Ginge es nicht um Springer, die Bild hätte das größte Fest angesichts der boulevardtauglichen Lage, in der sich der Medienkonzern befindet. Allein der letzte Monat: Stuckrad-Barre veröffentlicht einen Keinesfalls-Schlüsselroman, Nachrichten von Springer-Chef Mathias Döpfner werden geleakt, Springer verklagt den ehemaligen Bild-Chef Julian Reichelt auf eine Millionensumme.
Mit Julian Reichelt hat all das angefangen. Im Frühjahr 2021 wurden Vorwürfe gegen ihn öffentlich. Er solle seine Macht missbraucht haben, sexuelle Beziehungen mit von ihm beruflich abhängigen Frauen gehabt haben. Zunächst hielt man ihn noch für tragbar. Im Herbst 2021 schließlich musste er gehen. Reichelt bestreitet die Vorwürfe.
Wie war dieser Machtmissbrauch möglich? Dieser Frage widmet sich der achtteilige Podcast Boys Club. Host Pia Stendera und ihre Kollegin Lena von Holt wollen die Strukturen dahinter beleuchten. Dafür sprachen sie mit über 40 aktuellen und ehemaligen Mitarbeiter:innen von Axel Springer.
Aber kann Boys Club den jüngsten Recherchen von Spiegel, New York Times, Zeit oder Reschke Fernsehen noch etwas hinzufügen – zumal in einem Umfeld, in dem viele Angst haben, auch nur im Hintergrund zu sprechen?
Perfidie ungleicher Machtverhältnisse
Die Antwort lautet Jein. Vieles scheint bekannt. Doch dieses Gefühl ist meist der erste Schritt zu Gewöhnung und Gleichgültigkeit. Dagegen gehen die Macherinnen an. Sie nehmen sich die Zeit, die das Medium Podcasts bietet. Um die Zusammenhänge und eine Tiefe herzustellen, die sonst eben nicht möglich wäre. Die Leitfrage: Wie entsteht ein System, das solchen Machtmissbrauch zulässt – und wie wird es am Laufen gehalten?
Dafür blicken Stendera und von Holt zurück auf die Anfänge des Konzerns mit dem Patriarchen Axel Cäsar Springer, der sich für einen Berufenen hielt, der sich auch von Frauen nahm, was er wollte. Der Muff der Wirtschaftswunderzeit hat sich, so legen es die Podcast-Recherchen nahe, allem Silicon-Valley-Glitzer zum Trotz, scheinbar bis heute gehalten. Was Springer jedoch auch verspricht, ist Weltläufigkeit, große Politik, Macht – und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Hier bei Springer können junge Journalist:innen schnell etwas werden. Sie müssen sich nur beweisen und an die Spielregeln der Rücksichtslosigkeit halten, die ihre Opfer fordern.
Wie schnell die Identifikation mit Springer gehen kann, wird anhand von Interviews deutlich. Hier erzählen junge Menschen, die in der Springer-Akademie gelernt haben, von den Verführungen. Vom teuren Flug zur Recherche, Bars im Springer-Hochhaus, der medialen Reichweite. Aber sie erzählen auch, wie zerstörerisch das sein kann.
Womit wir wieder beim Machtmissbrauch wären. Zentraler Bestandteil des Podcasts sind Interviews mit einer jungen Frau, die Nora genannt wird und deren Stimme verfremdet ist. Auch sie hat eine Affäre mit Reichelt, ist „eine von Julian“ – und sagt später im Compliance-Verfahren für Reichelt aus, obwohl sie unter der Beziehung leidet. Die ganze Perfidie dieser ungleichen Machtverhältnisse wird in dieser Figur greifbar. Nora wird Raum gegeben, die Kämpfe, die sie mit sich ausficht, ehrlich dargestellt.
Dieses Einlassen auf die emotionalen Nöte, die Überforderung, die Grauzonen in den Beziehungen, ist neben dem Rückblick auf die Strukturen das, was „Boys Club“ so hörenswert macht. Auch Reichelt wird viel Zeit gewidmet. Seiner anfänglich einnehmenden Art, seinem Weg vom Kriegsreporter zu einem Mann mit Macht zu einem Herrscher. Was bislang noch gesichtslos bleibt, ist der „Boys Club“ selbst, jene Menschen, die Reichelt haben gewähren lassen, ihn vielleicht auch geschützt haben. Wie ein solcher „Boys Club“ entsteht, das begreift man, wie er konkret funktioniert, noch nicht wirklich. Kommenden Montag, gehen die letzten beiden Folgen bei Spotify online gehen.
In einer früheren Version des Textes hieß es, die Stimme von Nora sei nachgesprochen. Tatsächlich wurde die Stimme jedoch verfremdet. Wir haben diesen Fehler korrigiert.
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