonst eigentlich immer erste Wahl, wenn es um Artikel zu Mieten oder Wohnungsnot geht –, sondern mit einem möglichst unvorteilhaften Foto von Katrin Lompscher selbst. Was braucht es mehr, um das Bild einer sinistren Person zu zeichnen – vernetzt mit Extremisten und alten DDR-Kadern. In ein ähnliches Horn stießen auch Cicero und Berliner Morgenpost. Letztere ließ es sich – wie auch die B.Z. – nicht nehmen, noch einmal darauf zu verweisen, dass Lompscher einst Andrej Holm als Staatssekretär für Wohnen benannt hatte. Holm trat jedoch bald wieder zurück – nach heftigen und oftmals sehr persölichen Angriffen wegen seines Umgangs mit seiner früheren Stasi-Mitarbeit.

Bei derlei Attacken darf natürlich auch die Welt nicht fehlen. Die schlagzeilte pflichtschuldig: „Die Lompscher-Linke. Irre oder gerissen?“ Ja, welches Feindbild hätten Sie denn gern?

Natürlich kann man den ersten Entwurf des Mietendeckels auch kritisieren, und es gab auch sachliche Kritik, die man nicht teilen muss, mit der man aber mehr anfangen kann. Umgekehrt gab es viele positive Reaktionen in den Medien – zum Beispiel in den Tagesthemen. Dort kommentierte Esther Neumeier, die radikale Idee aus Berlin zeige deutlich: „Hier gibt es klare Kante gegen Mietspekulanten.“ Der FDP-Vizevorsitzende Alexander Graf Lambsdorff twitterte daraufhin ein Bild der nordkoreanischen Nachrichtensprecherin Ri Chun-hee, nebst süffisantem Hinweis, es gebe bei den Tagesthemen eine neue Kollegin.

So etwas hilft weder der öffentlichen Debatte noch dem Standing des Diskutierenden. Denn, so schrieb es schon Schopenhauer in Bezug auf das „argumentum ad personam“: „Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob.“

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Neben seinem Studium arbeitete er als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz viele Leser:innen zu begeistern. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts. Er ist außerdem Co-Autor zweier Jugendbücher: Young Rebels (2020) und Whistleblower Rebels (2024) sind im Hanser Verlag erschienen.

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