Wissen Sie, was ich vermisse? Abends vor dem Fernseher einzuschlafen, um dann mitten in der Nacht aufzuwachen und durch das Fernsehprogramm zu zappen. Alles, was ich zum Beispiel über die Royal Air Force weiß (zugegeben, mittelviel), kommt aus nächtlichen N24-Dokus, in die ich so reingeraten bin. Ganz zu schweigen von den Kultfiguren vergangener Tage, die ich nur kenne, weil sie in einer Talkshow zu Gast waren, die auf den wirklich allerletzten Sendeplatz verbannt wurde.
Der moderne Mensch döst nicht auf der Couch vor Markus Lanz ein, der moderne Mensch wird per Algorithmus durchs Netz getrieben. Vor allem aber, das sage ich Ihnen hier ja regelmäßig: Der moderne Mensch hört Podcasts.
Das Tolle an Podcasts ist, dass es für jeden Geschmack, jedes Bedürfnis irgendein Angebot gibt. Das Problem ist nur, hat man sich einmal seinen Stamm aus Podcasts aufgebaut, ist man genau darauf reduziert. In einem Umfeld, in dem man die schrägsten Formate entdecken könnte, findet genau das nicht statt. Zumindest fast.
Neulich hatte ich einen langen Kneipenabend, der auf der Couch endete. Ich mache das gerne: zum Runterkommen noch ein bisschen Podcasts hören – man hat eine vertraute Stimme im Ohr, vor allem aber kann man sich trotz möglicherweise leicht vernebeltem Hirn der Illusion hingeben, noch etwas für selbiges zu tun. Kinder der Leistungsgesellschaft lieben diesen Trick.
Ich also auf die Couch, den Podcast Lage der Nation im Ohr – wach wurde ich einige Stunden später von Kindergeschrei. Dazu berichtete eine Mutter, wie sie im Streit mit ihren Kindern die Polizei ruft. Ich war beim Podcast Deutschlandfunk Doku gelandet. Ich habe ihn schon länger abonniert – höre ihn aber fast nie. Aber hier, mitten in der Nacht, hatte er sich in meine Playlist geschmuggelt. Die Folge „Arschlochmama. Wenn Eltern und Kinder streiten“ habe ich bis zum Schluss gehört, sie hat mich nicht mehr losgelassen. Es geht darin um die Sorgen und Nöte von Eltern und Kindern, die sich gegenseitig zur Weißglut treiben, um Ohnmachtsgefühle und Scham. Ohne diesen Zapp-Moment wäre mir das durch die Lappen gegangen.
Seitdem laufe ich mit dieser wiederbelebten Sehnsucht nach dem antiquierten Medienkonsum durch die Gegend. Wie schön wäre es, sich einfach durch die Podcast-Landschaft zappen zu können – auch jenseits der eigenen Filterblase. Zugegeben, diese Diskussion gibt es in Zeiten von auf die User zugeschnittenen Algorithmen und Mediatheken schon länger, und natürlich gibt es Bemühungen, Podcasts an die Leute zu bringen. Der Deutschlandfunk bietet inzwischen einen Podcastfinder für die eigenen Formate an, bei Apple-Podcasts gibt es einen ganzen Haufen an kuratierten Listen. Aber man muss sich eben auf die Suche begeben, um von Neuem überrascht zu werden. Das ist nicht dasselbe, wie über britische Weltkriegsbomber zu stolpern.
Ich glaube, ich bin mit dieser Haltung nicht allein. Neulich war ich bei einem Stammtisch, bei dem sich Podcaster:innen treffen, die schon lange dabei sind und einerseits sehr viel Ahnung vom Podcast-Geschäft, andererseits noch einen gesund wehmütigen Blick auf die Anfänge haben. Als ich dort meinen Wunsch nach einer Zapp-Funktion vorstellte, fanden das auch andere gut.
Einige Tage später hat Spotify ein neues Feature an den Start gebracht, das in eine ähnliche Richtung geht. Dort kann man sich jetzt durch kleine Ausschnitte von Podcasts swipen – auch solche, die man nicht abonniert hat. Wenn sich das nun noch so einstellen ließe, dass auch Formate in den Stream kommen, die explizit nicht zum bisherigen Hörverhalten passen – ich würde vielleicht den ein oder anderen Podcast mehr bei Spotify hören.
Vielleicht bleibe ich aber auch beim Modell Kneipe – Couch – Geschrei.
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